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B. Legislative Einzelmaßnahmen der EU zur Bekämpfung des Terrorismus

II. Maßnahmen zur Verbesserung des Informationsaustausches

1. Richtlinie „über die Vorratsdatenspeicherung“

Die am 5. Mai 2006 in Kraft getretene Richtlinie „über die Vorratsdatenspeicherung4 51F452 von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikations-dienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden“452 F453, ist ein neueres Instrument der EU zur Bekämpfung des Terrorismus. Durch diese Richtlinie sollen

449 KOM (2005) 600.

450 KOM (2005) 695.

451 ABl. EG Nr. L 105, 54.

452 Vorratsdatenspeicherung ist ein nur auf Deutschland bezogener Begriff, der die Verpflichtung der Anbieter von Telekommunikationsdiensten zur Registrierung von elektronischen Kommunikationsvorgängen ohne konkreten Anfangsverdacht bezeichnet.

453 ABl. EG Nr. L 105, 54.

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die unterschiedlichen nationalen Vorschriften der EU-Mitgliedstaaten zur Speicherung von Telekommunikationsdaten auf Vorrat harmonisiert werden. Es soll sichergestellt werden, dass die Daten für einen bestimmten Zeitraum zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Feststel-lung und Verfolgung von schweren Straftaten, insbesondere auch des Terrorismus, aufbe-wahrt werden. Denn gerade in schweren Fällen der organisierten Kriminalität und des Terro-rismus stellen die Daten über die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel ein notwen-diges und wirksames Ermittlungswerkzeug für die Strafverfolgung dar. Es muss gewährleistet sein, dass diese Daten den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen.

a) Inhalt

Die Richtlinie verpflichtet in Art. 3 die Anbieter öffentlicher elektronischer Kommunikati-onsdienste dazu, bestimmte Arten von Daten auf Vorrat zu speichern. Die zu speichernden Arten von Daten sind in Art. 1 Abs. 2 Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie aufgezählt und um-fassen Verkehrsdaten, Standortdaten einschließlich der Teilnehmer- und Nutzerdaten, die im Rahmen von Telefonie, SMS, elektronischen Medien und Multimedia sowie Datentransfer-diensten und Internetprotokollen erzeugt werden. Nicht von der Speicherungspflicht umfasst sind die Kommunikationsinhalte selbst. Die tatsächlich auf Vorrat zu speichernden Daten sind in Art. 5 aufgezählt. Gemäß Art. 6 müssen die Anbieter die in Art. 1 Abs. 2 Vorratsdatenspei-cherungsrichtlinie aufgezählten Arten von Daten für einen vom nationalen Gesetzgeber fest-zulegenden Zeitraum von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren ab dem Zeit-punkt der Kommunikation speichern und die Daten unverzüglich an die zuständigen Behör-den weiterleiten können453 F454. Art. 7 enthält Vorschriften zum Datenschutz und zur Datensi-cherheit, deren Einhaltung durch eine von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 9 zu benennende nationale Kontrollstelle überprüft und sichergestellt werden soll.

Gemäß Art. 15 hatten die Mitgliedstaaten diese Richtlinie bis zum 15. September 2007 in nationales Recht umzusetzen454F455.

454 Siehe Art. 8 der Richtlinie „über die Vorratsdatenspeicherung“.

455 In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung im Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüber-wachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG

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b) Rechtliche Problematik auf europäischer Ebene

Nach wie vor umstritten ist die Frage nach der richtigen Rechtsgrundlage für die Maßnahme über die Vorratsdatenspeicherung. Frankreich, Irland, Schweden und Großbritannien hatten zur Umsetzung eines Auftrags des Europäischen Rates vom 25. März 2004 und 28. April 2004 einen Entwurf eines Rahmenbeschlusses auf Grundlage der Art. 31 und 34 EU-Vertrag erarbeitet. Am 21. September 2005 legte dann die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie vor, da ihrer Meinung nach die dritte Säule keine Rechts-grundlage für ein Instrument zur Einführung EU-weit einheitlicher Speicherungsfristen und zur Bestimmung der zu speichernden Datentypen enthalte. Vielmehr sei die Einführung ent-sprechender Speicherungspflichten eine gemeinschaftsrechtliche Angelegenheit und daher durch ein Instrument der ersten Säule zu regeln. Am 14. Dezember 2005 schlossen sich das Europäische Parlament455 F456 und am 21. Februar 2006 der Rat der EU456 F457 dieser Ansicht an, so-dass die Maßnahme zur Vorratsdatenspeicherung als Richtlinie und nicht als Rahmenbe-schluss beschlossen wurde. Rechtsgrundlage ist damit Art. 95 EG-Vertrag als Befugnisnorm der ersten Säule und nicht Art. 31 Abs. 1 c), 34 Abs. 2 b) EU-Vertrag als Befugnisnormen der dritten Säule.

Am 6. Juli 2006 hat Irland vor dem EuGH Nichtigkeitsklage457F458 gegen die Richtlinie 2006/24/EG erhoben. Darin betont Irland, dass die Rechtsgrundlage in einem Rahmenbe-schluss und damit in der dritten Säule der EU zu sehen sei. Art. 95 EG-Vertrag diene lediglich der Sicherstellung des Funktionierens des Binnenmarkts, während die geplante Maßnahme primär Strafverfolgungsinteressen verfolge. Die Vorratsdatenspeicherung diene der Verhü-tung und Verfolgung von Straftaten und gerade nicht dem Schutz des Wettbewerbs und der wirtschaftlichen Entwicklung.

enthalten, das am 9. November 2007 vom Bundestag verabschiedet und am 26. Dezember 2007 von Bun-despräsident Horst Köhler unterzeichnet wurde und am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist.

456 Am 14. Dezember 2005 gab das Europäische Parlament seine Stellungnahme nach dem Verfahren der Mi-tentscheidung nach § 251 EG-Vertrag ab, vgl. ABl. EG Nr. L 105, 54.

457 Bei seiner Tagung am 21. Februar 2006 beschloss der Rat der EU die Richtlinie mit qualifizierter Mehrheit, vgl. ABl. EG Nr. L 105, 54.

458 Rs. C-301/06 (Irland/Rat und Europäisches Parlament) vom 6. Juli 2006.

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Im Gegensatz dazu vertritt die Europäische Kommission die Ansicht, dass die Richtlinie das richtige Rechtsinstrument zum Erlass etwaiger Vorschriften betreffend die Vorratsdatenspei-cherung von Daten sei. Die Vorschriften dieser Richtlinie zur VorratsdatenspeiVorratsdatenspei-cherung beträ-fen gerade nicht den Austausch solcher Daten zwischen Strafverfolgungsbehörden und den Zugang zu ihnen, sondern lediglich die Pflicht zur Speicherung. Nicht betroffen sei deshalb die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen im Rahmen der dritten Säule.

Es gehe einzig und allein darum, die Datenspeicherung in den Mitgliedstaaten einheitlich zu gestalten.

In seinem Urteil vom 10. Februar 2009458F459 hat nun der EuGH klargestellt, dass die Richtlinie

„über die Vorratsdatenspeicherung“ zu Recht auf der Grundlage des EG-Vertrags − Art. 95 EG-Vertrag − erlassen wurde, da sie in überwiegendem Maß das Funktionieren des Binnen-markts betreffe.

c) Rechtliche Problematik auf nationaler Ebene

Auch auf nationaler Ebene ist die Vorratsdatenspeicherung umstritten, da sie ausnahmslos in die Grundrechtspositionen sämtlicher Nutzer elektronischer Dienste eingreift, ohne einen konkreten Anfangsverdacht vorauszusetzen. Neben dem Grundrechtseingriff wird insbeson-dere kritisiert, dass die Vorratsdatenspeicherung selbst den Terrorismus nicht verhindern kön-ne, recht wirkungslos bleibe und zu unbefriedigenden Fahndungsergebnissen führe. Terroris-ten hätTerroris-ten es leicht, die VorratsdaTerroris-tenspeicherung zu umgehen. Zum einen würden sie anony-me Kommunikationsmittel wie etwa Internet-Cafes, drahtlose WLAN-Zugangspunkte oder Telefonzellen nutzen, zum anderen würden sie durch Provider außerhalb der EU kommunizie-ren, die von der Verpflichtung der Vorratsdatenspeicherung nicht erfasst sind459F460. Demzufolge liege auch der Verdacht nahe, dass das Thema Terrorismusbekämpfung lediglich einen Vor-wand darstelle, um die EU-Bürger zu überwachen und in ihre Grundrechte einzugreifen.

Am 31. Dezember 2007 wurde deshalb eine vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

459 Urteil des EuGH in der Rs. C-301/06 (Irland/Rat und Europäisches Parlament) vom 10. Februar 2009.

460 Vgl. zur Kritik an der Vorratsdatenspeicherung die Homepage des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung unter www.vorratsspeicherung.de.

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ierte Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung verbunden mit dem Antrag, das Gesetz bis zur endgültigen Entscheidung außer Kraft zu setzen, beim Bundesverfassungs-gericht in Karlsruhe eingereicht46 0F461. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben dabei rund 30.000 Personen einen Rechtsanwalt mit der Erhebung einer Verfassungsbe-schwerde beauftragt. Am 11. März 2008 hat der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts über die Eilanträge entschieden und die umstrittene Vorratsdatenspeicherung eingeschränkt461 F462. Eine weitere Einschränkung erfuhr die Vorratsdatenspeicherung schließlich durch Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 2008462F463. Hiermit gab das Bundesverfassungsgericht einem Antrag auf Erlass einer erweiterten Anordnung bezüglich der Regelungen über die Vorratsdatenspeicherung teilweise statt.

Bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache können die Daten nur dann an die Polizei übermittelt werden, wenn dadurch eine dringende Gefahr für die Allgemeinheit oder Leib, Leben und Freiheit einer Person abgewehrt werden soll oder wenn es um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland geht.

Die Eilentscheidungen lassen zwar noch keine Schlüsse zu, wie das Gericht in der Hauptsache entscheiden wird. Immerhin lässt das Gericht aber erkennen, dass die Vorratsdatenspeiche-rung seiner Auffassung nach zu ganz erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen führen kann.

Von daher bleibt zu hoffen, dass die bisherige Linie eines konsequenten Schutzes des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung weiterverfolgt wird.