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3 Das Themenfeld Risiko

3.2 Theoretisches Modell zur Erklärung von Risikowahrnehmung

3.2.1 Externe Einflussfaktoren

3.2.1.1 Risikocharakteristika

Der Einfluss bestimmter Eigenschaften eines Risikos, sog. Risikocharakteristika oder fright factors, auf die Risikowahrnehmung wird in dem psychometrischen Risikoansatz thematisiert. Ein Wissenschaftler, der schon in den 1980-er Jahren mit dem psychometrischen Paradigma gearbeitet hat, ist Paul SLOVIC. Er konnte zusammen mit Kollegen herausarbeiten, dass es spezielle Risikocharakteristika gibt, die die Risikowahrnehmung entscheidend beeinflussen. Es sind also spezielle Eigenschaften eines Risikos, die bestimmen, ob ein Risiko als schlimm oder akzeptabel beurteilt wird. Zu diesen Risikocharakteristika gehören z.B. der Grad der Risikokontrolle und die Neuheit des Risikos (SLOVIC 1987). In einer neueren Untersuchung von SLOVIC et al. (2004a) wurden insgesamt 18 verschiedene Risikocharakteristika mit einer Wirkung auf die Risikowahrnehmung benannt. Mittels Faktorenanalyse konnten diese 18 Charakteristika wiederum zu drei Risikofaktoren komprimiert werden (siehe Abb. 6). Der Faktor „dread“

(Angst) hat dabei im Vergleich zu den anderen beiden Faktoren „familiarity“ (Neuheit) und

„people exposed“ (Katastrophenpotenzial) den größten Einfluss auf die Risikowahrnehmung und spiegelt gleichzeitig die Bedeutung affektiver Informationen für die Risikowahrnehmung wider (SLOVIC et al. 2004a). SPARKS & SHEPHERD (1994) kamen in ihrer Studie zu Lebensmittel-Risiken zu drei vergleichbaren Faktoren (severity, unknown risks, people exposed), die zusammen 87% der Varianz in der Risikowahrnehmung erklären konnten. Allerdings wurden in dieser Studie den Befragten mehr oder weniger die gleichen Risikocharakteristika wie in den Arbeiten von SLOVIC vorgelegt. Bei der Verwendung von anderen Risikocharakteristika können laut SPARKS &

SHEPHERD (1994) auch andere Faktoren entstehen.

Abbildung 6: Risikocharakteristika mit Zuordnung zu drei Risikofaktoren

SLOVIC et al. 2004a Darüber hinaus konnten SLOVIC et al. (2004a) aufzeigen, dass die Risikocharakteristika keinesfalls einzeln zu betrachten sind, sondern dass einige Risikocharakteristika hinsichtlich ihrer Wirkungen auf die Risikowahrnehmung zusammen hängen. Frühere Untersuchungen ließen vermuten, dass insbesondere die Frage der Freiwilligkeit eines Risikos von besonderer Bedeutung für die Risikowahrnehmung ist, weil die Freiwilligkeit mit einigen anderen Charakteristika korreliert war. So werden z.B. viele unfreiwillige Risiken auch als unkontrollierbar und katastrophal empfunden. SLOVIC et al. (2004a) konnten hingegen zeigen, dass die erhöhte Risikowahrnehmung bei unfreiwilligen Risiken mehr durch den gleichzeitigen Katastrophencharakter dieser Risiken beeinflusst wird als durch das Charakteristikum der Unfreiwilligkeit: „We conclude that society’s apparent

aversion to involuntary risks may be mostly an illusion, caused by the fact that involuntary risks are often noxious in more important ways, such as being inequitable or potentially catastrophic“ (SLOVIC et al. 2004a, S. 148).

Das Charakteristikum des Katastrophencharakters wird von SLOVIC et al. (2004a) als besonders bedeutsam herausgestellt. Nach Meinung der Autoren spielt diese Risikoeigenschaft eine zentrale Rolle für die Risikowahrnehmung, wobei wiederum enge Zusammenhänge zu anderen Charakteristika vermutet werden. Die Autoren geben an - ähnlich wie in früheren Studien für das Freiwilligkeits-Charakteristikum-, dass bei Risiken, die als besonders unbekannt und unkontrollierbar erscheinen, auch ein höheres Katastrophenpotenzial wahrgenommen wird. Als ein Beispiel für die große Bedeutung des Katastrophenpotenzials für die Risikowahrnehmung führen die Autoren die Atomkraft an.

Es wurde aufgezeigt, dass der Atomkraft ein wesentlich größeres Risiko zugemessen wurde als allen anderen Risiken. Weitere Analysen haben ergeben, dass diese Risikobewertung mit der Überzeugung korrelierte, dass bei Atomkraft die Gefahr für eine Vielzahl von Todesfällen besteht (SLOVIC et al. 2004a).

YEUNG & MORRIS (2001b) verweisen ebenso auf den Einfluss der Schwere der Konsequenzen auf die Risikowahrnehmung. Die Autoren führen an, dass die Risikowahrnehmung beim Verbraucher hinsichtlich eines Risikos, das zwar sehr selten auftritt, aber sehr viele Todesfälle verursachen kann, deutlich größer ist als bei einem häufigen Risiko mit geringerem Katastrophencharakter. Die besondere Beachtung des Katastrophenpotenzials führt also zu einer Überbewertung des Schadensausmaßes und hat daher die Wahrnehmung eines sehr großen Risikos zur Folge. Insofern wird insgesamt die Aussage gestützt, dass innerhalb der verschiedenen Risikocharakteristika dem Katastrophenpotenzial eine zentrale Rolle zukommt.

BENNET (2001) hat basierend auf den Arbeiten von SLOVIC et al. sog. ‚fright factors’

formuliert, die als Daumenregeln zur Bewertung von Risiken genutzt werden können.

Diese werden in Tab. 6 dargestellt. Aufgrund dieser ‚fright factors’ ist z.B. die allgemeine Risikowahrnehmung heutzutage größer als noch vor einigen Jahren. Das liegt daran, dass die Risiken häufig globalen Charakter haben, schwierig zu kalkulieren und zu managen sind und häufig eher vom Menschen gemacht als natürlicher Natur sind (GAIVORONSKAIA & HVINDEN 2006).

BENNET (2001) weist aber auch darauf hin, dass die ‚fright factors’ keinesfalls als alleinige Erklärungsgröße für die individuelle Risikowahrnehmung eines jeden Einzelnen dienen können. Vielmehr sollten sie als Daumenregel, bzw. als Checkliste für die Einschätzung der Risikowahrnehmung in der Öffentlichkeit allgemein dienen – oder

maximal, mit entsprechender Vorsicht, als Hilfe für die Voraussage von Verbraucherverhalten bei einem bestimmten Risiko.

Tabelle 6: Übersicht über verschiedene ‚fright factors’ nach BENNET Fright factors

Risiken erzeugen im Allgemeinen mehr Besorgnis (und weniger Akzeptanz), wenn sie wahrgenommen werden als….

1. unfreiwillig.

2. ungleich verteilt.

3. nicht abwendbar durch eigene Vorsichtsmaßnahmen.

4. entstehend durch eine neue oder unbekannte Quelle.

5. vom Menschen gemacht (und nicht natürlichen Ursprungs).

6. einen versteckten und irreversiblen Schaden verursachend, z.B. Spätfolgen von Krankheiten.

7. gefährlich für kleine Kinder, schwangere Frauen oder spätere Generationen im Allgemeinen.

8. einen besonders schrecklichen Tod verursachend.

9. schadend für identifizierbare (im Vergleich zu anonymen) Opfern.

10. wenig verstanden von der Wissenschaft.

11. Gegenstand unterschiedlicher/gegenteiliger Bewertungen von verantwortlichen Quellen (oder von derselben Quelle).

BENNET 2001 Nichtsdestotrotz liefern die ‚fright factors’ den Nachweis, dass offenbar auch persönliche Werthaltungen bei der individuellen Risikowahrnehmung eine wichtige Rolle spielen. So reflektiert der Faktor „Unfreiwilligkeit“ z.B. den Wert „persönliche Autonomie“. Andere Faktoren haben wiederum enge Beziehungen zu Einstellungen zur Gesellschaft, zur persönlichen Beziehung zur Natur, usw. (BENNET 2001). Diese Feststellung unterstützt die These, dass bei den individuellen Bewertungs- und Interpretationsvorgängen sowohl externe als auch interne Faktoren eine Rolle spielen.