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Das „Erblicktwerden“ als ursprüngliche Anerkennung

1 Zur Kritik des Erkenntnisparadigmas

2 Das „Erblicktwerden“ als ursprüngliche Anerkennung

Im Dienste einer solchen Erweiterung muss sich an den Bewusstseins­

gehalten, die uns in der Erstellung der reflexiven Selbstvergewisserung gegeben sind, ein Moment identifizieren lassen, in dem uns die Existenz eines anderen Menschen deswegen gewiss ist, weil er uns in unserem Lebensvollzug tiefgreifend berührt oder verstört. Nun hatte uns Sartre ja schon zu Beginn des Dritten Teils seines Buches (SN 405 ff.; EN 275 ff.) einen Schlüssel an die Hand gegeben, der eine Antwort auf die Frage enthielt, wie er sich den exemplarischen Fall eines solchen Bewusstseinsge­

haltes vorzustellen versucht. Es kann daher nicht eigentlich überraschen, dass sich die endgültige Lösung Sartres als das Resultat einer Generalisie­

rung der zuvor schon in der „Scham“ umrissenen Bewusstseinsstruktur verstehen lässt. Unter dem berühmt gewordenen Titel „Der Blick“ präsen­

tiert Sartre in dem Abschnitt, der der Auseinandersetzung mit den drei philosophischen Ansätzen unmittelbar folgt, die allgemeine Form eines psychischen Zustands, der in den entscheidenden Hinsichten alle Eigen­

schaften mit dem „Sich­Schämen“ teilt. Die Handlungssequenz, die im Mittelpunkt des Abschnitts über den „Blick“ steht (SN 467 ff.; EN 316 ff.), bedarf kaum der ausführlichen Darstellung, weil sie in der philosophischen Literatur inzwischen zum festen Repertoire exemplarischer Szenarien ge­

hört: Ein Mensch fühlt sich durch die Geräusche, die er hinter einer verschlossenen Tür vernehmen kann, in seiner „Eifersucht“, „Neugier“

oder „Verdorbenheit“ (SN 467; EN 317) so weit erregt, dass er durch das Schlüsselloch hindurch die verborgene Szene zu inspizieren versucht; mit den Schritten, die er hinter sich auf dem Flur hört, ändert sich schlagartig die Richtung seiner Aufmerksamkeit, und er erlebt sich als durch einen anonymen Anderen beobachtet. Ich werde diese Situation entlang der Bestimmungen, die Sartre in seinem Text selber eher verstreut gibt, in vier Schritten rekonstruieren, um so zu einer Zusammenfassung dessen zu

gelangen, was hier über die Struktur der intersubjektiven Gewissheit ausgesagt wird:

a) Den Ausgangspunkt der Szenerie stellt eine Situation dar, in der sich das Ich in einem Bewusstseinszustand befindet, den Sartre als „nicht-thetisch“ (SN 467; EN 317) bezeichnet: Das betreffende Subjekt, also die Person, die sich von den vernehmbaren Vorgängen hinter der Tür neugie-rig gemacht findet, handelt, ohne den eigenen Absichten bewusste Auf-merksamkeit zu schenken. Alles, was dieses Subjekt unternimmt, um durch das Schlüsselloch spähen zu können, vollzieht sich dementsprechend in Form einer geradezu reflexartigen Bewältigung von Hindernissen, die der Durchführung des Handlungsziels im Wege stehen: Die „Tür, das Schlüs-selloch sind zugleich Instrumente und Hindernisse: sie stellen sich als ‚mit Vorsicht zu handhaben‘ dar; das Schlüsselloch bietet sich dar als ,aus der Nähe und ein wenig von der Seite zu sehen‘ usw.“ (SN 468; EN 317). Nicht weit ist Sartre daher hier von jenem pragmatistischen Grundgedanken entfernt, demzufolge wir im Normalvollzug unseres Lebens alle Aufmerk-samkeit zunächst ganz routinisiert auf diejenigen Phänomene unserer Um-welt gerichtet haben, die uns im Lichte der jeweiligen Handlungsziele entweder hilfreich entgegenkommen oder störend im Wege stehen (vgl.

Mead 1980, 137; zum Vergleich von Sartre und Mead: Aboulafia 1986).

b) Auch die zweite Sequenz in der beschriebenen Handlungssituation schildert Sartre zunächst noch in einem theoretischen Rahmen, der mit dem Ansatz des amerikanischen Pragmatismus zumindest die Ausgangs-prämissen teilt. Im Text reicht nur ein einziger Satz, um die schlagartige Verschiebung im Aufmerksamkeitsfeld des Aktors anzuzeigen, die mit dem Vernehmen des störenden Geräusches einhergeht: „Jetzt habe ich Schritte im Flur gehört: man sieht mich“ (SN 469; EN 318). Das Vernehmen der Schritte auf dem Flur, so sagt Sartre, stellt für das Subjekt eine Störung seines präreflexiven Handelns dar, die zu einer abrupten Verlagerung der Aufmerksamkeit zwingt: Statt wie bislang nur auf die Objektwelt der hand-habbaren Umgebung konzentriert zu sein, wendet sich der Aktor im Mo-ment der Unterbrechung spontan auf das eigene „Ich“ (ebd.) zurück, das damit wie mit einem Schlag in den Horizont seines Bewusstseins „ein-bricht“. Allerdings korrigiert Sartre diese vorläufige Ausdrucksweise so-fort, indem er klarstellt, dass es sich bei dem Objekt einer solchen plötz-lichen Vergegenwärtigung nicht um das „Ich“ in seiner Unmittelbarkeit, sondern nur um das „Ich“ in seiner Rolle als „Objekt für Andere“ (SN 470;

EN 319) handeln kann: Das, was das Subjekt in einer derartigen Situation von sich selber zu erfassen vermag, ist ein Mich, auf das der imaginierte Blick jenes hörbaren Anderen ruht. Wie vor ihm bereits Mead, so scheint

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daher auch Sartre sagen zu wollen, dass das Subjekt zu einem Bewusstsein seiner selbst nur gelangen kann, indem es sich in die Perspektive einer anderen Person versetzt, um sich von dort aus als Objekt zu vergegenwärti-gen. Aber schon der nächste Schritt in der Darlegung Sartres lässt klar hervortreten, dass die Übereinstimmungen weitaus geringer sind, als im ersten Anlauf zu vermuten ist; denn jener stattet nun den Akt der Perspek-tivübernahme mit existentiellen Folgewirkungen aus, die weit über das hinausgehen, was Mead auf der Basis seiner eigenen Prämissen hätte zu-lassen können.

c) Die Erfahrung des Erblicktwerdens, die sich dem Subjekt mit dem Gewahrwerden der Fussschritte aufdrängt, stellt für Sartre mehr als eine blosse Bewusstseinsveränderung dar; vielmehr vollzieht sich für ihn am Subjekt in diesem einen Moment ein ganzer Einstellungswandel, der des-sen Selbstbild zwangsläufig in eine Krise stürzen muss. Sartre leitet seine Darstellung der entsprechenden Vorgänge mit einem Satz ein, in dem sich der Begriff der „Anerkennung“ interessanterweise nicht auf die Beziehung zum Anderen, sondern auf die Selbstbeziehung angewendet findet: Sobald das Subjekt „erleb[t]“ und nicht nur „erkenn[t]“ (SN 471; EN 319), dass es von einem Anderen erblickt wird, vollzieht es damit die „ Anerkennung dessen, dass [es] wirklich dieses Objekt [ist], das der Andere erblickt und beurteilt“ (ebd.). Worauf sich eine derartige Anerkennung vonseiten des betroffenen Subjekts nun richtet, macht Sartre an dem zweiten Begriff klar, der in seiner Formulierung von Bedeutung ist: Im Moment des Erblickt-werdens vergegenwärtigt und erkennt das Subjekt an, dass es tatsächlich als ein Objekt für ein anderes Subjekt existiert. Hier soll unter „Objekt“ weit-aus mehr verstanden werden, als Mead im Begriff des „Mich“ vor Augen hatte, weil eine Schicht der existentiellen Erfahrung mitgemeint ist, die das ganze Selbstverständnis der Person berührt.

Den Schlüssel für ein Verständnis dessen, was Sartre im Folgenden unter einem „Objekt“ versteht, liefert natürlich die Kategorie des „An-sich-seins“, die im Buch den ontologischen Gegenbegriff zum „Für-sich-sein“ mensch-licher Subjekte darstellt. Schon im Begriff der „Exterioritätsbeziehung“

war angeklungen, wie Sartre die Existenzweise blosser Gegenstände zu beschreiben versucht: Bei ihnen handelt es sich um eine besondere Klasse von Seinsphänomenen, weil sie im Unterschied zur „Transzendenz“ des Bewusstseins nicht die Fähigkeit zur permanenten Negation ihres jeweili-gen Zustandes besitzen, sondern „opak“, „massiv“ und ohne jede Spur von innerer Differenz sind (SN 37 ff.; EN 30). Wenn ein Subjekt daher „aner-kennt“, dass es in den Augen des Anderen ein blosses „Objekt“ ist, so heisst das für Sartre nicht weniger, als dass es existentiell nachvollzieht, nun einer

anderen Kategorie von Sein anzugehören: Es fühlt sich nicht bloss „wie“

ein Gegenstand betrachtet oder behandelt, sondern es „ist“ jetzt gewisser-massen ein purer Gegenstand, dem jede Fähigkeit zur Transzendenz des eigenen Zustands abgeht. Insofern ist es nur konsequent, wenn Sartre die Situation des Erblicktwerdens als einen Vorgang der „Verdinglichung“ be-schreibt, innerhalb dessen aus einem „Für-sich-sein“ ein bloss noch opak existierendes Stück Natur wird: „Für den anderen sitze ich, wie dieses Tintenfass auf dem Tisch steht; für den anderen bin ich über dem Schlüssel-loch gebeugt, wie dieser Baum vom Wind gebeugt ist. So habe ich für den anderen meine Transzendenz abgelegt. […] ich habe ein Aussen, ich bin eine Natur; mein Sündenfall ist die Existenz des Anderen; und die Scham ist – wie der Stolz – die Wahrnehmung meiner selbst als Natur, wenn auch eben diese Natur mir entgeht und als solche unerkennbar ist“ (SN 473 f.;

EN 320 f.). Nun ist freilich der Akt der „Anerkennung“, den das Subjekt im Moment seines Erblicktwerden vollzieht, mit diesem ersten Schritt noch nicht abgeschlossen. Sartre behauptet vielmehr, dass neben dem existenti-ellen Eingeständnis der eigenen Vergegenständlichung gleichzeitig noch eine zweite Form der Anerkennung vollbracht wird, die auf die Person des Blickenden gerichtet ist; ja, es ist hier sogar irreführend, von zwei Schritten oder „Formen“ einer Anerkennung zu sprechen, weil es sich eher um die beiden Seiten ein- und desselben Einstellungswandels zu handeln scheint.

Damit ist der Kern dessen berührt, was Sartre als den Ansatz seiner eige-nen Lösung des Problems der „Fremdexistenz“ präsentiert.

d) Nachdem Sartre dargelegt hat, welche Art von Anerkennung das er-blickte Subjekt in Hinblick auf sich selber vollzieht, wendet er sich im vierten Schritt seiner Analyse der entgegengesetzten Richtung der Aner-kennung zu, also jener, die vom Subjekt auf den Anderen, den Blickenden, zielt. Mit einem einzigen, kompakten Satz wird deutlich gemacht, dass dieser Perspektivenwechsel zu genau der Form von existentieller Gewiss-heit führt, nach der im Text von Anfang an gesucht worden war: „Und in der Erfahrung des Blicks, in dem ich mich als nicht-enthüllende Objektivi-tät erfahre, erfahre ich direkt und mit meinem Sein die unerfassbare Sub-jektivität des Anderen“ (SN 487; EN 329). Wiederum ist es hier die Kom-bination von einigen zentralen, bewusst gewählten Ausdrücken, die die besondere Stossrichtung der Argumentation von Sartre verständlich macht.

Zunächst springt ins Auge, dass in dem Satz von der „Erfahrung“ – und nicht von der „Erkenntnis“ – der Subjektivität des Anderen die Rede ist; in der Kombination mit dem Zusatz „in meinem Sein“ läuft diese Formulie-rung dann erneut auf die These hinaus, dass wir von der „Anerkennung“

eines Sachverhaltes nur dort sprechen können, wo es sich um ein

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tielles Erlebnis, um die Änderung eines Selbstverständnisses handelt. In-sofern möchte Sartre sagen, dass wir im Moment des Erblicktwerdens den Anderen deswegen anerkennen, weil wir uns spontan und direkt von ihm persönlich affiziert wissen: Ich muss mir seine Existenz nicht zu einer Frage der Erkennbarkeit machen, weil ich mir im Gegenteil aufgrund meiner persönlichen Betroffenheit schlagartig gewiss bin, dass er als ein anderes menschliches Subjekt existiert. Klarer als in allen Bestimmungen, die wir bislang kennengelernt haben, wird an diesem Gedankengang mit-hin deutlich, was Sartre unter einer „Interiorititätsbeziehung“ versteht:

Aus der Perspektive des Cogito handelt es sich um intersubjektive Be-gegnungen, die uns zwingen, uns selbst gegenüber eine Beurteilung vor-zunehmen, kraft derer wir unser Selbstverständnis ändern müssen; und das, was uns am deutlichsten die Tatsache einer derartigen Beziehung signalisiert, ist das plötzliche Aufbrechen von Gefühlen, die einen „self-reactive character“ (Strawson 1968) besitzen.

Aber ebenso bedeutsam, wie in dem zitierten Satz der Ausdruck des

„Erfahrens“ ist, scheint in demselben Zusammenhang auch der Begriff zu sein, mit dem Sartre bezeichnet, als was wir den Anderen anerkennen. In direkter Entgegensetzung zu dem Seinszustand, in dem sich das Subjekt in der geschilderten Situation vorfindet, wird von diesem Anderen behauptet, dass er in seiner „unerfassbaren Subjektivität“ erlebt und damit anerkannt wird. Das, was vom Gegenüber affirmativ erfahren wird und daher als gewiss gelten kann, ist gerade nicht seine Objekthaftigkeit, sondern die Freiheit seines „Für-sich-seins“. Das zentrale Argument, das Sartre für diese These liefert, ergibt sich letztlich aus einer Verallgemeinerung der intersubjektiven Struktur, die der Situation des Erblicktwerdens zugrunde-liegt: Um mich als ein Objekt wahrnehmen zu können, das sich selbst gegenüber in bestimmten Gefühlen eine beurteilende Haltung einnimmt, muss ich zwangsläufig die Perspektive eines anderen Subjekts voraussetzen, das die Freiheit besitzt, mich zum Objekt seiner Beurteilung zu machen.

Insofern kann Sartre sagen, dass die Erfahrung des eigenen Objektseins mit der Anerkennung der Subjektivität des Anderen Hand in Hand geht (SN 494; EN 334).

Von diesem Punkt aus bedarf es für Sartre nur noch eines einzigen, letzten Schrittes, um zu der Lösung zu gelangen, mit der der Skeptizismus des Solipsisten endgültig widerlegt werden soll. Bislang muss es in der Explikation der Beispielsszene ja so scheinen, als könne der Einzelne nur dann in seiner subjektiven Perspektive zu intersubjektiver Gewissheit ge-langen, wenn er von einer zweiten, real vorhandenen Person den empiri-schen Anstoss zu einer Selbstobjektvierung erhält: Ohne die Anwesenheit

eines solchen konkreten Anderen, wie er in der geschilderten Situation durch das Vernehmen der Schritte repräsentiert wird, wäre das Subjekt gar nicht dazu in der Lage, sich in der Weise als ein Objekt zu erfahren, dass komplementär dazu die Freiheit eines anderen Subjekts vorausgesetzt wer-den müsste. Durch diese enge Bindung an die reale Präsenz einer zweiten Person entsteht für Sartre aber die Gefahr, dass aus der „faktischen Not-wendigkeit“ des Anderen am Ende doch wieder nur ein kontingenter Um-stand wird – wir wären uns der Existenz anderer Personen gleichsam im-mer nur dann gewiss, wenn wir durch einen tatsächlich vorhandenen Men-schen den Anstoss erhielten, uns als das Objekt einer externen Beurteilung zu erleben. Um dem Risiko einer solchen Wendung ins bloss Zufällige zu entgehen, bemüht Sartre sich in seinem letzten Schritt, der Situation des Erblicktwerdens einen quasi-transzendentalen Charakter zu geben; dabei setzt er zunächst wieder an der zuvor behandelten Beispielsszene an, um dann aber zu einer Aussage über die allgemeine Struktur der intersubjekti-ven Gewissheit zu gelangen.

Das Problem, mit dem er es hier zu tun hat, legt sich Sartre zunächst durch eine rhetorisch gemeinte Frage zurecht: Was würde sich an der Situation, in der ich mich vor dem Schlüsselloch plötzlich durch einen anderen Menschen beobachtet fühle, substanziell ändern, wenn ich am Ende einer Täuschung erliegen würde und eine zweite Person gar nicht anwesend gewesen wäre? Die Weise, in der Sartre diese Frage stellt, soll deutlich machen, dass wir es hier mit zwei sehr unterschiedlichen Formen des Wissens zu tun haben: Das Gefühl, erblickt zu werden, gehört einer ganz anderen Klasse von Bewusstseinsphänomenen an als die Vermutung, dass die gehörten Schritte auf eine reale Person verweisen. Während jene erste Klasse all das umfasst, was wir mit Gewissheit über unsere eigenen Zustände und Befindlichkeiten wissen können, zählen zur zweiten Klasse all die Meinungen und Kenntnisse, die wir mit blosser Wahrscheinlichkeit über Vorgänge in der Aussenwelt besitzen (zur Irrtumsimmunität der ersten Person vgl. Spitzley 2000, Kap. 8). Diese Unterscheidung ist, wie leicht zu sehen ist, mit derjenigen identisch, die Sartre zwischen der „Empfindung“

oder „Erfahrung“ auf der einen Seite, der „Erkenntnis“ auf der anderen Seite macht; und das „Anerkennen“, so war ebenfalls schon deutlich ge-worden, scheint eine Art von Eingeständnis, von Zur-Kenntnisnahme zu sein, die mit der Selbstgewissheit innerer Zustände vollzogen wird. Der radikale Schritt, den Sartre nun unternimmt, besteht in dem Vorschlag, das Erblicktwerden als eine Empfindung zu betrachten, die insofern gegen-über Täuschungen immun ist, als sie von der tatsächlichen Anwesenheit anderer Personen unabhängig ist: Es gehört zur Struktur unserer

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tiven Selbstbeziehung, uns von Anderen selbst dann beobachtet zu fühlen, wenn diese gar nicht anwesend sind. Daher ist das Erblicktwerden nicht ein raumzeitliches Ereignis, sondern eine konstitutive Bedingung meiner Beziehung auf mich selbst: „Kurz, in Bezug auf jeden lebenden Menschen ist jede menschliche Realität auf dem Hintergrund ursprünglicher An­

wesenheit anwesend oder abwesend. Und diese ursprüngliche Anwesenheit kann nur als Erblickt­sein oder Erblickend­sein Sinn haben, dass heisst je nachdem, ob der andere für mich Objekt ist oder ich selbst Objekt­für­

den­Anderen bin. Das Für­Andere­sein ist ein ständiges Faktum meiner menschlichen Realität, und ich erfasse es mit seiner faktischen Notwendig­

keit im kleinsten Gedanken, den ich mir über mich mache“ (SN 501 f.;

EN 339 f.). Das, was in diesem Zitat die „ursprüngliche Anwesenheit“ von Anderen genannt wird, bezeichnet Sartre einige Seiten später als den In­

begriff dessen, was sinnvollerweise unter dem Heidegger’schen Begriff des

„Man“ zu verstehen sei. In einer äusserst geglückten Wendung heisst es, dass damit gerade nicht wie bei Heidegger ein inauthentischer Zustand des menschlichen Daseins gemeint sein soll, sondern die Tatsache, dass wir uns auf uns selbst stets nur aus der Perspektive eines Kreises anonymer Anderer beziehen: „Für die pränumerische und konkrete Realität ist die Bezeichnung ,man‘ angebrachter als für einen Unauthentizitätszustand der menschlichen Realität. Fortwährend, wo ich auch sein mag, erblickt man mich. Man wird nie als Objekt erfasst, es löst sich augenblicklich auf“

(SN 505; EN 342).