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eine quanti ta tive Längsschnittanalyse

4.1 Verfassung und Grundrechte .1 Verfassung vom 5. Oktober 1921

4.1.5 Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit nach der LV und EMRK

Im Gegensatz zu manch anderen Ländern, unter anderem auch der Schweiz, weist Liechtenstein nur eine spärliche Zahl von Gerichts ent schei den auf dem Gebiet des Grundrechts der Meinungs und Presse -frei heit auf.203 Dabei ist in der verfassungsgerichtlichen Praxis in der Interessenabwägung das Grundrecht der Meinungsfreiheit lange Zeit be-deutungslos geblieben.204Höfling attestiert dem Staatsgerichtshof gera-de in gera-der Frage gera-der Meinungsfreiheit in gera-der älteren Judikatur fehlengera-de Grundrechtssensibilität. Dies zeigt sich insbesondere in der Beurteilung der Beschwerde des Herausgebers der Wochenzeitung «Der Liechten -stei ner» im Jahr 1966. Der Beschwerdeführer wollte erreichen, dass «Der Liechtensteiner» – wie die beiden Zeitungen «Liechtensteiner Volks blatt» und «Liechtensteiner Vaterland» – als amtliches Publikations -organ zugelassen werde. Es war und ist bekannt, dass es sich bei diesen Inseraten um eine verdeckte Subventionierung der Presse handelt.

Gemäss Beschwerdeführer waren drei Artikel der Verfassung verletzt.

Nach Art. 31 LV (Gleichbehandlung vor dem Gesetz) fühlte sich «Der Liech tensteiner» gegenüber den etablierten Zeitungen diskriminiert.

Art. 36 LV (Handels- und Gewerbefreiheit) sei verletzt, da die einseitige Vergabe öffentlicher Aufträge ein Gewerbeprivileg schaffe. Und schliess lich werde durch die Verweigerung der Zulassung als amtliches Publikationsorgan eine Zensur gemäss Art. 40 LV (Meinungsäusserungs -freiheit) ausgeübt.205Der StGH verwarf die Beschwerde als unzulässig, weil niemand einen Anspruch darauf habe, dass er zur Bekanntmachung herangezogen werde. Wenn aber ein verfassungsmässig gewährleistetes Recht nicht gegeben sei, könne dieses auch nicht verletzt werden.206

Nach Höfling verkannte damit der StGH «völlig die politisch-kommunikative Dimension des Falles.»207 Alle drei Zeitungen waren Par tei zeitungen und das Inseratevolumen aus amtlichen Publikationen wäre als mittelbare Pressesubventionierung zu qualifizieren gewesen.

203 Für die Schweiz vgl. v.a. Müller 1991 und 1999.

204 Höfling 1994, S. 131.

205 StGH 1965/1, ELG 1962–1966, S. 225–227.

206 StGH 1965/1, ELG 1962–1966: 226.

207 Höfling 1994, S. 132.

«Im Schutzbereich der Meinungsgrundrechte sind – auch mittelbare – För derungsmassnahmen des Staates an eine strikte Neutralität gebun-den», schreibt Höfling und meint weiter: «Verzerrungen des publizisti-schen Wettbewerbs müssen vermieden werden. Der Neutralitätspflicht des Staates entspricht aber auf Seiten des Trägers der Pressefreiheit ein Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb.»208

Die innerstaatliche Akzeptanz der Bedeutung der EMRK geht aus der neueren Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes hervor. Die Meinungs freiheit wird nicht nur durch Art. 40 LV, sondern auch durch Art. 10 Abs. 1 der EMRK umfassend geschützt. Während aber in den 60er Jahren noch kaum ein Grundrechtsbewusstsein entwickelt war (trotz einschlägiger Verfassungsbestimmung), schwenkte der StGH in den 90er Jahren auf eine EMRK-konforme Auslegung ein. Anlassfall war eine Klage des Staates Liechtenstein, Stein des Anstosses ein Kom -men tar des damaligen Chefredaktors der Zeitschrift «Löwenzahn» mit folgendem Wortlaut: «Solange solche Firmenkonstruktionen wie Stif tun gen etc. unkontrolliert handhabbar sind, solange verwinkelte Finanz -trans aktionen nicht -transparent gemacht werden können, solange die Justiz versumpft bleibt, solange bleibt auch der Vorwurf bestehen, dass Liechtenstein ein durch und durch verkommenes und verbrecherisches Staatsgebilde darstellt. Eine Eiterbeule im Herzen Europas, darauf spe-zialisiert, die ‹Geschäfte› von Betrügern, Gaunern und sonstigem Unrat zu verschleiern und somit zu ermöglichen. Eine fette Made, die von Scheisse lebt, aber nach aussen hin weiss ist und glänzt. Zertreten!»209 Dieser von der Staatsanwaltschaft am 22. Dezember 1992 wegen Verun glimpfung des Staates gemäss Art. 248 des Strafgesetzbuches zur Anzei -ge -gebrachte Kommentar -genügte dem StGH jedenfalls nicht, um die vom Landgericht verhängte und vom Obergericht bestätigte Strafe zu sanktionieren. Das Verfahren endete mit einem Freispruch des Journalis -ten auf Grund des Individualrechtes auf freie Meinungsäusserung. Eine

208 Höfling 1994, S. 133. Man könnte vielleicht sogar von einer versteckten Parteien sub -ven tionierung ohne gesetzliche Grundlage sprechen. Dass parteipolitische Motive in der Rechtsprechung mitgewirkt haben könnten, kann der folgenden vorsichtigen Formulierung von Höfling entnommen werden: «Die Gründe für die spezifisch liech tensteinische Irrelevanz der Meinungsfreiheit in der Recht spre chungs praxis dürf ten aber letztlich in tieferen Schichten der politischen Kultur zu suchen sein, denen hier nicht näher nachgegangen werden kann.» Höfling 1994, S. 133.

209 Michael Heinzel im Löwenzahn Nr. 5/1992, S. 11 unter dem Titel «Stiften gehen!»

Bestrafung wäre demgegenüber als eine Art Zensur aufzufassen gewe-sen.210Er stellt in einem Entscheid fest, dass Art. 248 StGB nicht grund -sätz lich gegen die LV und die EMRK verstosse, dass die Angriffe gegen den Staat aber so schwer sein müssten, dass sie dessen rechtsstaatliche, verfassungsmässige Ordnung in Verruf oder Gefahr bringen müss ten.211 Diese Entscheidung steht im Einklang mit der Haltung des EGMR, wonach auch eine repressive strafrechtliche Sanktion im Ergebnis die Wir -kung einer Zensur haben kann.212

Die Grundrechtsthematik wurde zusätzlich durch den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR im Fall Wille forciert, welcher ebenfalls Auswirkungen auf die Pressefreiheit hat. In diesem Fall ging es um eine Form des Berufsverbots, die vom Lan desfürsten gegen den damaligen Vorsitzenden der Verwaltungsbe schwer deinstanz (VBI), Herbert Wille, in der Folge eines wissenschaft -lichen Vortrags ausgesprochen wurde. Der EGMR kritisierte dabei nicht nur den fehlenden innerstaatliche Beschwerdeweg, sondern stellte auch

210 Der StGH bezieht sich in seinem Urteil ausdrücklich sowohl auf Art. 40 LV als auch auf Art. 10 Abs. 1 EMRK. Die Meinungsfreiheit werde gemäss EGMR als Grund -pfei ler einer demokratischen Gesellschaft gewürdigt. Dies beziehe sich auch auf Meinungen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Das ergäbe sich aus den Erfordernissen des Pluralismus, der Toleranz und der Grosszügigkeit, ohne die eine demokratische Gesellschaft nicht bestehen könne. (StGH 1994/8, LES 1995/1, S. 27) Mit Bezug auf Liechtenstein stellt der StGH fest, dass die ungehemmte Information und die freie öffentliche Auseinandersetzung «gerade im Kleinstaat, dessen Verfassung den politischen Rechten der Bürger eine zentrale Rolle zuerkennt, zum

‹Salz› der Politik (gehören).» Den Journalisten «für seine Aussagen zu bestrafen stellt keine für die Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung des Fürsten -tums Liechtenstein notwendige Massnahme dar.» (ebd.)

211 StGH 1994/8, Urteil des Staatsgerichtshofes als Verfassungsgerichtshof vom 4. Ok -to ber 1994, LES 1/95, S. 23–27. Ebenfalls zitiert in EuGRZ 1994, S. 607 ff.

Interessanterweise fehlt im Entscheid des StGH nach LES 1/95, S. 24 die Passage

«solange die Justiz versumpft bleibt» aus dem Löwenzahn-Zitat. Gerade diese Passage würde jedoch möglicherweise den vom StGH monierten Tatbestand erfül-len, dass die rechtsstaatliche Ordnung in Verruf gebracht wird. Das Urteil des StGH lässt daher unabsichtlich offen, wo die Grenzen der Pressefreiheit zu ziehen sind. Es entsteht dadurch auch der Eindruck, dass der StGH keine Verurteilung eines Journalisten wollte, und dass der von Kley im Zusammenhang mit der Methoden -wahl bei der Auslegung von Gesetzen geäusserte Verdacht zutrifft, wenn er schreibt:

«... die von der Behörde gewählte Auslegungsmethode dient eher als nachträgliche Rechtfertigung für das von ihr gewählte Auslegungsergebnis.» (Kley 1998, S. 111).

Der StGH räumt zumindest in StGH 1997/2 ein, «dass der Richter keine Sub sum -tions maschine und dass die Rechtsfindung in der Regel ein komplexer Vorgang ist.»

(Zitiert nach Hoch 1999, S. 53).

212 Urteil des EGMR vom 8. Juli 1986 (Lingens), zitiert in Mülller 1991, S. 129.

klar, dass es sich bei diesem fürstlichen Berufsverbot für ein öffentliches Amt um einen Verstoss gegen die Freiheit der Meinungsäusserung und somit um einen Verstoss gegen Art. 10 EMRK handelte.213Die Bedeu -tung und Wirksamkeit der EMRK wurde somit in Liechtenstein nachhaltig in Erinnerung gerufen. Eine weitere Bekräftigung der Anwend -bar keit der EMRK brachte das Urteil des StGH vom 22. Juni 1995, wo-nach der verfassungsmässige Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit auch für Angehörige von Be rufs gruppen gilt.214

Es ist noch zu erwähnen, dass sich der Grundrechtskatalog in der neuen schweizerischen BV an der EMRK, einschliesslich der darauf ba-sierenden internationalen Rechtsprechung, orientiert.215 Auch aus diesem Grunde ist zu erwarten, dass die künftige Rechtsprechung in Liech -ten stein an einer starken Berücksichtigung der Grundrechte festhal-ten wird. Gleichzeitig ist aber auch festzuhalten, dass die Recht spre chung keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Rechtslage in Liech ten stein zeigt. Das Urteil des EGMR hat weder zur Beseitigung des unzuläng -lichen Instanzenweges, noch zu einer Beseitigung des Zustandes, der zur Einschränkung der Meinungsfreiheit führen kann, geführt.216

213 Herbert Wille, damals Vorsitzender der VBI, hielt am Liechtenstein-Institut einen Vor trag, in welchem er u.a. ausführte, dass im Falle eines Konflikts zwischen Fürst (Regierung) und Volk (Landtag) der Staatsgerichtshof als Schiedsgericht fungiere (Bericht im Liechtensteiner Volksblatt v. 17. Februar 1995). Der Fürst orientierte Her bert Wille daraufhin, dass er ihn aufgrund dieser Verfassungsinterpretation künftig nicht mehr für ein öffentliches Amt ernennen werde (Brief v. 27. Februar 1995). Am 25. August 1995 wandte sich Wille mit einer Beschwerde an die Kom mis -sion des EGMR wegen Verletzung von Art. 6, 10, 13 und 14 EMRK. Die damalige Kommission des EGMR erklärte die Beschwerde mit Entscheid vom 27. Mai 1997 für zulässig und leitete den Fall an den EGMR weiter. Der Entscheid fiel am 28. Ok -to ber 1999. Inzwischen war Wille tatsächlich vom Landesfürsten mit brieflichem Ent scheid vom 17. April 1997 nicht zum Präsident der VBI ernannt worden, nach-dem der Landtag Wille für dieses Amt vorgeschlagen hatte. Im Entscheid des EGMR ging es allerdings nicht um diese Nichternennung, sondern um die im Brief vom 27. Februar 1995 und nachfolgenden Stellungnahmen des Fürsten angedrohte Nichternennung für ein öffentliches Amt. (Ausführlich bei Europarat 1999; Batliner 1998; Frowein 1995; Höfling 1995.

214 Es ging im Fall StGH 1994/18 um Redewendungen des Beschwerdeführers in Rechts mitteln, wobei vor allem die in zwei Rechtsmitteln verwendete Formulierung inkriminiert wurde, dass beim Landgericht ein «wahrhaft kafkaesker Zutand» herr-sche. LES 1995, S. 122 ff.

215 Kley 2000, S. 187 ff.

216 Nach der Volksabstimmung vom 16. März 2003 über die Revision der Verfassung ge mäss den Vorschlägen des Fürstenhauses wurde der monierte rechtliche Zustand noch weiter zementiert.