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2. Der Ayodhya-Konflikt als religiöser Werte- und Machtkonflikt 41

2.4. Ayodhya und die Reinterpretation des Hinduismus

2.4.2. Die Verwirklichung des Konzepts der VHP in der Kampagne um

2.4.2.2. Die Legende vom Geburtsplatz Ramas in Ayodhya

Eine Hauptsäule in der Ayodhya-Kampagne bildeten die Legen-den, die um 'Janmabhumi' kreisen. Sie unterschieden sich teilweise erheblich im Inhalt, doch in ihrer Absicht sind sie gleich: Die Begründung für das Engagement um 'Janmabhumi' zu geben und ihre motivierende Kraft zu sein. Als "Bibel" gilt hierbei das von einem gewissen Pandeya (P.) geschriebene Pam-phlet "Die blutüberströmte Geschichte des Geburtsplatzes von Rama". 6)

Seine Geschichte beginnt damit, daß vor über 900.000 Jahren (im letzten Viertel des Treta Yuga) Rama auf dieser Stelle geboren wurde, d. h. Vishnu kam in seiner Verkörperung als Rama auf die Erde. Bereits damals soll, so Pandeya, hier ein prächtiger Palast gestanden haben. Pandeya beschreibt ihn ausführlich. Ayodhya wie auch der Palast wurden mehrmals in Kriegen zerstört und wieder aufgebaut. Der Autor versteht es nun bereits, eine unmittelbare Wirkung beim Leser zu erzie-len: Denn wie oft in der Geschichte (sprich auch heute) dieser Ort niedergelegen sein mag, "'Janmabhumi' war nicht unterzukriegen, (bzw. immer wieder 'erhob er sich')" (P., 5).

Der erste Tempel, den angeblich bereits der Sohn Ramas bauen ließ, wurde während der Zeit, als in ganz Indien der Buddhis-mus herrschte, nach einem furchtbaren Kampf mit den Anhängern des 'Sanatan Dharmas' vom buddhistischen Herrscher, Mihir Gupta, niedergerissen. (Doch er mußte dafür büßen) und starb wenig später im Krieg. Schließlich "verwaiste 'Janmabhumi', und niemand kümmerte sich darum" (P., 7).

Die eigentliche Legende wird nun im 1. Jahrhundert angesetzt.

"Janmabhumi" war vergessen, und König Vikramaditya kam die Aufgabe zu, diesen Ort wieder zu entdecken. Er traf während einer Jagd in der Nähe Ayodhyas auf einen schwarzen Mann, der im Saryu-Fluß badete. Während des Bades wurde das Schwarze weiß. Vikramaditya fragte ihn, wer er sei, und wie sein

Wandel zu erklären sei. Der Mann gab zur Antwort, daß er Prayag, der König der Pilgerorte, ist. Er wurde schwarz von den aber Millionen Sünden, die er von den Pilger, die jähr-lich nach Prayag (Allahabad) kommen, auf sich nimmt. Badet er hier, so wäscht er diese Sünden weg und wird wieder weiß.

Daraufhin fragte nun Vikramaditya weiter, was dies denn für ein Ort sei, der noch bedeutender als Prayag ist. Er erhielt zur Antwort: Ayodhya, der Geburtsort Ramas. Aber den eigent-lichen Geburtsortes Ramas würde er mit Hilfe einer Kuh fin-den, bei der genau an der Stelle 'Janmabhumis' Milch aus ihrem Euter tropfen wird. An diesem Ort, so sagte ihm Prayag, soll er einen Tempel errichten.

Ayodhya, bislang im Vergleich zu Allahabad (Prayag), Haridwar und Benares ein unbedeutenderer Ort, wird hier innerhalb einer hierarchischen Ordnung der Pilgerorte zu ihrem höchsten erklärt. Welchen Sinn würde es da für den Pilger noch machen, zum "König der Pilgerorte" zu gehen, wenn dieser selbst nach Ayodhya kommt? Ayodhya soll überhaupt lt. dieser Interpreta-tion eine herausragende Stellung im Hinduismus einnehmen:

"Janmabhumi ist der heilige Ort des Gebets der Hindus" (-In:

Sharma, R. P. a, 45), hieß es in der Resolution des "3.

Dharma Sansads". Aber mehr noch wurde behauptet: "'Sri Ram-janmabhumi' (...) ist ein Schrein und ein Pilgerort und für die Hindus genauso heilig wie die Kaaba für die Moslems" (VHP 1992). Darüber hinaus soll sich Ayodhyas Bedeutung nicht nur auf den religiösen Bereich beschränken. Lt. eines

"Stadtführers" befand sich hier die erste Münzstätte der Welt (Sharma, A. G.).

Doch weiter: Wie ihm Prayag sagte, ließ Vikramaditya einen Tempel bauen. Während dessen kamen ein aus schwarzem Stein gehauenes Bildnis von Rama und jene 84 Säulen zum Vorschein, die bereits zu Lebzeiten Ramas im Königspalast verwendet wur-den, und von denen noch 12 in der heutigen Babri-Moschee (!) vorhanden sind.

Wie auch immer, ein "prächtiger Tempelpalast" (P., 16) wurde errichtet. Im 11. Jahrhundert nun begann der Einfall der mos-lemischen Barbaren. Sie richteten unter den Gläubigen von 'Janmabhumi' ein großes Blutbad an, aber hatten keinen Mut, den Tempel niederzureißen: "Und alle sahen, daß die Anders-gläubigen keinen Mut haben" (P., 17).

Was Pandeya nun zu erzählen beginnt, ist eine Mischung aus vielem. Die Berühmtheit 'Janmabhumis' war so groß, daß selbst islamische Gelehrte an diesem Ort Schüler wurden: "In Diskus-sionen wurde (ihnen) die Macht 'Janmabhumis' vertraut" (P., 18). Einer von ihnen erkannte sodann, daß "wenn der Tempel zerstört werden würde, die Grundlage für die Herrschaft des Islam in Indien geschaffen wäre" (P., 21). (Die Botschaft ist: Es mag zwar einige 'gute' Moslems geben, aber grundsätz-lich ist ihnen nicht zu trauen.) Dies kam nun dem mosle-mischen Herrscher Babar zu Ohren, und er beauftragte Mir Baqi mit dem Abriß des Tempels und dem Aufbau einer Moschee. Die Gläubigen von 'Janmabhumi' aber leisteten einen erbitterten Widerstand: "Wir sterben eher, als daß jemand durch das Tor des Tempels gehen kann" (P., 21), riefen sie mutig. Und letztlich wurde den Gläubigen der Kopf abgeschlagen, und der Tempel wurde unter Gewalt abgerissen. Dann begann der Aufbau der Moschee. Dabei soll auch das Blut der Hindus zu Lehm ver-arbeitet worden sein (P., 26). Aber die Wände, die am Tage errichtet wurden, fielen am Abend immer wieder ein. Schließ-lich mußte sich selbst Babar an hinduistische Heilige wenden, um zu fragen, wie er sichern könne, daß die Moschee stehen bliebe. Sie gaben ihm zur Antwort, daß "dem Bau nicht die Form einer Moschee gegeben werden könne" (P., 22). Babar nahm diesen Ratschlag an, verzichtete auf die vier Minarette der Moschee und schrieb über den Eingang ihres Tores "Sitas Küche". Die am nördlichen Tor des Geländes sich befindliche Küche der Gattin Ramas, Sita, wurde wieder aufgebaut. (Babar gestattete es also nicht, den Namen Ramas mit diesem Ort in Verbindung zu bringen.) Hindus durften innerhalb des Geländes

Lieder rezitieren. Moslems aber wurde der Zutritt zur Moschee nur zum Freitagsgebet erlaubt. 7) Nur so hatte Babar mit dem Bau der Moschee Erfolg (P., 23).

Die Moslems hatten es also der Großzügigkeit der Hindus zu verdanken, daß dort eine Moschee gebaut werden durfte. Hier-auf ist zu z. B. die heutige Propaganda zurückzuführen, in der behauptet wird, daß "dieses Gebäude" gar keine Moschee ist, und daß man es nur renovieren will: Wie kann man denn also den Moslems etwas wegnehmen, was ihnen gar nicht gehört?

So seltsam dies auch scheinen mag, aber dies hat beim Ge-richtsverfahren, das in Lucknow geführt wird, Relevanz, da u.

a. das Gericht grundsätzlich zu klären hat, ob die Babri-Moschee eine Babri-Moschee ist.

Doch weiter: Im Grunde genommen waren die Hindus mit der Re-gelung aus dem Jahre 1528, als die Moschee gebaut wurde, nie einverstanden. Lt. Pandeyas führten sie seitdem nämlich 76 Angriffe für die Wiederbelebung von "Janmabhumi". Dabei sol-len 174.000 Hindus ums Leben gekommen sein, wie der "Gazetter von Lucknow" sagte (P., 25). Nun dafür gibt es zwar keine Be-weise (!), aber jedenfalls bekräftigte dieser Zeitungsbericht die Tatsache, daß Hindus für diesen Ort gestorben sind (P., 26).

Pandeya versteht es in seiner Schilderung damalige Ereignis-se, die nicht nachzuweisen sind, mit heute noch greifbaren Orten in Verbindung zu bringen. Als ein glänzendes Beispiel sind dafür die 14 Säulen. Dies sind jene, von denen zwei jedem Besucher sofort auffallen, wenn er die Moschee betreten will. Sie befinden sich unmittelbar an ihrem Eingangstor.

Eine weitere Stelle innerhalb des Moscheegeländes, auf die Pandeya den "Hinduzorn" lenken will, ist das Osttor. Hier sollen die Leichen der Hindus eines Angriffs im Jahre 1664 vergraben worden sein. Daher ist zu erklären, daß sie noch heute von den Moslems besonders heilig gehalten wird (P., 32).

Im vorigen Jahrhundert machte ein gewisser Amir Ali, ein Moslem, den Vorschlag, 'Janmabhumi' an die Hindus zu überge-ben. Lt. einer von der VHP herausgegebenen Broschüre soll er folgenden Appell an seine Glaubensbrüder gerichtet haben:

"Unsere Hindu-Brüder haben ihr Leben für uns geopfert, und es ist unsere religiöse Pflicht, den Geburtsort von Sri Ram, das Heiligtum der Hindus, auf dem die Babri-Moschee errichtet wurde, zurückzugeben. Da dies der einzige Grund dafür ist, daß Hindus und Moslems Feinde sind. Wenn wir dies tun, gewin-nen wir ihre Herzen" (-In: Lodha). Nun war die englische Ko-lonialmacht dagegen, daß sich Hindus und Moslems verbrüder-ten, und sie verhinderte die Realisierung des Vorhabens (P., 36). An dieser Stelle also sind die Moslems nicht mehr die unerbittlichen Feinde der Hindus. Daß sich hier Pandeya wi-derspricht, bemerkte er nicht. Bzw. versuchte er hier, ein Beispiel zu geben, daß es auch 'vernünftige Moslems' gibt, die nicht wie die heutigen Mullahs sind.

Die Geschichte endete hier nicht. Als nämlich 1935 drei Moslems im Kampf gegen die Hindus starben, wagten sich seit-dem keine Moslems mehr in die Moschee. Sie wurde geschlossen.

Aber nochmals zeigte der Staat Nachsicht gegenüber den Wün-schen der Moslems. Denn der Distriktchef, Nayar, gab Anfang Dezember 1949 aus "Voreingenommenheit den Moslems die Geneh-migung, das Gebet abzuhalten, dafür stellte er (sogar) Poli-zeischutz zur Verfügung" (P., 80). Doch die 70 bis 75 Moslems, feige wie sie sind, mußten wegen der Menge Hindus, die vor der 'Moschee' standen, wieder abziehen. Am 23. Dezem-ber 1949 erschien Rama wieder und nahm von seiner Geburts-stätte Besitz. Dieser Sachverhalt wurde vom diensthabenden Polizisten an der Babri-Moschee, Abdul Barkat, wie folgt wie-dergegeben.: "Während er des Nachts Dienst hatte, sah er im Gebäude um etwa 2.00 Uhr den Blitz eines göttliches Lichtes.

Dessen Farbe war golden, und darin sah er die Figur eines gottesähnlichen Kindes im Alter von vier oder fünf Jahren, so wie er es noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte.

Dieser Anblick versetzte ihn in Trance, und als er seine Sinne wieder gefunden hatte, sah er, daß das Schloß des Haupttors aufgebrochen auf der Erde lag, und daß eine unzäh-lige Menge von Hindus in das Gebäude eingetreten war und das Bildnis Ramas anbetete" (-In: Nandan, 8).

Pandeya führt die Geschichte dann in einem Zug 'logisch' über die Öffnung der Tore der Moschee im Jahre 1986 bis zu ihrer Erstürmung am 30. Oktober 1990 fort. Für die VHP war die Ayodhya-Kampagne damit nur die "Wiederaufnahme eines alten Kampfes" (VHP 1985b, 19). Der Generalsekretär der VHP schob auf diese Art Einwände gegen das Programm seiner Organisation beiseite. Auf die Frage, daß es in Ayodhya Tote geben könnte, antwortete er, "in diesem Land wurde die Hindu-Gesellschaft viele Jahre lang beleidigt. Als der Tempel zerstört wurde, wurde viel Schmach zugeführt. Diese Schmach kann nur besei-tigt werden, wenn der Tempel errichtet wird. Die Ehre wird wieder hergestellt sein. (...) Diese Revolution ist im Gange, und sie wird seit 1528 geführt, als der Tempel zerstört wurde" (Singhal 1989).

Diese Legende, die sich um den "Geburtsort Ramas" rankt, stellte in der Massenmobilisierung ein äußerst wirksames Mittel dar. Einige Begebenheiten wurden so genau beschrieben, so daß der Leser den Eindruck von Authentizität gewinnt.

Damit erreichte P. auch gebildete Schichten. Vieles wurde großzügig übergangen. Diese Version der Ereignisse wurde u.

a. auch auf Video im ganzen Land vorgeführt. Pandeyas Pam-phlet selbst war nur eines von vielen, jedoch das am be-kanntesten. Diese Druckerzeugnisse waren für wenig Geld zu haben. Die kürzeren Versionen kosteten nur zwei Rupien (etwa 12 Pfennig), Pandeyas hingegen 7 Rupien. Bereits im Herbst 1990 befand sie sich in ihrer fünften Auflage, und wie der Autor behauptete, "sind die Exemplare bereits ausverkauft, ehe sie gedruckt sind" (-In: Butalia). Über ein Drittel aller nach Ayodhya kommenden Pilger kaufen das eine oder andere

Heftchen. Also kann man davon ausgehen, daß diese Geschichts-variante wirklich eine weite Verbreitung fand.