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4 Das Themenfeld Produktkennzeichnungen

4.4 Informationsverhalten beim Lebensmitteleinkauf

4.4.2 Informationsverarbeitung

Um die Frage klären zu können, wie eine Produktkennzeichnung für Lebensmittel am Point of Sale die Kaufentscheidung beeinflussen könnte, erscheint es sinnvoll, sich zunächst die grundsätzlichen Abläufe der Informationsverarbeitung beim Einkauf anzusehen. JACOBY & OLSEN (1977) haben hierzu ein „information processing model“

entworfen, welches im Folgenden näher beschrieben wird (vergleiche auch DICKSON &

SAWYER 1990, Abb. 14). Dieses Modell verwendet den Preis als zu verarbeitende Information.

Das Modell teilt die Informationsverarbeitung in verschiedene Abschnitte auf, die wiederum durch die Begriffe Kognition, Affekt und Verhalten beschrieben werden können.

Zu Beginn wird ein objektiver Preis vom Konsumenten wahrgenommen. Dies können verschiedene Preisinformationen sein wie z.B. der absolute Preis oder der Preis pro Einheit, usw. Der objektive Preis beinhaltet noch keine persönliche Wertung oder Einschätzung, er ist anfangs lediglich eine numerische Information. Zunächst kommen kognitive Vorgänge zum Tragen: Der Preis wird decodiert und in einen sog.

psychologischen Preis übertragen. D.h., dass die Preisinformation interpretiert und damit gewichtet wird. Der Preis bekommt eine zusätzliche Bedeutung wie z.B. „preisgünstig“.

Der psychologische Preis, der also schon eine Interpretation und Evaluierung beinhaltet, wird im nächsten Schritt im Gedächtnis gespeichert (ZEITHAML 1982). Nun folgen affektive Vorgänge: Der Konsument bildet eine Einstellung gegenüber dem psychologischen Preis, er macht sich z.B. ein Bild über das Preisimage des Ladens oder einer Marke. Anschließend wird die Preisinformation zusammengeführt mit anderen Preisinformationen. Es werden Vergleiche angestellt zwischen verschiedenen Marken oder bezüglich der im Produkt enthaltenen Menge. Schließlich resultiert aus der

Informationsverarbeitung eine Verhaltensantwort, wobei es sich im Wesentlichen um den Produktkauf oder den Nichtkauf handelt (DICKSON & SAWYER 1990).

Abbildung 14: Informationsverarbeitungsmodell nach JACOBY & OLSEN (1977)

DICKSON & SAWYER 1990 Beim Lebensmitteleinkauf werden neben dem Produktpreis noch zahlreiche andere Informationen angeboten wie z.B. die Marke, Qualitätsstandards (z.B. Bioqualität), das Herkunftsland, die Inhaltsstoffe, Produktkennzeichen, die Mindesthaltbarkeit, die Packungsgröße oder die Verpackungsart. Vorausgesetzt, dass alle diese Informationen beachtet werden, bedeutet das für den Verbraucher, dass bei jeder einzelnen Kaufentscheidung das information processing model für zahlreiche Produktattribute durchlaufen werden muss. Für jede einzelne Produkteigenschaft erfolgt also zunächst die Decodierung und Übertragung der objektiven Information in eine psychologische Information mit anschließender Speicherung der Information. Danach wird eine Einstellung gegenüber dem Produkt ausgebildet und es werden Vergleiche mit anderen Produkten angestellt. Erst danach fällt die eigentliche Entscheidung für oder gegen den Produktkauf.

An dieser Stelle wird deutlich, dass der Einkauf von Lebensmitteln mit einem enormen kognitiven Aufwand verbunden sein müsste, wenn bei jeder Kaufentscheidung alle angebotenen Informationen nach dem vorgestellten Modell verarbeitet werden würden.

Außerdem würde dies auch einen nicht unerheblichen Zeitaufwand bedeuten. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass Kaufentscheidungen bei Lebensmitteln in der Regel recht schnell getroffen werden (JACOBY et al. 1974b). Die Verbraucher müssen also Möglichkeiten gefunden haben, die Informationsverarbeitung beim Lebensmitteleinkauf zu beschleunigen.

CORNEY et al. (1994) weisen darauf hin, dass Konsumenten beim Einkauf von Lebensmitteln mit verschiedenen Informationen auf den Lebensmitteln konfrontiert werden. Generell kann zwischen zwei verschiedenen Formen von Informationen unterschieden werden: Informationen, die der Vermarktung dienen, wie z.B. eine Marke oder der Preis, sowie Ernährungsinformationen, die rein quantitativ die enthaltenen Mengen von Nährstoffen in einem Lebensmittel angeben. Für letztere liegen in der Regel Richtlinien vor, wie diese Informationen bzw. welche Informationen zu präsentieren sind.

Die Verarbeitung der Ernährungsinformationen stellt einige Anforderungen an den Verbraucher: Er muss wissen, was sich hinter jedem Nährstoff und hinter der Maßeinheit verbirgt, er muss die Beziehung zwischen verschiedenen Nährstoffen und ihrer Wirkung für eine gesunde Ernährung kennen (COWBURN & STOCKLEY 2004). Erst, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine Information als – um in der JACOBY & OLSEN-Terminologie zu bleiben – psychologische Information interpretiert und gespeichert werden.

Weitere Studien haben gezeigt, dass die Konsumenten beim Lebensmitteleinkauf bevorzugt Informationsbündel nutzen, um die vorhandene Menge an Einzelinformationen zu reduzieren. Diese „information chunks“ beinhalten verschiedene einzelne Informationen, die auf diese Weise zusammengefasst und leichter im Gedächtnis abgespeichert und abgerufen werden können (JACOBY et al. 1977). Solche information chunks können z.B. eine Marke oder der Produktpreis sein. So transportiert eine Marke über ihr Image auch häufig Informationen über die Produktqualität und über Herstellungsstandards; die Einzelinformationen werden in der Marke zusammengefasst.

Die Bedeutung von information chunks zeigt sich z.B. daran, dass einer Marke oder dem Preis beim Lebensmitteleinkauf häufig mehr Beachtung geschenkt wird als anderen Informationen wie z.B. den Ernährungsinformationen (CORNEY et al. 1994, JACOBY et al. 1977). Ebenso könnten Health Claims oder Nutrition Claims als information chunk dienen. Wenn auf der Vorderseite der Verpackung eines Lebensmittels ein Health / Nutrition Claim aufgedruckt ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ernährungstabelle auf

der Rückseite angesehen wird, verringert (ROE et al. 1999). Dies gilt unabhängig von der vorhandenen Zeit und insbesondere für Personen mit einem geringeren Bildungsniveau und für Personen, die auch sonst nicht auf Produktkennzeichen achten. FORD et al.

(1996) konnten hingegen nachweisen, dass bei der Produktbewertung Claim und Ernährungsinformation unabhängig voneinander bewertet werden (vergleiche auch verschiedene Autoren zitiert bei VAN TRIJP & VAN DER LANS 2007). Dies wird auch durch die Ergebnisse von KELLER et al. (1997) in einem Laborexperiment gestützt. Nach Einschätzung der Autoren sind die meisten Konsumenten einem Claim gegenüber skeptisch eingestellt und setzen eher auf Informationen mit einer größeren Glaubwürdigkeit (KELLER et al. 1997, SZYKMANN et al. 1997). Trotzdem hat die Studie von FORD et al. (1996) auch gezeigt, dass ein Health Claim Erwartungen hinsichtlich einer bestimmten Wirkung produzieren kann. Es gibt z.B. Hinweise auf einen Halo-Effekt, d.h. dass durch den Claim auch positive Bewertungen anderer Attribute entstehen, die durch den Claim gar nicht angesprochen werden. Fehlinterpretationen der Claims bzw.

ein Halo-Effekt sind daher offensichtlich schon bei Verbrauchern zu erwarten, die über eine geringere Motivation zur Informationsverarbeitung verfügen und daher auf leicht verfügbare Informationen setzen (KELLER et al. 1997). Auch WILLIAMS (2005) bezieht sich auf verschiedene Studien, in denen Lebensmittel mit aufgedrucktem Health Claim bevorzugt wurden, weil dieser die kognitive Verarbeitung der Ernährungsinformationen erleichtert (vergleiche auch SZYKMANN et al. 1997). Dabei werden anscheinend auch kurze, einfache Claims eher bevorzugt, während lange, ausführliche Claims leicht ignoriert oder missverstanden werden.

Ein weiterer Vorteil der hier beschriebenen information chunks besteht auch in ihrer Position auf der Verpackung: Sowohl Marke und Preis als auch evtl. ein Claim werden auf der Frontseite der Verpackung angezeigt, zusätzliche Informationen wie die Ernährungsinformationen und Inhaltsstoffe befinden sich auf der Rückseite oder der Seitenfläche der Verpackung, in der Regel auch in deutlich kleinerer Schrift (CORNEY et al. 1994). Viele Konsumenten beschränken sich bei der Informationssuche allerdings auf die Vorderseite eines verpackten Lebensmittels (VAN KLEEF et al. 2007). Die Nutzung von information chunks bietet daher für den Konsumenten nicht nur die Möglichkeit der Informationsreduktion, sondern die gebündelte Information ist auch noch leichter und schneller zu erkennen.

Immer wieder wird auch das Phänomen beschrieben, dass Verbraucher bei den Ernährungsinformationen nur auf ausgesuchte, „schlechte“ Inhaltsstoffe wie Fett oder den Kaloriengehalt achten (BURTON et al. 1994, COWBURN & STOCKLEY 2004). Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass ein einzelner Nährstoff als „Stellvertreter“ für andere

Informationen oder als Informationsbündel für den ernährungsphysiologischen Wert des Produktes genutzt wird (COWBURN & STOCKLEY 2004).

Schließlich sollte auch nicht die Tatsache unterschätzt werden, dass es sich beim Lebensmitteleinkauf um ein alltägliches, von Routine geprägtes Verhalten handelt. Der Lebensmitteleinkauf wird in recht kurzen zeitlichen Abschnitten wiederholt, wobei jeweils immer dieselben Informationen verarbeitet werden. Bei DICKSON & SAWYER (1990) werden z.B. als Gründe für die Nichtbeachtung von Preisen die Gewohnheit und Markentreue genannt. Wenn mit einem bestimmten Lebensmittel oder mit einer Marke bislang nur gute Erfahrungen gemacht wurden, werden diese Produkte weiterhin gekauft.

Die für die Kaufentscheidung relevanten Informationen werden nur beim Erstkauf bzw. bei den ersten Käufen intensiv erfasst und verarbeitet, bei späteren Käufen verlässt sich der Konsument auf die Ergebnisse der ersten Informationsverarbeitung. Produktkennzeichen werden von den meisten Konsumenten z.B. nur gelesen, wenn sie ein Produkt zum ersten Mal kaufen bzw. wenn eine alternative Marke im Angebot ist (WILLIAMS 2005). Dieses Verhalten führt schließlich dazu, dass die Alternativen in einer Produktgruppe auf eine begrenzte Auswahl oder auf ein einzelnes Produkt reduziert werden, bei denen man sicher sein kann, dass die positiven Eigenschaften überwiegen. Eine erneute Informationsverarbeitung ist nicht mehr nötig.