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Sartre schliesst die Einleitung zu seiner Ontologie mit Charakterisierun-gen des eine bestimmte Art von Sein fordernden Seinsphänomens, in dem sich ein bestimmter „Sinn“ von Sein erschliesst. In diesem Sinn enthüllt sich das hier thematische Sein als An-sich-sein. Die Vorüberlegungen Sartres zur Bestimmung des An-sich-seins sind merkwürdig. Ich gehe hier kurz auf sie ein, um den Sinn des Seins qua An-sich gegen andere Verstehensmöglichkeiten von Sinn von Sein abzuheben.

„Es gibt kein Sein, das nicht Sein einer Seinsweise wäre und das man nicht über die Seinsweise erfasste, die es gleichzeitig manifestiert und ver-hüllt. Dennoch kann das Bewusstsein das Existierende immer überschrei-ten, nicht auf sein Sein hin, aber auf den Sinn dieses Seins“ (SN 37–8;

EN 30). Den Überstieg des Existierenden auf den Sinn seines Seins hin bezeichnet Sartre im Anschluss an Heidegger als Überstieg des Onti-schen zum OntologiOnti-schen. Dieses manifestiert sich also in nicht-phänomenalisierter Weise als der Sinn des Seins, das dem Seinsphänomen zugrunde liegt (vgl. SN 38; EN 30). Wie steht der Sinn dieses Seins zum Sein, dessen Sinn es sein soll? Ist er das ontologische Explikat dessen, was

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vor ontologisch-ontisch im intentionalen Bewusstsein vorliegt? Es dürfte Schwierigkeiten bereiten, den Sinn von Sein qua An-sich-sein in der „On-tik“ des intentionalen Bewusstseins wiederzufinden, wenn man diesem mit Heidegger ein ontisch-existentielles Seinsverstehen zuschriebe. Könnte es nicht Sinn von Sein ganz anders entwerfend verstehen, als es der Sinn des Seins qua An-sich zulässt? Wird es dem „in der Welt seienden“ mensch-lichen, entwurfsangewiesenen Bewusstsein Sartres nicht ähnlich ergehen – trotz anders lautender ontologischer Behauptungen Sartres zur „Seinsein-heit“ von Für-sich und An-sich?

Sartre formuliert gegenläufig zur deutschen Phänomenologie: „Den-noch ist es das Merkmal des Seins eines Existierenden, sich dem Bewusst-sein nicht selbst, leibhaftig, zu enthüllen; man kann ein Existierendes nicht seines Seins berauben, das Sein ist die immer anwesende Grundlage des Existierenden“ (SN 37; EN 30). An leibhaftiger Selbstgegebenheit be

-misst sich für Husserl die Bedeutung von Sein. Für Heidegger ist existie-ren gleich mit Sein „verstehend“ in die Offenheit zu bringen, weil darin die Bedeutung von Sein liegt; weil sein Sinn darin liegt, aufzugehen als Sein des Seienden, das mit Welthaft-Naturhaftem (in einem bezeichnen-den Sprechen) ibezeichnen-dentifiziert werbezeichnen-den kann, ohne dass die Gefahr einer Phä-nomenalisierung bestände. Was steht dann im Wege, dass es zur Onto-Logik des Seins gehört als Seinsgrund das Seiende in seiner Seinsverfas-sung für das Erkennen aufzuschliessen? Es wird im folgenden immer deutlicher werden, wie es für Sartre zum Sinn des Seins gehört, dass dieses verhüllt ist, indem es als dem Bewusstsein trotz seiner „Implikation“ im Bewusstsein-von unzugänglich verschlossen ist. Muss das so sein, weil „Existierendes“ andernfalls seines Seins beraubt würde? Ein solcher Ge-danke ist Husserl und Heidegger fremd.

Es handelt sich zunächst darum, den Sinn des Seins des Phänomens zu fixieren. Der Sinn des Seins vom Seinstypus des Bewusstseins soll später aufgeklärt werden. Das Sein vom Seinstypus des Bewusstseins erhält den Titel Für-sich-sein. Dieses soll dem Sein des Seinstypus des transphäno-menalen Etwas qua An-sich-sein „entgegengesetzt“ sein, wie Sartre vor-läufig sagt, ohne das Problem der Kennzeichnung der beiden Seinstypen durch Entgegensetzung aufzuwerfen. Kann sich der Sinn dieses Seins als nicht-sinnhaft, als „sinnleer“ erweisen, weil Bewusstsein in ihm für sich keinen Sinn findet, weil dem An-sich-sein zuzustreben und sich mit ihm zu vereinen, seine Auslöschung besagen würde? Sind Menschen Wesen, die sich dagegen durch die Produktion von Sinn, welchen das Sein nicht hergibt, aufbäumen?

Sartre fasst den Sinn des Seins des Phänomens in drei Kennzeichnungen zusammen: 1. das Sein ist an sich; 2. das Sein ist, was es ist; 3. das Sein ist.

Er erläutert diese Kennzeichen in mannigfachen Wendungen. Diese sind grösstenteils von negativer Art. In ihnen werden Begriffe so traktiert, dass ihr Gebrauch dubios wird, weil sie ihre wesentlichen Merkmale verlieren.

In dieser Weise sind sie als Entgegensetzungen gegen das Sein des wusstseins konzipiert. Da sie oft ursprünglich zur Bestimmung des Be-wusstseins (qua Verstand) erdacht worden sind, ist es nicht verwunderlich, dass sie auf das An-sich-sein als Gegenkonstrukt zum Bewusstsein nicht passen.

Versuchsweise wird der Begriff der Affirmation auf das Sein angewandt.

In seiner Bedeutung liegt eine Differenz zum Affirmierten. Sein ist nicht selbst-affirmativ, und es entzieht sich jeder Affirmation, wenn es als es selber genommen wird. Versucht man in Bezug auf es das Begriffspaar Noesis-Noema anzuwenden, so zeigt sich: Die Art von Immanenzverhält-nis, die zwischen Noesis und Noema besteht, liegt in ihm nicht vor. Sein ist das, was in sich jene „minimale“ Differenz, die dem Immanent-sein eignet, sofern es einem Anderen immanent ist, nicht zulässt. Werden an das Sein Bestimmungen herangetragen, durch die es sich als differenziert erweist, so gehen diese auf Kosten des Bewusstseins, das phänomenalisierend das Sein nicht ergreifen kann.

Sartre greift an dieser Stelle des Textes zu einer Formulierung, die für den „Un-Begriff“ von Sein qua An-sich-sein aufschlussreich ist. „Alles geschieht so, als ob eine Seinsdekompression erforderlich wäre, um die Affirmation von sich aus dem Sein heraus zu befreien“ (SN 41–2; EN 32).

In Anbetracht der Eigenart des An-sich-seins kann so etwas nur im Irrea-lis des „wie wenn“ gesagt werden. Unter dieser Voraussetzung stehen manche der in diesem Abschnitt auftretenden Begriffe.

Es soll eine Seinsdekompression stattgefunden haben. Lässt sich das nicht nur im Nachhinein von demjenigen Sein aussagen, in dem die Seins-dekompression eingetreten ist? Ist es dadurch vom Sein ausgeschlossen: als Nicht-Sein; so, dass es am Sein keinen Halt und keinen Grund finden kann? Wäre das nicht ähnlich argumentativ-wertlos, ja mirakulös wie die von Sartre bekämpften theologischen Theoreme? Unmetaphorisch ge-sprochen sind die Sartreschen Überlegungen mit der folgenden Konse-quenz gleichbedeutend: „On“ (Sein) besagt, dass für Sagen, Denken, Er-kennen kein aufschliessender Zugang zum Sein selber besteht, durch den sich Negationen und damit Differenzen und Vielheit im Sein auftun könn-ten. Diese Selbstbegrenztheit eines intentionalen sprach- und denkfähi-gen Wesens soll ihm zwar einerseits durch das An-sich-sein widerfahren,

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aber da vom An-sich-sein in Bezug auf es gar nichts ausgeht, muss es sich diese Selbstbegrenztheit andererseits als seine ontologische Verfassung selber zusprechen, wodurch sich eine radikal dualistische Ontologie er-zeugt, deren einer Teil nicht onto-logisch aufgeschlossen werden kann, so dass der andere Teil von den Erleidnissen und Taten eines (vom „Sein“

und vom „Wesen“ her) unbestimmten Menschenwesens handelt, für die der Begriff ontologisch nicht mehr passt – weil es um Freiheit, Moral, Politik, Psychoanalyse geht.

Dieselben Schwierigkeiten und Aporien drängen sich angesichts der zwei anderen Eigenarten des An-sich auf.

Das Sein an-sich verweist nicht auf sich selber. Es wird einseitig vom Seinsphänomen, das dem Bewusstsein offensteht, auf es verwiesen. Im Ge-gensatz zu dem „Riss“ im Sein, durch den das Sein des Bewusstseins als reflexionsfähig und damit als nicht in sich identisch hervorgeht, ist es kom-pakt von sich erfüllt, und in sich mit sich identisch und eins. Sartre wählt für das Gemeinte die Kennzeichnung „das Sein ist, was es ist“. Das „was“

in dieser Kennzeichnung ist offensichtlich nicht im Sinne eines platoni-schen „Wasseins“ (Wesens) gemeint, das zur Ansetzung von sachhaltig Allgemeinem in Pluralität führt. Sein ist in sich durch Denken nicht auf-schliessbare Identität. Es ist Einssein, von dem alles Denken abprallt, und insofern steht es im Gegensatz zu den in der Reaktion gegen Parmenides einsetzenden abendländischen Konzeptionen der Geeintheit von Vielheit und Einheit im Sein (des Seienden).

Die Identität des Seins-an-sich ist einerseits nicht mit dem Identitäts-satz als Prinzip aller analytischen Urteile zusammenzubringen. Sie kenn-zeichnet ja eine Region des Seins. „Es handelt sich hier also um ein regio-nales und als solches synthetisches Prinzip“ (SN 42; EN 33). Ein regiona-les Prinzip des Seins ist begrenzt durch ein andersartiges: Das des ihm entgegengesetzten Seins, das sich an „Wesen“ exemplifiziert, die ihr Sein zu sein haben. Zwischen beiden sollte doch eigentlich synthetische Ge-eintheit bestehen. Aber davon ist hier noch nicht die Rede. Statt dessen strapaziert Sartre den Begriff der Synthese.

Als regionales synthetisches Prinzip besagt Identität Opazität und Mas-sivität des Seins. Diese schliessen wiederum jede differentielle, in Urtei-len artikulierbare Aufgliederung des Seins aus. Sie lassen es nicht zu, dass das Sein sich „ur-teilt“. Sie lassen die sog. Synthese so dicht werden, dass sie „Synthese von sich mit sich“ ist. „Daraus ergibt sich evidentermassen, dass das Sein in seinem Sein isoliert ist und dass es keinen Bezug zu dem unterhält, was nicht es ist“ (SN 43; EN 33). Sartres Versuch, den analyti-schen Identitätssatz und die Synthese auf das An-sich-sein zu beziehen, ist

mit den überlieferten Fassungen dieser beiden Begriffe unverträglich, da diese an der urteilsmässigen Aufschliessung des Seins orientiert sind.

Es versteht sich, dass das Sein dem Werden entzogen ist und dass Sein und Werden auch nicht aufeinander bezogen sind; denn allem Werden liegt, unalteriert, nicht nur Sein zugrunde; Werden ist selber im Sein. Die volle Positivität des Seins kann Zeitlichkeit nicht berühren, weil diese in den Zeitmodi Negativitäten und Differenzen mit sich bringt, die nicht in das Sein eindringen. Das ist ein Grund, das Sein des Etwas nicht mit der zeitlich strukturierten Welt in eins zu setzen. Das heisst aber auch: Im Sein können keine Tassen, Tische, Tintenfässer auftreten. Sind sie Exi-stierendes-Seinsphänomenales „ausserhalb des Seins“ (und des Seien-den)? Die Welt geht, wenn es so ist, allererst aus dem Zeitlichsein des Bewusstseins auf. In Heideggers Sprechweise wäre dann der Sinn von Sein an die Zeitlichkeit gebunden.

Lässt die Seinsart des Bewusstseins es zu, dass sich bei ihr das opake Sein des An-sich-seins einstellt? Würde dieser Fall nicht die Vernichtung des Für-sich-seins besagen, von der dieses, wenn es das Sein eines sterbli-chen Wesens wäre, im Gedanken an seinen Tod eine Vorahnung hätte.

Anders fällt die Sachlage aus, wenn das Für-sich-sein in Bezug auf jenes andere Sein sein Sein hat. Dann muss in der Tat zur Kennzeichnung seines Seins auch jenes An-sich-sein als sein Nicht-Sein herangezogen werden.

„Wir werden sehen, dass sich das Sein des Für-sich […] definieren lässt als das seiend, was es nicht ist, und als nicht das seiend, was es ist“ (SN 42;

EN 33). Von diesem „unganzen Ganzen“ lässt sich als vom Sein des Be-wusstseins sprechen, dem gemäss die Welt (alles, was existiert) ausfällt, ohne deswegen in ein alles „nicht“ umgreifendes „Sein“ hinein phäno-menalisiert zu sein.

In der letzten Kennzeichnung des Seins wird die Frage nach seiner Mo-dalität aufgeworfen. Das „Ist“ des Seins ist bezugslos gegenüber Möglich-keit und NotwendigMöglich-keit. Sein Sein darf also auch nicht mit einem Sein qua Wirklichsein (Existenz o. ä.) in Zusammenhang gebracht werden, das mit den beiden anderen Modalitäten durch relevante Unterschiede zusammen-hängt. Das ältere philosophische Ideal, auf ein einheitliches Prinzip des Seienden oder des Seins, das notwendiger Grund ist, zurückzugehen, ist zugunsten des „Fundes“ einer „absoluten“ Kontingenz verlassen. Das Sein an-sich weist die Idee der Begründbarkeit von sich ab. Und als solches tritt es dem Bewusstsein entgegen.

Möglich zu sein, Sein-Können, Vermöglichkeit gehören auf die Seite des Für-sich-seins. Also sollte es auf der Seite dieses Seins auch ein diesen Modalcharakteren entsprechendes Sich-Verwirklichen und Wirklichsein

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geben, das selbstverständlich nie blosses Sein sein kann. Sofern eine ob-jektivierende Welterkenntnis in Betracht gezogen wird, so wird auch diese vom Für-sich-sein aus durch eine Differenz von Möglichsein und Wirk-lichsein gekennzeichnet werden können. Verstände man Heideggers Vor-handenheit als (dinghaftes) An-sich-sein, so wäre VorVor-handenheit eine Seinsart, die sich dem Dasein verdankt, das auf Sein hin versteht und ent-wirft. Aber An-sich-sein verdankt sich nicht einem Seinsentwurf des Be-wusstseins.

Dem Sein nach kann nichts Existierendes-Seiendes von einem anderen Seienden, das existierend versteht abgeleitet werden. Das Sein qua An-sich-sein ist absolut kontingent, es ist völlig indifferent gegenüber der Idee eines absoluten Seinsgrundes. „Das äussert das Bewusstsein – in anthro-pomorphen Begriffen –, wenn es sagt, das Sein sei zu viel, das heisst, dass es das Sein absolut von nichts ableiten kann, weder von einem anderen Sein noch von einem Möglichen, noch von einem notwendigen Gesetz. Unge-schaffen, ohne Seinsgrund, ohne irgendeinen Bezug zu einem anderen Sein, ist das An-sich-sein zu viel für alle Ewigkeit“ (SN 44; EN 34).

Das Bewusstsein, das sich so äussert, ist in erster Linie das von Sartre er-dachte – keineswegs phänomenologisch beschriebene – Bewusstsein, des-sen Verfassung er in seinen philosophisch-konstruktiven Gedanken Ver-bindlichkeit zu verschaffen sucht. Für das Selbst- und Weltverständnis von Menschen, die nicht phänomenologisch-ontologisch im Sinne Sartres den-ken, gibt das An-sich-sein nichts her. Für sie ist es „zu wenig“ ergiebig.

Aufgrund seiner absoluten Kontingenz ist es überschüssig-überflüssig. Ver-leitet das Menschen dazu, es in einem anderen Sinne zu transzendieren als das intentionale Bewusstsein Sartre zufolge zum An-sich-sein transzen-diert?

Vom An-sich-sein aus, sofern es als Seinsregion isoliert für sich genom-men wird, kann die Untersuchung nicht fortschreiten. Es liesse nur deren Abbruch zu. Seine Beziehungen zu dem aus ihm heraus-ge-rissenen Für-sich-sein sind es, die den Ausbau der phänomenologischen Ontologie er-möglichen. Ihre Analyse hat es nur noch mit den Verhältnissen des Für-sich-seins zu tun, in die hinein das An-sich-sein sich als Nicht-seins-Mo-ment auswirkt.

Das ist nach Sartre in der menschlichen Realität der Fall. „Unter diesem Gesichtspunkt ist das Bewusstsein etwas Abstraktes, denn es enthält in sich selbst einen ontologischen Ursprung in Richtung auf das An-sich, und andererseits ist das Phänomen auch etwas Abstraktes, da es dem Bewusst-sein ‚erscheinen‘ muss. Das Konkrete kann nur die synthetische Totalität sein, von der das Bewusstsein wie auch das Phänomen lediglich Momente

bilden. Das Konkrete ist der Mensch in der Welt mit jener spezifischen Vereinigung des Menschen mit der Welt, die zum Beispiel Heidegger ‚In-der-Welt-sein‘ nennt“ (SN 50; EN 38–9). Die konkrete Vereinigung äussert sich in einem zu Wertsetzungen nötigenden, aber unaufhebbaren Seins-mangel, als welcher sich das An-sich-sein im Nicht-seienden Bewusstseins

„auswirkt“; was nicht mit Heideggers Rede vom Sein kompatibel ist.

Der Übergang der Einleitung in die Durchführung der Ontologie im Ausgang vom Sein des intentionalen Bewusstseins qua Ursprung des welt-haft Seienden bedarf einer Analyse. Diese kann ein Grundproblem der Sartreschen Ontologie aufdecken, das sich vor allem an ihrem Ende wieder aufdrängt. Darüber zu handeln ist hier nicht mehr der Ort.

Es sei abschliessend nur noch vorverweisend notiert.

Es soll Äusserungen Sartres zufolge die existentielle Psychoanalyse sein, die dem Menschen das wahre Ziel seines Suchens aufdeckt – in dem er dasjenige Sein fände, das ihm endgültige Ruhe geben könnte: Die aus-löschende, unmögliche „synthetische Verschmelzung“ von An-sich und Für-sich. Gilt diesem Ziel die den Menschen definierende Leidenschaft?

Unterliegt er also aufgrund seiner ontologischen Verfassung der schran-kenlosen Dominanz des Todestriebes, dem keine andere Kraft entgegen-wirkt? Aber Sartres Philosophie ist doch – auch schon in Das Sein und das Nichts alles andere als eine Lehre der Lebens- und Weltverneinung. Ge-fällt er sich hier nur in der Pose des freiheitsbesessenen Wertschöpfers, der zugleich alle durch Seinsmangel bedingten Wertschöpfungen durch die Passion, das An-und-Für-sich erreichen zu wollen, wiederum negiert?

Weiss eigentlich Sartre in Das Sein und das Nichts schon, was er will, d. h.

wofür er sich als sein-könnendes Möglichkeitswesen entscheiden will – ohne auf seine ontologische Verfassung Rücksicht zu nehmen? Wenn man nur die Ontologie zu Rate zieht, gilt, was Sartre provokativ am Schluss von Das Sein und das Nichts formuliert; nämlich „dass alle menschlichen Aktivi-täten äquivalent sind – denn sie zielen alle darauf ab, den Menschen zu opfern, um die causa sui auftauchen zu lassen – und dass alle grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind. So läuft es auf dasselbe hinaus, ob man sich einsam betrinkt oder Völker lenkt“ (SN 1071; EN 721). Wenn an diesem ontologischen Endpunkt eine Moral o. ä. ihren Anfang nehmen soll, so besagt das in einer völligen Abkehr von Husserl und Heidegger: Die On-tologie endet in der Unbestimmtheit all den Fragen gegenüber, die das gute und gerechte, an „positiven Werten“ orientierte menschliche Leben angehen, von dem aus bestehende Lebensverhältnisse kritisch beurteilt werden können. Wenn jedoch menschliche Lebensentwürfe in einem nicht Sartreschen Sinn des Wortes sinnhaft sein sollten, so müssten sie die

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Idee des Zusammenfalls von An-sich und Für-sich von sich (und ihrem Gott) fernhalten, da dieser mit einer Sinn vernichtenden Auslöschung ihres Für-sich identisch wäre.

Man kann vielleicht das, was Sartre meint, in einem schlichten, wenig philosophischen Sinn folgendermassen fassen: Mit der Evolution des le-bendigen Sprachwesens Mensch hat sich etwas erzeugt, das einen „Sinn“

(von Sein) nötig hat, den die Welt, aus der es hervorgegangen ist, nicht aufweist. Diese Differenz kann dieses Wesen nur sich selber zuschreiben.

Ihren „Grund“ kann es weder der Welt noch einem Gott zusprechen.

Dieser antimetaphysischen und antitheologischen Grundtendenz von Sartres frühem Hauptwerk wird heute wohl jedermann zustimmen. Aber ihre Akzeptanz lässt sich ohne den Ballast der ontologischen Seins-Nicht-Seins-Bezüge vollziehen.

Literatur

Heidegger, Martin 198616: Sein und Zeit, Tübingen, Max Niemeyer.

Husserl, Edmund 1950: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Buch I, Haag, Nijhoff.

Janssen, Paul 1992, Vom Sinn und Unsinn einer Einheit von Sein und Nichts. Anlässlich einer erneuten Lektüre von Sartres Das Sein und das Nichts, in: Journal of the Faculty of Letters (JTLA), The University of Tokyo, Vol. 17, 1992, 57–78.

Janssen, Paul 2008: Edmund Husserl. Werk und Wirkung, Freiburg in Breisgau, Alber.

„Der Ursprung der Negation“ bildet das erste Kapitel des ersten Teils von Jean-Paul Sartres Das Sein und das Nichts. Doch das erste Kapitel des ersten Teils ist nicht der Anfang des Buches. Der Boden für die Begegnung mit der Negation ist durch eine Einführung – „auf der Suche nach dem Sein“

vorbereitet worden; eine Untersuchung, deren Resultate am Anfang unse-res Kapitels wie folgt zusammengefasst werden: „Unsere Untersuchungen haben uns mitten in das Sein geführt. Aber sie sind zugleich in eine

vorbereitet worden; eine Untersuchung, deren Resultate am Anfang unse-res Kapitels wie folgt zusammengefasst werden: „Unsere Untersuchungen haben uns mitten in das Sein geführt. Aber sie sind zugleich in eine