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Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte in Liechtenstein ein wirtschaftlicher Aufschwung ein, der bis zum Ende des Jahrhunderts praktisch ununter-brochen andauerte. Dieser Aufschwung war begleitet von einer rasch stei genden Bevölkerungszahl, nicht zuletzt durch eine ungebremste Zu wan derung in das nunmehr zunehmend prosperierende Land. Gleich -zei tig setzte ein massiver Ausbau des Sozialstaates, der Aufbau kulturel-ler Institutionen sowie ein markanter Anstieg der Bildungsangebote wie auch des Bildungsniveaus der Bevölkerung ein. Liechtenstein mutierte förmlich von einer agrarischen zu einer hochindustrialisierten und dienst leistungsorientierten Gesellschaft. Politisch war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 1950er Jahren geprägt von relativ stabilen Verhältnissen mit einer Führungsrolle der FBP und einer in einem kon-kordanten System der Ko-Opposition agierenden VU. Die Mehrheit der FBP dauerte von 1928 bis 1970. Seit der Einführung des Proporzwahl rechts im Jahr 1938 war jedoch die VU immer in einer Koalitionsregie rung als Juniorpartner mitbeteiligt und konnte auch politische Ansprü -che in der florierenden Pfründewirtschaft geltend ma-chen.68 In den 1950er Jahren kam es zu sporadischen Bemühungen zur Gründung einer neuen, dritten Partei. Die Liste der Unselbständig Erwerbenden und Klein bauern – eine Initiative des Arbeiterverbandes – kandidierte im Februar 1953 mit einer eigenen Liste zu den Landtagswahlen, scheiterte jedoch klar an der hohen Sperrklausel von 18 Prozent.69Zu den Land -tags wahlen 1957 meldete auch eine Arbeiter- und Bauernpartei des Liech tensteiner Unterlandes eine Liste an, die jedoch wegen formaler

68 Aus dem Konkordanzgebot der gemeinsamen Regierungskoalition zwischen FBP und VU seit 1938 wurden Aufträge, Verwaltungsstellen und Mandate bei öffent -lichen Anstalten nach einem Parteienproporz vergeben. Es etablierte sich damit ein System der sogenannten «Vetternwirtschaft», das jedoch nicht schriftlich do ku men -tiert und auch nicht systematisch untersucht ist. Am leichtesten nach vollziehbar ist das System bei der Besetzung der Positionen von öffentlichen Anstalten (Landes -bank, Liechtensteinische Kraftwerke, AHV), wobei die ersten beiden traditionell schwarz, die letzte rot war. Die Frage der Stellenbesetzung bei der AHV hatte 1953 sogar zu einer Blockierung im Landtag und zu vorgezogenen Neuwahlen geführt (Hoch 1991; Marxer 2000, S. 85). Die FBP und die VU waren immer bemüht, sich für ihre Klientel einzusetzen. Eine empirische Untersuchung dieses Aspektes in Liech tenstein, der heute nicht mehr ganz so ausgeprägt, aber immer noch existent ist, ist allerdings erst noch zu leisten.

69 Vgl. Brunhart 1995, S. 48 f.

Mängel nicht zur Wahl zugelassen wurde. Auch diese Initiative stamm-te aus Arbeistamm-terkreisen.70 Diese gescheiterten Versuche von Partei grün -dun gen sind ein Indiz für die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik in Liech ten stein unter der hegemonialen Führung und Kontrolle der Koalition von FBP und VU. Vor diesem Hintergrund wurde 1962 eine weitere politische Initiative gestartet, indem zu den Landtagswahlen wiederum eine dritte Partei um Mandate kämpfte. Es handelte sich um die Christlichsoziale Partei (CSP), genannt die «Grünen». Sie kan -didierte in beiden Wahl kreisen und erreichte auf Anhieb knapp über 10 Pro zent der Stim men. Damit war sie allerdings noch immer deutlich an der Sperrklausel von 18 Prozent gescheitert. Bei den folgenden Wahl -gän gen verlor sie an Stärke und verschwand schliesslich 1974 nach einem Wahlergebnis von knapp 3 Prozent bei den Landtagswahlen von der po-litischen Bühne.71 Die CSP setzte allerdings nicht nur politisch ein Zeichen, sondern machte sich auch in der Presselandschaft bemerkbar, indem sie sich ein eigenes Sprachrohr mit dem Titel «Der Liechten -steiner» schuf.

2.1.3.1 Der Liechtensteiner bzw. Der Liechtensteiner Wochenspiegel 1964–1976

Der Liechtensteiner72wurde 1964 als Wochenzeitung lanciert, die nach eigenem Bekunden an der politischen Meinungsbildung mitwirken soll-te. Der Start der neuen Zeitung am 1. Mai 1964 – am Tag der Arbeit – war sicherlich kein Zufall. Der Liechtensteiner und die CSP knüpften da mit an die bereits in den 1950er Jahren aufgeflammte kritische Hal -tung gegenüber den etablierten Parteien und dem Parteienfilz an. Die Funk tion als Sprachrohr der CSP war unverkennbar, auch wenn im Zei

-70 Vgl. Batliner 1981, S. 140 f.; Marxer 2000, S. 90; Liechtensteiner Volksblatt vom 13. August 1957, S. 2.

71 Feger 1985; Waschkuhn 1994, S. 248 f.; Marxer 2000, S. 83–85, 91. Eine exakte Auf -ar bei tung der CSP wie generell der P-arteiengeschichte steht noch aus. Das vom Liech ten stein-Institut Ende der 1980er Jahre initiierte Forschungsprojekt unter der Leitung von Helga Michalsky wurde nicht abgeschlossen. Vgl. Anfangsergebnisse bei Michalsky 1990, 1991.

72 Bisher wurde wenig über den Liechtensteiner publiziert. Vgl. Marxer 2000, S. 112ff.;

Wohlwend 1981.

tungs kopf der Untertitel «Unabhängige Wochenzeitung für das Fürsten tum Liechtenstein» stand. Vorsitzender des «Pressevereins Der Liech -ten steiner» war denn auch Fritz Kaiser aus Schaanwald, der für die CSP zwischen 1962 und 1974 zu allen Landtagswahlen angetreten war.73 Zu den Zielen der Zeitung äusserten sich die Herausgeber wie folgt:

«Am Zustandekommen einer politischen Meinungsbildung mitzu-wirken, soll eine der vornehmsten Aufgaben des neuen Blattes sein.

‹Der Liechtensteiner› wird sich nicht scheuen, Fragen, die alle Liech tensteiner angehen, zu besprechen und zur Diskussion zu stellen. Ein offenes Wort kann oft Klarheit schaffen, wo Schweigen nur Unbehagen verursacht.»74

Der Liechtensteiner war bemüht, in eher ungewohnten Tönen über Miss stände und Versäumnisse zu berichten.75Neben der kritischen poli-tischen Berichterstattung – weitgehend aus der Optik der Christlich-Sozia len Partei – waren wichtige Schwerpunkte der ersten Jahre die kri-tische Stimme gegen die Erweiterung des Waffenplatzes auf der Prat bei Balzers und gegen die Errichtung eines geplanten thermischen Kraft wer kes in Rüthi/St.Gallen. Die Zeitungen lieferten sich Stellvertreter ge fechte für die jeweiligen Parteien. Der damalige Chefredaktor des Liech -ten steiner Volksblattes, Walter Bruno Wohlwend, verstieg sich einmal zur Bemerkung, dass es sich beim Liechtensteiner um eine «Bande von verantwortungslosen Dilettanten» handle.76Der Liechtensteiner

seiner-73 Erster verantwortlicher Redaktor war Johann Senti, der am 8.7.66 gesund heits -halber zurücktrat und von Tilbert Meier abgelöst wurde. Bereits ein Jahr später, am 21.4.1967 übernahm A.Kaiser die Redaktion.

74 Der Liechtensteiner 1. Jg. Nr. 1 v. 1. Mai 1964, S. 1.

75 Wohlwend schreibt über den «Liechtensteiner»: «‹Der Liechtensteiner›, der zu -nächst durch die in jenen Jahren ungewöhnliche Form des Aufzeigens echter und angeblicher politischer Missstände eine Art Enthüllungsjournalismus betrieb, muss -te bald selbst die Grenzen erkennen, die einer Zeitung in einem geographisch und bevölkerungsmässig engen Raum gesetzt sind.» (Wohlwend 1981, S. 64).

76 Dieser Vorwurf wurde presserechtlich geahndet und Wohlwend zu einer Gegen dar -stel lung auf der ersten Seite des Volksblattes gezwungen. Wohlwend musste am 18.12.1965 eine Erklärung auf der Frontseite des «Liechtensteiner Volksblattes» veröffentlichen, die folgenden Wortlaut hatte: «Walter B. Wohlwend als verantwort -licher Redaktor des «Liechtensteiner Volksblatt» erklärt, er habe in den Ausgaben Nr. 52 vom 10. 4. 1965 und Nr. 115 vom 5. 8. 1965 unter den Überschriften «wir brau chen keine Gazettendiktatur» und «Eine Geschichtslüge» über das Mass einer Kritik hinausgehende Ausdrücke: «Bande verantwortungsloser Dilettanten»,

seits kritisierte Filz und Vetternwirtschaft der beiden Grossparteien und klagte darüber, dass auf Mitarbeiter der Zeitung starker Druck ausgeübt werde. Auf der Titelseite vom 2. Mai 1969 heisst es im Rückblick auf die ersten fünf Jahre:

«Bedauerlicher war es, dass einige unserer Mitarbeiter einem völlig gesetzwidrigen Druck von jenen Stellen ausgesetzt wurden, von de nen sie wirtschaftlich abhängig waren. So mussten wir mehr als einmal unseren verantwortlichen Redaktor aus derartigen Gründen auswechseln. Das war nicht fair und sollte in einer Gesellschaft, die sich stolz ihrer demokratischen Einrichtungen rühmt, nicht vor-kommen.»77

Am 7. Mai 1971 wurde die Wochenzeitung neu lanciert. Sie erschien fortan in einem neuen, kleineren Format und nannte sich nun «Der Liechtensteiner Wochenspiegel. Unabhängige Wochen-Zeitung des Fürs tentums Liechtenstein», später «Liechtensteiner Wochenspiegel – Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur». Der Wochenspiegel wurde fortan in der Regel von freischaffenden Journa -listen aus dem Rheintal – St. Gallen oder Vorarlberg – redaktionell betreut.78 Zwei Jahre später, am 6. Juli 1973 wurde das Format wieder auf die ursprüngliche Grösse umgestellt. Damit einher ging wieder ein

«Ge schichtslüge», «Infame Lüge», «Eine solche Lüge im Grossformat ist eine Schur ke rei» gebraucht, in denen der Privatkläger Fritz Kaiser als Präsident des Pressevereins «Der Liechtensteiner» eine Herabsetzung seiner Person erblickt. Es war nicht seine Absicht, den Privatkläger und dessen Mitarbeiter in ihrer Ehre zu verletzen, weshalb er diese Formulierungen, soweit die Ausdrücke das Mass blosser Kritik übersteigen, als Beschimpfung mit Bedauern zurücknehme.» Die Erklärung wurde allerdings kaum sichtbar am Ende eines Fortsetzungsromans platziert.

(Liechtensteiner Volksblatt v. 18. Dezember 1965). Vgl. auch Der Liechtensteiner v.

23. April 1965, 7. Mai 1965, 3. September 1965, 3. Dezember 1965, 10. Dezember 1965 und 17. De zem ber 1965.

77 Der Liechtensteiner v. 2.5.1969. Im Rückblick nach zehn Jahren heisst es: «Stagnie -ren de Anzeigeneingänge, ja allgemeine Reserviertheit gegen Geschäftsleute, die in unserer Zeitung inserierten, waren keine Seltenheit.» (Liechtensteiner Wochen -spiegel v. 3. 5. 1974). Im gleichen Artikel werden aber auch positive Zeichen gese-hen: «Die allgemein sichtbare Liberalisierung, die wesentlich kritischer gewordenen Zeitungen, die demokratischer agierenden Parteien, all dies sind erfreuliche Ergebnisse einer Entwicklung, an der unsere Zeitung aktiv teilhaben konnte.» (ebd.)

78 In der Redaktion waren bei der Neulancierung neben A. Kaiser auch A.R. Schmucki und W. Stecher.

Wech sel in der Redaktion. Verantwortlich für den Inhalt war jetzt Fritz Kai ser. Walter Stecher war redaktioneller Mitarbeiter.

Diese Episode dauerte aber nur zwei Monate. Dann übernahm ein junges Redaktionsteam die Leitung.79 Verantwortlich für den Inhalt zeichnete weiterhin Fritz Kaiser. Da das neue Redaktionsteam die Un -ab hän gigkeit von der CSP nicht gewährleistet sah, endete dessen Arbeit bereits nach fünf Ausgaben. Damit endete auch eine einmalige Gelegen heit, in Liechtenstein erstmals eine funktionierende Zeitung – wenigs -tens als Wochenzeitung – herauszugeben, die parteiunabhängig, aber den noch meinungsbildend auftreten wollte. Ob das Redaktionsteam je-doch das finanziell wohl wenig aussichtsreiche Projekt dauerhaft hätte betreiben können, muss dahingestellt bleiben. Da sich gerade an diesem Beispiel besonders deutlich das Spannungsverhältnis zwischen Medien und Politik in Liechtenstein zeigt, soll der Fall etwas detaillierter im Originaltext dokumentiert werden. Das «unabhängige» Redaktionsteam wurde gezwungen, im Hinblick auf die Volksabstimmung über die Ein füh rung einer 8ProzentKlausel und der Einführung des Kandida ten -pro porzes eine Stellungnahme der Christlich-Sozialen Partei auf der Titelseite abzudrucken. Dies geschah tatsächlich in der Ausgabe vom 12. Oktober 1973.80Das junge Redaktionsteam verabschiedete sich mit einem Leserbrief im Liechtensteiner Vaterland und Volksblatt, der hier auszugsweise zitiert wird:

«Das Experiment ‹Liechtensteiner Wochenspiegel› als unabhängige Zeitung ist gescheitert. Am vergangenen Mittwoch wurde die Re -daktion vom Verleger, Herrn Direktor Helmut Frick, dem angeb-lichen Eigentümer der Zeitung, gezwungen, auf der ersten Seite eine Erklärung der CSP zum Wahlgesetz zu publizieren. Ohne

79 Ihm gehörten Günther J. Wolf als Chefredaktor, Georg Kieber, Georg Burgmeier, Arthur Brunhart und Christine Kaufmann als Redaktionsmitglieder sowie Walter Stecher als redaktioneller Mitarbeiter an. Weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Erwähnung im Impressum (dies geht aus der Erklärung zum Rücktritt aus der Redaktion hervor, vgl. Liechtensteiner Vaterland/Liechtensteiner Volksblatt vom 13. Oktober 1973) waren Loretta Kieber, Heini Vogt, Paul Vogt und Wilfried Vogt.

80 Ge mäss mündlicher Auskunft von Georg Kieber vom 9. 9. 1997 soll Fritz Kaiser dies mit dem Hinweis durchgesetzt haben, dass er bereits Geldmittel in der Grös -sen ordnung eines Einfamilienhauses in die Zeitung investiert habe und daher das Recht habe, gewisse Forderungen zu stellen.

Rück sicht auf den Inhalt dieser Erklärung weigerte sich die Redak tion geschlossen, diese CSPStellungnahme aufzunehmen. Die Un -ab hängigkeit, wie sie dem Abonnenten zugesichert wurde, verbie-tet eine parteigebundenen Beitrag als Leitartikel aufzunehmen. (...) Überzeugt, dass eine von Parteien und Interessengruppen unab-hängige Zeitung einem Bedürfnis entspricht, wurde nach einem Medium gesucht. Nach Abwägen verschiedener Möglichkeiten nahmen wir Kontakt mit dem Liechtensteiner Wochenspiegel auf.

Dessen Sprecher, Herr Dir. Helmut Frick, zeigte sich begeistert von der Idee der wirklichen Unabhängigkeit. Als Voraussetzung für die Zusammenarbeit wurde vor allem die Distanzierung von der CSP, die Unabhängigkeit gegenüber allen Seiten, die Absage an Fritz Kaiser als verantwortlichen Redaktor, die Einsichtnahme in finanzielle Belange der Zeitung sowie die schriftliche Fixierung dieser Bedingungen in einem Redaktionsstatut genannt. (...) Auf Grund der andauernden Zusicherungen, unsere Bedingungen zu er füllen und uns freie Hand zur unabhängigen Arbeit zu gewähren, vertrauten wir auf das Wort und die ehrlichen Absichten des Herrn Frick und liessen uns hinhalten. Unser Idealismus und unser Ver trauen ist zwar in schwerstem Masse enttäuscht worden, die Tat sa che jedoch, dass wir allein durch vier Ausgaben rund 200 Neu -abon nenten gewinnen konnten, erfüllt uns mit Genugtuung. Für die Neuabonnenten mag interessant sein, dass der Liechtensteiner Wochenspiegel weiterhin erscheinen soll, jedoch vermutlich als ein deutiges CSPOrgan und selbstverständlich ohne unsere Mit -arbeit.» Gezeichnet: Arthur Brunhart, Georg Burgmeier, Christine Kaufmann, Georg Kieber, Loretta Kieber, Heini Vogt, Paul Vogt, Wilfried Vogt.81

Nach mehreren weiteren Wechseln in der Redaktion82musste der Pres -se verein im dreizehnten Jahr ein-sehen, dass die finanzielle Basis für das Weiterbestehen dieser Wochenzeitung nicht mehr gegeben war und er verabschiedete sich mit der letzten Ausgabe am 10. September 1976.

81 Liechtensteiner Vaterland und Liechtensteiner Volksblatt vom 13. Oktober 1973.

82 Am 12. Oktober 1973 zeichnete wieder A.R. Schmucki als verantwortlicher Redak -tor, später folgte wiederum Walter Stecher. Im Juli 1974 erschien auch S. Scherrer kurzzeitig im Impressum.