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Argumente für und gegen die derzeitige Beratungsregelung

Erwartungen der Frau

1.2.2 Argumente für und gegen die derzeitige Beratungsregelung

Vor der Darstellung der beiden angesprochen Diskussionsebenen möchte ich betonen, daß diese Ebenen im Alltag normalerweise vermischt auftreten und sowohl Beratungspflicht-BefürworterInnen wie GegnerInnen sich meist sowohl auf grundsätzliche ethische Argumente als auch auf eher praktische Behauptungen zum Nutzen der Beratung stützen werden.

Die Hauptargumente der moralischen Diskussion (die Grundfrage lautet hier: inwiefern ist es moralisch vertretbar, daß ein Staat/eine Gesellschaft einen Teil ihrer Mitglieder, in dem Fall die Frauen, in einer bestimmten Lebenssituation zu einer Beratung verpflichtet?, vgl. Kettner, 1998) stelle ich im folgenden Abschnitt 1.2.2.1 dar.

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Die psychologisch-praktische Diskussion (Abschnitt 1.2.2.2) befasst sich dagegen mit der Frage, inwiefern durch die Beratungspflicht das genannte Ziel der Beratung, Leben zu schützen und die Frau zu unterstützen, erreicht wird oder gerade nicht.

1.2.2.1. Lebensrecht des Embryos versus Selbstbestimmungsrecht der Frau

Diese beiden Schlagworte spannen die Extrempole der Diskussion auf. Anders formuliert: ist diese intime Angelegenheit letztlich Privatsache der Frau und des Paares oder sollten die Gesellschaft und ihre RepräsentantInnen bestimmte Werte - im äussersten Fall über das Strafgesetzbuch - einbringen/durchsetzen?

Das Hauptargument der Befürworter der gesetzlichen Regelung ist, daß es Aufgabe des Staates ist, werdendes menschliches Leben zu schützen. Das BVerfG führte 1993 sein Urteil für die Rechtskräftigkeit einer Beratungspflicht auf den Menschenwürdegrundsatz in Artikel 1, Absatz 1 unserer Verfassung zurück. Danach ist menschliches Leben aufgrund seiner menschlichen Würde auch in den Phasen seiner Entstehung zu schützen (nach Kettner 1998). Im §219 StGB, Abs.1 heisst es dann auch explizit: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens“.

Kettner (1998, S.38) weist darauf hin, daß die Urteilsbegründung des BVerfG eine verengte Interpretation des Menschenwürdegrundsatzes darstelle, weil dieser „...so gesehen wird, als impliziere er den Normsatz < Dem Staat ist geboten, sich mit rechtlichen Geboten und Verboten schützend und fördernd vor menschliches Leben zu stellen, gleichmässig ab dem Zeitpunkt der Nidation der befruchteten Eizelle.>“

Das führe zu der paradox anmutenden Aufforderung, den Embryo vor der ihn eigentlich nährenden und schützenden Mutter „im Notfall“ zu schützen.

Dies wiederum ist ein Ansatzpunkt von GegnerInnen der Beratungspflicht, die diese Barriere zwischen werdendem Kind und seiner Mutter als eine vom BVerfG künstlich geschaffene bezeichnen (vgl. auch Ehrlich, 1998). Sie wünschen sich einen ganzheitlicheren und „weibli- cheren“ Zugang zur Schwangerschaft. Das Bild einer ausgetragenen, erwünschten

Schwangerschaft wird dann verstanden als „ein körperlich-seelischer Prozeß, bei dem die Frau sich öffnet, indem sie die Erweiterung ihres Körpers wünscht und zuläßt mit dem Ziel, einem Kind das Leben zu schenken“ (Hühn, 1992, S.113).

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GegnerInnen der Beratungspflicht sehen zudem in folgender Weise eine Diskriminierung von Frauen darin enthalten: Die derzeitige Regelung postuliere latent eine Gebärpflicht für Frauen, was u.a. damit verbunden sei, daß die Entscheidung zum Austragen relativ unabhängig von der Lage der einzelnen Frau als die richtige und verantwortlichere Wahl dargestellt würde (Kettner, 1998; Seitz, 1991). Diese implizite Norm zum Gebären verletze, wenn man sie wie das BVerfG als positive Rechtspflicht darstelle, wichtige Grundrechte der Frau - u.a. das der

„Gewissensentscheidungsfreiheit in Verbindung mit der Achtung der Persönlichkeit“

(Frommel, 1998 [zitiert in Schweizer Broschüre der Arbeitsgruppe

„Schwangerschaftsabbruch“, 1998]).

BefürworterInnen des §218/9 argumentieren dagegen, daß die Beratungsregelung die

Verantwortlichkeit der Entscheidung betone und die Bereitschaft der Gesellschaft signalisiere, die Frau bei solch einer schweren Entscheidung zu unterstützen (vgl. Stößel et al., 1981).

Die GegnerInnen stören sich an den Implikationen, die Ihrer Auffassung nach in solchen Begründungen für die §219-Regelung über Frauen und ihre Entscheidungskompetenz enthalten sind.

Dieses Frauenverständnis gehe von einer zu unmoralischen, leichtfertigen Entscheidungen neigenden Frau aus. Teilweise schienen auch sexualfeindliche Vorstellungen, die ungewollte Schwangerschaften als „gerechte Strafe“ für ungebührlich freie weibliche Sexualität ansehen, damit verbunden zu sein (Seitz, 1991).

Ausgehend von der Überzeugung, daß jede sexuell aktive Frau vor ungewollten

Schwangerschaften nicht gefeit ist, weisen gerade Beraterinnen dieses Frauenbild zurück.

Sie erleben, daß die Frauen es sich mit ihrer Entscheidung alles andere als leicht machen, sondern in einer weiter umspannenden Verantwortlichkeit handeln (Knopf et al., 1995; Skroch, 1998). Für heutige Frauen soll im Normalfall, über das rein biologische Überleben ihres zukünftigen Kindes hinaus - wie die „biologistisch-materialistische[n] Wertentscheidung des Bundesverfasungsgerichts“ es nahe legt -, eine Grundlebensqualität für alle Beteiligten gesichert sein (Hoppe, 1989, S.130).

Die bisher dargestellten Argumente fokussieren die Schwangere in ihrer „Zweiheit in Einheit“.

Andere AutorInnen betonen die Wichtigkeit, die Diskussion um den potentiellen Vater (und das weitere soziale Umfeld) und die gesellschaftlichen Möglichkeiten, Berufstätigkeit und

Mutterschaft zu verbinden, zu erweitern. Laut Troschke (1982) spiegelt der

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Schwangerschaftskonflikt letzten Endes die widersprüchlichen Botschaften der Gesellschaft an Frauen wider. Frau soll danach z.B. sowohl Kariere machen als auch aufopferungsvolle Familienmutter sein.

Dies führt letztlich zu der Forderung, vor moralischen Grundsatzdiskussionen die politischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß junge Familien in ihrem Spagat zwischen

beruflichem Fortkommen und Nachwuchsbetreuung finanziell, zeitlich und sozial-emotional unterstützt werden. Damit wären zumindest realistische äussere Strukturen gewährleistet, die allerdings keine Garantie für die innere Bereitschaft, ein Kind anzunehmen, durch die Frau/das Paar bedeuten.

1.2.2.2 Erfüllt die §219- Beratung ihren Zweck?

Abgesehen von der eben geschilderten Moraldiskussion wird sowohl auf Seiten der §219-GegnerInnen als auch BefürworterInnen die Frage eingebracht, inwiefern die Beratung das erfüllt, wofür sie vorgesehen ist. Die beiden vom Gesetz vorgegebenen Ansprüche,

werdendes menschliches Leben zu schützen und die Frau in einer verantwortlichen

Entscheidungsfindung zu unterstützen, treten in den folgenden Argumenten normalerweise vermischt auf (vgl. Abschnitt 1.1.4).

Ich möchte noch einmal betonen, daß ich im Folgenden die theoretische Diskussion über den praktischen Nutzenaspekt der §219-Beratung darstellen möchte. Soweit es hierzu empirische Ergebnisse gibt (die in der gesellschaftlich-politischen Diskussion erstaunlich

unberücksichtigt bleiben), werde ich sie in Abschnitt 1.4.2 beschreiben.

Ein Grundargument der BeratungspflichtbefürworterInnen ist, daß die Beratungspflicht ihren Sinn schon erreicht hat, wenn sich dadurch eine einzige Frau doch für ein Kind entscheiden würde. Anders ausgedrückt: man kann einer Mehrheit von Frauen zumuten, diese Beratung zu absolvieren, wenn so eine Minderheit, die sonst nicht in die Beratung gekommen wäre, erreicht wird. Dahinter steht die Annahme, daß die Beratung zumindest in Einzelfällen einen Einfluß auf die Entscheidung für/gegen ein Kind haben kann (vgl. dazu auch Abschnitt 1.4.2.3).

Andere sehen die Chance, daß einigen Frauen, die auch in anderen Kontexten von einem Beratungsnetzwerk profitieren würden, auf diese Weise der Weg in die/eine Beratungsstelle geöffnet wird (vgl. Stößel et al., 1981 und Abschnitt 1.4.2.5).

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Dagegen wird von den §219-GegnerInnen als Hauptproblem der unauflösbare Widerspruch gesehen, in einem verpflichtenden und z.T. moralisierenden Kontext das Autonomiegefühl bzw. die Verantwortungsübernahme der Frauen zu unterstützen (Hoppe, 1989), bzw. sie zu emanzipieren (Stößel et al., 1981).

Vielmehr bedeute die Beratungspflicht für die Frau Druck (z.B. in dem Bemühen,

nachvollziehbare Gründe für den Schwangerschaftsabbruch darzulegen) und verhindere somit, dass sie sich der Beraterin mit ihren möglicherweise vorhandenen Am bivalenzen öffne (Koschorke, 1982; Walther, 1989). Einige AutorInnen gehen einen Schritt weiter: Frauen, die ansonsten offen für eine freiwillige Beratung gewesen wären, verschliessen sich nun aus Widerstand bzw. Reaktanz vor der Beraterin (Kettner, 1998). Analytisch gedacht führt dies zu einer Stärkung und Verfestigung von den Anteilen (in der Frau), die den

Schwangerschaftsabbruch befürworten. Auf diese Weise würde Frauen, die die Beratung wirklich brauchen, dieselbe genommen.

Bei Frauen mit vorherigen Grenzverletzungserfahrungen (z.B. durch eine Vergewaltigung) wirke sich dies besonders dramatisch aus, da die Pflicht zu einer nicht selbstbestimmten Öffnung retraumatisierend wirken könne (Hühn, 1992).

In der Extremvariante beklagen KritikerInnen, daß erst durch die gesellschaftliche

Handhabung - Tabuisierung und Kriminalisierung - des Schwangerschaftsabbruches ein Beratungsbedarf geschaffen wird, der ansonsten nicht vorhanden wäre (vgl. dazu auch Abschnitt 1.4.2.1). Diese Stigmatisierung führe u.a. dazu, daß sich Frauen mit dem damit verbundenen Leid zurückziehen, was auch die Wahrscheinlichkeit einer Konfrontation mit den mitverantwortlichen Männern verringerte.

Sadrozinski (1989) bemerkt, daß der Schwangerschaftsabbruch medizinisch zwar immer risikoloser werde, dafür aber zunehmend in der Öffentlichkeit moralisierend problematisiert werde. Die inneren Skrupel - oft auch verbunden mit grundlosen medizinischen

Befürchtungen - von Frauen in den letzten zwei Generationen seien dementsprechend unverhältnismässig angewachsen. Die Hoffnung einiger, daß die Beratung diese belastenden

„Nebenwirkungen“ abmildern könne (vgl. Stößel et al., 1981), wird von anderen als falscher Ansatzpunkt betrachtet, womit wir wieder beim Beginn der Diskussion wären.

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1.2.3 Begründung der Wortwahl: „§219-Beratung“ und meine Stellungnahme in

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