• Keine Ergebnisse gefunden

Kosten am Lebensende

Im Dokument DAS LEBENSENDE IN DER SCHWEIZ (Seite 193-196)

9. Fazit und Ausblick

9.4 Kosten am Lebensende

Thema von Kapitel 6 sind die hohen Kosten, die mit den medizinischen Behandlungen am Lebensende gewöhnlich verbunden sind. Angesichts der Debatten um einen an-gemessenen und gerechten Umgang mit den allgemein steigenden Kosten der medizini-schen Versorgung in der Schweiz ist auch dieser Aspekt von zunehmender Wichtigkeit.

Als nicht realistisch erweist sich dabei eine Reduktion der hohen Lebensende-Kosten, um auf diese Weise gleichsam in einem Schritt zwei Ziele zu erreichen: die Abschaffung un-erwünschter Überbehandlungen und die Einsparung von Kosten. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen werden viele Behandlungs-Entscheidungen in Unwissenheit darü-ber getroffen, ob eine Patientin oder ein Patient stirbt oder aufgrund einer Behandlung

9.4 Kosten am Lebensende

193

überlebt; zum andern besteht bis heute keine Evidenz dahingehend, dass durch eine rechtzeitig einsetzende palliative Versorgung die Lebensende-Kosten signifikant ver-ringert werden könnten.

Aus gesellschaftspolitischer Sicht sind mit Blick auf die Verteilung der Lebens-ende-Kosten vor allem vier Einsichten wichtig, die im Rahmen des NFP 67 auch für die Schweiz bestätigt wurden: Erstens sind die Kosten für die Lebensende-Behandlung hoch, viel höher als Behandlungskosten in jedem anderen Lebensjahr eines Menschen. Zwei-tens bestimmt nicht das kalendarische Alter den Verlauf der Kosten, sondern die Todes-nähe; die Kosten verlaufen über den Lebenszyklus mehr oder weniger konstant und stei-gen erst gestei-gen den Todeszeitpunkt hin stark an. Drittens sinken die Lebensende-Kosten im hohen Alter kontinuierlich; je älter ein Mensch stirbt, desto niedriger sind die Kos-ten am Lebensende. VierKos-tens ist es zur Bewertung von medizinischen Massnahmen am Lebensende wesentlich, ob sie ante oder post mortem vorgenommen wird, also in Un-kenntnis oder Kenntnis des Sterbezeitpunkts. Mors certa, hora incerta: Wäre der Zeit-punkt des Todes im Voraus klar, wären viele medizinische Massnahmen entbehrlich, so-dass Ressourcen eingespart und für andere Zwecke frei würden.

Die Diskussion über die Lebensende-Kosten ist insofern emotional vorbelastet, als intuitiv angenommen wird, dass zur Rettung eines Menschenlebens ohne Ansehen des dazu nötigen Ressourceneinsatzes alles unternommen wird. Bevor bekannt ist, ob ein Betroffener sterben oder überleben wird (ex ante), wird Vieles in der Hoffnung unter-nommen, dass ein Mensch eine schwere Krise doch noch überstehen wird, was sich zu-weilen erst im Nachhinein, wenn ein Mensch tatsächlich gestorben ist (also ex post), als erfolglos erweist. Besonders wirkt dieser Hoffnungsmechanismus beispielsweise bei Kindern mit einer schweren Tumorerkrankung, wenn die Eltern typischerweise bis zum Schluss die Hoffnung nicht aufgeben, ihr Kind werde die Krankheit überstehen. Ob-gleich viele Vorschläge gemacht werden, um die seit Jahrzehnten stetige Zunahme der Kosten für die Gesundheitsversorgung in der Schweiz zu bremsen, gelten die Ausgaben für Lebensende-Behandlungen als tabu. Das ist sicherlich auch deshalb so, weil Sterben-de besonSterben-ders vulnerabel sind und jeSterben-de und jeSterben-der weiss, dass sie bzw. er selbst einmal in diese Situation geraten wird und dann auch für sich die bestmögliche Hilfestellung er-hofft. Diese Haltung widerspiegelt sich auch in der festgestellten hohen Zahlungsbereit-schaft der Schweizer Bevölkerung für Lebensende-Kosten.

Ein von den Konsequenzen her wichtiges, jedoch bisher nicht hinreichend er-forschtes Thema sind mögliche finanzielle Einsparungen durch eine flächendeckende Einführung von Palliative Care im Gesundheitswesen. Studien aus dem Ausland erlauben kein abschliessendes Urteil darüber, ob die Palliative Care die Behandlungskosten in der Praxis senken wird. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der Pallia-tive Care medizinische Massnahmen teilweise nicht mehr durchgeführt werden und ins-besondere teure Spitaleinweisungen während der letzten Lebensphase entfallen, jedoch

194

teure Rettungsversuche im Rahmen der Intensivmedizin sowie teure Behandlungen in der Onkologie aufgrund der Ungewissheit des Behandlungsausgangs nur bedingt weg-fallen. Zudem wären die Einrichtung zusätzlicher Dienste und kurz- und mittelfristig Anstrengungen im Hinblick auf eine Bewusstseinsveränderung der Bevölkerung und der Behandlungsteams notwendig.

Die im hohen Alter sinkenden Kosten am Lebensende werfen die Frage auf, ob diesbezüglich eine Altersrationierung stattfindet. Wenngleich die Lebensende-Kosten in der Öffentlichkeit kaum infrage gestellt werden, wird die Altersrationierung in der inter-nationalen ethischen und gesundheitsökonomischen Literatur stark debattiert. Würden die einschlägigen Modelle der Altersrationierung in der Schweiz eingeführt, hätten diese unmittelbare Konsequenzen für die Lebensende-Behandlung bei den meisten Sterben-den in der Schweiz, da das durchschnittliche Sterbealter seit Jahren kontinuierlich zu-nimmt. Eine Thematisierung der Feststellung, dass mit dem Alter die Kosten am Lebens-ende sinken, dürfte zu öffentlichen Debatten führen: Angesichts der Tatsache, dass die Kosten am Lebensende mit steigendem Alter sinken, stellt sich die Frage, ob bei Sterben-den im hohen Alter heute in der Schweiz bereits rationiert wird, das heisst auf Massnah-men verzichtet wird, die von den Betroffenen gewünscht werden und für sie potentiell nützlich wären. Zu diesen Massnahmen gehören insbesondere palliative, seltener kura-tive Massnahmen. Gleichzeitig ist zur altersbezogenen Rationierungsfrage zu bemerken, dass sie ohnehin keinen grossen zusätzlichen Spareffekt bringen würde, da die Kosten am Lebensende bereits heute mit steigendem Alter sinken.

Die Grundlage von Altersrationierung, und damit auch von Entscheidungen über den gesetzlichen Leistungskatalog generell, ist eine Gegenüberstellung des Nutzens und der Kosten medizinischer Leistungen. Dabei kommt es zu einer ökonomischen Bewertung des Lebens, ein Vorgehen, über das intensiv gestritten wird, besonders dann, wenn die gesellschaftliche Bewertung eines zusätzlichen Lebensjahres in Relation zum Alter eines Menschen erhoben wird. Schwierig nachzuvollziehen ist dabei aus nicht-ökonomischer Sicht, dass die Bewertung der voraussichtlich verbleibenden Lebenszeit eines Menschen in Geldeinheiten ausgerechnet und zu Kosten-Nutzen-Verhältnissen von medizinischen Massnahmen herangezogen wird. Mit der Kosteneffektivität wird bestimmt, in wel-chem Verhältnis der zu erwartende zusätzliche Nutzen einer Massnahme zu den durch sie hervorgerufenen zusätzlichen Kosten steht. Hat eine Patientin aufgrund ihres Alters nur noch eine beschränkte Lebenserwartung, kann die Kosteneffektivität einer Mass-nahme wegen der natürlicherweise kurzen Restlebensdauer schlecht ausfallen. Einer-seits bieten solche Berechnungen eine Grundlage, um über den Zugang zu bestimmten Massnahmen zu entscheiden, andererseits können sie sich aber auch diskriminierend auswirken. Die Einhaltung zweier Bedingungen scheint dabei wesentlich zu sein: Zum einen sollte die sozialwissenschaftliche Erkundung solcher Lebensbewertungen systema-tisch, transparent und wiederholt erfolgen; zum andern sollte deren Berücksichtigung

Im Dokument DAS LEBENSENDE IN DER SCHWEIZ (Seite 193-196)