Versuche bezüglich des Energiestoffwechsels von Wiederkäuern zielten hauptsächlich auf die Ermittlung der Umwandlung von Futterenergie in Körperenergie, um den Bedarf der Tiere möglichst genau zu bestimmen. Bei exakten Bedarfsangaben konnte eine übermäßige Fütte-rung von teuren Energieträgern (Protein, Fett, Kohlenhydrate) in ökonomisch schwierigen Zeiten des Untersuchungszeitraumes (1900-1950) vermieden werden. Im Rahmen der Respi-rationsversuche konnten die Energieverluste der Tiere differenziert werden. KELLNER (1901a) unterschied dabei folgende Faktoren, die solche Verluste bei der Verdauung von or-ganischer Substanz bewirken:
1. Kau- und Verdauungsarbeit 2. Methangärung (Pansen) 3. anderweitige Zersetzungen
4. Ausscheidung unvollständig oxidierter Stoffe mit dem Harn 5. molekulare Umlagerungen der resorbierten Substanz
ARMSBY und FRIES ordneten 1915 diese Faktoren in zwei Gruppen:
1. Verluste infolge nicht-ausgenutzter chemischer Energie in Harn, Kot und in Form von Methan und
2. Verluste in Form von Wärme, bedingt durch den Stoffwechsel aufgrund der Verdau-ung des Futters und UmsetzVerdau-ungen im intermediären Bereich.
Die Energieverluste in Form von Methan wurden von SWIFT et al. (1948) in folgender Glei-chung in Zusammenhang mit der Menge an aufgenommenen Kohlenhydraten gebracht:
E = 2,41 * X + 9,80
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E = produziertes Methan in g
X = Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate (in 100 g)
Je mehr Kohlenhydrate mit der Nahrung aufgenommen werden, desto höher ist die Methan-entwicklung und somit die entgangene Wärmeenergie. Werden die Kohlenhydrate der Nah-rung durch Fett ersetzt, so sinkt nach Angaben der Autoren die Methanproduktion.
6.4.1 Untersuchungen über Erhaltungsstoffwechsel und Erhaltungsbedarf
In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurden zahlreiche Energiebilanzuntersuchungen an Wieder-käuern durchgeführt, um den Erhaltungsbedarf zu ermitteln (Tab. 6.6). In den ersten Dezen-nien stammen die Arbeiten noch aus Deutschland, danach nahezu ausschließlich aus anderen Ländern, insbesondere aus den USA.
In den Versuchen konnten jedoch nicht die Bedingungen für den Grundumsatz eingehalten werden, denn eine abgeschlossene postpraniale Nährstoffabsorption ebenso wie eine vollstän-dige Immobilisierung der Tiere sind beim Wiederkäuer nicht zu erreichen. Aus diesem Grund sprechen anglosächsische Autoren lediglich von der „fasting heat production“ (BLAXTER 1950).
Tabelle 6.6: Bestimmung der Wärmeproduktion nach Nahrungskarenz
Jahr Land Autor/en Tierart/en
1900 D KELLNER, KÖHLER Rinder
1902 D (Bonn) HUTH Schafe
1906 D (Bonn) HAGEMANN, KARPOW Schafe
1909 D (Bonn) HAGEMANN Schafe
1909 D (Berlin) PAECHTNER Rinder
1911 RUS USTJANZEW Schafe
1911 D HAGEMANN Rinder
1912 H TANGL Schafe
1913 D ZUNTZ et al. Schafe
1915 USA ARMSBY, FRIES Rinder
1917 DK MØLLGAARD Schafe, Milchkühe
1923 D (Berlin) KLEIN, STEUBER Lämmer
1924 USA FORBES et al. Rinder
1924 USA MAGEE Ziegen
1924 USA BENEDICT Rinder, Schafe
1925 RUS (Moskau)
SCHATERNIKOFF Schafe
1926 USA FORBES et al. Trockenstehende Kühe
1927 USA FORBES et al. Rinder
1927 RUS (Moskau)
MOLTSCHANOWA Schafe
1927 USA MITCHELL Rinder
1928 RUS
(Moskau) TOMME Schafe
1930 USA RITZMAN, BENEDICT Schafe, Lämmer
1930 D (Berlin) STEUBER Schafe, Ziegen
1931 USA FORBES et al. Rinder
1931 AUS LINES, PEIRCE Schafe
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Jahr Land Autor/en Tierart/en
1931 USA BENEDICT, RITZMAN Schafe
1931 USA RITZMAN, BENEDICT Schafe
1931 USA FORBES, KRISS Rinder
1931 USA FORBES et al. Rinder
1932 USA MITCHELL et al. Rinder
1932 USA MITCHELL, HAMILTON Rinder
1932 USA RITZMAN, BENEDICT Schafe
1932 USA FORBES et al. Rinder
1932 USA FORBES, KRISS Rinder
1933 USA RIDDELL et al. Rinder mit P-Mangel
1933 USA HALL, BRODY Rinder
1934 AUS PEIRCE Lämmer
1935 USA KLEIBER Schafe
1935 USA BRODY, PROCTOR Rinder
1935 USA BENEDICT, RITZMAN Rinder
1936 USA MITCHELL, HAMILTON Rinder
1936a USA KRISS Rinder
1936b USA KRISS Rinder
1936 USA RITZMAN et al. Ziegen
1938 USA RITZMAN, BENEDICT Rinder
1938 USA BRODY et al. Milchkühe
1940 USA MITCHELL, HAMILTON Kälber
1941 USA MITCHELL, HAMILTON Kälber
1941 USA FORBES, SWIFT Rinder
1942a USA BRODY et al. Kälber, Jungrinder,
Rin-der
1943 USA RITZMAN, COLOVOS Kälber
1947 ZA CLARK, QUIN Schafe
1948a AUS MARSTON Schafe
1948 USA BRODY et al. Milchkühe
1948 USA SWIFT et al. Schafe
1949 UK BLAXTER, WOOD Kälber
Die meisten Untersuchungen wurden mit einer Karenzzeit von unter 72 Stunden durchgeführt (RITZMAN und BENEDICT (1930, 1932) 24 Std., LINES und PEIRCE (1931) 48 Std., MARSTON (1948) 72 Std.), welches zu dieser Zeit überwiegend als ausreichend bewertet wurde. Nach späteren Angaben von BLAXTER (1962, S. 94) gilt dies jedoch als zu kurz, um den Hungerstoffwechsel dieser Tiere genau beurteilen zu können.
Eine Ausnahme bot der Versuch von FORBES et al. (1926) mit trockenstehenden Milchkü-hen. Der Autor nutzte eine Magenpumpe, um den Pansen auszuräumen. Anschließend ließ er die Kühe für insgesamt 10 Tage fasten, bevor er mittels indirekter Kalorimetrie den Hunger-stoffwechsel dieser Tiere bestimmte.
Die zwischen 1925 und 1929 in Moskau durchgeführten Respirationsversuche dienten nach Angaben der Autoren zur Bestimmung des Grundumsatzes. Die Versuchstiere (Schafböcke) hungerten dazu 24 Stunden vor dem Versuch. Obwohl eine solche Fastenzeit bei anderen Tierarten ausreichend ist, um den Grundumsatz bestimmen zu können (LIEBESNY 1926), macht die Wiederkauaktivität bei Schafen, Rindern und Ziegen eine solche Beurteilung un-möglich.
109
Bei den Ergebnissen fielen erheblich Variationen auf, u.a. in Abhängigkeit von Alter, Ge-schlecht, Gravidität, Umgebungstemperatur und Fütterungsintensität vor der Versuchsperiode und dem Grad der Immobilität.
Angaben zum Erhaltungsbedarf aus Fütterungsversuchen wurden u.a. von FRÖLICH und LÜTHGE (1931c), WRIGHT und MORRIS (1939), FORBES (1938) sowie KIDDER (1946) gemacht.
Aus Ganzkörperanalysen von Schlachttieren berechneten JANTZON (1929) sowie STEENS-BERG (1947a) den Erhaltungsbedarf unter Einbeziehung der Körperoberfläche, der Körper-masse und des Energiebedarfs für Wachstum und Bewegung, ähnlich wie ECKLES et al.
(1927), WOOD und CAPSTICK (1926) sowie BRODY und PROCTOR (1935).
6.4.2 Energiebedarf für bestimmte Leistungen - Milchleistung
Das Prinzip einer leistungsgerechten Milchtierfütterung wurde erst im 20. Jh. entwickelt. In den 20er Jahren wurden HAECKERs Gesetz, dass der „Produktionsbedarf für eine bestimmte Milchmenge direkt proportional ihrem Energiegehalt“ ist, als Grundlage für die Leistungsbe-rechnung vorgenommen.
Für die Rationsberechnung von laktierenden Kühen postulierten FORBES und KRISS (1931) den Energiebedarf für die Milchproduktion. Diese Werte liegen etwas höher als später in Deutschland üblich (KIRCHGESSNER 1975, S. 296), Tabelle 6.7.
Tabelle 6.7: Energiebedarf von Milchkühen für die Produktion von 1 kg Milch in Ab-hängigkeit vom Fettgehalt
Fettgehalt (%)
Stärkeeinheiten 1) Stärkeeinheiten 2)
2,50 220
3,00 242 220
3,50 286
4,00 308 260
5,00 352 300
6,00 396
7,00 441
1) nach FORBES und KRISS (1931) 2) nach KIRCHGESSNER (1975), S. 296
Bedarfsnormen wurden im Untersuchungszeitraum u.a. von MASUROVSKY 1922, BRODY 1935, FORBES und KRISS 1932, BROUWER und FRENS 1935, MEIGS 1938, ERIKSSON 1946, AXELSSON 1946 berechnet. BEDNIAGIN machte 1935 drauf aufmerksam, dass die westeuropäischen oder amerikanischen Bedarfsnormen nicht in Kirgisien gelten können.
GAINES (1931,1938a,b) machte weitere Berechnungen zur Energienutzung bei Milchkühen.
Dass der Stärkewert des Futters bei der Milcherzeugung eine höhere Nettoenergiemenge rep-räsentiert als bei der Mast, wurde bereits 1901 von KELLNER (1901a) beschrieben und von HANSSON (1926a)s bestätigt. Die Effizienz der Umwandlung von Futterenergie zu Milch-energie erreicht bei Milchkühen nach FORBES und KRISS (1931) 69,3 %, für die Gewichts-zusahme (57,5 %).
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Der Einfluss der Umgebungstemperatur auf den Energiebedarf von Milchkühen wurde 1940 von DICE erfoscht.
- Mastleistung
Der für Mastleistungen zusätzliche Energiebedarf wurde im Untersuchungszeitraum durch Schlachtkörperanalysen (WIEGNER und GRANDJEAN 1936), N-Bilanzen (siehe Tab. VII) und Respirationsversuche ermittelt.
Durch die im 19. und 20. Jh. weit verbreitete „Alt-Tier-Mast“ wurde zu dieser Zeit als Maß für Mastleistung von Wiederkäuern die Fettbildung herangezogen (LEHMANN 1931, S.
158).
Bei Jungtieren, dient nach ARMSBY und MOULTON (1925) die Energie des Futters nicht hauptsächlich der Fettbildung, sondern der Synthese von Protein (Fleisch) und anorganischen Bestandteilen (Knochen). Durch die überwiegende Eiweißsynthese bei Jungtieren sowie der überwiegenden Fettsynthese bei ausgewachsenen Tieren ergab sich nach Angaben der Auto-ren eine höhere Effizienz der Umwandlung der umsetzbaAuto-ren Futter- in Milchenergie bei den Jungtieren.
Untersuchungen über den Energiebedarf bei wachsenden Schafen und Jungrindern werden in Tabelle 6.8 aufgeführt.
Tabelle 6.8: Untersuchungen über den Energiebedarf für Mastleistungen
Jahr Land Autor/en Tierart/en 1926 USA RAGSDALE et al. Jungrinder, Mastschafe
1927 UK WOOD Hammel
1936 CH WIEGNER, GRANDJEAN Jungrinder
1937 UK WATSON et al. Mastschafe
1948 USA WALLACE Lämmer
Auf weitere Forschungsarbeiten mit Masttieren wird in Kapitel 11 („Fütterungspraxis“) ein-gegangen.
- Zuchtleistung
Über den Energiebedarf von Zuchtschafen für die Reproduktionsleistung, Milchproduktion und für das Wachstum der Lämmer berichten SHREWSBURY et al. (1946). Zahlreiche ande-re Arbeiten beschäftigten sich mit den Auswirkungen einer energiearmen und –ande-reichen Fütte-rung auf die Zuchtleistung, v.a. bei Milchkühen und Schafen, und werden in Kapitel 11, Tab.
11.8 und 11.24 zusammengefasst.