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2. Der Ayodhya-Konflikt als religiöser Werte- und Machtkonflikt 41

2.4. Ayodhya und die Reinterpretation des Hinduismus

2.4.2. Die Verwirklichung des Konzepts der VHP in der Kampagne um

2.4.2.3. Die Dokumente der VHP: Der "Historikerstreit"

Die VHP zog zur Begründung ihrer Kampagne um "Ramjanmabhumi"

fragwürdige historische Beweise heran. Doch sie bestritt einen Großteil ihrer Agitation mit ihnen und wandte sich dann mittels solcher Phrasen wie "Die Geschichte spricht" und "Wir haben alle Beweise" an die Öffentlichkeit. Damit forderte sie zwangsläufig eine Debatte von Archäologen und Historikern heraus. Die Historiker der "Jawaharlal Nehru Universität" von Delhi führten mit ihrem 1989 veröffentlichten Papier "Ein po-litischer Mißbrauch der Geschichte" dabei den Kreis derjeni-gen an, die die von der VHP vorgelegten historischen Beweise in Frage stellten.

Auf dieser Ebene der Ayodhya-Kontroverse wird nun jener Zu-stand beschrieben, wo während des Konfliktverlaufs die Ar-chäologie und Geschichtsdokumente herangezogen und diskutiert wurden. Dabei kamen folgende Fragen an die Oberfläche: 1. Ist das mythologische Ayodhya mit der heutigen Stadt selben Na-mens gleichzusetzen, und ist folglich dann die Babri-Moschee Ramas Geburtsplatz? 2. Stand vor dem Jahre 1528 auf der Stelle der Moschee jemals ein Tempel? 3. Ist die Babri-Moschee als eine Babri-Moschee anzusehen?

Relevant wurden diese Ebene des Konfliktsaustrags im Grunde genommen erst dann, als unter der Vermittlung der jeweiligen Premierminister VHP und AIBMAC in gegenseitige Verhandlungen eintraten (Dezember 1990/Januar 1991, Oktober 1992). Die VHP faßte hierzu in einem am 23. Dezember 1990 vorgelegten Doku-ment ihre Beweise zusammen. Sie leitete ihre DokuDoku-menten-

Dokumenten-sammlung mit der Bemerkung ein, daß alles, was sie vorlegen kann, darin besteht, daß "Verehrer Ramas diesen Ort für heilig halten. (...) Damit ist eine Beweisführung nicht not-wendig" (VHP 1990a).

Betrachtet man die gesamte Diskussion, so ergibt sich, daß in der Tat, der Glaube darum, daß Rama an der Stelle der Babri-Moschee geboren ist, jüngeren Datums ist. Die einzigen Doku-mente dafür liefern die Berichte ausländischer Reisender ab dem 18. Jahrhundert. Sie bildeten dann auch einen Hauptteil der Papiere der VHP. Daneben zog sie jene 14 Säulen heran, die schon in Pandeyas Schrift erwähnt wurden, bzw. präsen-tierte sie im Sommer 1992 weitere Fundstücke von einem Tem-pelbau, die bei Grabungen in der unmittelbaren Nähe der Babri-Moschee zutagetraten. Pandeya hatte bereits u. a. fol-gende Beweise über die Existenz eines alten Tempels vorge-legt: Bei der Babri-Moschee fehlen die Minarette und der Brunnen, die sonst bei einer Moschee wichtig seien. Die Moschee hat einen vierseitigen Rundgang und andere architek-tonische Gegebenheiten, z. B. Säulen mit Statuen, so wie er bei Tempeln anzufinden ist und für Moscheen nicht statthaft sei (Pandeya, 46).

Oft sollen die Vorfälle des Jahres 1855 als Beweis dafür gel-ten, wie lange schon die Hindus um "Janmabhumi" kämpften.

Jene fanden jedoch vor einem völlig anderen geschichtlichen Hintergrund statt. Der Navab von Avadh (Oudh) stand kurz da-vor, seine Macht an die Engländer abgeben zu müssen. Die Er-eignisse in dieser Zeit müssen noch weiter analysiert werden, insbesondere welche Rolle die Briten in diesem Konflikt spielten. Srivastava gab dazu bereits eine Reihe interes-santer Hinweise. Im Zuge des damaligen Streitfalls kam es je-denfalls dazu, daß Hindus eine Plattform (Ram Chabutra) im Vorhof der Moschee errichteten. Moschee und Chabutra wurden von einer Mauer getrennt, und zwei separate Eingänge wurden zum Gelände eingerichtet. 1886 lehnt der Distriktrichter die Bitte nach einer Errichtung eines Tempels auf Stelle der

"Chabutra" ab. Bis 1935 wird von keinem Gewaltausbruch in oder an der Babri-Moschee berichtet. 1935 kommt es zu Zerstö-rungen an der Moschee, und der Zutritt zur Moschee wird für Moslems eingeschränkt. Die BJP behauptet daraufhin, daß be-reits seit dem Zeitpunkt an Moslems kein "Namaz" (Gebet) mehr abgehalten haben. Dies wird von moslemischer Seite bestrit-ten. Erst im Dezember 1949 wurde den Moslems endgültig der Zutritt zur Babri-Moschee verwehrt, als Bildnisse von Rama und Sita gewaltsam in der Moschee aufgestellt wurden (siehe 4. 1. 1.).

Was die Fragen der Archäologie und Geschichte zur Babri-Moschee betreffen, so sind in Indien dazu eine Menge von Ma-terialien veröffentlicht worden. Hierauf weiter eingehen zu wollen, würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Jedenfalls liegt für mich weder ein Beweis dafür vor, daß Rama an der Stelle der Babri-Moschee geboren wurde, noch daß jemals dort ein Tempel gestanden hätte. An dieser Stelle aber möchte ich noch darauf hinweisen, daß kein Archäologe oder Historiker

"wertfrei" an die Beurteilung dieses Sachverhalts ging. Jeder hatte seine politischen Werte, die ihn zu der einen oder an-deren Schlußfolgerung brachten.

Mythos, Geschichte und Archäologie waren für die VHP ein wichtiges Mittel, um ihr Handeln zu rechtfertigen. Es kam ihr dabei nicht darauf, ob die präsentierten Fakten verbürgt waren. Sondern sie hatten einen politischen Zweck, der darin bestand, Massen zu mobilisieren. Dem Einzelnen war es durch die Verbindung aller dieser Elemente nicht mehr möglich, Fakten nachzuvollziehen. Selbst die VHP hielt das nicht für bedeutsam. Und sie zog, wenn ihre "Beweise" angezweifelt wurden, den folgenden Schluß: "Wir glauben, daß dieser Ort unseren heiligen Glauben berührt. Und sogar die Verfassung autorisierte die Judikative nicht, diesen Glauben zu verändern. Das ist eine Sache unseres Glaubens, die man nicht in Frage stellen kann. Man kann dazu kein Gericht befragen.

Es ist keine Rechtssache" (Singhal 1989).