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Das Sein des Bewusstseins

2 Das Problem der Phänomenalität und des Seins

3 Das Sein des Bewusstseins

Nachdem Sartre vom Phänomen des Seins aus das ihm zugrundeliegende transphänomenale Sein gefunden hat, teilt er das Sein in zwei Seinstypen auf. Diese Aufgliederung ergibt sich aus der Struktur des intentionalen Bewusstseins: Es gibt erstens das Bewusstsein in seiner Art von Sein, und es gibt zweitens das (welthafte) Etwas in seinem Sein, von dem Bewusst-sein BewusstBewusst-sein ist. Über die philosophische Sinngebung des so Unter-schiedenen ist mit dieser Aufgliederung noch nichts ausgemacht.

Das Bewusstsein wird „präreflexives cogito“, auch „Sein des percipere“

genannt. Auf einer späteren Stufe der Gedankenentwicklung wird Sartre vom Für-sich-sein im Unterschied zum An-sich-sein sprechen. Wie deren Bestimmung zu den von Sartre eingangs getroffenen Unterscheidungen steht, kann erst später deutlicher werden. Begriffe wie Seinsarten, Seinstypen u. ä. erwecken den Eindruck, sie setzten Differenzen „im“ Sein voraus. Sie sind problematisch. Das von Sartre Gemeinte lässt sich im Endeffekt nur esoterisch-spekulativ ausdrücken. Das Problem seiner angemessenen For-mulierung bleibt bis zum Ende des Beitrags virulent. Von dieser Formulie-rung hängt die genaue Fassung des Sartreschen Grundgedankens ab.

Definiert man das Bewusstsein durch die Vermöglichkeit des selbst-refle-xiven und setzenden Erkennens, so lässt sich das Sein des Bewusstseins durch die erkennende Selbstzuwendung auszeichnen. Löst sich dann nicht das Sein des Bewusstseins darin auf, in selbst-reflexiver Identifizierung erkannt zu werden. Dann wäre die Einheit von (Selbst-)Erkenntnis und Sein als Aus-zeichnung des Subjekts vorrangig gegenüber einem dieser Einheit erman-gelnden blossen Sein von welthaft Seiendem, das sich erkennen lässt, ohne sich selbst zu erkennen. Als Ursprung seiner Erkennbarkeit ist dann das Be-wusstsein nicht jenseits der Phänomenalität, sondern deren Ursprung. Bei Sartre heisst es dagegen: „Das Bewusstsein ist nicht ein besonderer Erkennt-nismodus, genannt innerster Sinn oder Erkenntnis von sich, sondern es ist die transphänomenale Seinsdimension des Subjektes“ (SN 19; EN 17).

Gegen diese These Sartres ist an eine Fassung des Seins des Bewusst-seins zu erinnern, wie sie sich z. B. bei Husserl findet. Sartre macht sich

nicht den neuzeitlich subjektivitätsphilosophischen Gedanken zu eigen, das Bewusstsein seinem Sein nach durch die unmittelbare Geeintheit von selbst-reflexivem Wissen und Sein unter dem Vorrang des Seins auszu-zeichnen, das sich als absolut gegeben schauen lässt im Unterschied zu allen welthaften noematischen Intenta, die nur eine andere Art von Gege-benheit zulassen, welche für die Bestimmung ihrer Weise des (nur phäno-menalen) Seins bestimmend ist. In diesem Gedanken liegt keineswegs, dass das Bewusstsein ist, insofern es sich selbst reflexiv erkennt – so, als wäre sein Sein gleichbedeutend damit, erkannt zu sein; so, als läge sein Sein im Phänomen-sein.

Um das transphänomenale Sein des Bewusstseins nachzuweisen, greift Sartre auf eine von ihm in ganz eigentümlicher Weise aufgefasste Inten-tionalität des Bewusstseins zurück, die Husserl fremd ist. Ist Bewusstsein – sozusagen als „Seinseinheit“ genommen – „Bewusstsein-von-etwas“ qua einem transzendenten Objekt, dann geht es ohne jeden Einschlag von Reflexivität in dieser Hingegebenheit auf, durch die es von sich so abge-lenkt ist, dass sich keine reflexive Unterbrechung und Störung ergibt.

Und darin liegt sein Sein beschlossen. Die unmittelbare Geradehinein-stellung des Bewusstseins auf ein „Anderes seiner“ wird von Sartre also nicht zurückbezogen auf eine Beschreibung, in der sie aufgedeckt ist und die daher erlaubt, Bewusstsein als eine synthetische Bezugseinheit zu neh-men, der das intendierte perzipierte Etwas der Eigenart des Bewusstseins gemäss zugehört: als Phänomen. Die gerade apostrophierte Bezugsein-heit enthält nach Sartre vielmehr zwei disparate, inkommensurable Arten von Sein, die durch eine eigenartige, allererst zu besprechende Sorte von

„nicht“ getrennt und gleichwohl zusammengehalten sind. In dem, was Hus-serl Geradehineinstellung nennt – welche nur die Ausgangsbasis für (trans-zendental-)philosophische, selbstreflexive Seinsbestimmungsoperationen ist –, liegt für Sartre ein Seinsbestimmungsmoment, das nicht reflexiv ver-wandelt werden darf.

Die nicht-thetische, präreflexive Eigenart des Bewusstseins darf nicht miss-verstanden werden. Eine gewisse Selbstbezüglichkeit des Bewusstseins qua Bewusstsein-von wird von Sartre akzeptiert. Aber er lehnt die aus der Trans-zendentalphilosophie und dem Idealismus bekannten Auffassungen des Selbstbewusstseins ab, da er deren Einschätzung der Selbstreflexivität und ihrer Bedeutung für das Sein des Bewusstseins nicht teilt. Die Ansetzung einer sich aufgrund der Selbstreflexivität ergebenden Einsicht in eine ausge-zeichnete Identität von Subjekt und Objekt im Falle des Selbstbewusstseins verstösst nach Sartre gegen den intentionalen Charakter des Bewusstseins. In seinem Sein bleibt das Bewusstsein zwar Bewusst-sein-von und in eins

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wusstsein dieses Bewusst-seins-von. Diese Doppelung, durch welche das Bewusstsein mit sich unmittelbar zusammengeschlossen und geeint ist, be-inhaltet zwar Bewusstsein von Bewusstsein aber keine Erkenntnis des Be-wusstseins durch Bewusstsein, in der das erste Bewusstsein durch ein zweites zum (Wissens-)Gegenstand gemacht worden wäre; denn dann könnte das zweite Bewusstsein wiederum zum Gegenstand eines sich auf es richtenden Bewusstseins werden. Eine solche Selbsterkenntnis des Bewusstseins führte in das epistemologische Dilemma eines unendlichen Regresses. Aus dem Sein des Bewusstseins sind alle Akte des Bewusstseins, die es selber betreffen, fernzuhalten. Es ist als ganz „den gegenständlichen Etwas-Polen“ hinge-geben und in dieser Bezugshingehinge-gebenheit ist es vorgängig nicht-setzendes Bewusstsein von sich selbst; auch dann, wenn es in Bezug auf sich selbst wie in Bezug auf ein welthaftes Etwas vergegenständlichend setzt. „Alles, was es an Intention in meinem aktuellen Bewusstsein gibt, ist nach draussen gerich-tet, auf die Welt. […] jedes objektsetzende Bewusstsein ist gleichzeitig nicht-setzendes Bewusstsein von sich selbst“ (SN 21; EN 19). Die Selbstreflexion des Bewusstseins wird erst durch das nicht-reflexive Bezugs-Sein des Be-wusstseins ermöglicht. Wissen von etwas ist primär Nicht-Wissen, dass man weiss. Das soll die Voraussetzung des cartesianischen cogito sein, das sich in einem reflexiven Wissen um sich mit sich zu seinem Sein zusammenschliesst (vgl. SN 22–3; EN 20). Indem das Bewusstsein z. B. beim wahrgenommenen Etwas des Wahrnehmens ist, ist es als wahrnehmendes seinem Sein nach Bewusstsein. Sofern es um sich als wahrnehmend weiss und durch dieses Wissen in eine Distanz zu dem ans wahrgenommene Etwas verausgabten Bewusstseins-Sein getreten ist, ist es seines Seins verlustig gegangen.

„Wir verstehen jetzt, warum das erste Bewusstsein von Bewusstsein nicht setzend ist: es ist ja eins mit dem Bewusstsein, von dem es Bewusstsein ist.

Es bestimmt sich zugleich als Wahrnehmungsbewusstsein und als Wahr-nehmung“ (SN 23; EN 20).

Im Sein des Bewusstseins liegt eine gewisse Zirkularität vor. Aus ihr muss die als seiend setzende Selbst-Erkenntnis herausgehalten werden, so dass es nicht zur Auszeichnung des Bewusstseins als Selbstbewusstsein kommen kann, das prämundan und weltüberlegen ist, indem es sich selber seinem Sein nach reflexiv vermittelt. Um die Gefahr von Missverständ-nissen für seine Konzeption des Seins des Bewusstseins zu vermeiden, schlägt Sartre vor, nicht mehr „Bewusstsein-von-sich“, sondern „Bewusst-sein-(von)-sich“ zu schreiben.2

2 „Aber wir können diesen Ausdruck nicht länger verwenden, weil das ‚von sich‘ noch die Idee von Erkenntnis weckt. (Wir werden von jetzt an das ‚von [de]‘ in Klammern setzen, um anzuzeigen, dass es nur einer grammatischen Regel entspricht“ (SN 23; EN 20).

Zum Schluss seiner Bestimmungen des Seins des Bewusstseins greift Sartre folgende Gedanken auf, die uns aus der Überlieferung vertraut sind, denen er aber neue Bedeutungen gibt. Bewusstsein existiert durch sich. Es geht ihm keine ihm verliehene passive Existenz als das, worin es sein Sein hat, voraus. Eine solche Erklärung, die durch eine traditionell verstandene Kontingenz des Bewusstseins nötig wird, liegt nahe. Sartre weist zur Verdeutlichung dieser Gefahr auf den Gottesbeweis a contin­

gentia mundi hin (vgl. SN 27; EN 23). Jener Beweis macht sich einen Kontingenzbegriff zu Nutze, der dem von Sartre später entwickelten ent­

gegengesetzt ist. Dieser besagt nämlich Erklärungsunfähigkeit und Er­

klärungsunbedürftigkeit. Bewusstsein geht aus nichts anderem als aus Be­

wusstsein hervor; z. B. nicht aus Unbewusstem oder aus Physiologischem.

Sartre nennt derartiges „nicht­bewusste Gegebenheiten“ (SN 27; EN 23).

Demnach wäre etwa Physio logisches ein nicht­bewusst Gegebenes. Da das Bewusstsein­(von)­sich als Seinseinheit von „Bewusstsein­von (un­

mittelbar eingestelltem intentionalem)­Bewusstsein“ es mit sich zu brin­

gen scheint, alles in erscheinendes und seiendes Etwas aufzuspalten, gibt es für es (der Möglichkeit nach) kein Nicht­Bewusstes. Physiologisches müsste demzufolge als in das Bewusstsein hineinfallendes bewuss tes Etwas angesprochen werden, das nicht zur genetischen Erklärung des Bewusst­

seins herangezogen werden dürfte. Nähme man es dagegen als transphäno­

menal Seiendes auf der Seite des Etwas, mit dem Bewusstsein intentional zusammengespannt ist, so wäre es als Nicht­Sein von Bewusstsein über­

haupt nicht mit dem Bewusstsein zusammen zubringen. Könnte das Be­

wusstsein dann zur menschlichen Realität und ihrer naturhaften Seite gehören?

Der dritte Abschnitt der Einleitung schliesst mit Sätzen, die das er­

arbeitete Ergebnis noch einmal resümieren und mit der Überlieferung in einen Zusammenhang bringen. Das Sein des Bewusstseins entzieht sich dem Erkennen. Es wahrt den Vorrang vor allem, was bezüglich seiner durch Erkenntnis geleistet werden kann. Die These bleibt abgestützt durch dubiose Überlegungen, die teilweise gegen die Tradition gerichtet sind:

Das Sein des Bewusstseins löst sich nicht in Erkanntsein auf, dessen Sein zugleich mit dem Sein des Erkennens bestimmungsbedürftig wäre, aber als grundlos befunden werden müsste, weil Bewusstsein als Bewusstsein­(von)­

sich intentionale Bezugseinheit ist, die ohne ihr transphänomenales Etwas bestandsunfähig wäre.

Das gefundene Sein des Bewusstseins ist für Sartre ein Absolutum – ein Ab solutes an Existenz, das der Erkenntnis und damit der Relativierung durch die Erkenntnis entgeht. Es besteht darin, dass es sich als die völlige

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Leere von Welt erfährt, die sich in ihm zum „Erscheinen“ bringt. „Aber gerade weil es reine Erscheinung ist, weil es eine völlige Leere ist (da die ganze Welt ausserhalb seiner ist), wegen dieser Identität von Erscheinung und Existenz an ihm kann es als das Absolute betrachtet werden“ (SN 27;

EN 23).