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1 Die Erkenntnis als Beziehungstypus zwischen dem Für-sich und dem An-sich

Er poniert zu Beginn die These, das wahre Erkenntnis eine intuitive sei und dass dasjenige, was viele für Erkenntnis halten wie z. B. den Diskurs und die Deduktion nur als Instrumente zur Erreichung dieser wahren Erkenntnis dienen. Und mit Husserl und anderen definiert er die Intuition als „Anwesenheit bei“ (SN 325; EN 221), aber im Gegensatz zu diesen betrachtet er diese Anwesenheit nicht als ein Anwesenheit der Sache beim Bewusstsein, sondern des Bewusstseins bei der Sache. Grund für diese Umkeh-rung ist, dass das Anwesend-sein nur ein extatischer Seinsmodus des Be-wusstseins ist und nicht des An-sich. Was hier „Anwesenheit-bei“ genannt wird ist eigentlich gleichbedeutend mit Intentionalität. Eben weil das Bewusstsein nur als Bewusstsein von existieren kann, ist es immer thetisches Bewusstsein von An-sich. Und weil das Bewusstsein immer auch ein nicht-thetisches Bewusstsein (von) sich selbst ist und sonst ein nicht-bewusstes Bewusstsein wäre, was eine Absurdität wäre, sind Für-sich und An-sich grundsätzlich miteinander verbunden. In diesem Zusammenhang weist Sartre auf den phantomhaften Charakter des Für-sich hin, da es eine Dyade von Spiegelung und Spiegelndes ist und als solche eine Zusammen-setzung von zwei Nichtsen. Da aber diese beiden Glieder sich, insofern das Spiegelnde die Spiegelung und die Spiegelung sich im Spiegelnden spie-gelt, vernichten, indem sie ihre beiden Nichtse aneinander stützen, muss das Spiegelnde etwas („irgendeine Sache“, SN 325; EN 221) spiegeln.

Wenn das Spiegelnde etwas spiegelt und wenn das Spiegelnde die Spie-gelung spiegelt kann die SpieSpie-gelung nicht dieses etwas sein, weil in dem Falle die Spiegelung selbst ein opakes An-sich wäre. Das Spiegelnde spie-gelt also sich selbst als Spiegelung und, insofern es Bewusstsein von ist, irgendein An-sich. Anders ausgedrückt:

thetisches Bewusstsein = Spiegelndes Spiegelung = nicht-thetisches Bewusstsein

(von) von etwas sich selbst

Sache/Objekt

119 7 Die Transzendenz

Die Relation von Für-sich und An-sich existiert als eine Negation des An-sich durch das Für-sich. Das Für-sich setzt das visierte An-sich als dieses nicht seiend. Die Anwesenheit des Für-sich bei dem An-sich ist gerade diese Negation. Diese Negation darf also nicht als ein Urteil aufge-fasst werden, in der zwei Sachen miteinander verglichen werden wie: A ist nicht B. Nein, diese Negation ist eine „ursprüngliche Negation“, die das Für-sich ist. Wenn das Für-sich Spiegelung und Gespiegeltes ist, gilt: „Das Gespiegelte lässt sich draussen bei einem gewissen Sein als dieses Sein nicht seiend qualifizieren; dass ist genau das, was man Bewusstsein von etwas sein nennt“ (SN 328; EN 223).

Aber was ist nun ganz genau das, was Sartre die „ursprüngliche Nega-tion“ nennt? Um das ganz präzise zu formulieren macht er einen Unter-schied zwischen der externen und der internen Negation (SN 328–9;

EN 223). Unter einer externen Negation versteht er die Verneinung, das eine Sache A eine andere Sache B wäre, z. B. „Die Tasse ist nicht das Tintenfass“ (SN 328; EN 223). Eine interne Negation wäre: „Ich bin nicht reich“ oder „Ich bin nicht schön“. Im Gegensatz zu der externen Negation beeinflusst die Interne die innere Struktur desjenigen, dem die Qualität

„reich“ oder „schön“ abgesprochen wird. Jede Negation wird durch ein Für-sich realisiert, auch die externe wie z. B. A ist nicht B. Die interne Negation aber wird nicht nur durch ein Für-sich realisiert, das Für-sich wird dadurch in Innern berührt, weil es selbst diese, interne Negation ist.

Das Bewusstsein erschafft zwar nicht das An-sich, aber es ermöglicht das An-sich als Phänomen. Also keine Anwesenheit ohne die Negation. Diese Negation nun wird als ,unmittelbare Negation‘ charakterisiert. Diese wird buchstäblich durch Nichts vermittelt und dass dieses vermittelnde Nichts deshalb weder zu etwas gemacht werden, noch zu einem substantialisierten Nichts zurückgebracht werden dürfe. Deshalb weist er denn auch sowohl die Kontinuität wie die Diskontinuität als der Beziehung zwischen An-sich und Für-sich adäquate Beschreibungen zurück. Wenn Bewusstsein und An-sich grundsätzlich durch nichts getrennt werden und wenn dieses Nichts nicht substantialisch interpretiert werden darf, kann dieses „Nichts“

nichts anderes andeuten als was Sartre in Das Sein und das Nichts, „Néant“

das heisst „Pour-soi“ (Für-sich), nennt.

Diese unmittelbare Negation nennt Sartre auch „reine verneinte Iden-tität“ (SN 334; EN 227). Was wir unter dieser Phrase zu verstehen haben illustriert er an dem folgenden Vergleich: „Wenn zwei Kurven einander berühren, so stellen sie einen Typus von Anwesenheit ohne Vermittler dar“

(SN 334; EN 227, Hervorhebung von L. F.). Diese Berührung als „Anwe-senheit ohne Vermittler“ wird, wenn die zwei Kurven bedeckt werden,

durch ein gerade Linie dargestellt und ist – ontologisch betrachtet – buch-stäblich nichts. Nicht desto weniger stellt sich – wenn die beiden Kurven wieder sichtbar gemacht werden – heraus, dass sie nicht identisch sind.

Aber diese Nicht-Identität existiert als eine reine Negativität, denn man kann die beiden Kurven nur dadurch wahrnehmen, dass man beim Ziehen der Kurven je eine Negation als konstruierenden Akt vollzieht. Also, die

„reine verneinte Identität“, von der vorhin gesprochen wurde, ist eine „reine“, weil sie nichts anderes als Identität ist, sie ist eine „verneinte“, weil sie existiert als eine Negation. Sie ist eine „reine Negativität“ (SN 334;

EN 227) als Gegenstück einer konstituierenden Synthese. Gewöhnlich – sagt Sartre – bezieht sich eine Negation auf etwas, wie z. B.: „Das Tinten-fass ist nicht der Tisch“, in dem Falle aber der Negation als Erkenntnis gibt es nichts, was als Stütze der Negation dienen könnte. Es gibt nur das Sein und es ist die Erkenntnis als Negation, die es ermöglicht, dass es Sein gibt:

„Durch es [= das Erkenntnisphänomen] wird das Sein nicht bereichert, denn die Erkenntnis ist reine Negativität. Sie macht nur, dass es Sein gibt“

(SN 335; EN 228). „Aber dieses Faktum, ‚dass es Sein gibt‘, ist nicht interne Bestimmung des Seins – das das ist, was es ist –, sondern der Negativität“.

In diesem Sinn ist jede Enthüllung eines positiven Charakters des Seins das Gegenstück einer ontologischen Bestimmung des Für-sich in seinem Sein als reine Negativität (SN 335; EN 228, Hervorhebung von L. F.). Man sieht, wie Sartre auch hier wieder betont, dass es nur nicht thetisches Bewusstsein (von) sich (= reine Negativität) gibt, insofern es thetisches Bewusstsein von einem Objekt gibt. Oder: Kein Für-sich ohne An-sich. Insofern ist von einer Nicht-Identität und von einer „reinen verneinten Identität“ die Rede.

Der erste Paragraph gipfelt denn auch in einer Definition von „Trans-zendenz“: „Diese interne realisierende Negation, die das An-sich enthüllt, indem sie das Für-sich in seinem Sein bestimmt, nennen wir Transzendenz“

(SN 336; EN 228, vgl. auch unsere einleitenden Bemerkungen über „die Transzendenz als Aktivität des Für-sich“).

2 Über die Bestimmung als Negation

Ein Zitat könnte man als den Schlüssel zum Verständnis des ganzen zwei-ten Paragraphen sowie als Bestätigung der Richtigkeit der im Vorher-gehenden von uns verteidigten These über den Unterschied zwischen der empirischen Negation und der diese ermöglichen ontologischen Bedin-gung auffassen. „Die Negativität als ursprüngliche Transzendenz bestimmt sich nicht von einem Dieses her, sondern sie macht, dass ein Dieses existiert.

121 7 Die Transzendenz

Die ursprüngliche Anwesenheit des Für-sich ist Anwesenheit beim Sein“

(SN 337; EN 229, Hervorhebung von L. F.)

Also: „Die ursprüngliche Anwesenheit des Für-sich ist Anwesenheit beim Sein“. Aber „Bei welchem Sein ist das Für-sich Anwesenheit?“ fragt Sartre.

Weder bei einem „Dieses“ noch bei einem „Ganzes“. Denn, dass es ein Dieses und ein Ganzes gibt, wird erst ermöglicht durch das Für-sich als Anwesenheit beim Sein tout court. Diese ursprüngliche Anwesenheit oder diese „ursprüngliche Transzendenz“ ist die ontologische Bedingung dafür, dass es ein Dieses oder Jenes beziehungsweise ein Ganzes gibt. Deshalb macht Sartre auch im zweiten Paragraphen einen Unterschied zwischen dem, was er „die Negativität als ursprüngliche ,Transzendenz‘ und einer Negativität, die er ,sekundär‘“ (SN 337; EN 229) nennt. Also: Es gibt kein Dieses oder Jenes ohne Ganzheit und keine Ganzheit, die sich nicht in einem „Dieses“ oder „Jenes“ äussert. Aber „Bleibt zu erklären, wie das Auftauchen des Für-sich zum Sein bewirken kann, dass es ein Ganzes und Dieses gibt“ (SN 338; EN 229). Ersteres erklärt Sartre dadurch, dass das Für-sich Anwesenheit beim Sein als Totalität sein kann, weil es selbst ist, was es nicht ist, und nicht dass ist, was es ist. Oder anders gesagt, weil es eine „detotalisierte Totalität„ ist (SN 338; EN 229–30, Hervorhebung von L. F.). Das Für-sich macht sich selbst alles das sein, was das Sein nicht ist, wie das An-sich ihm „gegenüber“ alles das ist, was das Für-sich nicht ist.

Diese ursprüngliche Negation ist eine radikale Negation, die die konkrete Negation, welche im ersten Paragraphen besprochen wurde, erst ermög-licht. Diese radikale Negation ist also die menschliche Wirklichkeit als Nichts, welches ausserhalb der Totalität des Seins als Ganzes gelassen wird.

Aber wie bewirkt das Für-sich, dass es ein Dieses gibt? Er sagt: „Sie (= die menschliche Realität) ist nur insofern Totalität, als sie durch alle ihre son-stigen Negationen der konkreten Negation entgeht, die sie gegenwärtig ist: Ihr Sein kann seine eigene Totalität nur in dem Masse sein, wie es Überschreiten der partiellen Struktur, die es ist, auf das Ganze hin ist, das es zu sein hat. Sonst wäre es einfach das, was es ist, und könnte keineswegs als Totalität oder als Nicht-Totalität betrachtet werden“ (SN 340; EN 231).

Also: Wie es kein Ganzes gibt ohne Dieses, so gibt es kein Dieses ohne ein Ganzes. Oder in anderen Worten: Das Urteil (A): „Ein Dieses impliziert ein Ganzes“ impliziert das Urteil (B): „Ein Ganzes impliziert ein oder mehrere ‚Diese‘ und umgekehrt“. Oder A<====>B.

Die Erscheinung eines Dieses ist korrelativ zu meiner eigenen konkreten Negation auf dem Hintergrund einer radikalen Negation, die ich auch bin.

Also: Kein Dieses ohne mich selbst als konkrete Negation auf dem Hintgrund der radikalen Negation, die ich auch bin. Oder: Dieser Tisch

er-scheint nur, insofern ich dieser Tisch nicht bin. Aber dieses mein „Nicht-der-Tisch-Sein“ erscheint nur, weil ich auch – ontologisch betrachtet – eine radikale Negation des An-sich schlechthin bin. Also auch hier sieht man wieder, wie für Sartre die radikale Negation die ontologische Vor-bedingung meiner konkreten Negation ist, dieser Tisch nicht zu sein, wel-ches wieder korrelativ zur Erscheinung dieses Tiswel-ches ist.

Das Wort „Negation“ kommt im Vorhergehenden in mehreren Be-deutungen vor: Ich bin z. B. nicht der Tisch (konkrete Negation), aber ich bin auch „radikale Negation“. Wie verhalten sich diese beiden Negationen zueinander? Wie ein Dieses oder eine Gestalt auf dem Hintergrund eines Ganzen erscheint und bei der Erscheinung eines anderen Dieses oder einer anderen Gestalt wieder in diesen Hintergrund zurücksinkt, so erscheint die konkrete Negation auf dem Hintergrund der radikalen Negation. Als kon-krete Negation bin ich momentweise Verneinung der radikalen Negation, die ich auch bin.

Das Erscheinen eines Dieses setzt eine Negation der Negation voraus.

Aber um welche Negation handelt es sich hier eigentlich und was ergibt diese Konstruktion der Negation durch die Negation? Erstere Negation ist die konkrete, letztere die radikale. Wenn die konkrete die radikale verneint, ergibt das – so meint Sartre – ein Positives und zwar ein Dieses. Dieser Verneinungsprozess fügt dem Dieses ontologisch nichts hinzu und nimmt ihm nichts weg: „Wohlgemerkt, diese Negation ist – von seiten des Dieses gesehen – ganz ideal“ (SN 342; EN 232, Hervorhebung von L. F.). Das Dieses wir dadurch nicht im geringsten berührt. Es ist, was es ist, auch wenn es durch diesen Verneinungsprozess konstituiert wird. Weil diese Vernei-nung das Dieses nicht berührt, ist diese Negation auch keine interne, sondern eine externe, die nur von einem Sein vollzogen werden kann, das selbst eine interne Negation, also ein Für-sich ist. Die externe Negation ist korrelativ zur internen, und das erklärt – so meint Sartre – den zweideutigen Charakter der Welt, die einerseits eine Totalität ist, die als An-sich schlechthin vom Für-sich verneint wird, andererseits aber ein Ensemble von verschiedenen Dieses ist, die sich zeigen, sobald die Welt sich wie eine „Schachtel“ öffnet.