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„…Risk touches on the most profound aspects of psychology, mathematics, statistics and history. The literature is monumental, and each day’s headlines bring many new items of interest…” (BERNSTEIN 1996).

Dieses Zitat illustriert sehr einprägsam die Relevanz, die das Konstrukt ‚Risiko‘ in der Vergangenheit erfahren hat und bis in die heutige Zeit hinein erfährt. Durch die Wissenschaft wurden bislang die unterschiedlichsten Formen von Risiko untersucht.

Diese reichen von finanziellen Risiken über soziale Risiken bis hin zu physischen Risiken, also Gefährdungen der menschlichen Gesundheit (MCCARTHY & HENSON 2005).

Risiken waren damit in der Vergangenheit Diskussionsgegenstand für die unterschiedlichsten Disziplinen. Aber auch in jüngerer Zeit erfahren Risikothemen immer wieder ein sehr großes öffentliches Interesse. Bezüglich der Risiken für die menschliche Gesundheit hat insbesondere die Thematik der Lebensmittelsicherheit in den letzten Jahren an Relevanz gewonnen. Die Frage, inwiefern die Gesundheit durch z.B.

Schadstoffe und Rückstände in Lebensmitteln gefährdet sein könnte, ist für viele Konsumenten von Belang (ADAM 1999). So konnte z.B. das internationale Marktforschungsinstitut Ipsos (Kanada) nachweisen, dass die Mehrzahl der Befragungsteilnehmer in 19 von 34 Ländern das Gefühl hat, dass die Lebensmittel heutzutage weniger sicher sind als noch vor zehn Jahren (zitiert bei TUCKER et al. 2006).

Auch eine zunehmende Verunsicherung der Konsumenten bezüglich der Lebensmittelsicherheit konnte immer wieder konstatiert werden (vgl. FRANZ 2005, VON ALVENSLEBEN 1998). Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben sich ebenfalls den unterschiedlichsten Themen der Lebensmittelsicherheit angenommen wie z.B.

gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in Lebensmitteln, Kontamination der Lebensmittel durch Bakterien oder Pestizide, Verwendung von Wachstumshormonen oder Gesundheitsrisiken durch BSE (eine detaillierte Übersicht über Studien zu den verschiedenen Themen findet sich bei TUCKER et al. 2006). Das wissenschaftliche Interesse an verschiedenen Aspekten der Lebensmittelsicherheit spiegelt damit ebenfalls die Bedeutung der Thematik für die öffentliche Diskussion wider.

Als Ursachen für eine zunehmende Skepsis der Öffentlichkeit gegenüber der Lebensmittelsicherheit werden unterschiedliche Aspekte diskutiert. Zum einen wird argumentiert, dass das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittelkette und in vorhandene Risikomanagementsysteme in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat (TUCKER et al. 2006, FREWER & MILES 2001b, HOUGHTON et al. 2006). Häufig wird von Verbraucherseite unterstellt, dass die Lebensmittelsicherheit und der

Verbraucherschutz keine ausreichende Priorität erfahren (FREWER & SALTER 2002). Im Hinblick auf die Lebensmittelproduktion ist diesbezüglich sicherlich maßgebend, dass Verbraucher in der heutigen Zeit nur noch wenig direkten Kontakt zur Lebensmittelproduktion haben (VON ALVENSLEBEN 1998). Dieser als Entfremdung bezeichnete Zustand führt dazu, dass die Verbraucher keinen Einblick mehr in die Produktionsprozesse des Ernährungsgewerbes und der landwirtschaftlichen Erzeugung haben und daher die Verantwortung für eine sichere Lebensmittelproduktion gezwungenermaßen an andere Personen abgeben müssen (POORTINGA & PIDGEON 2005). Weiterhin müssen sie auch darauf vertrauen, dass entsprechende Institutionen die Risiken richtig beurteilen und angemessene Regulationsmechanismen etablieren. Gerade dieses Verbrauchervertrauen in die Lebensmittelerzeugung und Risikomanagementsysteme scheint heutzutage aber immer weniger vorhanden zu sein.

Dies gilt insbesondere, da die Wertschöpfungskette der Nahrungsmittelerzeugung einen immer stärker industriell geprägten Charakter aufweist und diese auch längst in einem globalen Kontext zu verstehen ist. Darüber hinaus wird auch den Medien eine große Verantwortung zugewiesen. Die Medien stellen für Konsumenten die wesentliche Informationsquelle hinsichtlich Lebensmittelsicherheit dar (FREWER 2001, GREEN et al.

2001). Insbesondere über die Berichterstattung zu Nahrungsmittelskandalen haben die Massenmedien dazu beigetragen, dass der Thematik der Lebensmittelsicherheit eine erhöhte Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird (FREWER & MILES 2001b).

Als Folge des sinkenden Vertrauens der Öffentlichkeit in die Lebensmittelsicherheit wurden in den letzten Jahren in Westeuropa vermehrt Institutionen ins Leben gerufen, die sich mit der Beurteilung und dem Management von Lebensmittelrisiken beschäftigen.

Hierzu gehören u.a. das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) in Deutschland, die Food Standards Agency (FSA) im Vereinigten Königreich, die Agence Française de Sécurité Sanitaire des Aliments (AFSSA) in Frankreich und die European Food Safety Authority (EFSA). Unterstützung erfahren diese Institutionen durch die wissenschaftliche Forschung zu unterschiedlichen Lebensmittelrisiken, indem Rückschlüsse für die Bewertung unterschiedlicher Risiken gezogen werden und Ansätze für eine angemessene Regulierung der Risiken erarbeitet werden. Ein weiteres Forschungsgebiet stellt die erfolgreiche Risikokommunikation dar.

Wissenschaftliche Studien widmen sich daher auch der Frage, wie Risikoinformationen am besten an die Verbraucher übermittelt werden können. An dieser Stelle muss folglich eine Brücke geschlagen werden zwischen der wissenschaftlichen Risikobeurteilung durch Experten und der Risikowahrnehmung von Laien, den Konsumenten. Dabei kann allgemein festgehalten werden, dass Risikokommunikation in der Vergangenheit weitaus

seltener erfolgreich war, als dies zunächst zu vermuten wäre. Als Folge sind eine Reihe negativer Auswirkungen festzuhalten: „warnings that fail to warn (or cause unforeseen panic), reassurances that fail to reassure, and a general lack of trust all round“ (BENNET et al. 2001, S. 207).

Innerhalb der Thematik unterschiedlicher Gesundheitsrisiken steht daher die Frage der individuellen Risikowahrnehmung der Verbraucher im Fokus. Schließlich sind es die Konsumenten, die am Ende angesichts eines bestimmten Risikos Entscheidungen treffen und daraus resultierend ein gewisses Verhalten zeigen. Dieses Verhalten kann z.B.

bedeuten, dass sie sich unbewusst einem Risiko aussetzen, weil sie bislang zu wenig darüber informiert wurden. Andererseits wäre es auch denkbar, dass es unter den Konsumenten aufgrund von übertriebenen Berichterstattungen zu einem Risiko in den Medien zu einer Panik kommt, die für den vorliegenden Fall vollkommen unangemessen ist (vgl. z.B. PENNINGTON 2001). Über ihr Kaufverhalten beurteilen die Verbraucher auf diese Weise auch verschiedene Lebensmittel und ihre Herstellungsprozesse; sie bestimmen über die Erfolge oder Misserfolge von Lebensmitteln. Aus verschiedenen Gesichtspunkten ist es insofern von Interesse, wovon es abhängt, wie groß ein Risiko von den Konsumenten wahrgenommen wird. Darüber hinaus ist ein genaueres Wissen zur Entstehung der Risikowahrnehmung des Verbrauchers hilfreich, wenn es um ein angemessenes Risikomanagement und eine erfolgreiche Risikokommunikation geht. Die Effektivität dieser Regulations- und Kommunikationsprozesse ist nämlich insbesondere davon abhängig, wie sehr die Risikowahrnehmung und –beurteilung der Verbraucher Beachtung findet (FREWER & MILES 2001b).

Die vorliegende Arbeit trägt der Relevanz der Risikowahrnehmung der Verbraucher gegenüber Lebensmittelrisiken und deren Auswirkungen für eine erfolgreiche Risikokommunikation Rechnung. Sie greift die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Risikoverhalten des Verbrauchers auf und wendet sie mit Bezug auf ein konkretes Problemfeld an: die durch Mykotoxine verursachten Gesundheitsrisiken. Die vorliegende Forschungsarbeit ist eingegliedert in den Forschungsverbund für Agrar- und Ernährungswissenschaften in Niedersachen (FAEN). Als Teil eines national und international vernetzten Verbundprojektes zur Mykotoxinproblematik (weitere Informationen unter www.verbundprojekt3-faen.de) ist diese Arbeit eine der ersten, die das Verbraucherverhalten gegenüber den konkreten durch Mykotoxine verursachten Gesundheitsrisiken untersucht. Dabei stehen im Speziellen die Konsumenten in Niedersachsen im Fokus der Untersuchung. Zweifelsohne sind die im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse aber auch von nationalem und internationalem Interesse im Sinne der Mykotoxinforschung und der Risikoforschung allgemein.

Mykotoxine sind sekundäre Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen. Die UN Food and Agriculture Organization (FAO) schätzt, dass bis zu 25% der Weltproduktion von Nahrungsmitteln messbare Mengen von Mykotoxinen enthalten. Diese Giftstoffe können bei übermäßiger Aufnahme unterschiedliche gesundheitliche Effekte hervorrufen, welche von Übelkeit über Organschädigungen bis hin zu Karzinomen und Erbgutschäden reichen. Weiterhin sind einige Mykotoxine bislang noch unzureichend erforscht, so dass gesicherte Aussagen zu deren Gefährdungspotenzial nicht getroffen werden können.

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Risikowahrnehmung des Verbrauchers gegenüber Mykotoxinen liegen nach bestem Wissen bislang nicht vor. Die hier vorgestellte Arbeit stellt folglich eine der ersten Forschungsstudien dar, die die Mykotoxinproblematik im Zusammenhang mit dem Verbraucherverhalten tiefergehend erforscht. Die Arbeit adressiert dabei die konkrete Fragestellung, wie der deutsche Verbraucher der Thematik der durch Mykotoxine verursachten Gesundheitsrisiken gegenüber steht. Dabei werden im Wesentlichen drei Kernfragen untersucht:

 Wie nimmt der Verbraucher die durch Mykotoxine verursachten Gesundheitsrisiken wahr?

 Wie ist der Verbraucher einer Lebensmittelkennzeichnung gegenüber eingestellt, die Lebensmittel eindeutig bezeichnet, in denen keine Mykotoxine nachgewiesen werden konnten?

 Welche Faktoren beeinflussen die Risikowahrnehmung gegenüber Mykotoxinen sowie die Einstellung gegenüber einer Kennzeichnung für die Mykotoxinproblematik?

Zum einen steht folglich das Risiko, welches die deutschen Verbraucher gegenüber Mykotoxinen empfinden, im Zentrum dieser Arbeit. Mit den aufgezeigten Fragestellungen wird die Mykotoxinproblematik aber auch in einen konkreten handlungspolitischen Kontext der Risikokommunikation gestellt: Es wird die Frage bearbeitet, welche Einstellungen bei den Konsumenten gegenüber einer Kennzeichnung für die Mykotoxinproblematik, einem

„Mykotoxin frei“-Zeichen1 vorherrschen. Eine Lebensmittelkennzeichnung für die Mykotoxinproblematik könnte als Instrument der Risikokommunikation dienen. Allerdings hat sich die Kommunikation von Risiken an die Öffentlichkeit in der Vergangenheit als

1 Die Bezeichnung „frei“ ist in diesem Zusammenhang als „nicht nachweisbar“ zu verstehen. Der Ausdruck

„Mykotoxin frei“ bedeutet insofern nicht zwangsläufig, dass keine Mykotoxine in einem Lebensmittel enthalten sind. Der Mykotoxingehalt liegt jedoch unterhalb der diagnostischen Nachweisgrenze. Die Bezeichnung „Mykotoxin frei-Zeichen“ wurde ausschließlich im Rahmen dieser Arbeit geprägt und verwendet und dient v.a. einem leichteren Verständnis des Zeichens durch den Verbraucher in den empirischen Erhebungen.

problematisch erwiesen, so dass die erhofften Ziele häufig nicht umgesetzt werden konnten. Für eine Lebensmittelkennzeichnung stellt sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, ob diese von den Konsumenten in der Kaufsituation überhaupt genutzt werden würde. Produktkennzeichen befinden sich heutzutage in einem Umfeld des Informationsüberflusses; sie müssen sich gegen eine Vielzahl anderer Informationen durchsetzen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Lebensmittelsicherheit unter normalen Umständen keine bevorzugte Information in der Kaufentscheidung darstellt;

vielmehr treten Informationen zur Lebensmittelsicherheit in ihrer Bedeutung als Parameter in der Kaufentscheidung hinter Aspekten von Routine, Gewohnheit und anderen Informationen wie Preis oder Marke zurück (HOUGHTON et al. 2006). Insofern wird im Rahmen dieser Arbeit getestet, ob eine Lebensmittelkennzeichnung für Mykotoxine sinnvoll und zweckmäßig ist und die von der Verbraucherpolitik angestrebte Zielsetzung eines verbesserten Verbraucherschutzes erfüllen kann. Die Verbrauchereinstellung gegenüber einer Lebensmittelkennzeichnung wird dabei sowohl durch Befragungen (Stated-Preferences-Ansätze) als auch durch Verhaltenspräferenzen (Revealed-Preferences-Ansätze) gemessen.

Darüber hinaus greift ein im Rahmen dieser Arbeit erstelltes Theoriemodell zur Risikowahrnehmung gegenüber Mykotoxinen verschiedene Faktoren mit einem Einfluss auf die Risikowahrnehmung und die Einstellung gegenüber einem Mykotoxin-Label auf.

Das Theoriemodell führt damit die beiden interessierenden Konstrukte „Wahrnehmung der Mykotoxinrisiken“ und „Einstellung gegenüber einem „Mykotoxin frei“-Zeichen“

zusammen. Daraus resultierend sollen Rückschlüsse dazu ermöglicht werden, durch welche Maßnahmen eine angemessene Risikoeinschätzung des Verbrauchers und eine entsprechende Akzeptanz der Lebensmittelkennzeichnung erzeugt werden können.

Zusammenfassend verfolgt die vorliegende Arbeit die nachfolgenden Zielsetzungen:

 Schaffung eines Überblickes dazu, wie die durch Mykotoxine verursachten Gesundheitsrisiken von den deutschen Verbrauchern beurteilt werden,

 Prognose von Erfolgsaussichten eines „Mykotoxin frei“-Zeichens im Lebensmittelmarkt,

 Ableitung von Handlungsempfehlungen zu einer erfolgreichen Etablierung des

„Mykotoxin frei“-Zeichens im Lebensmittelmarkt,

 Ableitung von Handlungsempfehlungen zu einer effizienten Risikokommunikationsstrategie für die Mykotoxinproblematik,

 Rückschlüsse dazu, unter welchen Bedingungen eine hohe Risikowahrnehmung bzw. eine hohe Zeichenakzeptanz zu erwarten ist.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich wie folgt: Im Kapitel 2 wird zunächst die Mykotoxinproblematik thematisiert, um den Leser für diesen speziellen Fall zu sensibilisieren und einen Überblick dazu zu geben, welche Gesundheitsrisiken von den Mykotoxinen ausgehen. Das Kapitel 3 beschäftigt sich hingegen mit dem Themenfeld Risiko. An dieser Stelle wird der Ausdruck „Risiko“ definiert und von verwandten Begriffen abgegrenzt. Weiterhin werden die wesentlichen, in der Literatur beschriebenen Konzepte zum Risikoverständnis präsentiert und einander gegenüber gestellt. Das Kap. 3.2 greift anschließend die für diese Arbeit sehr wesentliche Frage der Risikowahrnehmung auf.

Die Aussagen der wissenschaftlichen Literatur zur Risikowahrnehmung und zu den sie beeinflussenden Faktoren werden hier ausführlich diskutiert und abschließend in dem Theoriemodell zur Erklärung der Risikowahrnehmung zusammengeführt.

Das Kapitel 4 thematisiert hingegen den zweiten theoretischen Schwerpunkt von Interesse, das Themenfeld der Produktkennzeichen (auch: Labelling). In diesem Zusammenhang werden insbesondere wissenschaftliche Erkenntnisse dazu präsentiert, welche Probleme im Zusammenhang mit Lebensmittelkennzeichnungen auftreten können und worin die Ursachen für die mangelnde Effizienz vieler Label zu sehen ist.

Insbesondere wird auch die Problematik des Informationsverhaltens beim Lebensmitteleinkauf aufgegriffen.

Bevor im Kapitel 6 die verwendete Methodik für die Datenerhebung und Datenauswertung erläutert wird, präsentiert Kapitel 5 die Methodik und Ergebnisse der qualitativen Vorstudie. Im Rahmen dieser Arbeit wurden zwei Gruppendiskussionen mit Konsumenten durchgeführt, die der Vorbereitung der empirischen Hauptstudie dienten. Diese sind Gegenstand des angesprochenen Kapitels.

Die Ergebnisse der empirischen Hauptstudie werden in Kapitel 7 aufgezeigt.

Abschließend werden diese im Kapitel 8 hinsichtlich ihrer Interpretationsmöglichkeiten diskutiert. Das Kapitel 8.2 zeigt weitergehende Schlussfolgerungen für die Praxis sowie Ansätze für weiterführende Forschungsarbeiten auf. Das Kapitel 9 stellt schließlich das gesamte Forschungsvorhaben zusammenfassend dar.