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Relevante empirische Ergebnisse für meine Studie im Kontext der §219- §219-Beratung

Erwartungen der Frau

1.4. Die §219-Beratung in der empirischen Forschung

1.4.2 Relevante empirische Ergebnisse für meine Studie im Kontext der §219- §219-Beratung

In den folgenden Abschnitten gehe ich auf empirische Ergebnisse zu den einzelnen Faktoren ein, die das Erleben der Beratung beeinflussen können und Eingang in meine

forschungsleitenden Hypothesen gefunden haben.

1.4.2.1 Gibt es ein Beratungsbedürfnis bei ungewollten Schwangerschaften?

Gesamtgesellschaftlich kann man in den letzten Jahrzehnten von einem grösseren Beratungsbedürfnis bzgl. relevanter Lebensentscheidungen sprechen. Dies wird auf die zunehmende „Individualisierung der Lebensführung“ zurückgeführt: d.h. es wird schwieriger, sich aus der Vielzahl von Lebensplänen/-entwürfen für den persönlich stimmigen zu

entscheiden (Thiersch, 1991, S.26). Vor diesem Hintergrund ist gerade die

Entscheidungssituation bei einer ungewollten Schwangerschaft ein Protobeispiel für die Weggabelung zwischen zwei verschiedenen Lebensentwürfen (Holzhauer 1989).

3 Laut Skroch (1998) hat die neue gesetzliche Regelung der Fristenregelung mit Beratungspflicht im Vergleich zu der bis dahin praktizierten Indikationsregelung insgesamt eine entlastende und entspannende Wirkung für die betroffenen Frauen und Beraterinnen. Die in Abschnitt 1.2.2 angesprochenen Grundkonflikte sind aber im w esentlichen die gleichen geblieben. Aus diesem Grund ziehe ich die Studienergebnisse aus den Indikationsmodellzeiten für diese Arbeit mit heran.

Theorie S.39

Ob die ungewollt schwangere Frau dies aber im Einzelfall als Konflikt erlebt, ist umstritten (vgl. z.B. Knieper, 1981; Knopf et al., 1995; Koschorke, 1978). Dies ist einmal abhängig von der Definition von Konflikt (vgl. dazu Arndt, 1983), zudem von dem Grad der Bewußtheit, die dem Konflikt zugeschrieben wird und vermischt sich letztlich häufig mit der Frage, ob frau nicht auch alleine mit diesem Konflikt hätte gut umgehen können (vgl. Abschnitt 1.2.2.1).

Zu unterscheiden ist sicherlich zwischen der subjektiven Einschätzung der Frau, ob sie gerne eine außenstehende Beraterin in ihren Entscheidungsprozess miteinbeziehen will und

zwischen der tatsächlichen Inanspruchnahme einer freiwilligen Beratung. Dementsprechend schwanken auch die Ergebnisse empirischer Studien: geht es um die blosse Bereitschaft der Frau, mit einer Außenstehenden ihre Situation zu erörtern, sind die Angaben sehr viel höher, als wenn es um die tatsächlich in Anspruch genommene Beratung geht.

Roppelt (1994, S.18) konstatiert z.B., daß die Frauen das Angebot eines Gespräches mit der Ärztin zwar gut finden, aber „...in aller Regel...“ nicht annehmen. Wimmer-Puchinger (1991, S.74) berichtet, daß das freiwillige Beratungsangebot in Österreich von der „...Mehrheit der Frauen...“ nicht angenommen würde - und wenn es angenommen wird, dann zur Hälfte durch die Weisung einer anderen Institution/einer ÄrztIn. In Schweden wird die freiwillige Beratung von ca. 30 % der Frauen wahrgenommen, wobei eindeutig mehr jüngere Frauen (unter 20) die Beratung aufsuchen (Eser, 1991 [zitiert in Kettner, 1998]). Dieser letzte Befund deutet auf die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen den Frauen hin.

Simms (1978) unterscheidet zwischen Informations- vs. Konfliktberatung und nimmt an, daß so gut wie jede Frau Informationen - zum Schwangerschaftsabbruch oder ggf. zu finanziellen Hilfen beim Austragen - braucht, aber nur bestimmte Frauen eine begleitende

Konfliktberatung (vgl. auch die Unterscheidung von Beratungsinterventionen bei Nestmann 1991, S.59). Ein erhöhtes Beratungsbedürfnis stellt Simms z.B. sehr jungen Frauen, vergewaltigten Frauen oder Frauen, die schon psychiatrisch auffällig waren, aus.

Stößel et al. (1981) fanden in einer repräsentativen Befragung der weiblichen Bevölkerung, die Haupterwartung an die Beratung (von ca. 90 %) bestehe darin, objektive und sachliche

Informationen zu der gesetzlichen Lage und dem Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.

Auf Erhebungen zu den Erwartungen der konkret betroffenen Frauen komme ich in Abschnitt 1.4.2.4 zurück.

Theorie S.40

Roppelt (1994) findet in ihrer Studie zu den Copingstilen („günstige“ vs. „ungünstige“) beim Schwangerschaftsabbruch, daß jüngere Frauen, unverheiratete Frauen und solche, die noch keine Kinder haben, den Abbruch eher negativ bewerteten und ungünstigere

Verarbeitungsmechanismen zeigten. Frauen, die sich in ihrer Entscheidung relativ autonom fühlten, konnten dagegen „günstiger“ mit dem Abbruch umgehen. Offen bleibt, ob die

vorgeschriebene Beratung den belasteteren Frauen langfristig eine „günstigere“ Verarbeitung ermöglicht.

Vor diesem Hintergrund läßt sich zusammenfassend sagen, daß ein kleinerer Teil der Frauen - vorwiegend jüngere oder anderweitig belastete - ein Bedürfnis nach Auseinandersetzung, i.S. von Konfliktberatung, mit jemand Außenstehendem zu haben scheint. Dass ein

freiwilliges Beratungsangebot dann oft trotzdem nicht angenommen wird, läßt sich zum einen auf die allgemeine Schwelle vor professioneller Beratung, aber sicherlich auch auf den

gesellschaftlichen Umgang mit diesem Thema zurückführen (vgl. Amberg, 1994, Seitz, 1991). In diesem Sinne ist die (Nicht)Inanspruchnahme der Beratung das komplexe Resultat des inneren Beratungsbedürfnisses der Frau und ihrer individuellen Reaktion auf die

gesellschaftlichen Normen.

Ob das subjektiv empfundene Beratungsbedürfnis bei einem Teil der Frauen durch die Verpflichtung zur Beratung erfüllt werden kann oder, wie KritikerInnen (Hühn, 1992)

befürchten, zusätzlichen Beratungsbedarf schafft, ist bisher empirisch nicht eindeutig geklärt.

1.4.2.2 Zu der Unterstützung des sozialen Umfeldes

Das Beratungsbedürfnis der einzelnen Frau hängt auch von der Unterstützung in ihrem sozialen Umfeld ab (vgl. Abschnitt 1.3.3). Dabei ist zwischen dem objektiv vorhandenen oder quantitativen Netzwerk, z.B. der Grösse ihres Verwandten/FreundInnen/Bekannten-Kreises und dem subjektiv vorhandenen oder qualitativen Netzwerk, „bekomme ich die Unterstützung, die ich brauche?“, zu unterscheiden (Keupp, 1988).

Nestmann (1991) unterscheidet verschiedene Faktoren auf Seiten des/r Hilfesuchenden, des/r Hilfegebenden und der Situation, die zu einem Versagen des sozialen Netzwerkes führen können. In unserem Kontext sind dabei v.a. die Überforderung der Hilfequelle durch persönliche Betroffenheit (z.B. der Partner, der das Kind gerne haben würde und nun seine Partnerin bei einem Schwangerschaftsabbruch unterstützen soll) und die tabuisierte/

stigmatisierte Situation (vgl. „den Zwang zu schweigen“, Seitz, 1991), so dass frau davon meist nur dem engsten Kreise erzählen wird, von Bedeutung.

Theorie S.41

Wie diese wenigen Eingeweihten reagieren bzw. als wie hilfreich frau deren Reaktionen wahrnimmt, ist ein Kriterium für die Qualität des vorhandenen Netzwerkes. Angesichts der Intimität und damit auch Verletzlichkeit bei dem Thema Schwangerschaftsabbruch ist für eine Frau normalerweise die Qualität ihres Netzwerkes wichtiger als dessen potentielle Grösse (vgl. auch Nestmann 1991, S.60).

Besonders zu berücksichtigen ist hier die Situation von Migrantinnen/ Ausländerinnen, deren soziales Netz im neuen Land oft „große Löcher“ aufweist (Penzkofer, 1994, S.15). Hinzu kommen z.T. andere kulturelle oder familiäre Normen, die einen Schwangerschaftsabbruch oder vorehelichen Geschlechtsverkehr strikt ablehnen. Penzkofer weist auch darauf hin, daß die objektive Lebenssituation von Ausländerinnen im Hinblick auf Familienplanung meist sehr viel ungünstiger ist als bei Deutschen - eine Diskrepanz, die auch keine Beratung aufheben kann (vgl. Abschnitt 1.3.1).4

Andererseits kann das soziale Netzwerk, gerade im Vergleich zu Ratsuchenden (vgl.

Abschnitt 1.3.1), bei einer Frau in der §219-Beratung so gut sein, daß die Beraterin sich mit gutem Gewissen entlastet sieht. In diesem Fall reichen der Frau die Beratungsbescheinigung oder bestimmte Informationen, die persönliche und intimere Auseinandersetzung „darf“ sie nach dem Beratungsverständnis von Skroch (1998) gerne mit ihr Nahestehenderen führen (sofern sie der Beraterin bestätigt, daß diese Möglichkeit besteht).

Empirische Ergebnisse zu der subjektiven Qualität des Unterstützungsnetzes gibt es in diesem umfassenden Sinn nicht. Z.T. wurde aber erfasst, wem die Frau sich anvertraut und welche Konsequenzen die emotionale Reaktion des Partners und anderer Nahestehender auf die Entscheidung für/gegen den Schwangerschaftsabbruch bzw. auf dessen Bewältigung hat.

Troschke (1982) berichtet bei N=388 von 13.9 % der Frauen, die nicht mit ihrem Partner über die Schwangerschaft gesprochen haben. Als zweitwichtigster Gesprächspartner werden die Eltern angegeben (11.6 %), dann folgen mit 9.3 % FreundInnen und KollegInnen.

Berg-Gast (1988) erhält bei N=142 eine Quote von 6.3 %, bei der der Partner nichts von der Schwangerschaft erfuhr; 34.8 % der Partner reagierten verständnisvoll.

4 Beraterinnen machen zudem häufig die Erfahrung, daß viele ÄrztInnen dem Abbruchswunsch von Ausländerinnen sehr viel positiver gegenüberstehen als dem von deutschen Frauen.

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Holzhauer (1989) findet einen Zusammenhang zwischen positiven Reaktionen von Partner und Umfeld und der Entscheidung für ein Kind. Hier sind es 6 % von N=166, die dem Partner nichts erzählen.

Major et al. (1990) erheben darüber hinaus, inwiefern die Art der erlebten Unterstützung Einfluss auf die Bewältigung eines Schwangerschaftsabbruches hat. Am günstigsten ist danach, wenn frau den Eindruck hat, daß ihr Nahestehende sie uneingeschränkt

unterstützen. Ausserdem kommen Frauen, die niemandem von der Schwangerschaft

erzählen, sehr viel besser zurecht als Frauen, die ihren Nahestehenden davon mitteilen, aber von diesen nicht die volle Unterstützung erhalten.

Die reinen Prozentangaben, wie häufig Nahestehenden von der Schwangerschaft erzählt wurde, sind für die Einschätzung des subjektiv empfundenen Unterstützungsnetzes wenig aussagekräftig. In Anbetracht der Bedeutung dieses Aspektes für die Beratungspraxis (vgl.

Major et al., 1990) erscheint es darüber hinaus sinnvoll, zu erfassen als wie verständnisvoll und unterstützend die Frau die Reaktionen ihres Umfeldes wahrnimmt.

1.4.2.3 Zu der Entscheidungssicherheit und dem Einfluß der Beraterin oder anderer Personen auf die Entscheidung

In der wissenschaftlichen Literatur wird - entgegengesetzt zu den in den Medien verbreiteten Angaben - angenommen, daß der Einfluss der Beratung auf die Entscheidung der Frau minimal ist. Das wird größtenteils darauf zurückgeführt, daß die Frauen schon vor der Beratung ihre Entscheidung für oder gegen das Austragen der Schwangerschaft gefällt haben.

Der Prozentsatz an Frauen, die schon festentschieden in die Beratung kommen, wird zwischen 75 und 95 % geschätzt (Koschorke, 1978; Weller, 1994). Wimmer-Puchinger (1991) berichtet, daß von den 194 von ihr befragten Frauen nur ca. 25 % das freiwillige Beratungsangebot aus eigener Motivation, um durch das Gespräch eine bessere

Entscheidungsgrundlage zu haben, wahrnahmen. Die restlichen ¾ seien sich schon vor der Beratung ihrer Entscheidung sicher gewesen.

Inwiefern diese Entscheidung durch die Frau alleine oder unter der Mitwirkung anderer Personen, v.a. des Partners zum Kind, getroffen wurde, wurde z.T. auch empirisch erhoben.

In der Erhebung von Troschke et al. (1982) mit N= 388 gaben „...12.2 % der Befragten einen Einfluß der Beratung auf ihre Entscheidung an, wobei 5.6 % diesen als „ausschlaggebend“

Theorie S.43

bezeichneten...“ (S.35). In insgesamt 47.1 % lag die Entscheidung alleine bei der Frau, in 45.6

% wurde die Entscheidung gemeinsam mit dem Partner getroffen.

Bei Berg-Gast (1988), N= 142, sind es 13 %, für die die Beratung wichtig war, weil dadurch ihr Entschluss gefestigt wurde. Es liegen keine übertragbaren Ergebnisse zur

Entscheidungsbeteiligung von anderen Personen vor.

Holzhauers Untersuchung (1989) kam bei N= 166 auf einen Anteil von 7.5 % der Stichprobe, bei denen die Sozialberatung an der Entscheidung für das Kind mitgewirkt habe.

Die Frau entschied in 41 % ganz alleine, in 26.5 % überwiegend alleine und in ca. 25 % war der Mann mit oder überwiegend für die Entscheidung verantwortlich.

Bisherige empirische Untersuchungen kommen somit auf unter 15 % der jeweiligen

Stichprobe, die einen Einfluß der Beratung auf ihre Entscheidung angeben sowie auf ca. 50%

der Frauen, die die Entscheidung alleine, auch unabhängig vom Partner getroffen haben.

Dabei wird der Einfluss der Beratung eher als Bestärkung einer, evtl. noch unsicheren, Entscheidungshaltung als eine komplette Entscheidungsänderung verstanden.

1.4.2.4 Erwartungen an die Beratung und Gefühle vor der Beratung

Die von den betroffenen Frauen geäusserten Erwartungen an die Beratung werden lediglich in der Studie von Holzhauer (1989) - in Hinblick auf mögliche Unterschiede je nach

Beratungsstellenträger (vgl. Abschnitt 1.4.2.6) - thematisiert. Holzhauer unterscheidet dabei zwischen Erwartungen an die Beratung und Gefühlen der Frau vor der Beratung. Die

Erwartungen werden unterteilt in die nach Informationen, an das Gespräch und der formalen Erwartung, die Bescheinigung zu erhalten.

Dabei wird die Erwartung, eine Beratungsbescheinigung zu erhalten, zu ca. 60 % genannt, die nach finanziellen Informationen zu ca. 23 %, die nach Informationen zum

Schwangerschaftsabbruch zu ca. 33 % und sowohl die sich auszusprechen als auch die nach Hilfe bei der Entscheidungsfindung zu ca. 20 %. Diese Angaben variieren je nach Beratungsstellenträger (vgl. Abschnitt 1.4.2.6).

Bezüglich ihrer Gefühle geben die Frauen zur Hälfte unsichere, ängstliche Emotionen an, ca.

25 % erwarteten negative Reaktionen von Seiten der Beraterin. Wenn die Frau vornehmlich an Informationen interessiert ist, geht sie dagegen mehrheitlich mit positiven Gefühlen

(Erwartung von Unterstützung, grösserer Sicherheit für ihre Entscheidung...) in die Beratung.

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1.4.2.5 Positive Wirkfaktoren in und die Zufriedenheit mit der Beratung

Auch wenn es einen Konsens zu geben scheint, daß die Beratung im Normalfall wenig Entscheidungsrelevanz hat, so gibt es doch genügend AutorInnen, die der Beratung unter bestimmten Umständen positive Funktionen zuschreiben. Dies ist wiederum eng verbunden mit dem, was man für ein wünschenswertes Ziel der Beratung hält (vgl. Abschnitt 1.2.2.2).

Für den Großteil der Beraterinnen und AutorInnen ist das Ziel der Beratung, die Frau dabei zu unterstützen, eine für sich stimmige Entscheidung zu finden und vertreten zu können (vgl.

z.B. Sartor-Muswieck, 1989; Skroch, 1998). Dies kann zum einen Hilfe bei der

Entscheidungsfindung bedeuten, aber genauso gut auch Unterstützung bei der schon

gefällten Entscheidung - z.B. durch den Abbau von Schuld- oder Angstgefühlen. Beides muss nicht direkt im Beratungsgespräch geschehen, sondern kann auch eine indirekte Folge sein, z.B. weil die Frau sich besser fühlt und dadurch neue Handlungsalternativen sieht (vgl.

Grotjahn, 1989).

So kann die §219-Beratung im günstigen Fall Defizite des sozialen Netzwerkes ansatzweise ausgleichen (vgl. Abschnitt 1.4.2.2). Die Frau kann die Erfahrung machen, daß es trotz Überwindung und Tabuthema gut tut, die Situation zu besprechen und möglicherweise sogar einen Anstoss und das Selbstvertrauen für eine neue/andersartige Konfrontation mit

Nahestehenden bekommen.

Voraussetzung dafür ist, daß es der Beraterin gelingt, „...eine Situation von Vertrauen und Freiwilligkeit...“ (Skroch, 1998, S.62) zu schaffen, und die Frau bereit ist, sich zu öffnen. Aus diesem Grunde werden für die Beraterin die Fähigkeit zur Empathie und Akzeptanz betont (Wimmer-Puchinger, 1991). Gerade vor dem gesetzlichen Hintergrund wird es für wichtig gehalten, daß die Beraterin weder Druck ausübt, noch sich anmaßt zu urteilen und es letztlich auch respektiert, wenn die Frau sich ihr nicht öffnen möchte (Walther, 1989).

Im Idealfall kann das Gespräch dann trotz ungünstiger Ausgangsvoraussetzungen eine Chance sein: Die Chance mit einer Aussenstehenden, die zu dem ganzen Geschehen mehr Distanz hat, die eigene Situation noch einmal zu reflektieren. Möglicherweise führt dies zu einem tieferen Verständnis für die eigene Entscheidung und dadurch zu einem anderen Umgang auch mit folgenden Lebensentscheidungen (Sartor-Muswieck, 1989; Skroch, 1998).

Empirische Studien unterstützen diese Sichtweise insoweit, als befragte Frauen eine hohe Zufriedenheit mit der Beratung angeben. Bei v. Troschke (1982) haben gut 60 % der

Theorie S.45

Stichprobe positive Erfahrungen mit der Beratungsstelle gemacht, Holzhauer (1989) gibt 82

% der Frauen an, die mit der Beratung zufrieden sind.

Eine genauere Analyse, aufgrund welcher Faktoren die Beratung hilfreich empfunden wird, zeigt nach v. Troschke (1982), daß der Großteil (64.7 %) dies angibt, weil er sich verstanden und akzeptiert gefühlt hat. 20.5 % sagen, die Beratung sei hilfreich gewesen, weil sachlich über Probleme gesprochen wurde. Stößel et al. (1981) ergänzt, daß die Beratung dann positiv erlebt wird, wenn die Beraterin sich bemüht sich auf das spezifische Beratungsbedürfnis der Frau einzustellen.

Berg-Gast (1988) erfragte die Wichtigkeit der Beratung, wobei 31.1 % der Stichprobe angaben, daß die Beratung wichtig war, weil sie über ihre Probleme reden konnten und sich verstanden fühlten.

Als explizit negativ werden von den Frauen der Versuch, sie umzustimmen, das wiederholte Vortragen von Gründen (bei dem Weg durch die Instanzen), daß sie sich gerade nicht verstanden gefühlt haben oder die gering vorhanden finanziellen Hilfen genannt5. Die Prozentangaben der mit der Beratung Unzufriedenen schwanken dabei von ca. 3 % bei v.

Troschke (1982) über ca. 15 % bei Berg-Gast (1988) zu ca. 12 % bei Holzhauer (1989).

Zusammenfassend lässt sich sagen, daß die empirischen Ergebnisse den Eindruck und das berufliche Verständnis der meisten Beraterinnen unterstützen. Ca. 2/3 der beratenen Frauen sind mit der erfolgten Beratung zufrieden. Dieses Ergebnis spiegelt das Protoergebnis der Beratungsforschung wider, nach dem „...etwa 2/3 der Ratsuchenden erfolgreich beraten...“

werden (Lücke, 1998, S.86).

Interessant daran ist, daß dieses Ergebnis erhalten wird, obwohl der Großteil der Frauen in die §219-Beratung gerade nicht „ratsuchend“ kommt. Ganz geklärt ist dabei noch nicht, aus welchen Gründen diese hohe Zufriedenheit erreicht wird. Handelt es sich um ein Artefakt, weil die Frauen „Schlimmeres“ befürchtet haben und hauptsächlich erleichtert sind (vgl.

Sadrozinski, 1989 und Stößel et al., 1981)? Oder spiegeln diese Ergebnisse die hohe

Fähigkeit der Beraterinnen wider, Atmosphären der Freiwilligkeit zu schaffen? Oder gestehen sich die Frauen ihren Beratungsbedarf nicht recht ein und sind dann dankbar, wenn sie darauf

5 In diesem Zusammenhang werden von einigen AutorInnen die Grenzen der Beratung betont: sie weisen daraufhin, daß es der Beratung nicht möglich sei, gesellschaftliche Mißstände oder Schwierigkeiten für Familien auszugleichen, dies sei vielmehr Aufgabe der Politik (Skroch, 1998; Walther, 1989, und vgl.

Abschnitt 1.2.2.1).

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gestossen werden (vgl. Pearson, 1997)? Oder können die Frauen einfach die Qualität der Beratung im Nachhinein schätzen, auch wenn sie nicht freiwillig hingegangen sind ?

1.4.2.6 Zum Einfluss des Trägers der Beratungsstelle

Wie in Abschnitt 1.2.1 angedeutet, hat der Träger der Beratungsstelle insofern einen Einfluss auf die Beratung, als er den staatlichen und gesellschaftlichen Auftrag um seinen eigenen ergänzen kann. Schon bei der Wahl der Beratungsstelle fliessen Wertvorstellungen, die mit dem Beratungsstellenträger verbunden werden, mit ein (Wimmer-Puchinger, 1991). Im weiteren prägt diese mit der Beratungsstelle verbundene Haltung die Erwartungen der Frau an die §219-Beratung (vgl. auch Abbildung 1).

Die Träger der Beratungsstellen lassen sich grob in konfessionelle und freie Träger unterscheiden (vgl. Abschnitt 1.3.1). Dies bedeutet eine unterschiedliche (infra)strukturelle Einbettung, die es z.B. den kirchlichen Beratungsstellen ermöglicht, einer Frau für das Austragen des Kindes - zusätzlich zu den staatlichen Hilfsangeboten - Unterstützung aus kirchlichen Finanzfonds anzubieten. Teils sind damit auch bessere Arbeitsbedingungen (bessere Räumlichkeiten, bessere Bezahlung der MitarbeiterInnen u.ä.) bei den

konfessionellen Beratungsstellen verbunden, dies als Beitrag zu einer dann unterschiedlichen Strukturqualität (vgl. Stößel et al., 1981).

Zudem stehen hinter den Trägern unterschiedlich gelagerte Beratungsaufträge (Weller, 1995), die auch mit einer entsprechenden Öffentlichkeitspolitik einhergehen. So waren z.B.

die Beratungsstellen der katholischen Kirche in verstärkter Weise angehalten, der Frau Möglichkeiten für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen. Sowohl evangelische als auch freie Träger betonen im Vergleich dazu in ihren Leitbildern stärker die Eigenverantwortung der Frau und die Achtung der, wie auch immer ausgefallenen, Entscheidung (vgl. Heinkel & Kruse, 1998, Stößel et al., 1981)

Empirische Arbeiten, die diese Trägerunterschiede aufgegriffen haben, sind zum einen die

„Quantitative und qualitative Evaluation des Beratungsangebots zum

Schwangerschaftskonflikt“ (Stößel et al., 1981), zum anderen die Arbeit von Holzhauer (1989).

Stößel erfasst neben strukturellen Merkmalen auch die Entscheidungshaltung des Klientel vor der Beratung. Er findet keine Unterschiede zwischen den KlientInnen der Pro Familia, der

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AWO und dem evangelischem Träger: bei ca. 80 % der jeweiligen Beratungsstellen sind über 60 % der KlientInnen vor der Beratung „absolut vorentschieden“ (S.132).

Holzhauer (1989) prüft, inwiefern sich die KlientInnen der verschiedenen Beratungsstellen in ihren demographischen Kennzeichen entsprechen, ob sich die Erwartungen an die Beratung und die Zufriedenheit mit der Beratung in Abhängigkeit vom Träger unterscheiden.

Die KlientInnen in Beratungsstellen freier Träger sind danach im Durchschnitt älter, haben eine höhere Schulbildung und eher unverbindlichere Paarbeziehungen im Vergleich zu den Frauen bei konfessionellen Beratungsstellenträgern. Die Erwartungen der Frauen bei Pro Familia und AWO sind signifikant häufiger auf den Beratungsschein und auf Informationen zum Schwangerschaftsabbruch gerichtet, während KlientInnen in den kirchlichen Stellen eher an Informationen zu Hilfen für Mutter und Kind interessiert sind. Holzhauer zeigt desweiteren, daß die Beraterinnen auf die Erwartungen der Frauen eingehen und sich dadurch die

thematischen Schwerpunkte zwischen den Beratungsstellen unterscheiden. Die Gesamtzufriedenheit mit der Beratung unterscheidet sich nicht.

Als mögliche Erklärung bietet sich zum einen an, daß die Beraterinnen im Gesamten, unabhängig von dem Träger bei dem sie arbeiten, die Berufsansicht vertreten und

verwirklichen können, auf die von den Frauen mitgebrachten Bedürfnisse und Erwartungen flexibel einzugehen (vgl. auch Holzhauer, 1989). Zum anderen weist dies daraufhin, daß viele betroffene Frauen zu wissen scheinen, wohin sie sich naheliegenderweise mit ihren

jeweiligen Bedürfnissen wenden können.

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