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4 Das Themenfeld Produktkennzeichnungen

4.4 Informationsverhalten beim Lebensmitteleinkauf

4.4.3 Information-Overload

Wie schon die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, ist die Frage der zur Verfügung gestellten Informationsmenge eine sehr entscheidende, wenn es darum geht, ob Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Einerseits wird in verschiedenen Studien von Konsumenten immer wieder der Wunsch nach ausführlichen Informationen auf Lebensmitteln geäußert. Auch Verbraucherschützer verlangen, dass den Konsumenten so viele Informationen wie nötig zur Verfügung gestellt werden, um die Informationsasymmetrie zwischen Lebensmittelerzeugern und Konsumenten zu reduzieren. Auf der anderen Seite konnten experimentelle Studien immer wieder bestätigen, dass umfangreiche Informationen eher dazu führen, dass diese Informationen ignoriert oder zumindest nicht verarbeitet werden (BURTON et al. 1994, VAN KLEEF et al. 2007).

Ein Phänomen, welches die Probleme beschreibt, die durch ein Zuviel an Informationen entstehen, ist der sog. Information-Overload. Im Prinzip meint dieser Begriff eine Informationsüberlastung der Gesellschaft. Da der Information-Overload eine der zentralen Rahmenbedingungen des Lebensmitteleinkaufes darstellt (vergleiche auch Kap. 4.1), soll er an dieser Stelle näher beleuchtet werden.

Unter Informationsüberlastung oder Informationsüberschuss sind nach KROEBER-RIEL &

ESCH (2004) unter anderem drei Sachverhalte zu verstehen:

a) ein Zuviel an verfügbarer Information, worunter auch die Informationsverarbeitung leidet,

b) Informationsstress im Sinne eines zu großen Informationsangebotes, welches einen subjektiv wahrgenommenen Druck auf das Individuum ausübt,

c) ein Überschuss an Informationen, d.h. der Anteil der nicht beachteten Informationen an dem Informationsangebot insgesamt.

KROEBER-RIEL & ESCH (2004) Für Deutschland stellten verschiedene Autoren bereits in den 1980er Jahren eine Informationsüberlastung von 98% fest (BRÜNNE et al. 1987, KROEBER-RIEL 1987). Es werden also viel mehr Informationen angeboten, als von den Konsumenten nachgefragt werden. Diese Situation wird durch das Hinzukommen neuer Informationsmedien (z.B.

Internet) noch verschärft. Eine zunehmende Informationsüberlastung wird auf diese Weise gefördert. So konnte in Studien in den USA festgestellt werden, dass die Zunahme beim Informationsangebot in den letzten zwanzig Jahren um ca. 260% pro Jahr über der Zunahme beim Informationskonsum gelegen hat (KROEBER-RIEL & ESCH 2004).

Diese „Informationsflut“ kann als Belastung empfunden werden und somit Stresssituationen auslösen (vgl. (2)). Auf jeden Fall führt der Informationsüberschuss aber dazu, dass ein Großteil der angebotenen Informationen nicht die gewünschten Empfänger erreicht. Selbst ein im Voraus ausgesuchtes Informationsangebot (z.B. Sportnachrichten) wird von dem Zielpublikum (z.B. Sportinteressierte) nur sehr selektiv aufgenommen. Die Folge ist, dass die Intention, die hinter dem Informationsangebot steht, allzu häufig ohne Wirkung bleibt (KROEBER-RIEL & ESCH 2004).

Das Problem, welches im Wesentlichen hinter dem Phänomen des Information-Overloads steht, ist die Tatsache, dass die Kapazität des menschlichen Gehirns zur Verarbeitung von Informationen begrenzt ist. Wenn ein Verbraucher in einem festgesetzten Zeitraum mit einem „Zuviel“ an Informationen konfrontiert wird, also mit einer Menge, die die Verarbeitungskapazität seines Gehirns übersteigt, dann erzeugt dies einen Information-Overload, der eine verringerte Entscheidungsqualität und eine unfunktionelle Arbeitsleistung des Gehirns zur Folge hat (MALHOTRA 1982). Dabei ist die Fähigkeit zur Informationsverarbeitung von Mensch zu Mensch erwartungsgemäß unterschiedlich (HENRY 1980). Sowohl Politiker als auch Verhaltenswissenschaftler befassen sich schon

seit langer Zeit mit der Frage, wie viel Information ein Verbraucher in einer bestimmten Zeiteinheit verarbeiten kann bzw. wie diese Menge erhöht werden könnte.

Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass die Informationsverarbeitung mit zunehmender Informationsmenge ansteigt, bis ein Optimum der Informationsverarbeitung erreicht ist. Jede weitere Erhöhung der Informationsmenge führt dann hingegen wieder zu einem Abfall der Informationsverarbeitung (vergleiche verschiedene Autoren zitiert bei MALHOTRA 1982, KELLER & STAELIN 1987). Auch die Ergebnisse von SCAMMON (1977) deuten an, dass ein gewisses Maß an Information besser ist als gar keine Information, während eine erhöhte Informationsmenge im Vergleich zur mittleren Informationsmenge nicht zu einer besseren Kaufentscheidung führt. Zu Bedenken ist außerdem, dass es sich bei den genannten Studien immer um Laborversuche handelt, in denen z.B. die Dimensionen der Attribute im Vergleich zur realen Welt standardisiert und damit vereinfacht wurden (z.B. 2 Dimensionen: hoher versus niedriger Fettgehalt). Das Informationsumfeld des Konsumenten in der realen Welt ist hingegen deutlich komplexer, so dass hier im Vergleich zu den Laborstudien schon bei einer geringeren Informationsmenge mit einem Information-Overload zu rechnen ist (JACOBY 1984).

JACOBY et al. (1974a, 1974b) waren unter den ersten Verhaltenswissenschaftlern, die sich mit der Frage beschäftigt haben, wie verschiedene Informationsmengen auf die Genauigkeit einer Kaufentscheidung wirken. In dieser Studie wurden sowohl die Anzahl Attribute einer Marke variiert als auch die Anzahl der Marken insgesamt. Es stellte sich heraus, dass die Entscheidungsgenauigkeit ansteigt, wenn die Zahl der Attribute für eine Marke ansteigt. Wird hingegen die Anzahl der beurteilten Marken erhöht, gibt es einen leichten Abfall in der Entscheidungsgenauigkeit. Werden beide Faktoren kombiniert (Marken und Attribute pro Marke), gibt es zunächst einen Anstieg und dann wieder einen Abfall in der Entscheidungsgenauigkeit (JACOBY et al. 1974b). Insofern bestätigen auch hier die Ergebnisse, dass ab einer gewissen kritischen Informationsmenge die Informationsverarbeitung wieder abnimmt.

Die JACOBY et al. (1974a, 1974b)-Studien wurden aus verschiedenen methodischen und konzeptionellen Gründen kritisiert (eine Zusammenstellung ist zu finden bei MALHOTRA 1984). Insbesondere konnte MALHOTRA durch die Anwendung eines Logit-Modells nachweisen, dass in den Studien von JACOBY und Kollegen doch kein Information-Overload vorgelegen hat (MALHOTRA 1984). Nichtsdestotrotz zeigen mittlerweile zahlreiche weitere Studien auf, dass das Vorliegen eines Information-Overload-Phänomens zweifelsohne bestätigt werden kann.

MALHOTRA (1982) konnte z.B. in einer eigenen Studie nachweisen, dass Beeinträchtigungen der Informationsverarbeitung ab einer Anzahl von zehn oder mehr Marken / Alternativen auftritt. Gleiches passiert, wenn 15 oder mehr Attribute zu verschiedenen Marken beurteilt werden sollen. Ähnliche Ergebnisse finden sich auch in anderen Studien wieder, in denen 10 Attribute als eine Art Grenze der möglichen Verarbeitungskapazität herausgearbeitet werden konnten. Hinsichtlich der zu bewertenden Alternativen scheint es bei 5 bis 7 Marken zu einem beginnenden Information-Overload zu kommen (verschiedene Autoren zitiert bei MALHOTRA 1982). Ist die Grenze zum Information-Overload überschritten, bleibt der Effekt hingegen zunächst konstant: MALHOTRA (1982) konnte im Bereich von 10 bis 25 Alternativen bzw. von 5 bis 25 Attributen keine weitere Veränderung erkennen. Erst nach Überschreitung einer zweiten, sehr hohen Grenze kommt es offenbar zum totalen Zusammenbruch der Informationsverarbeitung. Zuvor, unter Bedingungen des Information-Overload, nutzen Verbraucher wahrscheinlich verschiedene Vereinfachungsstrategien oder Heuristiken, um die Zahl der betrachteten Alternativen und Attribute zu verringern (MALHOTRA 1982).

Interessanterweise gibt es auch zwei Sichtweisen bezüglich dieser Simplifizierungsstrategien: JACOBY (1984) argumentiert, dass in der realen Welt ein Information-Overload nicht vorkommt, weil jeder Konsument nur selektiv Informationen aufnimmt und sich durch entsprechende Heuristiken und Strategien vor einem „Zuviel“ an Informationen schützt:

„…the key finding to emerge is that consumers stop far short of overloading themselves…“

(JACOBY 1984, S. 435) MALHOTRA (1984) vertritt hingegen den Standpunkt, dass ein Information-Overload in der realen Welt sehr wohl vorkommt, auch wenn ein Konsument Mechanismen anwendet, um die aufzunehmende Informationsmenge zu reduzieren. Die angewendeten Vereinfachungsmechanismen sind für den Autor gewissermaßen ein Anzeichen für die Informationsüberlastung und führen auch die für den Information-Overload typischen Resultate wie Verwirrung, kognitive Spannungen und andere Dysfunktionen der Informationsverarbeitung herbei. Heuristiken stellen immer einen Kompromiss zwischen Vereinfachung und Optimierung dar. Durch Heuristiken, die eine Vereinfachung und Selektion der Informationen bewirken, kann ein wichtiger Anteil der Informationen verloren gehen, so dass wiederum die Entscheidungsgenauigkeit leidet. Auf diese Weise entstehen Phänomene wie Verwirrung oder das Ignorieren von Informationen, wodurch ein Information-Overload gekennzeichnet ist (MALHOTRA 1984).

Neben der eigentlichen Informationsmenge (Quantität) scheint darüber hinaus auch die Informationsqualität dafür entscheidend zu sein, wie gut Informationen verarbeitet werden können. KELLER & STAELIN (1987) verstehen unter der Informationsqualität die in der Information enthaltende Brauchbarkeit für die Bemessung des Nutzens einer Alternative durch den Konsumenten. Ebenso unterscheidet auch SCAMMON (1977) zwischen der Verfügbarkeit und der Verarbeitbarkeit (einfache / komplexe Informationen) von Informationen. Während bei zunehmender Informationsmenge auch hier zunächst ein Anstieg und dann wiederum ein Abfall der Entscheidungseffektivität beobachtet werden konnte, scheint die Informationsqualität einen positiven Einfluss auf die Entscheidungsgenauigkeit zu haben (KELLER & STAELIN 1987).