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Determinanten der Sterbekosten I:

Im Dokument DAS LEBENSENDE IN DER SCHWEIZ (Seite 108-114)

6. Kosten der medizinischen Versorgung am Lebensende

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6.2 Determinanten der Sterbekosten I:

Behandlungsinstitution und Region

Im Rahmen des NFP 67 ist eine Reihe von Studien für die Schweiz entstanden, die sich mit den Kosten der medizinischen Versorgung in den letzten Lebensjahren und gleichzeitig mit deren Bestimmungsfaktoren beschäftigen. Insgesamt vier Arbeiten befassen sich auf unter-schiedliche Weise mit diesem Thema. Grob lassen sich dabei vier Blickwinkel unterscheiden:

1. regionale Unterschiede (Panczak, Luta, Maessen et al. 2017);

2. typische Kostenverläufe (von Wyl, Telser, Weber, Fischer & Beck, 2015);

3. Faktoren, welche die Wahl der Behandlungsinstitution beeinflussen (Hedinger, Braun, Zellweger & Bopp for the Swiss National Cohort Study Group, 2014);

4. Zusammenhang zwischen Behandlungsinstitution und Kosten (Bähler, Signorell & Reich, 2016a).

Während sich die ersten beiden Arbeiten ausschliesslich auf die Analyse von Abrechnungs-daten von Krankenversicherern beschränken, ziehen die beiden letzten Arbeiten weitere Daten hinzu und können daher die Ursachen von Kostenunterschieden näher beleuchten.

Zunächst wurden die Kosten im Lauf des letzten Lebensjahrs in der Schweiz unter-sucht (von Wyl et al., 2015). Hierbei wurden Abrechnungsdaten der CSS Versicherung mit insgesamt 1,3 Millionen Versicherten analysiert. Diese Daten beinhalten die Aus-gaben für medizinische Leistungen, die von der Obligatorischen Krankenpflegever-sicherung übernommen werden, einschliesslich der Selbstbeteiligung der Versicherten in Form von Franchise und zehnprozentigem Selbstbehalt. Leistungen, die durch eine halbprivate oder private Zusatzversicherung gedeckt sind, sind dagegen nicht berück-sichtigt. Die Abrechnungsdaten der Krankenversicherer enthalten auch keine Beiträge der Kantone in der akutstationären Vergütung (55 Prozent der Kosten) und in der Pfle-ge (ebenfalls rund 50 Prozent der Kosten). Die soPfle-genannten Out-of-Pocket-ZahlunPfle-gen der Patientinnen und Patienten für Arzneimittel oder für Pflegeleistungen sind ebenfalls nicht in den Abrechnungsdaten der Krankenversicherer enthalten.

Für die Untergruppe der verstorbenen Versicherten wurden Abrechnungsdaten ausgewertet, welche die Behandlungen innerhalb der letzten 12 Monate vor dem Tod be-treffen. Ziel der Studie war es zunächst, die Verstorbenen mit Hilfe statistischer Metho-den in Gruppen aufzuteilen, innerhalb derer die Kostenverläufe in Metho-den letzten 12 Mona-ten möglichst homogen sind.

Die Autoren vermuten, dass diese Kostenverläufe aufschlussreich sein könnten, um jene Patientengruppen zu identifizieren, für die eine palliativmedizinische Behandlung in Frage käme. Weiterhin wurden Sub-Gruppen nach Alter (jung und alt) und Krank-heitstyp (Krebs und kein Krebs) gebildet. Bei den jung Verstorbenen (Todesalter 65 Jahre

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oder jünger) lassen sich drei typische Kostenverläufe ausmachen (vgl. Abbildung 6.1). Für die Interpretation der Darstellung ist zu beachten, dass die drei Darstellungen aus Grün-den der Lesbarkeit unterschiedlich skaliert wurGrün-den.

Die Ausgaben in der ersten Gruppe verlaufen zunächst flach, bevor sie in den letzten Monaten moderat ansteigen. Gleichzeitig weist die erste Gruppe die geringsten Gesamtkosten im letzten Lebensjahr auf (16 000 CHF). Der markante Anstieg innerhalb der zweiten Gruppe nach einem unstetigen Verlauf bis zum achten Monat lässt sich zu einem grossen Teil auf Kosten für Spitalaufenthalte zurückführen. Die Gesamtkosten innerhalb dieser Gruppe betragen 62 000 CHF. Die dritte Gruppe verzeichnet einen stetigen Anstieg der Kosten bis wenige Monate vor dem Tod, dann aber wiederum ein leichtes Absinken. Diese Gruppe hat den höchsten Anteil an Krebsdiagnosen, was da-rauf hinweisen könnte, dass in dieser Gruppe gegen das Lebensende hin vermehrt auf palliative Behandlungen zurückgegriffen und auf teurere kurative Interventionen ver-zichtet wird. Gleichzeitig weist diese Gruppe mit 84 000 CHF die höchsten Gesamt-kosten auf.

Abbildung 6.1: Typische Kostenverläufe in den letzten zwölf Lebensmonaten von Verstorbenen im Alter von 0 bis 65 Jahren. Eigene Darstellung nach von Wyl et al. (2015)

Gruppe 1 Gruppe 2

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Bei den verstorbenen Seniorinnen und Senioren ergibt sich eine ähnliche Struktur, wobei sich fünf typische Kostenverläufe identifizieren lassen (vgl. Abbildung 6.2). Auch hier ist zu beachten, dass die Darstellungen unterschiedlich skaliert sind. Ein wichtiger Unterschied zur in Abbildung 6.1 erkennbaren Kostenstruktur stellen die Anteile der

Abbildung 6.2: Typische Kostenverläufe in den letzten zwölf Lebensmonaten von Verstorbenen im Alter von mindestens 66 Jahren. Eigene Darstellung nach von Wyl et al. (2015)

Gruppe 1 Gruppe 2

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Pflegekosten dar, welche mit Ausnahme der Gruppe 3 dennoch insgesamt hinter den Kosten für Spitalaufenthalte zurückbleiben. Bei der Gruppe verstorbener Seniorinnen und Senioren mit häufigen Krebsdiagnosen (Gruppe 5) zeigt sich wie bei den jüngeren Verstorbenen ein Kostenverlauf, der mit einem stetigen Anstieg und einem späteren Ab-sinken verbunden ist. Ebenfalls wie bei den Jungverstorbenen sind bei dieser Gruppe die Gesamtkosten am höchsten. Durchschnittlich liegen sie im letzten Lebensjahr zwischen 12 000 CHF und 84 000 CHF.

Da stationäre Einweisungen mit hohen Kosten verbunden sind, liegt die Vermutung nahe, dass hohe Sterbekosten mit dem letzten Behandlungsort der Patientinnen und Pa-tienten verbunden sind. Hedinger et al. (2014) untersuchen mögliche Determinanten des Sterbeorts von Personen ab einem Alter von 65 Jahren. Durch die Verknüpfung von Daten über den Aufenthalt in Spitälern und Pflegeeinrichtungen mit der Todesfall-statistik kann das Autorenteam die Todesfälle entweder einer Institution (Spital, Pflege-heim) zuordnen oder als Restkategorie dem Sterben zu Hause und an übrigen Orten.

Eine weitere Verknüpfung mit Daten der Bevölkerungsbefragung aus dem Jahr 2000 er-möglicht es, die Datengrundlage um sozio-demografische Variablen, wie Anzahl Kinder, Wohneigentum und Bildungsstand, anzureichern. Insgesamt zeigt sich, dass 72 Prozent der Männer und 80 Prozent der Frauen in einer stationären Einrichtung versterben. Die Determinanten der letzten Behandlungsinstitution lassen sich in drei Kategorien ein-teilen: Todesursache7, sozio-demografische und familiäre sowie geografische Merkmale.

Männlichen Geschlechts zu sein, Kinder zu haben, verheiratet zu sein sowie Wohneigen-tum zu besitzen, ist stärker mit dem Versterben zu Hause verbunden. In der französisch- oder italienischsprachigen Schweiz zu wohnen, erhöht hingegen die Wahrscheinlichkeit stark, in einer stationären Institution zu sterben.

Je nach Region variieren in der Schweiz die Gesundheitsausgaben erheblich. Das trifft ebenfalls auf die Kosten am Lebensende zu, wie die Publikationen von Hedinger et al. (2014) und Bähler et al. (2016a) zeigen. In der Studie der Forschungsgruppe um Kerri Clough-Gorr (Panczak et al., 2017) wurden die regionalen Unterschiede in der Schweiz kleinräumig analysiert und vertieft untersucht. Für die statistische Auswertung wurden Versichertendaten der Jahre 2008 bis 2010 mit der Todesfallstatistik verknüpft. Die Ab-rechnungsdaten der 113 277 betrachteten verstorbenen Personen wurden sodann 564 Versorgungsregionen zugeordnet. Abbildung 6.3 zeigt die Verteilung der Kosten im letzten Lebensjahr in den verschiedenen Regionen, wobei rote Flächen über- und blaue Flächen unterdurchschnittlich hohe Kosten anzeigen. Die Forschergruppe stellte sich die Frage, ob regionale Unterschiede auch dann noch zu beobachten sind, wenn Effek-te aufgrund von unEffek-terschiedlichen PatienEffek-tenpopulationen (z. B. im Zusammenhang mit

7 Die Wahrscheinlichkeit im Spital zu versterben ist am höchsten bei Schlaganfall (trifft nur für Männer zu), gefolgt von Krebserkrankungen, COPD, Demenz und anderen Erkrankungen.

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dem Alter oder den Todesursachen) oder aufgrund von regional unterschiedlichen An-gebotsstrukturen (z. B. Dichte der Krankenhausbetten) statistisch kontrolliert werden.

Im Regressionsmodell wurden deshalb Todesursachen und Alter der Patienten sowie Ärzte-, Krankenhausbetten- und Pflegeheimbettendichte der jeweiligen Region ein-geschlossen.8 Der landesweite Durchschnitt der durch die Krankenversicherung ge-tragenen Kosten im letzten Lebensjahr betrug 32 500 CHF.

Auffällig ist zunächst das West-Ost- und das Stadt-Land-Gefälle bei den Kosten im letzten Lebensjahr. Lässt man andere erklärende Faktoren ausser Acht, ergibt sich eine re-gionale Spannbreite von Faktor sieben bei den Durchschnittskosten. Zieht man Alter und Todesursachen als erklärende Grössen hinzu, schrumpft die absolute Spanne der Kosten-unterschiede, das Grundmuster bleibt jedoch erhalten. Nach Berücksichtigung weiterer regionaler Charakteristika werden die Kostenunterschiede nochmals kleiner, bleiben aber signifikant und sind am markantesten für verstorbene Frauen über 65 Jahre.

Überdurch-8 Dieser Ansatz ist insofern problematisch, als unklar ist, ob hohe Kosten aus einem hohen Angebot fol-gen oder umgekehrt. Weiterhin möglich wäre, dass beide Grössen von einer unbekannten dritten Variab-len (wie beispielsweise den Präferenzen) abhängen. In beiden FälVariab-len ist das Schätzergebnis bezüglich der Angebotsfaktoren verzerrt. Deshalb müsste man in einem korrekten statistischen Ansatz eine Angebots-variation ausnutzen, die nicht durch die Kosten ausgelöst wurde, also beispielsweise die Veränderung, die sich ergibt, nachdem in einer Region ein Krankenhaus geschlossen wurde.

Durchschnittskosten in Tausend Schweizer Franken [8.14,26.60]

[26.60,29.13]

[29.13,32.48]

[32.48,36.41]

[36.41,57.10]

Vorherrschende Landessprache

Französisch

Italienisch Geodaten © Bundesamt für Statistik / swisstopo See

Abbildung 6.3: Durchschnittliche regionale Bandbreiten der Behandlungskosten im letzten Lebensjahr; Zeitraum 2008–2010; Quelle: nach Panczak et al. (2017)

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schnittlich hohe Kosten sind verbunden mit französisch- und italienischsprachigen Re-gionen sowie in der Deutschschweiz mit den urbanen Zentren Basel, Bern und Zürich.

Unterdurchschnittlich niedrige Kosten sind verbunden mit der Zentralschweiz sowie den Alpentälern. Das Autorenteam mutmasst, dass die markanten Unterschiede zwi-schen der lateinizwi-schen und der deutschsprachigen Schweiz auf unterschiedliche Patienten-präferenzen zurückführen sind. Es verwirft hingegen unterschiedliche Angebotsfaktoren wie Ärzte- und Krankenhausbettendichte als Ursache für Kostenunterschiede.

Die Spitalaufenthalte sind der wichtigste einzelne Erklärungsfaktor für die Höhe der Kosten am Lebensende (vgl. von Wyl et al., 2015). Gleichzeitig variieren gemäss Panczak et al. (2017) die Kosten stark regional. Ein Grund für die regional unterschied-lich hohen Kosten am Lebensende könnte in einer regional abweichenden Häufigkeit von Spitaleinweisungen liegen. Aus diesem Grund werden hier Kennzahlen kantona-ler Spitaleinweisungsraten generell (also nicht nur am Lebensende) als Vergleich heran-gezogen. Es zeigt sich, dass die Spitaleinweisungsraten in den lateinischen Sprach-regionen deutlich höher sind als in der Deutschschweiz. Im Zeitraum von 2008 bis 2014 lagen die durchschnittlichen Einweisungsraten in der Deutschschweiz bei 110 Hospita-lisierungen pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner, bei 125 in der Westschweiz sowie bei 168 im Tessin.9 Dies deutet darauf hin, dass die Kostenunterschiede am Lebens-ende Ausdruck einer generell grösseren Neigung für Krankenhausbehandlungen in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz sind. Dies allein lässt allerdings keine Schlüsse für eine ursächliche Erklärung der regionalen Kostenunterschiede zu. Um dies zu gewährleisen, müssten die postulierten Präferenzunterschiede explizit in einer statis-tischen Analyse berücksichtigt werden. Präferenzunterschiede der Bevölkerung werden in einer direkten Demokratie wie der Schweiz über kantonale Abstimmungsergebnisse sichtbar. Die Kantone haben aus historischen Gründen eine weitreichende Autonomie bei der Bedarfsplanung im Spitalbereich. In dem Zusammenhang könnte man sich Ab-stimmungsergebnisse zu Versorgungsfragen (wie beispielsweise über Spitalschliessun-gen) zu Nutze machen, um jenen Teil der kantonalen Kapazitätsunterschiede zu identi-fizieren, der auf Präferenzunterschiede der Bevölkerung zurückzuführen ist.

Kosten im letzten Lebensjahr: Internationale Evidenz

Die häufig zitierten Publikationen von Lubitz und Riley (1993, 2010) schätzen den An-teil der Kosten im letzten Lebensjahr an den gesamten Gesundheitskosten auf ca. ein Viertel. Ihre Datengrundlage umfasst allerdings lediglich Patienten über 65 Jahren.

Da-9 Die vergleichsweise hohe Rate im Tessin lässt sich zum Teil durch den vergleichsweise hohen Bevölkerungs-anteil an alten Personen erklären.

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