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B. EG- und EU-Vertrag als rechtlicher Rahmen

II. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung

Bestimmt und geprägt wird die Tätigkeit der EU neben der Säulenkonstruktion vor allem durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Dieses Prinzip beschränkt die Tätigkeit der EU auf bestimmte Aufgaben- und Kompetenzbereiche und legt somit den Tätigkeitsum-fang der EU fest.

1. Grundlagen

Im Gegensatz zu den Rechtsetzungsorganen auf nationaler Ebene, die aufgrund ihrer Ver-bands- und Organkompetenz grundsätzlich jede Materie gesetzlich regeln können und dabei in der Wahl der Form nicht beschränkt sind, benötigen die Rechtsetzungsorgane der EU eine ausdrückliche Ermächtigung in den Gründungsverträgen1 22F123. Die EU verfügt nur über diejeni-gen Kompetenzen, welche ihr die Mitgliedstaaten durch die Gründungsverträge übertradiejeni-gen haben123 F124. Nur diese übertragenen Aufgaben darf die EU wahrnehmen und nicht in die den Mitgliedstaaten verbleibenden Zuständigkeiten eingreifen124 F125. Der EU steht damit lediglich eine beschränkte Verbands-125F126 und Organkompetenz126F127 zu.

123 Streinz, Rn. 436.

124 Herdegen, S. 167.

125 Geiger, Art. 5 EGV, Rn. 5.

126 Die beschränkte Verbandskompetenz der EU ergibt sich für die erste Säule aus Art. 5 EG-Vertrag, wonach die Gemeinschaft nur „innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und ge-setzten Ziele tätig“ wird. Gleiches wird auch für die Bereiche der intergouvernementalen Zusammenarbeit in Art. 2 Abs. 2 EU-Vertrag festgelegt, wonach die dort genannten Ziele „nach Maßgabe dieses Vertra-ges“ verwirklicht werden sollen.

127 Die beschränkte Organkompetenz folgt für die erste Säule aus Art. 249 EG-Vertrag, welcher vorschreibt, dass die Organe der EG nur zur Erfüllung ihrer Aufgaben und nach Maßgabe dieses Vertrags Rechtsakte er-lassen dürfen. Gleiches gilt für die zweite und dritte Säule gem. Art. 5 EU-Vertrag, wonach die Institutionen ihre Befugnisse nach Maßgabe und im Sinne der Verträge ausüben.

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2. Wirkungen

Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung entfaltet seine Wirkung in zweifacher Hin-sicht. Zum einen legt es durch Zielbestimmungen den sachlichen Anwendungsbereich der drei Säulen fest, zum anderen macht es ein Tätigwerden der EU von der Existenz einer Befugnisnorm abhängig.

a) Festlegung des sachlichen Anwendungsbereichs der drei Säulen

Jede der drei Säulen enthält Zielbestimmungen, an denen sich die Politik der EU orientieren muss. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Zielbestimmungen für die Institutionen der EU insoweit verbindlich, als sie Aufträge zum Handeln sowie Orientierung und Grenzen des dafür eingeräumten Ermessens bestimmen127 F128. Grundlage für die Bindung an die Zielbe-stimmungen ist das Prinzip der beschränkten Einzelermächtigung128 F129. Die Zielbestimmungen legen damit den grundsätzlichen Aufgabenbereich der EU fest und entscheiden über den sach-lichen Anwendungsbereich der drei Säulen129 F130 und die Entwicklung der Rechtsordnung durch die zuständigen Organe13 0F131. Entscheidend für das Tätigwerden der EU im Rahmen ihrer Säu-len ist, welches Ziel mit der jeweiligen Maßnahme erreicht werden soll und ob sich die Maß-nahme im Hinblick auf eines der in den Gründungsverträgen genannten Ziele begründen lässt131F132. Der Pflicht, die genannten Ziele zu fördern, kommt die EU bereits dann nach, wenn sich aus ihren Tätigkeiten objektiv positive Effekte für angestrebte Zustände ergeben132 F133. Die Zielbestimmungen der EU sind über die Verträge verstreut. Die wichtigsten

128 So beispielsweise v. Bogdany, in: Grabitz, Band I, Art. 2 EGV, Rn. 52.

129 So u.a. Zuleeg, S. 61.

130 Ruffert, in: Calliess, Art. 2 EGV, Rn. 7; Streinz, in: Streinz, Art. 2 EGV, Rn. 14.

131 Pechstein, in: Streinz, Art. 2 EGV, Rn 8.

132 Zur unterschiedlichen und darüber hinausgehenden Bedeutung des Prinzips der begrenzten Einzelermächti-gung in den Bereichen der Supranationalität und der intergouvernementalen Zusammenarbeit vgl. Pechstein, in: Streinz, Art. 2 EUV, Rn. 17.

133 v. Bogdany, in: Grabitz, Band I, Art. 2 EGV, Rn. 20.

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mungen enthalten Art. 2, 3, 4 EG-Vertrag für die erste Säule, Art. 11 EU-Vertrag für die zweite Säule und Art. 29 EU-Vertrag für die dritte Säule.

Der sachliche Anwendungsbereich der ersten Säule wird entsprechend ihrer Politikbereiche durch wirtschaftliche Ziele und Mittel geprägt133 F134, wobei die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel im Vordergrund steht. Das alles überragende Ziel ist die Er-richtung des Gemeinsamen Markts bzw. Binnenmarkts134F135 in einem System offener Markt-wirtschaft. Der Begriff gemeinsamer Markt bedeutet dabei „die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmark-tes nahe kommen“13 5F136. Seiner rechtspositiven Stellung nach ist er gemäß Art. 14 Abs. 2 EG-Vertrag ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist.

Zielbestimmung der zweiten Säule gemäß Art. 11 EU-Vertrag ist es, durch Förderung der internationalen Zusammenarbeit die Unversehrtheit der Union und die Sicherheit in der Union zu wahren, sowie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Achtung der Menschenrechte und die Grundfreiheiten zu stärken. Wie sich aus der begrifflichen Verbindung von „Außen- und Sicherheitspolitik“ in der Überschrift von Titel V und dem 3. Spstr. „internationale Sicher-heit“ ergibt136 F137, betreffen die Ziele der GASP die äußere und nicht die innere Sicherheit der Union. Die GASP soll der EU ein geschlossenes internationales Handeln ermöglichen, die Wahrung gemeinsamer Interessen erleichtern und ihre Identität auf internationaler Ebene be-haupten helfen137 F138.

134 Genauer zu den Zielbestimmungen der ersten Säule vgl. Geiger, Art. 2, Rn. 1 ff. EGV; Ruffert, in: Calliess, Art. 2, Rn. 13 ff. EGV.

135 Zur hier nicht bedeutsamen Abgrenzung zwischen Binnenmarkt und Gemeinsamem Markt vgl. Streinz, Rn.

948; EuGH, Rs. 15/81 (Gaston Schul), Slg.1982, S. 1409.

136 EuGH, Rs. 15/81 (Gaston Schul), Slg. 1982, S. 1409; Herdegen, S. 249; Oppermann, S. 406.

137 Cremer, in: Calliess, Art. 11 EUV, Rn. 3.

138 Lange, JZ 1996, S. 442.

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Gemäß Art. 29 EU-Vertrag verfolgt die EU mit der PJZS im Rahmen der dritten Säule das Ziel, den Bürgern in einem „Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts“ ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten, indem sie ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen entwickelt sowie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verhütet und bekämpft. In Abgrenzung zur zweiten Säule betrifft die dritte Säule damit die Stärkung der inneren Sicherheit der EU, deren Ausgestaltung vor allem der Bewältigung von Folgeerscheinungen der konsequenten Verwirklichung des Bin-nenmarktes durch das Schengener Abkommen dient138F139.

b) Bindung der EU an Befugnisnormen

Selbst wenn der sachliche Anwendungsbereich einer Säule für eine bestimmte Tätigkeit der EU eröffnet ist, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die EU im Sinne des Prinzips der be-grenzten Einzelermächtigung tätig werden darf. Vielmehr bedarf es zusätzlich einer ausdrück-lichen Ermächtigungsgrundlage im EG- oder EU-Vertrag. Das Vertragsziel allein kann nach herrschender Ansicht nicht genügen, um Befugnisse zu begründen oder zu erweitern139 F140. Zu unterscheiden ist insofern zwischen Ziel-, Aufgaben- und Kompetenznormen. Die Tätigkeit der EU wird damit sowohl durch die gesetzten Ziele bzw. Zielbestimmungen als auch durch die ihr zugewiesenen Befugnisse konkretisiert.