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Determinanten der Sterbekosten II: das Alter

Im Dokument DAS LEBENSENDE IN DER SCHWEIZ (Seite 114-117)

6. Kosten der medizinischen Versorgung am Lebensende

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durch wird der Anteil aller Personen in der Bevölkerung, die sich im letzten Lebensjahr befindet, überschätzt und somit auch die Kosten für Personen im letzten Lebensjahr. In einer neuen Studie kommen French, McCauley, Aragon, Bakx, Chalkey, Chen und Kelly (2017) zum Schluss, dass die Kosten in den letzten zwölf Monaten des Lebens gemessen an den gesamten Gesundheitskosten in der entwickelten Welt geringer sind als gemeinhin angenommen. Sie liefern erstmals vergleichbare Zahlen für die Länder Dänemark, Eng-land, Frankreich, DeutschEng-land, Japan, Niederlande, Taiwan und die USA. Der Kosten-anteil von Patienten im letzten Lebensjahr ist überraschend gering und liegt zwischen 8,5 Prozent (USA) und 11,2 Prozent (Taiwan). Die absoluten Kosten im letzten Lebens-jahr (mit Kosten für Krankenhausaufenthalte, stationäre und ambulante Pflege, Medika-mente und ambulante Behandlungen) liegen zwischen 50 000 USD (Deutschland) und 80 000 USD (USA). Die bisher vorliegenden Schätzungen aus den Schweizer Daten mit etwa 30 000 CHF sind deutlich niedriger, was daran liegt, dass die Kosten systematisch unterschätzt werden: die Abrechnungsdaten der Krankenversicherer beinhalten die An-teile der anderen Kostenträger (Kantone und Gemeinden, akutstationäre Versorgung und Pflege) und teilweise der Patienten (Selbstbeteiligung, Pflege) nicht.

Leider ist nicht bekannt, ob sich die regionalen Unterschiede in den Kosten auf die me-dizinische Versorgung am Lebensende beschränken oder ob sie auch in Bezug auf die Kosten von Überlebenden gültig sind. Die generell höheren Hospitalisierungsraten in der lateinischen Schweiz sind allerdings ein Hinweis darauf, dass sich die Präferenzen der Bevölkerung bezüglich medizinischer Versorgung ähnlich auf die Versorgung der Ster-benden wie der ÜberleSter-benden auswirken. Dafür spricht auch, dass die für die Betreuung verantwortlichen Personen und auch die Betroffenen selbst in den meisten Fällen zu Be-handlungsbeginn den Todeszeitpunkt nicht kennen, also nicht wissen können, ob die Behandelten der Gruppe der Überlebenden oder der Sterbenden angehören werden.

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Neben der Betrachtung der mittleren Gesundheitsausgaben von Personen am Lebens-ende ist es von Interesse, die Verteilung dieser Kosten in unterschiedlichen Patienten­

gruppen zu vergleichen. Ein erster Ansatzpunkt ist das Alter der Personen, da sich in einer Reihe von Studien ein markanter negativer Zusammenhang zwischen dem Alter und den Sterbekosten zeigt. Das heisst, je älter jemand stirbt, umso geringer fallen die Sterbekosten aus. Schon die Arbeit von Lubitz und Riley (1993) hatte, neben einer erst-maligen Bestandsaufnahme, die Verteilung der Kosten nach Todesalter zum Inhalt.

Diese Daten bezogen sich allerdings nur auf Patientinnen und Patienten, die älter als 65 Jahre waren. Danach liegen die durchschnittlichen Kosten im letzten Lebensjahr

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bei den 65- bis 74-Jährigen bei rund 15 500 USD (Preisniveau 1988) und sinken danach kontinuierlich und erreichen bei den über 90-Jährigen 8900 USD im Durchschnitt. Die Pro-Kopf-Kosten im letzten Lebensjahr sind bei den 65- bis 69-Jährigen im Vergleich zu den über 85-Jährigen um den Faktor 1,5 höher.

In der übrigen Bevölkerung, d. h. bei den Überlebenden, ist es umgekehrt: Pro-Kopf-Kosten von 1500 USD in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen stehen 2500 USD bei den über 85-Jährigen gegenüber (Faktor von 0,6). Unabhängig vom Alter liegt das Verhältnis der Kosten im letzten Lebensjahr zu den durchschnittlichen Kosten der üb-rigen Bevölkerung bei 6,9.

Wenngleich die Studie von Lubitz und Riley lange zurückliegt, haben ihre Ergeb-nisse qualitativ nichts an Aktualität eingebüsst, wie eine Studie von Polder, Barendregt und van Oers (2006) zeigt, welche die Kosten am Lebensende in den Niederlanden für alle Altersgruppen untersuchte. In der folgenden Abbildung 6.4 werden die Kosten ins-gesamt und aufgeteilt in Pflege- und Behandlungskosten nach Alter der Personen dar-gestellt, wobei die Kosten für die Verstorbenen (V) und für die Überlebenden, also die üb-rige Bevölkerung (Ü) getrennt dargestellt sind. Ähnlich wie Lubitz und Riley (1993) sind die gesamten Kosten (die Summe der Pflege- und medizinischen Kosten) bei einem Todes-alter von 70 Jahren am höchsten. Danach fallen sie vergleichsweise stark ab (orange Kurve V). Dieses Muster gilt für die meisten Erkrankungen, nicht aber bei Krebserkrankungen, welche mit vergleichsweise hohen Ausgaben in jungen Jahren einhergehen, sich dann ab dem 55. Lebensjahr auf einem mit anderen Erkrankungen vergleichbaren Niveau ein-pendeln und mit zunehmendem Lebensalter langsam zurückgehen. Die Pflegeausgaben (rote Kurve V) nehmen bis zum Todesalter von 90 Jahren zu und sinken dann für die Ver-storbenen über 95 Jahre.

In Abbildung 6.5 wird als Zweites die Relation der Kosten für die Verstorbenen (V) im Vergleich zu den Überlebenden (Ü) dargestellt. Ein Wert von 30 bei der männlichen Bevölkerung der jüngsten Altersgruppe bedeutet beispielsweise, dass für die Sterbenden in diesem Alter 30 Mal höhere Behandlungskosten beobachtet wurden als für die übrigen Männer in diesem Alter. Hier zeigt sich ein markantes Absinken der Kostenrelationen von Verstorbenen zu Überlebenden mit zunehmendem Lebensalter. Das ex trem hohe Verhältnis in jungen Jahren rührt freilich daher, dass die Mehrzahl der Überlebenden überhaupt keine medizinische Hilfe benötigt.

Diese sehr detaillierten Ergebnisse finden sich etwas weniger ausführlich auch in der Arbeit von Beck, von Wyl, Telser und Fischer (2016) für die Schweiz. Der Quotient der Pro-Kopf-Kosten zwischen Verstorbenen und Überlebenden, unabhängig vom Alter, beträgt 8,6. Bei den unter 65-Jährigen ist dieser Quotient 23,1 und bei den über 65-Jährigen 5,4.

Vergleicht man die Kosten im letzten Lebensjahr zwischen ‘jung’ und ‘alt’, beträgt der Quo-tient 1,2: Die medizinische Versorgung im letzten Lebensjahr kostet bei den unter 65-Jäh-rigen im Durchschnitt 20 Prozent mehr als bei den über 65-Jäh65-Jäh-rigen. Allerdings ist dieses

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Verhältnis in den Behandlungskosten am Lebensende je nach Todesursache unterschied-lich: Die Kosten im letzten Lebensjahr von Personen mit Krebserkrankung liegen bei den unter 65-Jährigen im Vergleich zu den über 65-Jährigen um 30 Prozent höher, wohinge-gen sie bei allen anderen Todesursachen im Durchschnitt um 15 Prozent tiefer liewohinge-gen. Die hohen Kosten der Versorgung junger Menschen mit Krebserkrankungen führen aber dazu, dass die Kosten insgesamt am Lebensende im Alter geringer sind (alle Zahlen wurden auf der Grundlage der Abbildungen 1 und 2 in der Publikation von Beck et al., 2016 berechnet).

Demografische Alterung und Gesundheitskosten: Eine falsche Fährte

Durch die Fortschritte in der Medizin komprimiert sich die Sterblichkeit immer mehr ins hohe Alter. Bei gleichzeitig hohen Sterbekosten hat dies dazu geführt, dass die Gesundheits-kosten im hohen Alter angestiegen sind. Tatsächlich ist das Altersprofil bei den Gesund-heitskosten im Zuge der demografischen Alterung steiler geworden. Eine pessimistische Betrachtung legt nahe, dass mit der weiteren Zunahme der Lebenserwartung die Kosten explodieren. Zweifel, Felder und Meier (1999) zeigten jedoch, dass dies die falsche Fährte ist. Nicht das kalendarische Alter bestimmt die Höhe der Gesundheitskosten, sondern die

Abbildung 6.4: Kosten in Abhängig-keit vom Alter für Überlebende (Ü) und Verstorbene (V), in 1000 Euro

Abbildung 6.5: Kostenrelation zwischen Verstor benen und Überlebenden für Männer und Frauen in  Abhängigkeit vom Alter

Männer Frauen

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Nähe zum Tod. Deshalb wird der Einfluss der demografischen Alterung auf die Gesund-heitskosten neutralisiert. Die Menschen sterben später, ohne dass ihre GesundGesund-heitskosten über den gesamten Lebenszyklus zwangsläufig steigen. Nach der strengen Kompressions-theorie, wonach sich die Phase der Morbidität vor dem Tod sogar verkürzt (Fries, 1980, 1990) könnten die Gesundheitskosten mit der demografischen Alterung sogar sinken.

Denn zum einen komprimiert sich die Morbidität ebenfalls zunehmend ins hohe Alter und zum andern verursacht das Sterben im hohen Alter weniger Kosten. Die «Red Herring Hypothesis», wie die These der falschen Fährte im Englischen genannt wird, hat sich in der Literatur weitgehend durchgesetzt: Von der demografischen Alterung alleine sind keine grossen Wirkungen auf das Wachstum der Gesundheitskosten zu erwarten (Felder, 2012).

6.4 Nachher ist man immer klüger: ex-ante- versus ex-post-

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