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Die Bildung des BMMCC sowie die Planung eines Marsches

2. Der Ayodhya-Konflikt als religiöser Werte- und Machtkonflikt 41

2.3. Die Ayodhya-Kampagne und der Aufstieg der VHP

2.3.3. Die Jahre von 1986 bis 1988: Periode "kompentativer

2.3.3.1. Die Bildung des BMMCC sowie die Planung eines Marsches

Aufgrund der "ungelösten Situation, die durch die Besetzung der Babri-Moschee entstanden ist" (Shahabuddin 1986), rief das von dem "Mushawarat" gebildete Komitee am 5. November 1986 zu einer gesamtindischen Konferenz für den 21. und 22.

Dezember zur Jama Masjid nach Delhi auf. Auf dieser wird das von Shahabuddin geleitete BMMCC gegründet. Es ist seitdem das Organ auf seiten der moslemischen Oberschicht, das deren Agi-tation instrumentalisiert. Die weitere Institutionalisierung der Agitation erfolgte durch Bildungen von "Action Commit-tees" (Aktionskomitees) auf der Ebene der Unionsstaaten und Distrikte.

Die Resolution, die auf der Konferenz verabschiedet wurde, machte ein längerfristiges Problem des moslemischen Protests deutlich. Welcher Standpunkt soll in Bezug auf Verhandlungen und das gerichtliche Verfahren eingenommen werden? Als Haupt-ziel hatte sich nämlich das BMMCC folgendes gesetzt: "Die Moschee zurückzugewinnen, wie lang und hart der Kampf auch sein mag. (...) Die Heiligkeit der Babri-Moschee kann nicht Gegenstand der Verhandlungen sein. (... Sie) ist unveräußer-lich und ihre Wiederherstellung als Moschee ist eine unum-gängliche Pflicht" (BMMCC 1986). Mit der Annahme dieses Pas-sus zeigte die BMMCC eine ebenso kompromißlose Haltung wie ihr "Gegenpart" die VHP. Denn dieses Hauptziel engte den Rah-men der Verhandlungen, zu denen sie die "Regierung drängte"

(BMMCC 1986), ein. Für das BMMCC konnte demnach Gegenstand

der Verhandlungen nur derjenige sein, wie es die Moschee wie-der zurückerlangen kann. Das Führen von Verhandlungen auf wie-der einen Seite und die Unverhandelbarkeit des Status der Babri-Moschee als Babri-Moschee auf der anderen Seite schlossen sich ge-genseitig aus. Zwar plädierte das Komitee für eine

"Beschleunigung" (BMMCC 1986) des gerichtlichen Verfahrens, aber unklar blieb, wie es sich im Falle einer negativen ge-richtlichen Entscheidung verhalten soll. Diese genannten Punkte kennzeichneten den Grundkonflikt innerhalb der mosle-mischen Bewegung, und in den das BMMCC sie gedrängt hat, bis heute.

Der radikale Flügel innerhalb des BMMCC wurde u. a. durch solche Personen wie Muzaffar Hussain repräsentiert. Er soll während des Treffens folgendes gesagt haben: "Wir werden je-den Hindu-Tempel entlang des Weges (während des geplanten Marsches nach Ayodhya- M. S.) zerstören. Wenn die Moslems nicht ihre Babri-Moschee haben können, wie können dann die Hindus ihre Tempel behalten? ... (Ein anderer Redner:) Wenn unsere Regierung denkt, daß die kommunalistischen Unruhen uns geschwächt haben, dann sollte sie sich dessen bewußt sein, daß (sie uns in) Bengalore neue Kraft und Vitalität gegeben (haben). Wir sind jetzt von der Anzahl gesehen 220 Millionen, und die Regierung sollte mit unserer Stärke rechnen. Laßt Rajiv Gandhi sich die Situation vorstellen, wenn wir alle einen Marsch von der Jama Masjid zur Babri Masjid unternehmen werden" (-In: 'Babri Masjid' gangs ...).

Auf dem Treffen im Dezember 1986 wurden des weiteren zunächst eine Reihe von Aktionen vereinbart, die die hauptsächlichen Formen des Protests des BMMCC für die nächsten beiden Jahre darstellen werden. Die erste größere war der Aufruf an "die moslemische Gemeinde, an den Feiern zum Tag der Republik, dem 26. Januar 1987, nicht teilzunehmen bzw. sich ihnen nicht anzuschließen" (BMMCC 1986). Er verursachte eine heftige Dis-kussion, wurde er doch als Boykott aufgefaßt. Für VHP/RSS war es eine Bestätigung ihres Moslem-Bildes, das dadurch geprägt

ist, daß Moslems exklusiv sind und es auch immer bleiben wer-den: "Die moslemische Führung als solche fühlt sich nicht verpflichtet, das indische Rechts- oder Verfassungssystem zu ehren. Dies zeigt ein weit entwickeltes Stadium der mosle-misch-kommunalistischen Konsolidierung, die bis auf die Zeit von 1937 bis 1947 zurückgeht, an" (Babari Zealots ...). Der Aufruf des BMMCC wurde schließlich am 23. Januar zurückgenom-men.

Für den 1. Februar 1987, dem ersten Jahrestag der Öffnung der Babri-Moschee, setzte das BMMCC einen Generalstreik unter den Moslems an. Am 30. März 1987 fand die größte Massenkundgebung statt, die von dem Komitee zur Frage der Babri-Moschee bis heute jemals organisiert wurde. Zur ihr kamen rund 300.000 Menschen am "Boat Club" in New-Delhi zusammen.

Im Sommer 1988 erlangte die Ayodhya-Kontroverse einen weite-ren Höhepunkt. Im Januar 1988 hatte sich der BMMCC entschlos-sen, die Planungen eines Marsch nach Ayodhya nun zu verwirk-lichen. In einem an den Innenminister Indiens übermittelten Brief hieß es dazu: "Unsere Angebote (...) fanden keine Erwi-derung. Unsere (...) Agitationen (...) wurden völlig igno-riert. Unsere Bitten (...) blieben unausgeführt. (...) Die formalen Beteuerungen des Innenministers in der Lok Sabha vom Juli 1986 und August 1987 wurden zu einem toten Buchstaben reduziert. Das Unterkomitee des Kabinetts, das im April 1987 gebildet wurde, hat noch keine ernsthaften Untersuchungen über das Problem unternommen. (...) Unter diesen Umständen kam das Komitee zur Schlußfolgerung, daß der Moslem-Gemein-schaft keine andere Option übrig bleibt, als den Marsch nach Ayodhya, wie er von der 'All India Babari Masjid Conference' im Dezember 1986 zur Wiederherstellung ihres Gotteshauses, das sich jetzt in illegalem Besitz befindet, beschlossen wor-den war, durchzuführen. Das Komitee ruft daher alle 'Babari Masjid Action Committees' in den Unionsstaaten und -territo-rien und deren Distrikten dazu auf, die Registrierung der Freiwilligen für den Marsch als Priorität durchzuführen bzw.

zu intensivieren" (BMMCC 1988a). Gleichlautende Briefe wurden an den Premierminister, Rajiv Gandhi, und an die Führer aller politischen Parteien übermittelt.

Auf dem Treffen des BMMCC am 22. Mai 1988 wurde ein genauer Zeitplan der Kampagne festgelegt. Es war vorgesehen, daß die Führer des BMMCC am 12. August zunächst mit einem kleineren Marsch beginnen sollten, dem dann ein großer am 14. Oktober folgen sollte.: "Unbewaffnete Freiwillige, die in organisier-ten und identifizierbaren Gruppen zusammengefaßt werden, werden zu Fuß von einem Basislager aus (Lucknow oder Faizabad) mit der Absicht nach Ayodhya aufbrechen, in der Babari Masjid das Freitagsgebet abzuhalten, und damit die 'Section 144', falls in Kraft, und das existierende Verbot des Zutritts dieser Moschee für die Moslems zu verletzen.

Wird ihr Marsch von der Regierung aufgehalten, so werden sie sich nicht auflösen, sondern die Festnahme herausfordern.

Wenn sie angegriffen werden, werden sie nicht zurückschlagen.

Wenn sie verhaftet werden, werden sie nicht um eine Freilas-sung auf Kaution bitten" (Shahabuddin 1988e).

Indirekt hatte bereits die Ayodhya-Kontroverse zu diesem Zeitpunkt die Ebene des parteipolitischen Interessenkonflik-tes erreicht (Kapitel 3), denn Vertreter der BMMCC instrumen-talisierten sie, um ihre Interessen über Parteien durchsetzen zu können. Der Imam der Jama Masjid, Syed Abdullah Bukhari, rief zu den im Juni 1988 stattgefundenen Nachwahlen auf, "die Kandidaten der regierenden Partei zu schlagen" (Bukhari 1988). Der Vorsitzende des BMMCC, Shahabuddin, war Mitglied der oppositionellen Janata Party. Bei ihm war von vornherein eine Trennung zwischen beiden Tätigkeiten kompliziert. Sein folgender Aufruf erschien angesichts dessen logisch: "Der Kongreß muß geschlagen werden. Heute ist es egal, wer ge-winnt" (Shahabuddin 1988d). Nur unterstützte er damit auch Kandidaten der BJP, die wiederum eng mit der VHP liiert war.

Auf der Sitzung des BMMCC vom 21. Juli 1988 wurden die bereits getroffenen Entscheidungen bestätigt, und der Beginn des Marsches der Führer des BMMCC wurde für den 12. August, 9.00 Uhr festgelegt. Er sollte vom 6 km von Ayodhya entfern-ten Faizabad zur Babri-Moschee führen. Das BMMCC hatte sich jedoch zwischenzeitlich scharfer Kritik zu erwehren. Im Juni hatte der Mufti der Deoband-Schule eine "Fatwa" auf den Marsch ausgesprochen und ihn für unislamisch erklärt: "Bei dem vorgesehenen Marsch (...) ist das Leben vieler Moslems gefährdet. (...) Kein vernünftiger Mufti kann erlauben, daß auf diesem Weg das Blut der Moslems vergossen wird" (-In:

Mall). Daß dies der Fall werden könnte, fand der Korrespon-dent der "TOI" während seiner Befragungen auf offener Straße heraus: "Frage: 'Aber ein Blutbad bringt keine Lösungen'.

Antwort: 'Ja, aber es ist Aufgabe der Regierung, sich darüber klar zu werden'" (Mall). Das BMMCC beharrte darauf, daß sich der Marsch "im Rahmen der Verfassung (bewegt). ... Der Marsch nach Ayodhya ist weder ein Jehad (Heiliger Krieg- M. S.) noch ein Selbstmord. (...) Die beiden Märsche werden absolut friedlich sein, und jede Anstrengung wird unternommen werden, um vorsätzliche Provokationen von chauvinistischen Elementen zu zerschlagen" (BMMCC 1988c). Bis Ende Juli hatten sich bereits 100.000 Freiwillige für den Marsch registrieren las-sen.

Nach der erklärten Bereitschaft des Innenministeriums vom 31.

Juli, 4. August und 5. August, in der dritten Augustwoche den Prozeß von Verhandlungen einzuleiten, beschloß das zehnköpfi-ge BMMCC am 8. August mehrheitlich, den Marsch zunächst um

"vier Wochen zu verschieben" (BMMCC 1988d). Diese Entschei-dung verursachte die Spaltung des BMMCC. Drei Mitglieder des BMMCC, der Shahi Imam der Jama Masjid von Delhi, S. A.

Bukhari, Mohammed Azan Khan, MLA und Kovorsitzender der Komi-tees in UP sowie Zafaryab Jilani, Rechtsanwalt in Lucknow und ebenfalls Kovorsitzender des Komitees von UP, distanzierten sich von dem Beschluß des BMMCC. Sie bezeichneten diese

Sit-zung des BMMCC als "ungerechtfertigt" (Hardliners firm ...) und kündigten an, mit den Planungen zum Marsch fortzufahren (Ayodhya march ...).

Damit hatte sich die moslemische Bewegung der Babri-Moschee in zunächst zwei Gruppen gespalten. Eine war das BMMCC, das durch Shahabuddin repräsentiert wurde. Es wurde von solch be-deutenden Organisationen wie der JIH und dem AIMPLB unter-stützt. Die andere Gruppe wurde durch den Imam der Jama Masjid Delhis und ehemalige Mitglieder des Komitees aus UP repräsentiert. Sie besuchten von August an keine Treffen des BMMCC und gründeten am 26. und 27. November 1988 in Delhi eine weitere Organisation, das AIBMAC. Ihr Einfluß war gerin-ger. Sie nahmen zwar nicht mehr das Programm des Ayodhya-Mar-sches auf, erklärten aber, daß "wenn sie ein solches Programm jemals ankündigen sollten, sie es auch zu jedem Preis durch-führen werden" (AIBMAC 1988).

Die Märsche wurden letztlich von niemandem mehr organisiert.

Die Regierung machte deutlich, den Verhandlungsweg beschleu-nigen zu wollen. Auch eine andere Entscheidung der indischen Regierung hatte einen günstigen Einfluß auf das weitere Vor-gehen der Babri-Bewegung. Am 5. Oktober 1988 wurde unmittel-bar nach seinem Erscheinen in England der Vertrieb des Romans von Salman Rushdie "Die Satanischen Verse" in Indien verbo-ten. Die Rushdie-Affäre, die mit dem Mordaufruf Khomeinis erst im Februar 1989 das Interesse der Öffentlichkeit Europas erregte, hatte ihren Ursprung in Indien. Sie war direkt mit dem Ayodhya-Problem verbunden. Shahabuddin begrüßte folglich das Verbot des Romans und verstand es als ein positives Zei-chen seitens des Staates, auf die Forderungen der "Moslems"

eingehen zu wollen.

Seitens der BMMCC war dieser Zeitabschnitt insofern bedeut-sam, da es ihr gelang, eine Unterstützung unter den Moslems zu erlangen und die bisherige Übermacht der VHP

"auszugleichen". Sie kam aus der Position der einseitigen

Defensive, in der sie sich bislang befunden hatte, heraus.

Dies wird die BMMCC nie mehr erreichen. In ihrer Wirkung waren die Aktivitäten denen der VHP gleich. Sie lähmten den Staat und unterstützten die VHP bei ihrer Absicht, weitere Ausstrahlung unter ihrer Zielgruppe zu erlangen.

Seitens der Moslems wurden in dieser Zeit folgende Haltungen deutlich: Man war gewillt in Indien zu bleiben, und hatte daher nicht die Absicht, sich etwa nach Pakistan vertreiben zu lassen.: "Wir haben uns entschieden, in diesem Land zu le-ben und in diesem Land als Moslems zu sterle-ben" (Sait, 129), sagte einer der bekanntesten Parlamentsabgeordneten. Die mos-lemischen Repräsentanten schätzten ein, daß die Situation für die 'Gemeinschaft' noch nie so lebensbedrohlich war wie der-zeit. Das Indien der derzeitigen Regierung wurde mehr und mehr als hindu-faschistischer Staat mit Rajiv Gandhi als dessen oberster Vertreter beschrieben. Daher müsse seine Regierung beseitigt werden. Radikale Kräfte machten deutlich, daß man bereit war, das 'Recht' in die eigenen Hände zu neh-men. In Bezug auf die Babri-Moschee war die Einstellung un-klar. Man erklärte sich einerseits bereit, die gerichtliche Entscheidung zu akzeptieren. Sollte diese jedoch nicht zugun-sten der Moslems ausfallen, signalisierten Teile der mosle-mischen Oberschicht, daß sie dagegen Protest mobilisieren wollten. Man erwartete dann von der Regierung, daß sie eine dem Fall der Shah Bano ähnliche Sonderregelung trifft. Einige moslemische Vertreter erklärten, daß sie keinesfalls eine Zerstörung der Babri-Moschee zulassen würden, und 'eher wür-den Flüsse von Blut fließen'.