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Gleichwohl knüpft Sartre mit seinen weiteren Überlegungen an den Be-griff der Dauer an. Eine ursprüngliche Zeitlichkeit kommt dem Für-sich zu, sofern es dauert in der Form des nicht-setzenden Bewusstseins (zu) dauern. Die abgeleitete Zeitlichkeit, die er psychisch nennt, zeigt sich hingegen im Bewusstsein zu dauern. Da dieses reflexiv ist, nötigt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den zwei Formen von Tempo-ralität zur Vorfrage nach der Möglichkeit von Reflexion (1).

Wer das reflektierende Bewusstsein für ein gegenüber dem reflektierten schlechterdings neues hält (2), hat keine Chance, den Zusammenhang zu begreifen. Das reflektierende Bewusstsein muss, wenn Einheit denkbar sein soll, das reflektierte sein (3). Die Einheit ist des Näheren so zu denken, dass beide das je andere an sich selbst haben: Das reflektierende Bewusstsein ist Zeuge des reflektierten, aber darin für sich selbst Erscheinung, und das reflektierte ist Erscheinung für die Reflexion, ohne aber aufzuhören, Zeuge (von) sich zu sein. In ihm als einem Bewusstsein (von) sich zeichnet sich bereits der Umriss einer Aussenseite (l’ébauche d’un dehors) ab, so dass es ansatzweise schon in ihm selbst den Wandel vollzieht, dem es durch die Reflexion unterworfen wird. Darin liegt aber auch: Es kann mit dem re-flektierenden Bewusstsein nicht vollständig eins sein. Dieses muss es sein und zugleich nicht sein. Ist es doch Reflexionsgegenstand. Allerdings bleibt nachzutragen (10): Als einer der Reflexion kann es kaum mehr sein als ein in der Bewusstseinsimmanenz verharrender Quasi-Gegenstand. Insofern ruhen Einheit und Unterschied in einer sie übergreifenden Einheit (4).

Beweggrund des Wandels (5) ist der laut Sartre auch auf andere Weise unternommene Versuch des Für-sich, ins An-sich einzugehen und dabei zu bleiben, was es ist, im Modus des Nicht-an-sich-seins (6). Da dies unmög-lich ist, muss auch Reflexion scheitern (7). Die Frage, ob sie immerhin einen rechtmässigen Anspruch stelle, führt den Verfasser auf die Zeitlichkeit zurück (8). Rechtmässig ist jedenfalls der Anspruch der hier beschriebenen reinen, primären Reflexion, die sich von einer unreinen, sekundären (über

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sie später) unterscheidet (9). Er legitimiert sich aus der Identität mit dem Reflektierten (10). Reine Reflexion ist aber identisch (und auch nicht iden-tisch) mit einem Reflektierten, das als je gegenwärtiges in seine Vergan-genheit und Zukunft hinaussteht. Sie möchte ihren Gegenstand in dieser Totalität erfassen (11). Sie zielt auf ein Für-sich, das im Abstand von sich selbst, in der Vergangenheit und Zukunft, existiert. Nach ihrem Anspruch enthüllt sie mithin Zeitlichkeit als Geschichtlichkeit (12).

Solche Geschichtlichkeit sticht scharf ab von der gemeinhin umstandslos Dauer genannten psychischen Dauer, in der Bewusstseinszustände gleich äusseren Begebenheiten aufeinander folgen (13). Als blosse Sukzessions-ordnung besitzt die Zeitlichkeit der psychischen Dauer nicht die Kraft, sich selbst zu erzeugen. Zu ihrer Erzeugung ist sie auf Reflexion ange-wiesen (14). Den Dienst leistet ihr die als unrein bezeichnete Reflexion (15). Die macht aus dem ihr vorgegebenen Bewusstsein, was es gleichsam schon von der reinen verlangte, nämlich es dem An-sich anzugleichen, aber dies macht sie daraus so, dass sie von seiner Binnenperspektive voll-ständig absieht und es in einen reinen Gegenstand, den der Psychologie, verwandelt, den sie wie von aussen betrachtet. Damit fällt sie aber der Unaufrichtigkeit (mauvaise foi) anheim (16).

Eine Inventarisierung der Psyche, die ein vergegenständlichtes Ego (17), ihm als Eigenschaften zugerechnete Habitualitäten (18), aktuell existierende Zustände (19) und mitvergegenständlichte Handlungen (20) umfasst, be-reitet den Versuch vor, den Seinsstatus all dieses Psychischen und die Art seiner Zeitlichkeit genauer zu bestimmen. Die Psyche zeigt sich nur der (unreinen) Reflexion (21), nicht als das reflektierte Bewusstsein selber, son-dern bloss als dessen Schatten, die trügerische Gestalt, die es durch seine Projektion ins An-sich-sein annimmt (22). Obwohl sie keine apodiktische Evidenz hat (23), scheint aber das authentische Bewusstsein gewissermassen durch seine Übermalungen hindurch. Es ist die Zeitlichkeit, an der etwas davon erkennbar wird. Denn immerhin stellt sich die Psyche als Gebilde aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dar. Nur kann ihre Gegenwart nicht Flucht, ihre Zukunft nicht absolute Möglichkeit sein. Denn die un-reine Reflexion repräsentiert auch die Gegenwart und Zukunft der Psyche im Modus des Gewesenseins (sur le mode ‚a été ‘). Sie täuscht eine je schon fertige Psyche vor (24), angesichts dessen, dass diese dem Gesetz der Suk-zession gehorchen soll, ein Widerspruch in sich selbst. Die Psyche zerfällt in ein Konglomerat von einander widersprechenden Seinsmodalitäten (25).

Die nächsten sechs Absätze variieren die Kritik der Psychologie, bevor erst der Schlussabsatz mit einem Vorverweis auf das Für-andere-sein einen neuen Akzent setzt. Das Psychische ist ein bewegungsloses Datum, das

nur gezeitigt wird, ohne sich zu zeitigen (26). Man kann sich dies verdeut-lichen an den von der psychischen Zeit geregelten Beziehungen seiner Formen zueinander: Auch wo zum Beispiel Gefühle sich durchdringen, wie Freundschaft und Liebe, entsteht nur ein starres Objekt (27). Selbst dann, wenn frühere Prozesse von fern her auf spätere einwirken, bleibt es bei der Scheinspontaneität eines Gegebenen. Lehrreich dafür ist Proust, der eine solche Fernwirkung kausal erklären möchte, aber ihr in Wirk-lichkeit nur eine magische Irrationalität abgewinnt (28–31).

Bei alledem bleibt jedoch festzuhalten: Die psychische Zeitlichkeit ist mehr als eine Illusion. Sie ist ein virtuelles Sein, welches das Für-sich in jedem Augenblick überzieht, in dem die ihr entsprechende Reflexion sich der authentischen Zeitigung bemächtigt. Konkret: Dieses Sein schiebt sich immer dann vor das ursprüngliche Bewusstsein, wenn ich mich sehen will.

Bleibt mein Selbstvollzug hingegen unreflektiert, so tritt es nicht in Er-scheinung, und findet Reflexion zu ihrer reinen Form, so verschwindet es.

So besitzt die psychische Zeitlichkeit einen zwiespältigen Seinsstatus. Einer-seits eine Hypostase, ist sie doch andererEiner-seits nicht ohne Wirklichkeit.

Denn das statifizierende Bild, das die unreine Reflexion von der sich zeiti-genden Zeitlichkeit entwirft, ist Schein als Vorschein dessen, was unzwei-deutige Realität wird, wo ich nicht mehr bloss selbst mich sehen will, sondern gesehen werde: Im Für-andere-sein (32).

Der philosophiegeschichtliche Ort

Sartre erarbeitet seinen Entwurf in Auseinandersetzung mit den in der Neuzeit angestellten Überlegungen zur Sache. Er greift bis auf Descartes, Leibniz und Kant zurück. Besonders präsent ist ihm natürlich Bergson.

Aber das ihn leitende Erkenntnisinteresse lässt sich bereits vollständig der Art und Weise entnehmen, wie er die deutsche Phänomenologie des 20. Jahrhunderts aufnimmt und mit Hilfe Hegels unterminiert. An ihrer Dekonstruktion ist abzulesen, dass er letztlich darauf hinauswill, die ge-samte Zeitphilosophie der letzten Jahrhunderte von innen aufzusprengen.

Seinen unmittelbarsten Ausgangspunkt gibt ihm Heidegger vor. Dessen frühes Hauptwerk von 1927 hat ja Das Sein und das Nichts insgesamt ge-prägt. Aber Sein und Zeit ist auch eine Quelle, aus der speziell das Kapitel ,La temporalité‘ schöpft. Über die Seinsfrage hinaus spielt in dieses Kapitel von den generellen Annahmen fundamentalontologischer Herkunft vor allem die These hinein, dass das Seiende, das Heidegger Dasein genannt hat und Sartre als Für-sich bezeichnet, sein Sein zu sein habe. Auf dem

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Boden dieser These entwickelt das Zeitkapitel eine Theorie, die schon in ihrer Begrifflichkeit an Heidegger anknüpft. Sein Titel zitiert die dem Dasein selbst eigene Zeitlichkeit, das Resultat einer als Sich-zeitigen des Daseins verstandenen Zeitigung. Auch die Übersetzung der „dimensions temporelles“ in die Ekstasen, in denen das hegelianisch reformulierte Da-sein sich zeitigt, huldigt der Sprache Heideggers. Dabei ist die Adaption keineswegs aufs Sprachliche beschränkt. Das Kapitel folgt in seinem Gang, wenigstens partiell, dem Weg der Fundamentalontologie von der Zeitlich-keit zur GeschichtlichZeitlich-keit und in seinem grundsätzlichen Ansatz, was stärker ins Gewicht fällt, der Option Heideggers für Jemeinigkeit.

Allein, unter der Schale eines terminologischen und konzeptuellen An-schlusses an Heidegger verbirgt sich ein Kern, der den Willen bezeugt, von ihm abzuspringen. Schon die Gemeinsamkeit, welche die Wiederholung der Seinsfrage suggeriert, enthüllt sich bei näherem Hinsehen als Schein.

Während Heidegger unter Sein im Grunde Wahrheit versteht, meint Sartre damit das undurchdringlich Vorgegebene. So schmuggeln auch die an die Daseinsanalytik angelehnten Leitbegriffe des Temporalitätskapitels weit-hin in sie ein, was sich von ihr her nicht mehr erschliesst. Der Titelbegriff deckt ausser der daseinseigenen Zeitlichkeit auch eine universelle Zeit ab.

Gerade dort, wo das Kapitel über die Phänomenologie der Zeitdimen-sionen in Richtung auf eine Ontologie der Temporalität hinausgeht, ver-sichert es sich der universellen Zeit als einer wirklich objektiven, nicht bloss, wie es in Sein und Zeit hiess, ,vulgär‘ verstandenen. Die in dieser Ontologie zuerst abgehandelte Temporalität, die statische, gleicht als Ord-nung von ,früher‘ und ,später‘ in etwa der die Abfolge aller Ereignisse regelnden „B-Reihe“, von der McTaggart, bahnbrechend für die analyti-sche Philosophie, meinte, sie liesse sich auf die an den Zeitdimensionen ausgerichtete „A-Reihe“ nicht zurückführen (vgl. McTaggart 1927; Bieri 1972); und die sodann vorgetragene Lehre von der dynamischen Tempora-lität unterwirft auch den ekstatischen Zeitigungsprozess, indem sie ihn auf Dauer festlegt, einem daseinstranszendenten Gesetz. Ein Zug in diese Richtung liegt sogar schon in der Phänomenologie der Ekstasen selbst.

Anders als Heidegger, der den Anfang seiner Zeitlichkeitsanalyse mit der Zukunft macht, ordnet Sartre die Ekstasen nach dem traditionellen Sche-ma Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft an, offenbar weil er ernster nimmt, dass die ,réalité humaine‘ sich zwischen Geburt und Tod in der Zeit erstreckt.

Dementsprechend besteht Sartre auf der Gleichursprünglichkeit aller drei Ekstasen. Gleichwohl zeichnet er die Gegenwart vor der Vergangen-heit und Zukunft aus. Wenn er ihr auch nicht den absoluten Primat

zu-spricht, den in Sein und Zeit die Zukunft hatte, so räumt er ihr doch einen Sonderstatus ein, den sie seiner Annahme verdankt, dass in ihr Zeitlichkeit sich konstituiere. Die Annahme lässt sich aus seiner Gesamtkonzeption begründen. Das Zeitkapitel reichert die Grundstruktur des Für-sich, nicht zu sein, was es ist, und zu sein, was es nicht ist, durch das Dritte der schon zitierten Rückverweisung des einen auf das andere (2 A 13) an. Dieses Spezifikum daseinsmässiger Zeitlichkeit trägt aber die Gegenwart bei.

Also ist das Gegenwartsmoment dasjenige, wodurch es zur Zeitlichkeit erst kommt.

Indessen ist die Konzeption ihrerseits durch den Anschluss an Husserl begründet. In sie geht Husserls Überzeugung ein, dass die Gegenwart der ,Quellpunkt‘ allen Seins und Bewusstseins sei (vgl. Heidegger 1928). Die Überzeugung hat ihre Spuren gewiss in Sartres ganzem Buch hinterlas-sen. Sie bestimmt die in Das Sein und das Nichts durchgehend angewandte Methode. Von ihr geleitet, setzt Sartre immer wieder neu bei der „reinen Subjektivität des instantanen Cogito“ (SN 117; EN 83) an. Aber das Zeit-kapitel hat der deutsche Bewusstseinstheoretiker in besonderem Masse inspiriert, nicht nur durch seinen Präsentismus. Der Aufbau des Kapitels folgt einem Verständnis von Phänomenologie, wonach diese, wie Husserl es wollte, der Ontologie voraufgeht, und sein Schluss verschärft die Kri-tik, die Husserl unter phänomenologischen Gesichtspunkten an der Psy-chologie geübt hat.

Aus der Kombination von Heidegger und Husserl ist zu verstehen, dass Das Sein und das Nichts seinen Gegenstand in einer spannungsreichen Dop-pelstrategie einerseits aus der Binnenperspektive des je aktuellen Bewusst-seins beschreibt, andererseits auf eine die Interiorität übersteigende Ganz-heit hin auslegt. Denn bei allem Präsentismus hält Sartre doch auch an dem Vorhaben von Sein und Zeit fest, von der Zeitlichkeit her die Ganzheit des Daseins in den Griff zu bekommen. Allerdings bleibt bei ihm, wie erwähnt, nur eine sich selbst fliehende Ganzheit übrig (2 B 15). Zu deren Erfassung gibt ihm Hegel die begrifflichen Mittel an die Hand. Dass die phänomenologische Ontologie, welche die Schrift in ihrem Untertitel ver-spricht, mindestens ebenso substantiell eine dialektische ist, erklärt sich aus dem Versuch ihres Verfassers, die Phänomenologie Husserls und die Onto-logie Heideggers durch die wesentlich negationstheoretisch verfasste, von ihm ins Negativistische gewendete Dialektik Hegels zu vermitteln und in eins damit beide zu unterlaufen. Auch diesen Versuch startet Sartre längst vor dem Zeitkapitel. Von Anfang an optiert er für die von Hegel gegen die traditionelle Metaphysik aufgebotene Einheit von Sein und Nichtsein, von Anfang an auch begreift er das Nichtsein vor allem hegelisch als

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das-andere-sein. Aber erst im Zeitkapitel, das auch in seiner die Sach-ordnung umkehrenden Darstellungsweise dialektisch konzipiert ist, wird offenbar, was er damit eigentlich will. Er spitzt die seinsmässige Negativi-tät zu einer wertmässigen zu. In der Exposition des Kapitels ist von Syn-these und Totalität noch so die Rede, als seien sie unversehrt. Dann jedoch tritt mehr und mehr an den Tag, dass die Zeit mich von mir trennt und infolgedessen jede Ganzheit zersetzt.

Nun verändert sich damit auch die Stellung der Zeit selbst. Eine mich von mir trennende Zeit lässt sich nicht mehr wie bei Husserl und Heideg-ger auf die Zeitlichkeit des Bewusstseins oder Daseins reduzieren. Es ist nicht nur so, dass das Für-sich sich zeitigt; es wird auch gezeitigt – von einer Zeit, die ihm immer schon zuvorkommt. Durch den Rückgriff auf Hegel gewinnt Sartre die der Zeit in der Antike mit einer gewissen Selbst-verständlichkeit zugesprochene Realität zurück, welche die Philosophie Kants zu einer transzendentalen depotenziert und die nachkantische schliess lich preisgegeben hat.

Das ungelöste Problem

Es war Sartres Intention, eine transsubjektive Zeit so wiederzugewinnen, dass der Gedanke einer vom Subjekt zu leistenden Zeitigung nicht ver-lorengeht. Im Bemühen um eine Bewahrung der Einsichten, die wir der Phänomenologie und Fundamentalontologie verdanken, fällt er aber auf die gegen Dialektik sich polemisch abgrenzende Position Husserls und Heideggers zurück. Eben der Ausgriff auf eine Temporalität, die mehr sein sollte als das Produkt eines Sich-zeitigens, gerät faktisch zur Erneuerung der Zeitlichkeit des Subjekts. Er landet bei einem Seinsmodus des Für-sich (2 A 11 und 18). Genauso undialektisch wird der darin nicht aufgehende Rest dem An-sich zugeschlagen. Zu zeigen ist beides in einer Zweitlektüre, die den Text rückwärts liest. Der recht ausführlich vorgestellte Schlussteil des Kapitels kann dabei weitgehend unberücksichtigt bleiben. Die kriti-sche Analyse muss sich auf Sartres eigene Phänomenologie und Ontologie der Zeit konzentrieren. Eine vertiefende Besinnung verlangt insbesondere die anfangs nur knapp skizzierte Phänomenologie der Ekstasen.

An der Stelle, an der Sartre von der statischen Temporalität zu deren Dynamik übergeht, hat er die Reduktion auf die Zeitlichkeit des Subjekts bereits hinter sich. Der Eingangssatz von 2 B, zur Dynamik gehöre die Dauer, setzt deren Bewusstseinsimmanenz voraus. Denn die Dynamik soll ihrerseits nichts sein als „une structure essentielle du pour-soi“ (2 B 12). Es

kann denn auch kaum verwundern, dass der in dem Abschnitt entfaltete Dauerbegriff selbst noch weniger überzeugt als seine bei der Inhaltsangabe vorausgreifend problematisierte Applikation auf das Für-sich. Es ist schwer zu sehen, wie er sich durch Reflexion auf das in die Vergangenheit ab-sinkende und je gegenwärtig neu entstehende Für-sich aufklären lässt, es sei denn, man mache die ihn subjektivierende Voraussetzung mit. Aber jene Reduktion geht auch schon der Existentialisierung der Vorher-nach-her-Ordnung in 2 A voraus. Der Anweisung, unter ,vorher‘ das An-sich zu verstehen, welches das gegenwärtige Für-sich früher war (2 A 14), könnte man selbst dann nicht folgen, wenn man über die Fragwürdigkeit des in ihr implizierten Verständnisses von Vergangenheit hinwegsehen wollte, da sie uns die gleiche petitio principii zumutet wie 2 B. Ähnliches gilt für den Versuch, der Beziehung von Früherem und Späterem mittels des Ekstasen-begriffs beizukommen. Was er zunächst auf diese Beziehung projiziert (2 A 7), erstattet er dem Für-sich sodann bloss zurück (2 A 9).

So fällt die für alles Weitere massgebliche Entscheidung offenkundig in der Phänomenologie der Ekstasen selbst. Sartre trifft sie mit der in den jeweiligen Abschnitten unermüdlich wiederholten Feststellung, die drei Zeitdimensionen, deren Deutung als Ekstasen dies terminologisch fixiert, kämen in die Welt durch das Für-sich. Damit schlägt er den Grundton an, den er bei der Beschreibung jeder einzelnen durchhält. Aber Vergangen-heit, Gegenwart und Zukunft weisen in der Art, wie er sie auf das Für-sich bezieht, doch auch Unterschiede auf, die lehrreich sind, weil sie uns zu einer angemessenen Einschätzung des in seiner Theorie ungelösten Pro-blems verhelfen.

Im Falle der Zukunft kann die Konstitution durch das Für-sich keines-wegs bedeuten, dass sie ein transsubjektives Sein gänzlich ausschliesst. Die Zukunft gibt dem Für-sich ja, so wurde uns gesagt, das Sich vor. Insofern ist sie tatsächlich ein es bestimmendes Sein. Zugleich hat sie freilich, auch das hat Sartre beteuert, kein Sein (1 C 6). Der Widerspruch ist zunächst einmal anzuerkennen und festzuhalten. Zeigt er doch an, dass die Reduk-tion der Zeit auf eine subjektive Zeitlichkeit nur eine Gegenbewegung ist, die den Ausgriff auf eine objektive Zeit nicht annulliert. Sartre glaubt ihn denn auch im positiven Sinne dieses Hegelschen Begriffs ,aufheben‘ zu können, nämlich in ein An-und-für-sich-sein, das er ebenfalls mit Hegel als ein das An-sich und das Für-sich vermittelndes denkt und für den ontologi-schen Status jenes Sich ausgibt. Die Zukunft ist ohne alles Sein, sofern ihr die das An-sich definierende Realität fehlt, und trotzdem ein das Für-sich sogar bestimmendes Sein, sofern ihr die Idealität des Sinns eignet. Ob der Widerspruch aber im An-und-für-sein gut aufgehoben ist, muss man wohl

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bezweifeln. Seine Aufhebung reicht ja gar nicht an die These heran, dass die Zukunft durch das Für-sich sei, worin etwas anderes liegt als dessen Sinn. Sartre kann sich die unaufgehobene Spannung in seinem Zukunfts-begriff nur verheimlichen, indem er hin und her springt zwischen einem avenir, das als Zu-sich-kommen des Für-sich dessen eigener Prozess ist, und einem (vermutlich mit Bedacht grossgeschriebenen, allerdings vom kleingeschriebenen kaum zu unterscheidenden) Futur, das dem Für-sich allererst den Horizont seiner Selbstverwirklichung eröffnet.

Die im Anfangsteil des Kapitels auffällig kurz behandelte Gegenwart weicht von der dem Aufriss der Zeitdimensionen vorgezeichneten Bahn gleichsam nach der entgegengesetzten Seite ab. Ist die Zukunft, auch in der Sicht Sartres, im Grunde mehr als eine durch das Für-sich seiende, so ist die mit seinen Augen gesehene Gegenwart weniger. Dem wiedergegebe-nen Text zufolge ist sie Für-sich (1 B 1). Sie geht darin auf, weil sie sich auf Flucht reduziert, auf eine „ständige Flucht angesichts des Seins“ (1 B 7).

Denn das Für-sich löst sich seinerseits in eine fliehende Bewegung auf.

Auch die Einschränkung der Gegenwart auf eine solche Bewegung steht im Widerspruch zur Generalthese. Kann doch das Konstituierte nicht das Konstituierende selbst sein. Manifest wird der Widerspruch darin, dass dieselbe Gegenwart, in der Sein und Nichts angeblich eins sind, ohne Vergangenheit und Zukunft doch nur „ein Nichts“ ist (1 B 1). Sartre findet ganz in Ordnung, wenn man dies so ausdrückt, „dass die Gegenwart nicht ist“ (1 B 6). Der Widerspruch mag auch verantwortlich sein für eine gewis-se Zweideutigkeit der Bestimmung ihres Verhältnisgewis-ses zur Anwegewis-senheit bei der Welt. Obwohl Anwesenheit nur die „erste“, das heisst doch wohl:

Auch die Einschränkung der Gegenwart auf eine solche Bewegung steht im Widerspruch zur Generalthese. Kann doch das Konstituierte nicht das Konstituierende selbst sein. Manifest wird der Widerspruch darin, dass dieselbe Gegenwart, in der Sein und Nichts angeblich eins sind, ohne Vergangenheit und Zukunft doch nur „ein Nichts“ ist (1 B 1). Sartre findet ganz in Ordnung, wenn man dies so ausdrückt, „dass die Gegenwart nicht ist“ (1 B 6). Der Widerspruch mag auch verantwortlich sein für eine gewis-se Zweideutigkeit der Bestimmung ihres Verhältnisgewis-ses zur Anwegewis-senheit bei der Welt. Obwohl Anwesenheit nur die „erste“, das heisst doch wohl: