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Rechtliche Regelungen

Im Dokument DAS LEBENSENDE IN DER SCHWEIZ (Seite 196-199)

9. Fazit und Ausblick

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bei gesundheitspolitischen Entscheidungen angemessen sein, das heisst beispielsweise, dass die Kosteneffektivität einer Behandlung unter Berücksichtigung der jeweiligen An-wendungsfelder nicht als das einzige Kriterium bei einer Entscheidung über den Zu-gang zu Massnahmen herangezogen werden darf. Neben der Kosteneffektivität ist die Berücksichtigung weiterer Kriterien, die zu einer gerechten politischen Entscheidungs-findung herangezogen werden sollten, zwingend, beispielsweise die Wirksamkeit einer Massnahme, deren Zweckmässigkeit, die Dringlichkeit einer Behandlung, der Schwere-grad einer Krankheit, die Behandlungsgleichheit aller sowie die Solidarität mit vulne-rablen Menschen.

Nicht selten wird die Berücksichtigung ökonomischer Expertise gleichgesetzt mit der aus guten Gründen negativ bewerteten Tendenz zur Ökonomisierung der Medi­

zin. Beide Realitäten sind jedoch voneinander zu unterscheiden: Während die Berück-sichtigung ökonomischen Sachverstands in einem Bereich, in dem es um die Allokation knapper Ressourcen geht, beispielsweise zur Bestimmung der Kosteneffektivität von Massnahmen, unabdingbar ist, stellt die zunehmende Ökonomisierung der Gesund-heitsversorgung ein Problem mit unerwünschten Konsequenzen dar. Zu Recht kritisiert wird die Überformung von Handlungen und Entscheidungen in der Medizin mit (be-triebs-)wirtschaftlichen Kriterien. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn die Ärzte-schaft sich bei der Festlegung der Behandlung von Patientinnen und Patienten primär an ihrem Gewinn orientiert oder wenn die Qualität eines Spitals in erster Linie über den erzielten Jahresgewinn bestimmt wird oder auch, wenn im Vergütungssystem mit Fallpauschalen auf Spitalebene eine Patientenselektion nach finanziell kleinen Risiken durchgeführt wird. Mit diesen Tendenzen verbunden ist die Gefahr der Zunahme von Fehlbehandlungen am Lebensende: Kostenüberlegungen können dazu führen, dass Mass-nahmen an Sterbenden durchgeführt werden, die kontraindiziert sind; aus Sicht des Betriebs müssen sie durchgeführt werden, um zusätzliche Einnahmen zu generieren;

umgekehrt können Kostenüberlegungen auch dazu beitragen, dass aufgrund zu hoher Kosten auf eigentlich indizierte Massnahmen verzichtet wird. Beide Formen von Fehl-behandlungen Sterbender sind problematisch und hängen direkt oder indirekt mit einer Übergewichtung (betriebs-)wirtschaftlicher Aspekte im medizinischen Alltag sowie mit falschen Anreizen durch das heutige Finanzierungssystem zusammen.

9.5 Rechtliche Regelungen

Rechtliche Regelungen, die das Lebensende von Menschen in der Schweiz betreffen, wer-den in Kapitel 7 kommentiert und erläutert. Mit internationalen Konventionen, natio-nalen Gesetzen, strafgesetzlichen Bestimmungen und den 2013 eingefügten Regelungen im Zivilgesetzbuch, ferner kantonalen Gesetzen und bestehenden Richtlinien werden wichtige gesetzliche und sonstige Regelungen vorgestellt. Daneben wird die Bedeutung

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einiger wichtiger Instrumente, wie beispielsweise der Patientenverfügung oder des Vor-sorgeauftrags, erläutert. Die Ausführungen unterstreichen namentlich die zentrale Be-deutung der Urteilsfähigkeit Sterbender und schildern die Möglichkeiten, welche den Betroffenen heute aufgrund des geltenden Rechts zur Verfügung stehen, um für den Fall der eigenen Urteilsunfähigkeit vorzusorgen. Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksam-keit steht seit Jahren zudem die Debatte um eine mögliche Neuregelung des assistier-ten Suizids. Gemäss bestehender Regelung ist der frei- und eigenverantwortliche Suizid einer urteilsfähigen Person nicht unter Strafe gestellt, was, abgesehen von Art. 115 StGB (Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord aus selbstsüchtigen Beweggründen), auch für die Unterstützung durch einen anderen Menschen gilt. Konkretere Bestimmungen über die Verschreibungspraxis eines tödlich wirkenden Mittels durch Ärztinnen und Ärzte sind auch im ärztlichen Standesrecht zu finden, wobei dieses gegenwärtig überarbeitet und in wesentlichen Punkten verändert wird, beispielsweise in der Frage, ob sich eine sterbewillige Person am Lebensende befinden muss, damit ein Arzt assistierten Suizid leisten und ein entsprechendes Mittel verschreiben darf.

Durch die persönliche Freiheit ist auch das Recht eines Urteilsfähigen geschützt, Entscheidungen zu treffen, die aus der Sicht eines anderen, wie beispielsweise einer Ärz­

tin, unvernünftig sind. In dieser bemerkenswerten Feststellung werden zwei Elemente an-gesprochen, die Gegenstand breiterer Debatten sind. Es geht zum einen um die Urteils-fähigkeit, die auch bei vielen Sterbenden vorhanden ist. Zum andern geht es darum, dass das Recht auch unvernünftige Entscheidungen schützt. Damit wird der medizinische, rechtliche und in weiteren Bereichen bestehende Paternalismus in klare Schranken ver-wiesen, also die moralisierende Tendenz, die Menschen zu bestimmten Entscheidungen zu drängen, zu zwingen oder ihnen diese nahezulegen.

Die Feststellung der Urteilsfähigkeit stellt grundsätzlich eine Herausforderung dar, geht es um Lebensende-Entscheidungen, ist sie von besonderer Tragweite. Im Normal-fall wird die Urteilsfähigkeit eines Patienten zwar praktisch von Ärztinnen und Ärzten festgestellt, da es sich jedoch um einen Rechtsbegriff handelt, bleibt das letzte Wort da-rüber bei den Gerichten. Eine Herausforderung ist die Feststellung der Urteilsfähigkeit beispielsweise deshalb, weil ein Arzt die Urteilsfähigkeit einer Sterbenden aus professio-neller Sicht infrage stellen könnte, weil er – bewusst oder unbewusst – der Meinung ist, die geäusserten Wünsche oder Absichten seien unvernünftig oder moralisch nicht ver-tretbar. Bezweifelt eine Ärztin auf der Basis solcher Aspekte die Urteilsfähigkeit eines Patienten, sind ihre Zweifel und damit die Urteilsfähigkeit der betroffenen Person recht-lich sorgfältig abzuklären. Anderenfalls würde die getroffene Entscheidung unter den unzulässigen ärztlichen Paternalismus fallen. Geht es um die Feststellung der Urteils-fähigkeit, wäre darum die Existenz von Richtlinien zu begrüssen, obgleich klar bliebe, dass auch diese in jedem einzelnen Fall neu, hinsichtlich einer bestimmten Person und eine von ihr zu treffenden Entscheidung interpretiert werden müssten.

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Bezüglich der rechtlichen Regelung wird zudem kontrovers diskutiert, welche Leitidee im Fall der Urteilsunfähigkeit eines Sterbenden handlungsleitend sein sollte:

Alternativ erwogen werden das Konzept der durch entsprechende Vorsorge gewähr-leisteten Selbstbestimmung und dasjenige einer Treuepflicht einer Beauftragten, nament-lich der behandelnden Person gegenüber dem Patienten. Die Gefahr der mögnament-lichen Überforderung einer Sterbenden wird in dieser Debatte der Gefahr eines ungerecht-fertigten Paternalismus gegenübergestellt. Im bestehenden Recht wird der im Zustand der Urteilsfähigkeit gebildete Wille als wesentliche Richtschnur für Entscheidungen bei Urteilsunfähigkeit anerkannt. Würde dieser Wille durch eine näher zu bestimmende Treuepflicht der Behandelnden ersetzt, würde die Entscheidungssicherheit in kritischen Situationen vermutlich kaum gestärkt werden.

Dieser Einsicht verdankt sich auch die heute geltende Regelung, dass Patientenver­

fügungen entsprochen werden muss. Die Patientenverfügung ist ein wesentlicher, recht-lich bindender Ausdruck der Selbstbestimmung Sterbender. Trotzdem ist deren Wir-kung in der Praxis häufig unbefriedigend. Zur Diskussion steht, wie eine Beratung vor Abfassung einer Patientenverfügung intensiviert und ob sie von den Krankenkassen im Rahmen der Grundsicherung finanziert werden sollte. Im Zusammenhang mit der Kaskadenregelung von Art. 378 ZGB in Bezug auf die Vertretungszuständigkeit auch bei Lebensende-Entscheidungen wird darüber hinaus die Frage aufgeworfen, inwieweit diese Vorschriften praktikabel und realistisch sind. Zur Debatte stehen verschiedene Punkte: ob eine ausreichende Kenntnis der Regelungen bei den Behandlungsteams vorhanden ist, die Praktikabilität der Regelungen, der Zugang zu den verantwortlichen Personen innerhalb nützlicher Fristen und schliesslich auch die Definition der gesetzlich vorgeschriebenen Be-rücksichtigung sogenannter objektiver Interessen der sterbenden Person.

Ein seit Jahren in der Schweiz diskutiertes Thema betrifft zudem die rechtliche Rege­

lung des assistierten Suizids. Kontrovers beantwortet wird die Frage, ob die bestehenden Regelungen genügen oder ob detaillierte Regelungen im Strafrecht oder auch neu zu schaffende kantonale Aufsichtsgesetze notwendig wären. Die geltende rechtliche Rege-lung in der Schweiz beschränkt sich weitgehend auf einen Artikel im Strafgesetzbuch, Art. 115 StGB, der die «Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord» nur dann unter Strafe stellt, wenn die Unterstützung aufgrund selbstsüchtiger Beweggründe erfolgt. Diese Re-gelung gilt für jede Person, unabhängig davon, ob diese ein Arzt ist oder nicht. Wenn bei einem assistierten Suizid eine Ärztin involviert ist und verschreibungspflichtige Medika-mente eingesetzt werden, gelten darüber hinaus weitere rechtliche Regelungen sowie standesrechtliche Richtlinien. Ausländische rechtliche Regeln sind nicht unbedingt als Vorbild für die Schweiz geeignet. Der «Death With Dignity Act», das Gesetz, in wel-chem der ärztlich assistierte Suizid im US-Bundesstaat Oregon seit 1996 geregelt ist, ist beispielsweise sehr restriktiv, da sich dort die Assistenz auf Ärztinnen und Ärzte be-schränkt und nur Sterbewillige, die sich am Lebensende befinden, das heisst maximal

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noch ein halbes Jahr zu leben haben, im Suizid unterstützt werden dürfen. Auch die Gesetzgebung aus Belgien, den Niederlanden und Luxemburg dient kaum zur Orientie-rung, weil dort ebenfalls ausschliesslich Ärztinnen und Ärzte einen Patienten oder eine Patientin im Suizid begleiten dürfen und aufgrund der Erlaubnis der ärztlichen Tötung auf Verlangen der Fokus der Regelung auf der Fremdtötung liegt. Da in Belgien und den Niederlanden die Diskussionen über die Interpretation und Ausgewogenheit des gel-tenden Rechts auch viele Jahre nach Etablierung der gesetzlichen Regelungen anhalten, dürfte die Erwartung, mit einer detaillierten Regelung des assistierten Suizids würden heute bestehende Grauzonen eliminiert und Klarheit geschaffen, enttäuscht werden.

Strittige Punkte sind beispielsweise, ob auch Kinder und Jugendliche den assistierten Suizid oder eine Tötung auf Verlangen in Anspruch nehmen dürfen, ob dies auch Men-schen mit demenziellen Störungen tun dürfen, indem sie einen entsprechenden Hinweis in ihre Patientenverfügung aufnehmen, ob dies schliesslich auch Menschen tun dürfen, die weder physisch noch psychisch erkrankt sind, jedoch unter einer Lebensmüdigkeit, sozialer Isolation oder Einsamkeit leiden. Schliesslich ist umstritten, wie mit dem Sterbe-wunsch psychisch kranker Menschen angemessen umzugehen ist.

Darüber hinaus bleibt zu beobachten, ob angesichts der Häufigkeit und der Zu-nahme von Entscheidungen zur tiefen Sedierung bis zum Tod rechtliche Regelungen nötig werden. Hier ist die Abgrenzung zur Tötung (auf Verlangen) nicht immer einfach;

die strafbare Grenze wird hingegen überschritten, wenn durch die Sedierung der Todes-eintritt bewusst beschleunigt wird. Wie weit das sogenannte Sterbefasten in Zukunft im klinischen Alltag eine bedeutende Rolle spielen wird, muss sich noch zeigen; je nach Entwicklung könnte auch diese Realität zu einer rechtlichen Herausforderung werden.

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