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Fütterungsversuche mit NPN-Verbindungen

Seitdem SCHULZ (1879) neben dem Eiweiß auch NPN-Verbindungen (Nicht-Protein-Stickstoff) in Futtermitteln nachwies, wurde die Frage zum Wert dieser Stoffe untersucht und diskutiert (KLEMME 2003, S. 79).

KELLNER (1907a) versuchte kostenintensive Proteinversorgung durch eine Fütterung von Ammoniak und Stärkemehl bei den Wiederkäuern zu ersetzen. Mit diesem Proteinersatz

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erhielten die Tiere die gleiche Menge an Stickstoff und die gleiche Energie wie bei einer her-kömmlichen Fütterung qualitativ hochwertiger Proteine. Der Autor stellte in eigenen Versu-chen fest, dass die Nicht-Protein-Substanzen in Protein umgewandelt werden.

JUST (1908) konnte beweisen, dass Asparagin, Asparagin- und Glutaminsäure und ein Aspa-ragin-Ammongemisch ebenfalls in der Lage sind, Eiweiß zu ersetzen. Später wurden dann auch Harnstoff, Ammoniumverbindungen, z.T. mit Trägerstoffen wie Nassschnitzeln (A-midschnitzel), Melasse oder Stroh eingesetzt. Übersichten zu diesem Thema stammen von ARMSBY (1911), KREBS (1937) sowie McNAUGHT und SMITH (1947).

In Tabellen 4.28-4.31 sind allein Versuche, in denen es um Akzeptanz (MANGOLD und STOTZ 1937), Applikationsart, Verträglichkeit und Einfluss auf die Leistungen ging, zu-sammengestellt. Weiterführende Untersuchungen über die pansenphysiologischen Aspekte werden in Kapitel 5, über den N-Stoffwechsel in Kapitel 7 zitiert.

Über die Toxizität des Harnstoffes haben erstmals HART et al. (1939) berichtet (Tab. XIV, Anhang).

Beim Einsatz von Nicht-Protein Stickstoff unterschied man zwischen Eiweißersatz und Ei-weißersparnis.

Ein Eiweißersatz ist nach KREBS (1937) dann anzunehmen, wenn unter Verwertung von nicht-eiweißhaltigen N-Verbindungen echtes Eiweiß aufgebaut und als solches verwendet wird, wie dies nach der bakteriellen Proteinsynthese im Pansen der Wiederkäuer stattfindet.

Bei einer Eiweißersparnis werden gewisse, dem echten Eiweiß zukommende Funktionen (Minderung einer Verdauungsdepression, Steigerung der Stoffwechselvorgänge, u.a.) von NPN-Substanzen übernommen (KREBS 1937).

NPN-Verbindungen wurden in geringem Umfang bei Jungtieren, Mastrindern sowie Schafen und Ziegen (Tab. 4.26, 4.28-4.29) eingesetzt, die meisten Untersuchungen wurden mit Milch-kühen durchgeführt (Tab. 4.27).

Tabelle 4.26: Fütterungsversuche mit NPN-Verbindungen bei Jungtieren

Jahr Land Autor/en Tierart/en Futtermittel Ziele 1937 D FINGERLING

et al.

Jungrinder Harnstoff Verträglichkeit 1937

c

D SCHMIDT et al. Lämmer Glykokoll Wachstum 1938 UK BARTLETT,

COTTON

Jungrinder Harnstoff Verträglichkeit 1938 UK MURRAY,

ROMYN

Färsen Harnstoff Wachstum

1939 a

UK MURRAY, ROMYN

Färsen Harnstoff vs. Erdnuss-kuchen

HEN-KE Färsen Harnstoff Eiweißersatz

1940 D SCHMIDT,

KLIESCH Eineiige Rinder-zwillinge

Amidschnitzel Verträglichkeit

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Jahr Land Autor/en Tierart/en Futtermittel Ziele 1941

a

D SCHMIDT,

KLIESCH

Lämmer Amidschnitzel Eiweißersatz 1941 USA MILLAR Kälber Zuckerrübenschnitzel

mit Ammoniakzusatz

Wachstum 1942 USA MILLS et al. Färsen Harnstoff Eiweißersatz 1942 USA JOHNSON et al. Lämmer Harnstoff Eiweißersatz 1942 USA MILLAR Kälber Zuckerrübenschnitzel

mit Ammoniakzusatz

Wachstum 1942 D SCHMIDT,

KLIESCH

Kälber Harnstoff Wachstum

1944 USA MILLAR Kälber Zuckerrübenschnitzel mit Ammoniakzusatz

Verträglichkeit 1944 USA MILLS et al. Färsen Harnstoff Wachstum,

Ei-weißersatz

1948 AUS McCLYMONT Kälber Harnstoff vs. Eiweiß Nährwert, Wachs-tum

1949

a UK WATSON et al. Kälber Harnstoff Nährwert

Tabelle 4.27: Fütterungsversuche mit NPN-Verbindungen bei Milchkühen

Jahr Land Autor/en Futtermittel Ziele

1907 a

D KELLNER Ammoniak Eiweißersatz

1907 D MORGEN et al. Asparagin, Ammoniumazetat MiL 1908 D MORGEN et al. Asparagin, Ammoniumazetat MiL 1909 D MORGEN et al. Asparagin, Ammoniumazetat MiL 1910 D MORGEN et al. Asparagin, Ammoniumazetat MiL 1911

b

D MORGEN et al. Asparagin, Ammoniumazetat MiL

1921 D RICHARDSEN Harnstoff MiL

1921

D MORGEN et al. Harnstoff Eiweißersatz

1924 D HONCAMP et al. Harnstoff MiL

1926 D PAASCH Essigsaures Ammoniak MiL

1932 D EHRENBERG et al. Ammoniumbikarbonat Eiweißersatz, MiL 1933 D EHRENBERG,

BRIE-SE

D NEHRING Amidschnitzel MiL

1937 b

D NEHRING, SCHRAMM

Amidflocken Eiweißersatz

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Jahr Land Autor/en Futtermittel Ziele

1937 D CARSTENS,

D SCHMIDT et al. Amidschnitzel, Glykokoll MiL

1937 D MANGOLD, STOTZ Amidflocken MiL

1937 D KREBS Harnstoff Eiweißersparnis

1938 b

D RICHTER, HERBST Harnstoff, Glykokoll MiL, Eiweißersatz 1938 D EHRENBERG et al. Harnstoff, Glycin MiL

1938 D KIRSCH, SAUER Harnstoff, Glykokoll,

A-midflocken, -schnitzel MiL

1939 D EHRENBERG et al. Amidschnitzel MiL, Proteinersatz 1939 D EHRENBERG,

STEINHARDT

Ammoniumbikarbonat MiL 1939 D WINDHEUSER Silage mit Zusatz von

Ammo-niumbikarbonat

MiL 1939

a D NEHRING Amidschnitzel als

Proteiner-satz MiL, MQ, MF

1939 b

D SCHMIDT, KLIESCH Amidschnitzel MiL, Vergleich ein-eiige Zwillinge 1940 D RICHTER, BIZER Harnstoff, Glykokoll Verträglichkeit 1940

b

D SCHMIDT et al. Amidschnitzel Eiweißersparnis

1941 D KLEIN Ammoniumbikarbonat Eiweißersatz

1941 D RICHTER et al. Harnstoff MiL, Nährwert

1942 I ULVESLI Harnstoff Verträglichkeit

1942 NE FRENS Harnstoff, Ammoniumlactat Verträglichkeit, Eiweißersatz 1943 USA RUPEL et al. Harnstoff, Leinsamenmehl MiL

1943 a

NE BROUWER et al. Harnstoff, Ammoniumlaktat MiL, MQ 1943

b NE BROUWER et al. Harnstoff, Ammoniumlaktat MiL, MQ

1943 USA BRATTON et al. Harnstoff MiL, Eiweißersatz 1943 USA OWEN et al. Harnstoff MiL, Ersatz für

Blutmehl

1943 USA ARCHIBALD Harnstoff MiL

1944 USA HASTINGS Harnstoff MiL

1946 UK WILLETT et al. Harnstoff MiL

1947 UK BARTLETT,

BLAX-TER Harnstoff Eiweißersparnis

1948 CDN BOWSTEAD,

FRE-DEEN Harnstoff Palatabilität

1948 DK WESTON Harnstoff MiL, MF,

Verträg-lichkeit

1949 N ULVESLI Harnstoff MiL

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Tabelle 4.28: Fütterungsversuche mit NPN-Verbindungen bei Mastrindern

Jahr Land Autor/en Futtermittel Ziele

1919 D VÖLTZ Harnstoff MaL

1936 D MANGOLD, STOTZ Amidflocken MaL

1943 USA LOOSLI, McCAY Harnstoff MaL

1947 a

USA BRIGGS et al. Harnstoff Eiweißersatz 1949

Tabelle 4.29: Fütterungsversuche mit NPN-Verbindungen bei Schafen und Ziegen

Jahr Land Autor/en Tierart/en Futtermittel Ziele

1909 D THAER Hammel Amidschnitzel Eiweißersatz

1917 D FRIEDLAENDER Hammel Harnstoff Eiweißersatz

1921 D MORGEN et al. Hammel Amidschnitzel Eiweißersatz 1922

b

MORGEN et al. Hammel Harnstoff Eiweißersatz 1923 D VÖLTZ et al. Hammel Harnstoff Eiweißersatz 1924 D LAWROW et al. Ziegen Harnstoff Eiweißersatz 1924 D UNGERER Milchziegen Harnstoff Eiweißersatz

1925 D PAASCH Ziegen Harnstoff Eiweißersatz

1927 D WILLIGER Milchziegen Glykokoll (Ei-weißersatz)

Wirkung auf Stoffwechsel 1927 D HONCAMP,

KEUDELA

Ziegen Harnstoff Eiweißersatz

1930 D SCHEUNERT, KRZYWANEK

Hammel Harnstoff MaL

1931 D ZIEMER Ziegen

Ammoniumbi-karbonat

Eiweißersatz

1936 D KLEIN Hammel Harnstoff Eiweißersatz

1937

Schafe Harnstoff Palatabilität

1937

b D SCHMIDT et al. Schafe Glykokoll MaL

1938 D LILIENCRON Hammel Glykokoll Eiweißersatz, MaL

1938

b D KLEIN et al. Schafe Melasse-Amide Eiweißersatz 1939 D NEHRING,

SCHRAMM

Schafe Harnstoff,

Gly-kokoll

Schafe Amidflocken MaL

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Jahr Land Autor/en Tierart/en Futtermittel Ziele

1940 D WILKE Hammel Glykokoll Eiweißersparnis,

Verträglichkeit 1941

a

D SCHMIDT,

KLIESCH

Lämmer Harnstoff Wachstum

1945 UK LOOSLI, HAR-RIS

Schafe Harnstoff mit Cystinzusatz

Wachstum 1949 B LOUSSE,

COR-DIEZ

Hammel Harnstoff Spermienproduk-tion

1949 PR BONNETT et al. Ziegen Harnstoff Verträglichkeit 1950 USA GALLUP et al. Schafe Harnstoff Aufnahme von

Vit. A 4.4 Futterzubereitung und –behandlung

Bei den Arbeiten zu diesem Thema (Tab. 4.30) ging es um Zerkleinerung, insbesondere von Getreide und Rauhfutter, Einweichen von Futterstoffen sowie seit Beginn der 1930er Jahre auch um den Einsatz von gekeimtem Getreide.

Tabelle 4.30: Futterzubereitung und –behandlung: Getreide, Rauhfutter

Jahr Land Autor/en Tierart/en Fragestellung Ziele 1904 USA KENNEDY Rinder Eingeweichter Roggen MaL

1919 D FINGERLING Schafe Aufgeschlossenes Stroh Verträglichkeit 1919 D HONCAMP,

BLANCK

Schafe Aufgeschlossenes Stroh Verträglichkeit 1920 H WEISER,

ZAITSCHEK

Schafe Aufgeschlossenes Stroh Verträglichkeit 1921 D HONCAMP,

POMMER

Schafe Aufgeschlossenes Stroh Nährwert, Verträg-lichkeit

1921 D HONCAMP et

al. Schafe Aufgeschlossenes Stroh Nährwert, Verträg-lichkeit

1925 D HONCAMP,

PFAFF Schafe Roggenkeime Verträglichkeit

1926 F PARIS Jungrinder Vergorene Gerste MaL 1929 USA MORROW,

LAMASTER

Milchkühe Gemahlenes Heu MiL

1932 USA SUTTON et al. Milchkühe Maiskeimöl MiL, Butterquali-tät

1935 USA HENKE Milchkühe Gekeimter Hafer Effekt auf Frucht-barkeit

1935 RUS KITAEV Mastrinder Aufgeschlossenes Stroh Verträglichkeit 1936

b

D BÜNGER Milchkühe Extrahiertes Rapsschrot MQ 1937

b

USA KICK et al. Bullen Verschd. Futterpartikel-größen

Einfluss auf Kau-en, Wiederkauen 1937 USA CAMBURN et

al.

Milchkühe Nasses vs. trockenes Timotheeheu

Milchkühe „Keimfutter“ MiL, MF

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Jahr Land Autor/en Tierart/en Fragestellung Ziele 1938 D SCHMIDT et al. Bullen Gekeimte Gerste MaL

1938 USA BROWN, BLA-KESLEE

Lämmer Gemahlenes Heu MaL 1938 UK PATERSON Rinder,

Schafe

Gekeimter Mais Wachstum 1938 UK BARTLETT et

al. Milchkühe Gekeimter Mais MiL

1940 RUS KORMŠYIKOV Milchkühe, Schafe

Aufgeschlossenes Stroh Palatabilität, MiL 1943

a

RUS KARAPETJAN et al.

Milchkühe Aufgeschlossenes Stroh MiL, Gewichtszu-nahme

1943 b

RUS KARAPETJAN et al.

Milchkühe Aufgeschlossenes Stroh Verträglichkeit

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5 Verdauungsphysiologie (1930-1950)

Bis 1930 durchgeführte Forschungsarbeiten zur der Verdauungsphysiologie von Wiederkäu-ern wurden von LOHSE (2000) zusammengestellt.

Aus dieser Arbeit geht hervor, dass bereits im 17. und 18. Jh. mechanische Abläufe der Ver-dauung (Kauen, Wiederkauen, Ruktus, Passage des Futters) bekannt waren. Quantitative („Verwertung“) und qualitative Vorgänge der Verdauung wurden mit Beginn des 19. Jh.

durch neuartige Technologien (Schlund- sowie Pansenfisteln), insbesondere auch auf dem Gebiet der Chemie und der Physik, verstärkt untersucht. Im 20. Jh. kamen weitere Methoden (Röntgenbilder) hinzu.

5.1 Anatomische Grundlagen

Über den anatomischen Bau des Verdauungstraktes war im 19. Jh. bereits Vieles bekannt.

Vorreiter auf diesem Gebiet war GÜNTHER (1875) mit seinem Buch „Beiträge zum Situs des Rindes“.

SCHMALTZ (1895) benutzte die Gefriermethode zum Studium des Topographie der Vormä-gen. Eine Kombination aus der Gefriermethode und einer Formalininjektionsmethode wurde von LAGERLÖF (1929) und KOLDA (1931) angewandt, um den Situs der Bauchhöhlenor-gane verstorbener Tiere zu untersuchen. Dabei wurde nach Tötung und Entblutung der Tiere der Pansen mit einer 10%igen Formalinlösung gefüllt und die Tiere anschließend eingefroren.

Nach 2 Tagen erfolgte eine schnittweise Zerlegung der Tierkörper mittels Bandsäge, durch die man einen Einblick in die topographische Anatomie der Bauchhöhlenorgane bekommen konnte.

Bevor HIBBS und POUNDEN (1948) über die Entwicklung der Vormägen berichteten, un-tersuchte TRAUTMANN bereits Anfang der 30er Jahre die Regenerationsfähigkeit der Vor-mägen beim juvenilen Wiederkäuer und den Einfluss des Futters auf deren Entwicklung und aufs Wiederkauen (TRAUTMANN 1932a,b; TRAUTMANN und SCHMIDT 1932b).

5.2 Physiologie: Motorik 5.2.1 Saugakt

Der Saugakt der Neugeborenen ist ein Vorgang, der vor 1930 in seinen Einzelheiten kaum erforscht worden ist. Seine Darstellungen beschränkten sich lediglich auf rein äußerliche Be-obachtungen. So beschreiben ELLENBERGER und SCHEUNERT (1925) den Saugakt wie folgt: „Das Saugen kommt zustande, wenn der Unterkiefer vom Oberkiefer entfernt und die Zunge zurückgezogen wird, so dass sie wie der Stempel einer mechanischen Saugpumpe wirkt. Außerdem kann auch die Inspiration zum Saugen benutzt werden. Beim Saugen findet ein Einziehen der Backen statt.“ Diese Erkenntnisse wurden später auch bildlich dargestellt (Abb. 5.1).

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Abbildung 5.1: Durch das Saugen entstandene Eindrücke auf der künstlichen Zitze (KRZYWANEK und BRÜGGEMANN 1930)

Um die Druckschwankungen in der Maulhöhle beim Saugakt zu bestimmen, schloss KRZY-WANEK (1930) einen Druckmesser an die künstliche Zitze (Abb. 5.2) an. Er stellte fest, dass sich beim Saugakt positive und negative Drücke von erheblichem Ausmaß in der Maulhöhle abwechseln; der gemessene Druck schwankte zwischen +50 und –290 mm Hg.

Abbildung 5.2: Vorrichtung zur Druckmessung in der künstlichen Zitze (KRZYWA-NEK 1930)

Ferner wurde in Versuchen mit Registrierung des Druckablaufs an 3 verschiedenen Lokalisa-tionen einer „Dreikammerzitze“ (Abb. 5.3) vom Autor festgestellt, dass der von den Kälbern ausgeübte Druck wellenförmig von der Basis bis zur Spitze der künstlichen Zitze läuft.

Abbildung 5.3: Dreikammerzitze (KRZYWANEK 1930)

a. Kälbersaugzitze aus Gummi

b. Doppelt durchbohrter Gummistopfen

c. Kurzer Gummischlauch, luftdicht verbunden mit einer Milchflasche

d. Kurzer Gummischlauch, luftdicht verbunden mit einem Druckmesser

Links: seitlicher Anblick

Mitte: Anblick von dorsal (Abdrücke der Rugae palati)

Rechts: Anblick von ventral (Abdrü-cke der Zungenoberfläche)

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Diese Bewegung diente als Vorbild für die Bewegungen der Hände des Melkers sowie für die später entwickelten Melkmaschinen.

5.2.2 Schlundrinnenreflex

Untersuchungen zum Schlundrinnenreflex der Wiederkäuer im vorliegenden Untersuchungs-zeitraum basierten hauptsächlich auf klinische Beobachtungen und auf Untersuchungen von direkt nach der Fütterung getöteten Jungtieren.

Bereits 1826 war nach Untersuchungen von TIEDEMANN und GMELIN bekannt, dass Milch bei Kälbern nach dem Saugen direkt in den vierten Magen, den Labmagen, gelangt.

Der Schlundrinnenreflex wurde von WESTER (1930b) als das Schließen der zwischen Ö-sophagus und Haubenpsalteröffnung vorhandenen Verbindung als Reaktion auf bestimmte Reize definiert. Somit werden die abgeschluckten Flüssigkeiten vom Ösophagus unter Umge-hung von Pansen und Haube direkt in den Labmagen geleitet.

Zur Auslösung des Reizes wurden im Untersuchungszeitraum vielfältige Angaben veröffent-licht. Nach TRAUTMANN und SCHMITT (1933b) sowie WATSON (1944) wird der Reflex durch chemische Reize, insbesondere Salze und Eiweißverbindungen der Milch, die Rezepto-ren im Pharynxbereich reizen und so den N. vagus stimulieRezepto-ren, ausgelöst. Dies erklärte die Ergebnisse von WESTER (1930b): er stellte fest, dass der Reflex bei der Eingabe von Milch durch eine Schlundsonde oder nach Anästhesie der Maulhöhle nicht ausgelöst werden konnte.

ROSS (1936) hingegen machte die Geschwindigkeit, mit der die Flüssigkeiten die Maulhöhle passieren, als maßgeblichen Faktor für die Auslösung der Reflexe verantwortlich.

Nach LENKEIT und COLUMBUS (1934) konnte der Reflex bei Kälbern und Lämmern bis zu einem Alter von 4 Monaten ausgelöst werden; Untersuchungen von WISE et al. (1939) ergaben hingegen bereits eine Schließung der Schlundrinne nach den ersten Lebenswochen.

WESTER (1930c) konnte den Schlundrinnenreflex bei älteren Tieren nur durch Salze in stark konzentrierter Lösung oder nach mehrtägiger Nahrungskarenz (ROSS 1931) ausgelösen.

5.3 Speichel

Die Untersuchungsschwerpunkte variierten wenig in der ersten Hälfte des 20. Jh.. Insbesonde-re wurde die Zusammensetzung des Speichels und deInsbesonde-ren Wirkung auf die Vormagentätigkeit und die Verdauung bei Wiederkäuern untersucht.

5.3.1 Verfahren zur Gewinnung des Speichels

Der erste Versuch zur Speichelgewinnung stammt aus dem Jahr 1826 von TIEDEMANN und GMELIN bei Schafen (LOHSE 2000, S. 12). Sie durchtrennten den Ausführungsgang der Gl.

parotidea und befestigten am freien Ende ein Auffanggefäß für den Speichel, welches mittels Bandagen am Kopf befestigt wurde. Diese Methode wurde bis 1930 weiter entwickelt (LOH-SE 2000, S. 12-14).

5.3.1.1 Gl. Parotidea

Untersuchungen des Speichels des Gl. parotidea nach 1930 wurden maßgeblich durch die Arbeiten aus dem Institut für Physiologie der Tierärztlichen Hochschule in Hannover geprägt.

Bei der Technik der Fistelanlegung unterschied ALBRECHT (1931) in seiner Dissertation aus Hannover zwischen einer temporären und einer permanenten Speichelfistel.

Zur vorübergehenden Speichelgewinnung stellte er zunächst den Ausführungsgang der Drüse dar. Danach wurde an den Ausführungsgang eine feine Kanüle eingebunden und mit einem

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Seidenfaden an der Haut befestigt. Von dieser Kanüle führte ein Schlauch zu einem Auffang-gefäß.

Die Sekretion der Speicheldrüse ließ jedoch in den Tagen nach der Operation deutlich nach, und die Kanüle wurde als Fremdkörper nach 1-2 Wochen ausgestoßen.

Die permanente Speichelfistel wurde von ALBRECHT (1931) zur fortlaufenden Untersu-chungen angebracht. Dazu legte der Autor den Ausführungsgang der Speicheldrüse um und ließ ihn außerhalb der Maulhöhle münden. Unter der Mündungsstelle wurde zum Auffangen des Sekrets ein Trichter mit anhängendem Messbecher an die rasierte Haut geklebt. Als Kitt-mittel verwendete der Autor das Mendeljeff´sche Kitt (Kolophonium 100,00; Gelbes Wachs 25,0; Eisenmennige 40,0).

Um den Kitt noch geschmeidiger zu machen, wurden einige Tropfen Kanadabalsam zugefügt.

Eine weitere Möglichkeit der Befestigung des Messbechers bestand in der Anbringung eines Halfters (Abb. 5.4).

Abbildung 5.4: Permanente Speichelfistel der Gl. parotidea bei einem Ziegenlamm (ALBRECHT 1931)

ALBRECHT (1931) beobachtete bereits 3 Tage nach Operation bei allen Versuchstieren eine Verschlechterung des Allgemeinzustands (siehe 4.3.5). Nach Eingeben von Sodalösung konn-te das Wohlbefinden der Tiere jedoch vom Autor sofort wieder hergeskonn-tellt werden.

Die histologischen Untersuchungen der permanenten Parotisfisteln ergab nach 7 ½ Monaten eine Erweiterung der Endstücke und der Ausführungsgänge in der Speicheldrüse sowie eine leukozytäre Infiltration in der Umgebung der interlobulären Ausführungsgänge (ALBRECHT 1931).

5.3.1.2 Gl. mandibularis

Das Prinzip der Anlegung einer permanenten Mandibularfistel wurde erstmals von SCHEU-NERT und TRAUTMANN (1921) beschrieben (LOHSE 2000, S. 13) und später von WARNECKE (1933) angewandt. Der Autor führte den freigelegten Ausführungsgang der Gl.

mandibularis durch eine künstliche Öffnung im Kinnwinkel der narkotisierten Tiere und ver-nähte diesen mit der Haut. Mittels eines Halfters mit Trichter konnte somit reiner Mandibu-larspeichel aufgefangen werden. Eine Heilung der Wunde trat nach ca. 14 Tagen ein, ohne dass Störungen des Allgemeinbefindens der Tiere beobachtet wurde.

74

5. 3.2 Bedingungen der Sekretion und Menge des abgesonderten Speichels

In der Zeit bis 1930 konnten 6 Untersuchungen über die Sekretionsleistung der Gl. parotidea nachgewiesen werden (LOHSE 2000, S. 15). Sie brachten folgende neue Erkenntnisse:

- permanente Speichelsekretion der Gl. parotidea

- auf bestimmte Reize folgende Sekretion der Gl. mandibularis

- Steigerungsfähigkeit der Speichelsekretion der Drüsen nach der Aufnahme von struk-turreichem Futter

Die zwischen 1930 und 1950 durchgeführten Arbeiten brachten keine neuen Erkenntnisse, sondern knüpften an die oben genannten Forschungsarbeiten an.

So beschrieb ALBRECHT (1931) eine permanente Sekretion der Ohrspeicheldrüse, deren Intensität jedoch in Abhängigkeit von mechanischen (Struktur des Futters), chemischen (Reizstoffe im Futter) und psychischen Einflüssen (visuelle Reize) schwankte.

Die Basalsekretion dieser Speicheldrüse variierte nach Angaben des Autors stark in Abhän-gigkeit der Wiederkäuerart (Tab. 5.1):

Tabelle 5.1: Menge des abgesonderten Parotisspeichels bei verschiedenen Wiederkäu-erarten

Wiederkäuerart Speichelmenge/Tag (Liter)

Rind 28 Ziege 2,88 Schaf 0,72

Quelle: ALBRECHT (1931)

McDOUGALL (1948) ermittelte bei einer Kuh mit Heufütterung 50 l Speichel pro Tag.

Die auf bestimmte Reize folgende Sekretion der Gl. mandibularis konnte am besten durch Versuche von WARNECKE (1933) dargestellt werden.

Der Autor prüfte in seinen Untersuchungen aufgrund der intermittierenden Sekretion der Un-terkieferspeicheldrüse die Menge des produzierten Speichels in Abhängigkeit von der Stimu-lation durch verschiedene Reize (Hafer, Hundekuchen, Heu, trockenes Schrot, Runkelrüben, Kleietränke, Vollmilch, Essigsäure, Sand, u.a.).

5.3.2 Speichelzusammensetzung der Wiederkäuer

Untersuchungen zur Speichelzusammensetzung von Wiederkäuer wurden durch neuartige physikalische und chemische Untersuchungsmethoden verbessert.

Während vor 1930 eine angeblich „zelluloselösende“ und die puffernde Wirkung des Spei-chels beschrieben wurde (LOHSE 2000 S. 16-18), konnten in den darauffolgenden 20 Jahren insbesondere durch die Arbeiten von ALBRECHT (1931), WARNECKE (1933) und CHRZcSZOZ und SCHECHTLÓWNA (1930) genaue Angaben bezüglich der Inhaltsstoffe der Sekrete von Ohr- und Unterkieferspeicheldrüse gemacht werden (Tab. 5.2).

Den Na-Gehalt des Sekretes des Gl. parotidea von Büffeln bestimmte SHARMA (1936).

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Tabelle 5.2: Konsistenz und Inhaltsstoffe des Speichels der Gl. parotidea und der Gl.

mandibularis

Gl. parotidea 1) Gl. mandibularis 2)

Aussehen Wasserähnlich Anfangs schleimig-trüb, im Laufe der Sekretion immer klarer, faden-ziehend

Spezifisches Gewicht 1,0019-1,0634 1,0012-1,0053

Trockensubstanz (%) 0,71-1,96 % 0,454-0,644 %

Aschegehalt (%) 0,62-1,62 % 0,124-0,371 %

Chlorgehalt 0,01-0,021 % 0,014-0,08 %

Natriumchlorid 0,016-0,034 %

Phosphor 2,00-6,00 3) 2,00-6,00 3)

Stickstoff 0,01-0,046 % 0,013-0,068 %

pH 8-8,8 7,8-8

Harnstoff Ja Ja

Amylase Nein Nein

Muzine Nein Ja

1) n. ALBRECHT (1931), CHRZcSZOZ und SCHECHTLÓWNA (1930)

2) n. WARNECKE (1933)

3) n. MARSTON (1934)

Nach WATSON (1933a) stand der P-Gehalt des Speichels in direkter Beziehung zum Gehalt im Blut. REID und HUFFMAN (1949) beschrieben die Oberflächenspannung vom Eiweiß im Speichel von Rindern, ebenso wie den Ascorbinsäuregehalt.

5.3.3 Funktion des Speichels

Physiologen teilten in der ersten Hälfte des 20. Jh. die vielfältigen Aufgaben des Speichels in primär verdauungsphysiologische und sekundäre Funktionen auf; eine Aufteilung, die noch heute anerkannt wird.

Zu den ersten zählte GOSS (1943) den Schutz der Maulschleimhaut sowie der Zähne vor Austrocknung und Säureeinwirkung sowie Erleichterung des Schluckens durch Anfeuchten der Nahrung. Als wichtigste verdauungsphysiologische Aufgabe des Speichels nannte der Autor die Beteiligung an der Regulation des pH-Wertes in den Vormägen. Das Natriumbikar-bonat puffert saure Valenzen ab und stabilisiert somit das Pansenmilieu.

Die oben genannten Störungen des Allgemeinbefindens bei Versuchstieren mit Parotisfisteln wurden nach ALBRECHT (1931) durch den Wegfall des Natriumbikarbonates des Paro-tisspeichels verursacht. Somit blieb die puffernde Wirkung des Speichels aus, so dass die Tie-re an einer Pansenazidose erkrankten (ALBRECHT 1931). Bei längeTie-ren Versuchen mit Paro-tisfisteln sollte deshalb nach Angaben des Autors täglich der Alkaliverlust durch externe Sub-stitution ausgeglichen werden.

Bei Tieren mit Mandibularfisteln konnten von WARNECKE (1933) diese Probleme nicht beobachtet werden, vermutlich da die Ohrspeicheldrüse die größte Menge an Puffer bereit-stellte.

GOSS (1943) nannte z.B. die Temperaturregulation bei hechelnden Tieren und bakterizide Wirkungen als sekundäre Funktionen des Speichels.

76 5.4 Pansen und Haube

5.4.1 Methoden zur Untersuchung der Wiederkäuervormagenfunktion

Die im folgenden Kapitel beschriebenen Methoden hatten folgende Untersuchungsziele:

- Weg der aufgenommenen Nahrung - Motorik der Vormägen

- Motorik des Wiederkauens

- Zusammensetzung der Pansengase

- pH-Wert und Temperatur in den Vormägen

- Mikrooganismen und Verdauung im Vormagensystem 5.4.1.1 Pansenfistel

Um das Vormagensystem der Wiederkäuer möglichst minimal-invasiv und ohne Beeinflus-sung der physiologischen Funktionen studieren zu können, wurde bereits 1832 von FLOU-RENS die Pansenfistelmethode entwickelt (LOHSE 2000, S. 19) und mehrfach später ge-nutzt: STIGLER (1931), TRAUTMANN und SCHMITT (1933a), BRÜGGEMANN (1935), KRZYWANEK und QUAST (1936), NICHOLS (1947), QUIN und VAN DER WATH (1939), u.a.

Da QUIN et al. in Südafrika in den Jahren 1930-1950 eine der detailliertesten Beschreibungen zur Pansenfistulierung lieferten, die sich bis heute durchgesetzt hat, soll auf deren Methode besonders eingegangen werden. Als Pansenfistelrohre bevorzugten die Autoren Rohre aus Ebonit, da sie nicht wie Metallrohre der Korrosion unterliegen.

Vier bis sechs Wochen vor dem Eingriff wurden die Tiere einzeln gehalten und mit einer Ta-gesration von 300 g Heu und 360 g Mais gefüttert. 24-48 Stunden vor der Operation ließen die Autoren die Tiere hungern.

Eine Schmerzausschaltung der Tiere wurde durch eine intravenöse Verabreichung von Chlo-ralhydrat erzielt. Nach chirurgischer Vorbereitung des OP-Feldes erfolgte 5 cm caudal der

Eine Schmerzausschaltung der Tiere wurde durch eine intravenöse Verabreichung von Chlo-ralhydrat erzielt. Nach chirurgischer Vorbereitung des OP-Feldes erfolgte 5 cm caudal der