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Ich existiere für mich als durch den Andern als Körper erkannt

Wir haben bisher zwei ontologische Dimensionen des Körpers behandelt:

Einerseits den Körper-für-sich, so wie er von mir gelebt wird, und anderer-seits den Körper-für-Andere in dem Sinn, dass mein Körper durch den Andern erkannt und benutzt wird. Dieser enthüllt sich mir als das Subjekt, für das ich Objekt bin, ein An-sich. Ich existiere somit für mich als durch den Andern als Körper erkannt. In dem Augenblick, da der Blick des Andern mich trifft, da es zu einer Konfrontation mit dem Andern kommt, enthüllt sich mir mein Objekt-Sein für den Andern. Ich erkenne die Ent-hüllung meines Seins-für-Andere, also dem An-sich für den Anderen, nicht, aber ich erfahre sie. „Mein Körper ist da, nicht nur als der Gesichts-punkt, der ich bin, sondern auch als ein GesichtsGesichts-punkt, dem gegenüber jetzt Gesichtspunkte eingenommen werden, die ich nie werde einnehmen können; er entgeht mir nach allen Seiten“ (SN 620; EN 419). In bin nicht in der Lage, von meinem Gesichtspunkt aus die Gesamtheit meiner Sinne zu erfassen (ich kann ihnen gegenüber keinen bestimmten Gesichtspunkt einnehmen, ich lebe sie nur), aber sie geben sich als durch den Andern erfasst. Dieser Andere sieht sie als Objekte inmitten der Welt. Das Sein-für-Andere meiner Sinne begleitet mich überallhin. Diese Vergegenwärti-gung meiner eigenen Sinne durch die Existenz des Andern erfolgt indessen vor dem Hintergrund der Unmöglichkeit, diese zu erkennen. In Analogie dazu stellt Sartre fest: „Mein Körper [ist] für mich das Instrument, das ich bin und das von keinerlei Instrument benutzt werden kann; aber in dem Mass, wie der Andere in der ursprünglichen Begegnung mein Da-sein auf seine Möglichkeiten hin transzendiert, wird mir dieses Instrument, das ich bin, als in einer unendlichen instrumentellen Reihe steckendes Instrument gegenwärtig gemacht, obwohl ich keineswegs den Gesichtspunkt eines Darüberschwebens gegenüber dieser Reihe einnehmen könnte. Mein Kör-per, als entfremdeter, entgeht mir auf ein Werkzeug-unter-Werkzeugen-sein, auf ein Durch-Sinnesorgane-erfasstes-Sinnesorgan-sein hin, und zwar mit einer entfremdenden Zerstörung und einer konkreten Auflösung meiner Welt, die zum Andern hin abfliesst und die der Andere in seiner Welt wieder erfasst“ (SN 621; EN 420). Wir stehen hier einer doppelten Bewe-gung gegenüber: Einerseits signalisieren die Objekte um mich her meine Existenz als Subjekt, andererseits nimmt der Andere meinen Körper als etwas wahr, das ausserhalb meiner Subjektivität liegt, er erkennt meinen

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Körper inmitten einer Welt, die nicht meine Welt ist; wodurch mir mein Körper entfremdet wird. Die Erfahrung der Entfremdung drückt sich in verschiedenen affektiven Haltungen wie zum Beispiel der Schüchternheit aus; sie sind ein Ausdruck der Bewusstwerdung, das heisst, das Subjekt wird sich seines Körpers bewusst, nicht seines Körpers, wie dieser für das Subjekt ist, sondern wie dieser für den Andern ist. Der Schüchterne wünscht, er wäre unsichtbar und hätte keinen Körper mehr; er will nicht seinen eigenen Körper, wie er für ihn ist, zerstören, wohl aber seinen Körper-für-Andere, der Ausdruck einer unfassbaren Dimension seines ihm entfremdeten Körpers ist.

Die dritte ontologische Dimension des Körpers ist der Körper-für-mich, aber aus dem Blickwinkel der Entfremdung und Unerkennbarkeit gesehen.

Der Andere scheint an mir etwas vollziehen zu können, was ich durch mich nicht verwirklichen kann, nämlich mich zu sehen, wie ich bin. Und man gibt schliesslich nach und beginnt, sich mit den Augen des Andern zu sehen, so dass „wir uns unsern Körper, wie er für den andern ist, bezeichnen lassen, indem wir diese Bezeichnungen verwenden, um unsern Körper, wie er für uns ist, zu benennen. […] Es ist ja notwendig – um denken zu können, dass mein Körper für den Andern wie der Körper des Andern für mich ist‘ –, dass ich dem Andern in seiner objektivierenden Subjektivität und dann als Objekt begegnet bin; damit ich den Körper des Andern als ein meinem Körper ähnliches Objekt beurteilen kann, muss er mir als Objekt gegeben worden sein und muss mir mein Körper seinerseits eine Objekt-dimension enthüllt haben. Nie kann die Analogie oder die Ähnlichkeit zuerst den Objekt-Körper des Andern und die Objektivität meines Körpers konstituieren; vielmehr müssen diese beiden Objektheiten vorher existie-ren, damit ein Analogieprinzip wirksam werden kann. Hier also lässt mich die Sprache die Strukturen meines Körpers für den Andern erfahren“

(SN 623–4; EN 421–2). Die Objektivität meines Körpers-für-Andere ist hingegen kein Objekt für mich. Nur auf der Ebene der Reflexion bin ich imstande, meinen Körper als ‚Quasi-Objekt‘ zu erfassen. Jede Erkenntnis über meinen Körper ist eine Erkenntnis von einem bestimmten Gesichts-punkt aus, genauer gesagt von dem GesichtsGesichts-punkt eines Andern. Dabei handelt es sich nicht um meinen Körper im eigentlichen Sinn, sondern um den vom Andern wahrgenommenen Objekt-Körper. Wenn ich meine schreibende Hand als Objekt betrachte, nehme ich den Gesichtspunkt des Andern ein, denn mein Körper kann mir als Körper des Andern erschei-nen. Ein Körperteil kann selbstverständlich als gesehen oder ertastet wahr-genommen werden, aber nicht als derjenige, der sieht oder tastet. Ich sehe mein Auge im Spiegel als Objekt und nicht als ein Bezugs-Sein. „Die

Wahrnehmung meines Körpers kommt also chronologisch nach der Wahr-nehmung des Körpers des Andern. […] Der Körper ist das Instrument, das ich bin. Er ist meine Faktizität, ‚innerweltlich‘ zu sein, insofern ich sie auf mein In-der-Welt-sein hin überschreite. Es ist mir zwar radikal unmöglich, dieser Faktizität gegenüber einen globalen Gesichtspunkt einzunehmen, sonst hörte ich auf, sie zu sein“ (SN 631; EN 427).

4 Schluss

Sartre distanziert sich von dem phänomenologischen Idealismus Husserls und seinem transzendentalen Ich, indem er aufweist, dass ich im eigent-lichen Sinne nicht meinen Körper konstituiere, sondern dass dieser viel-mehr die faktische Gestalt meiner eigenen Faktizität oder, um mit seinen Worten zu sprechen, „die kontingente Form der Notwendigkeit meiner Kontingenz“ (SN 549; EN 371) ist. Der französische Philosoph stellt deutlich heraus, dass das Für-sich grundlegend von der Faktizität, von einem gegebenen Raum und einer gegebenen Zeit, von Endlichkeit ge-prägt ist. Das reine Bewusstsein könnte sich nicht in dieser Welt befinden und agieren, wäre es nicht in einem Körper inkarniert. Im Mittelpunkt des Sartreschen Denkens steht die These, dass das Selbstbewusstsein des Kör-pers, das Teil der nicht-thetischen Struktur des Selbstbewusstseins seiner selbst ist, Ausdruck des Bewusstseins des eigenen Körpers als Subjekt ist.

Eine solche Wahrnehmung des Körpers, der wie für sich existiert, ist integrativer Bestandteil des Selbst-Bewusstseins. Er wird bestimmt durch die unmittelbare Gegenwart bei sich selbst, denn er wird durch sich selbst erfahren. Ferner ist das Selbstbewusstsein, das in der Existenz des Körpers-für-Andere impliziert ist, Ausdruck eines Selbstbewusstseins eines ent-fremdeten Ich. Der Körper-für-Andere – der sich objektivieren lässt – deckt meine fundamentale Entfremdung auf. Wäre ich reines Bewusstsein, könnte mich der Andere nicht benutzen. Dies vermag er nur, weil ich ein Körper bin. Ich existiere meinen Körper für den Andern schliesslich als einen Körper, der vom Andern erkannt wird. Hier haben wir es mit zwei ontologischen Dimensionen des Körpers zu tun – dem Körper als Subjekt, also als derjenige, der erkennt, aber selbst nicht Objekt der Erkenntnis ist, und dem Körper als Objekt, also als derjenige, der erkannt wird aus einer entfremdeten Sicht – die zwei verschiedenen, unvereinbaren Ebenen, zwei getrennten Polen angehören. Sartre scheitert bei seinem Versuch, den cartesianischen Dualismus zu überwinden, eins der Ziele, das er sich mit seiner Analyse des Körpers gesteckt hatte. Er fällt gewissermassen in den

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Dualismus zurück, den er hinter sich lassen wollte. Er stellt das Bewusst-sein, das in der absoluten Verinnerlichung der Negation besteht, dem Körper gegenüber, der auf der Dimension des An-sich zu beruhen scheint.

Das Für-sich und das An-sich gehören zwei gänzlich unterschiedlichen Bereichen des Seins an, die aber simultan gegeben sind. Die minutiöse Reflexion Sartres über den Körper beruht auf einer Ontologie, über die sich diskutieren lässt.

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Im vorhergehenden Abschnitt haben wir – noch etwas abstrakt – die Öffnung gegenüber dem Andern beobachtet, die unsere körperliche Be-dingtheit möglich macht. Wir werden die interpersonalen Beziehungen, die unseren Körper-in-Situation zum Ausdruck bringen, konkreter analy-sieren.

Sartres Existentialismus wird im allgemeinen als eine beispielhaft indivi-dualistische Philosophie verstanden. So wird der berühmte Satz aus seinem Stück Geschlossene Gesellschaft (Huis clos) – „Die Hölle, das sind die anderen“

(„L’enfer, c’est les autres“) oft als das Epitaph seiner Sozialphilosophie gedeutet. Sartre vertritt jedoch in Das Sein und das Nichts den Standpunkt, dass das Für-Andere-sein eine ebenso fundamentale Kategorie sei wie das An-sich-sein oder das Für-sich-sein, und widmet dessen Analyse ein Viertel des Textes.

Charakteristisch für Sartres Vorgehen im ganzen Buch ist eine Bewegung vom Abstrakten zum Konkreten hin. Die Beziehungen, die nun in diesem Kapitel analysiert werden, haben ihren Ursprung in den Haltungen, die das Subjekt angesichts der neuen Dimension seiner Existenz übernimmt, die mit dem faktischen Auftauchen des Anderen in seinem Leben entsteht. Man muss ‚der Existenz des Anderen‘ begegnen; sie kann nicht deduziert werden.

Es gibt nichts in der Essenz des Für-sich-seins, das die Existenz des Anderen verlangt (eine weitere Verbeugung vor dem Individualismus). Ist der Eintritt des Anderen in mein Leben aber einmal gegeben, kommt eine neue Dimen-sion meiner Existenz zum Vorschein, und es eröffnet sich ein Raum für ein völlig neues Netz von Beziehungen. Als Körper-in-Situation sind der Ande-re und ich transzendierte Transzendenzen (vgl. SN 474; EN 321). Die Aufgabe des dritten Kapitels ist es, die verschiedenen Haltungen des

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