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Professionen der Grundversorgung

Im Dokument DAS LEBENSENDE IN DER SCHWEIZ (Seite 89-92)

5. Versorgung und Versorgungsstrukturen am Lebensende

5.3 Professionen der Grundversorgung

Pflegefachpersonen sind diejenigen Fachpersonen der Gesundheitsversorgung, welche in der Regel die meiste Zeit mit den Sterbenden verbringen. Der Umstand, dass bisher kaum Studien existieren, welche Einblicke in die pflegerischen Realitäten am Lebensende er-möglichen, muss deshalb als ein blinder Fleck der Versorgungsforschung bezeichnet wer-den; die wenigen Erkenntnisse, die heute vorliegen, betreffen zudem die Pflege in Akut-spitälern und Pflegeheimen. Über die Pflege von Patientinnen und Patienten zu Hause hingegen, gewöhnlich gewährleistet durch Einsätze der Spitex (der spitalexternen Pfle-ge), liegen keine einschlägigen Studien vor.

Angesichts der Perspektive, dass in naher Zukunft der arztfreie oder autonome Raum in der pflegerischen Tätigkeit zunehmen wird, dürfte die Bedeutung der Pflege-fachpersonen und ihrer Kompetenzen auch für die Lebensende-Versorgung stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Eine qualitative Studie hat die Bedeutung von spezialisierten Palliative Care-Pflegefachpersonen beim Aufbau und der Aufrecht-erhaltung von interdisziplinär zusammengesetzten Pflegenetzwerken untersucht: Es hat sich gezeigt, dass gut ausgebildetes Pflegepersonal dafür sorgt, dass die notwendigen Fachpersonen in das Behandlungsnetz aufgenommen werden, Verhandlungen über die Aufgabenteilung führt und sich darum bemüht, die Unterstützung möglichst auf die in-dividuellen Bedürfnisse der betroffenen Personen und Familien zuzuschneiden (Imhof, Kipfer & Waldboth, 2016). Diese Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass Koordinations- und Management-Aufgaben gegenwärtig im pflegerischen Alltag ähnlich an Bedeutung zunehmen wie dies auch im ärztlichen Bereich der Fall ist.

Eine Befragung von Ärztinnen, Ärzten und Pflegefachpersonen aus dem Bereich der gemeindebezogenen Palliative Care, welche Fachleute aus den drei grossen Sprach-regionen der Schweiz einbezog, richtet den Fokus auf bestehende Schwierigkeiten in der interprofessionellen Zusammenarbeit (Alvarado & Liebig, 2016): Unterschiedliche Ver-ständnisse von der Arbeitsorganisation, unterschiedliche berufliche Grundhaltungen und Werte, zudem unklare Aufteilung der Zuständigkeiten führen in der Realität häufig zu Missverständnissen und Problemen, die sich in Konflikten über die angemessene Be-handlung eines Sterbenden oder auch in persönlichen Konflikten äussern können. Um einige Beispiele zu nennen: Pflegefachpersonen arbeiten häufig teilzeitlich, Ärztinnen und Ärzte kommen dagegen unregelmässig beim Patienten vorbei, sodass gegenseitige Absprachen zu einer Herausforderung werden können. Pflegefachkräfte haben nicht selten den Eindruck, die Ärzte würden eine Patientin überbehandeln und nicht sterben lassen; Ärztinnen kritisieren dagegen, die Pflegefachpersonen würden häufig nur ein Behandlungsminimum befürworten, obgleich mehr getan werden könnte. Einschlägig bekannt ist schliesslich das Problem, dass die beruflichen Kompetenzen der jeweils ande-ren Seite in Frage gestellt werden. Diese Studie gibt Anhaltspunkte dafür, wo heikle

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pekte der interprofessionellen Zusammenarbeit liegen könnten, welche auch zugunsten des Patientenwohls verbessert werden sollten. Zwei Königswege zur Verbesserung liegen einerseits im Aufbau guter persönlicher Beziehungen der involvierten Fachkräfte und andererseits in der Verbesserung der Ausbildung (Alvarado & Liebig, 2016).

Spannungsfeld im Zusammenhang mit dem ärztlich assistierten Suizid Obgleich ein grosser Teil der Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz grundsätzlich der Mei-nung ist, der ärztlich assistierte Suizid sei zu erlauben (Brauer, Bollinger & Strub, 2015), ist der Umgang damit im hausärztlichen Alltag schwierig und herausfordernd (Alvarado

& Liebig, 2015b). Hausärztinnen und Hausärzte sehen sich selbst in einem Spannungsfeld zwischen eigenen ethischen Werthaltungen, berufsethischen Ansprüchen und dem Res-pekt vor der Werthaltung und Ethik der Patientinnen und Patienten. Kommt es hier zu Konflikten, bestehen drei typische ärztliche Strategien darin, sich erstens vom Patienten mit Wunsch nach einem assistierten Suizid abzugrenzen (bis hin zur Auflösung der Be-ziehung), sich zweitens einfühlsam an die Haltung der Patientin anzupassen und dabei eigene Ansichten zurückzustellen, sich drittens im Gespräch einander anzunähern, um zu einer gemeinsamen Entscheidung finden zu können. Da der Beziehungsabbruch die Fortsetzung einer guten Behandlung unmöglich macht, sind die Folgen der ersten Stra-tegie besonders heikel. Es wäre wichtig, dass die Ärzteschaft besser auf diese Gespräche vorbereitet würde, damit auch bei ethischen Konflikten eine gute ärztliche Versorgung gewährleistet werden kann (Alvarado & Liebig, 2015b).

Eine Studie im Rahmen des NFP 67 untersuchte die Bedingungen und die Qualität der gemeindenahen Versorgung von sterbenden Personen in der Schweiz aus Sicht der Haus-ärztinnen und Hausärzte (Bally et al., 2016). Die Studie umfasste einen qualitativen Teil mit Interviews und Fokusgruppengesprächen und einen quantitativen Teil mittels Frage-bogenversand an eine repräsentative Stichprobe von Hausärztinnen und Hausärzten.

Die geringe Rücklaufquote von 31 Prozent schränkt die Aussagekraft des quantitati-ven Teils leider ein. Im qualitatiquantitati-ven Teil der Studie konzentrierten sich Otte et al. (2014) und Otte et al. (2015) auf die Frage, wann und warum Hausärztinnen mit ihren Patien-ten und auch mit pflegenden Angehörigen das erste Mal über den nahenden Tod spre-chen. Im Prinzip wurden folgende Momente als geeignet bezeichnet: Solange die Patien-tin noch gesund ist; wenn die Krankheit für die Lebensgestaltung dominant wird; wenn ein Patient in ein Pflegeheim transferiert werden muss. Die Hausärztinnen und Haus-ärzte erwähnten in diesen persönlichen Gesprächen aber auch, dass sie sich unwohl und unsicher fühlen, dieses Gespräch zu initiieren. Die Antworten zeigten, dass es den

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tigen’ Zeitpunkt nicht gibt, sondern dass ein individuell passendes Vorgehen notwendig ist. Das Gespräch mit den Angehörigen wird als besonders wichtig eingeschätzt, um sicherzustellen, dass die Sterbenden auch in schwierigen Phasen auf Unterstützung zäh-len können, dass die Verständigung über belastende und schmerzliche Themen in der Familie ermöglicht wird, um die Vorbereitung der Angehörigen auf bevorstehende Auf-gaben zu ermöglichen und nicht zuletzt auch um sie auf den bevorstehenden Verlust vorzubereiten (Otte, Jung, Elger & Bally, 2015). Die Befragten gaben auch an, dass sie Patientenverfügungen mit dem nahenden Tod assoziieren. Sie würden deshalb dieses Thema nur ungern ansprechen (vgl. dazu auch Kapitel 4.3). Die Autorengruppe empfiehlt gezielte Weiterbildungen, wie ein solches Gespräch geführt werden soll. Ausserdem sollte das Thema Patientenverfügung früher – und noch in gesundem Zustand – angesprochen und im Verlauf der folgenden Jahre im Sinne einer vorausschauenden Planung allenfalls angepasst oder verfeinert werden.

Aus dem quantitativen Teil der Studie kann geschlossen werden, dass für viele Hausärztinnen und Hausärzte bei der Behandlung von Personen am Lebensende die folgenden Aspekte besonders wichtig sind: die Schmerzbehandlung, die Behandlung von Depressionen, Ängsten, Delirien und von Übelkeit. In der Umsetzung dieser haupt-sächlich auf das körperliche Wohl bezogenen Ziele fühlen sich die Ärztinnen und Ärzte auch sehr kompetent. Angesichts anderer, als ebenso wichtig angesehene Bereiche hin-gegen geben sie eher an, sich unsicher zu fühlen: namentlich in der Kommunikation mit Schwerkranken und ihren Angehörigen, in der Begleitung von Menschen aus fremden Kulturen, im Umgang mit Suizidwünschen sowie im Eingehen auf spirituelle Bedürf-nisse. Die wichtigsten Gründe, warum sie Sterbende an einen Facharzt überweisen, sind:

Zeitmangel, die bessere Ausbildung der Spezialistinnen sowie die Unvereinbarkeit von Sterbebegleitung und anderen beruflichen Verpflichtungen. Die persönlich empfunde-ne Sicherheit im Umgang mit der Lebensende-Betreuung stieg mit dem Alter der Ärz-tinnen und Ärzte, ihrer praktischen Erfahrung, der Anzahl von Hausbesuchen und der Ausbildung in Palliative Care (Giezendanner et al., 2017).

Care-Migrantinnen

Im Bereich der Langzeitpflege alter Menschen ist der Einbezug von Care­Migrantinnen auch in der Schweiz zunehmend von Bedeutung (Hochuli, 2013; Keim, 2014). Die Auf-gaben der häufig aus Osteuropa stammenden, nicht selten im Arbeitshaushalt wohnen-den Care-Migrantinnen besteht in einer Mischung von Hausarbeit und Pflege, wobei keine Angaben über deren Ausbildung vorliegen. Drei wesentliche Bedingungen für das Zustandekommen dieser gesellschaftlichen Entwicklung sind die prekäre wirtschaftliche Situation der Care-Migrantinnen in ihren Herkunftsländern, die stark gewachsene

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