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Rama im Hindu-Pantheon und die Interpretation der VHP

2. Der Ayodhya-Konflikt als religiöser Werte- und Machtkonflikt 41

2.4. Ayodhya und die Reinterpretation des Hinduismus

2.4.2. Die Verwirklichung des Konzepts der VHP in der Kampagne um

2.4.2.1. Rama im Hindu-Pantheon und die Interpretation der VHP

Welche Stellung nun Rama im Hindu-Pantheon für die Masse real einnimmt, ist schwer nachzuvollziehen. Aber es war so, daß vor allem die Epen, und das Ramayana ist eines davon, den Hinduismus zu einer Massenreligion machten. Ernsthafte Wis-senschaftler datieren die Entstehung des Rama-Kultes jedoch erst auf das 14. Jahrhundert. Viele betonten immer wieder, daß die Rama-Verehrung größtenteils auf den Hindi-Gürtel (Nordindien) beschränkt geblieben ist (Mani; Ayodhya-a land...; Panikkar). Doch Rama kommt insgesamt schon eine ge-hobene Stellung zu. Dies zeigte sich u. a. in der Zeit der Ausstrahlung einer mehrteiligen verfilmten Fassung des

"Ramayana" im indischen Fernsehen im Jahre 1988, während dessen das öffentliche Leben nahezu lahmgelegt war.

Annie Besant z. B., hielt bereits um die Jahrhundertwende Vorlesungen, in denen sie ausdrücklich Tugenden Ramas hervor-hob: "Ramachandra steht zuoberst, der ideale Mann in jeder Beziehung des Lebens. ... Diese Tugenden (...) müssen wir heute in den Söhnen Indiens wiederherstellen" (Besant 1983, 10, 11-12). Im Bewußtsein der Massen ist er als ein idealer König, Staatsmann, sich sorgender Ehemann verhaftet. Er war der Held (das Gute), der gegen das Böse (Ravana) zu Felde zog, und es besiegte.

Nicht umsonst wird der ideale Staat mit seiner Herrschaft verbunden: dem Rama-Rajya (auch: Menon/Schokker). Ein Um-stand, den die VHP bei ihrer Kampagne nutzen konnte, daß sie angeblich den "idealen Staat popularisieren" (Scindia) würde.

Ein weiteres Beispiel, wie verwurzelt Rama ist, waren die letzten Worte Mahatma Gandhis, die "He Ram" lauteten.

Nun gibt es von der Rama-Legende eine Reihe von Interpreta-tionen (Thapar). So ist z. B. in der südindischen Tradition Ravana nicht zwangsläufig die Verkörperung des Bösen schlechthin. Auch möchte ich hier nur kurz auf Ambedkars Schrift über Rama hinweisen, in der er von Rama genau alles Gegenteilige behauptete. Also: Rama war falsch, hinterlistig, faul und nicht der liebende Ehemann, für den ihn alle halten (Ambedkar 1987, 323-332). Jedenfalls wurde um die Veröffent-lichung dessen im Jahre 1987 eine große öffentliche Kontro-verse geführt. Im Zuge der Ayodhya-Kampagne war das nur ver-ständlich, denn VHP versuchte, Rama und Ayodhya als die Quel-len des Hinduismus überhaupt zu projizieren.

Interessant war, daß die VHP nun Rama hauptsächlich als einen solchen Helden interpretierte, wie es der Sarsanghachalak der RSS, Golwalkar, getan hatte. Bereits mindestens 20 Jahre vor der Ayodhya-Kampagne begriff er die Anbetung Ramas als eine Anbetung des 'Mutterlandes'. (Ritambhara:) "Zerstört den Ty-rannen auf die selbe Art und Weise, wie Ravana bezwungen wurde. Zeigt keine Liebe. Dies ist der Befehl von Rama.

Verkündet es kühn der Welt, daß jeder, der sich gegen Rama stellt, kein Inder sein kann" (BJP's Ramayan). ('Guruji':)

"Sri Rama ist unser Ideal, er, der mit der Kraft seines ei-genen Mutes, Klugheit und Willensstärke so kraftvoll einen solchen Tyrannen wie Ravana bezwang. (...) Unser Objekt der Anbetung waren immer jene erfolgreichen Menschenleben.(...) Sri Rama, einer unser größten Ideale, ist ein lebendes Bei-spiel dieser Philosophie des Sieges. (...) Unser Volk sah Sri Ramachandra als Inkarnation von Vishnu an und hat ihn jahr-hundertelang angebetet. Aber die meisten von uns taten dies nicht, um sich seine mannhaften Tugenden zu eigen zu machen und 'Rama' in uns selbst zu manifestieren. ... Diejenigen, die Rama nicht lieben, d. h. das Objekt der Anbetung, und als ein Hindernis auftreten, müssen zehn Millionen Male als ein Feind betrachtet werden, auch wenn sie uns möglicherweise lieb und teuer sind" (Golwalkar 1980, 366-379, 158). Inner-halb der Ayodhya-Bewegung wurde somit auch das in Indien üb-liche "Namaste" als Begrüßung abgeschafft und durch ein 'patriotisches' "Jai Shri Rama" ('Hoch lebe Shri Rama') er-setzt.

Ein Gedicht zeigte, wie die im vorhergehenden Abschnitt ge-nannten Aspekte genau auf die Ayodhya-Kampagne angewandt wur-den: "Wir schwören bei Rama, wir werden genau dort den Tempel bauen. Wer als Feind kommt, der wird im Nu ausradiert. Sri Ram ist unser erwählter Gott, der Sohn Deshraths. Es gibt keinen Zweifel daran, wir werden zuschlagen. Wenn sich auf unserem Weg Hindernisse stellen, das kümmert uns nicht. Heute steht das Werk Ramas vor uns, wir gehen erhobenen Hauptes.

Wir gehen auf dem Pfad des Friedens. Wir mögen den Zusammen-stoß nicht. Wenn wir zum Kampf gezwungen werden, so werden wir nicht zurückweichen. Hört zu ihr Moslems. Geradezu sagen wir: Wenn ihr nicht auf unsere Worte hört, dann werden wir euch mit Gewalt dazu bringen. Bisher haben wir Opfer ge-bracht, doch heute holen wir uns selbst welche. Mit einem scharfen Schwert werden wir Ströme von Blut fließen lassen"

(-In: Parik). In diesem Gedicht wird u. a. ein Phänomen bei der Massenmobilisierung sichtbar.: Man zeigt sich selbst guten Willens, es liegt nur an dem "Anderen". Ist dieser nicht bereit, so will man sich selbst opfern. Letztlich heißt dies aber, daß der "Andere" das Opfer sein wird. Dieses Ge-dicht ist daher eher die Ausnahme, da hier unmittelbar zum Töten des Gegners aufgerufen wurde. Die VHP nahm bei ihrer Kampagne in Kauf, daß Menschen sterben werden. So reagierte 1989 ein Funktionär der RSS auf den Einwurf eines Journali-sten, daß es bereits zur Ayodhya-Frage Tote gegeben habe, mit der Bemerkung: "Das ist nichts. Es wird noch mehr geben. Wir haben keine Angst" (Sudarshan).

Nun, Rama wird auf öffentlichen Plakaten stets mit Pfeil und Bogen in einer kämpferischen Pose dargestellt (siehe Abbil-dung im Anhang). Und doch würde ich nun nicht so weit gehen und behaupten wollen, daß damit gänzlich "die Vorstellung (von Rama) in die eines aggressiven, maskulinen Kriegsgottes umgewandelt" (Bhattacharya, N.) werden soll. Im Grunde ver-mittelt die Kampagne der VHP, daß Rama auch allumfassend, universell ist. Er ist eine Person zum 'Anfassen': "Rama (...) wurde zum zeitlosen Schönheitsideal in der Hindu-Vor-stellung. (...) Im Gegensatz zum ausgelassenen Flötenspieler von Vrindaban (Krishna- M. S.) und dem Kriegsphilosophen (Shiva-M. S.) ist die Vorstellung des Prinzen, wie sie sich im Epos zeigt, die einer kühlen, passiven und ergebenen Seele, die geringe Spuren von Kummer und Leiden zeigt. Fest der Sache seines erklärten Ziels des Schutzes des Dharmas und des feststehenden Verhaltenskodexes ergeben, präsentiert er einen klaren, zurückgezogenen und schwermütigen Ausdruck, der die Leiden und Grenzen der menschlichen Gefüges offenbart.

(...) Ein idealer Sohn, ein idealer Bruder, ein idealer Ehe-mann und vor allem ein idealer demokratischer König, er scheint mehr ein menschliches Wesen als ein Gott zu sein.

(...) Er repräsentiert das innere und religiöse Leben des alten Indiens. (...) Laßt uns ihn nicht mit unseren

gegenwärtigen Maßstäben messen, die wir uns mit unserem be-grenzten Vorstellungsvermögen selbst geschaffen haben"

(Kohli). Rama gibt "Schutz" (-In: BJP's Ramayan). In einer Umdichtung eines Liedes aus dem Filmhit "Maine pyar kiya"

werden Sita, der Gattin Ramas, u. a. folgende Worte in den Mund gelegt: "Mit dem goldenen Hirsch (org. Jagd) Rama komm zu mir" (-In: Datta, 2526). Rama und Sita erhalten nun das Image, das bislang eher Krishna und Radha zugekommen ist. In einer anderen Resolution faßt die VHP all diese Aspekte zu-sammen.: "Rama wird als Gott, als Nationalheld und als der Inbegriff jeder menschlichen Tugend verehrt" (VHP 1992).

Damit kann Rama als ein breites Sammelbecken dienen. Dies kam u. a. der VHP dabei zugute, daß, wenn auch nicht die Mehrheit der Bevölkerung ihr Vorhaben unbedingt unterstützte, sie auf keine breite Opposition stieß.

Doch ist diese Universalität Ramas eingebettet in ein umfas-senderes Vorhaben. Die Vorstellung, die ein Anhänger der VHP von der Universalität Ramas hat, ist eine andere als die eines anderen Personenkreises. Die während der Ayodhya-Kampa-gne projizierte Universalität ist nicht von der VHP zu tren-nen. So wurden demnach auch zur Zeit der Zuspitzung des Kon-flikts im Herbst 1990 die kämpferischen Aspekte Ramas betont.

Unter diesen Bedingungen war dann auch die Universalität Ramas nur eine eingeschränkte (siehe 2. 4. 1. 3.).