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2 Forschungsstand

2.3 Professionsgeschichte: Das Selbstverständnis von Architekten als Profession

2.3.1 Professionskulturen in Großbritannien und den USA bis 1900

Der Professionalisierungsprozess einer Berufsgruppe wird maßgeblich anhand der genannten vier Grundpfeiler untersucht: Der Verwissenschaftlichung, die mit einer Akademisierung einher geht; der Expertenstatus, der durch die Lizenzvergabe gesichert ist; die Autonomie, die durch die Institutionalisierung in Form selbstverwalteter Professionsorganisation erreicht wird; und ein hohes Sozialprestige, das aus dem ehrenhaften Verhalten abgeleitet ist, das der Berufskodex vorschreibt. Dabei unterscheiden sich die Entwicklungen der einzelnen Professionen erheblich voneinander und sind überdies von nationalen Besonderheiten geprägt.

In Großbritannien genossen Professionen schon früh besonderes Ansehen, denn aufgrund eines relativ hohen Grades an politischer Unabhängigkeit und korporatistischer Selbstverwaltung fanden sich hier günstige Vorbedingungen für ihre Herausbildung.120 Mit der Einführung der Gewerbefreiheit Ende des 18. Jahrhunderts wurden Zunftrechte im Bereich des Handwerks, Gewerbes und Handels eingeschränkt, den für den Staat strategisch wichtigen Berufen wiederum wurde als Professionen hoher gesellschaftlicher Status garantiert.121 So waren die englischen Vorbilder der Anwälte und Ärzte aufgrund ihrer frühen Autonomie prägend für ihre Kollegen auch im Ausland. Traditionell hatten sie eine Vermittlungsposition zwischen Adel und Bürger inne und genossen damit hohe Anerkennung als „gentlemen’s professions“.122 Frühe Professionsorganisationen funktionierten als Zusammenschluss besonders renommierter Mitglieder, deren hohes Ansehen sich letztlich auf die Organisation übertrug, so dass in einem zweiten Schritt die

119 In Deutschland verfasste der Bund Deutscher Architekten 1907 erstmals derartige Grundsätze für seine Mitglieder. In den Vereinigten Staaten waren es lokale Vereine wie die Boston Society of Architects, die 1895 einen solchen Ehrenkodex festschrieb. In Großbritannien wurden bereits bei der Gründung des RIBA 1834 Verhaltensregeln in die Vereinssatzung mitaufgenommen, aber ein eigenständiger Berufskodex erst 1923 veröffentlicht.

120 Burrage, Michael: Unternehmer, Beamte und freie Berufe. Schlüsselgruppen der bürgerlichen Mittelschichten in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten, in: Siegrist 1988, S. 52–82, S. 53f.

121 Siegrist, Hannes: The Professions in Nineteenth-Century Europe, in: Kaelble, Hartmut (Hg.): The European Way. European Societies During the Nineteenth and Twentieth Centuries, New York 2004, S. 68–88, S. 76; Siegrist 1988, S. 11–48, S. 13, 23.

122 Gerade die Architektur war im 17. und 18. Jahrhunderts beliebter Zeitvertreib für Adelige in ganz Europa. In Deutschland galt der Architektenberuf zu jener Zeit sogar als angemessenes Berufsfeld für den Adel, der den Sondertypus des Kavalierarchitekten hervorbrachte. Architekten hatten so hohes Ansehen erlangt, dass der Beruf für den niederen Adel attraktiv wurde. Siehe: Ricken 1977, S. 72.

Mitgliedschaft selbst prestigeträchtig wurde.123 Für die Außenwirkung einer Berufsgruppe stellte sich die Gründung solcher Vereine als äußerst vorteilhaft heraus. Das Prinzip wurde auch in andere Länder, zum Beispiel nach Nordamerika exportiert, wo man zwar nicht den Adel, aber das distinguierte Image schätzte.124

In den Vereinigten Staaten orientierten sich die Professionen zwar programmatisch am englischen Idealbild, ihre tatsächliche Situation war im Grunde aber eine völlig andere. Ihr Status war hier weder durch staatliche Privilegien von offizieller Seite bestätigt, noch ergaben sie sich aus den Bemühungen der professionellen Berufsvertretungen. Laut Siegrist resultierte ihre Stellung in der Gesellschaft hier (und im Übrigen auch in der Schweiz, wo formale Regelungen ebenfalls fehlten) nicht aus ihrem Verhältnis zum Adel, sondern aus ihrer Vernetzung mit dem Bürgertum sowie einer „unternehmerartigen Mentalität“.125 Auch Burrage stellt fest, dass sich die Professionen in den Vereinigten Staaten viel stärker am Unternehmertum orientierten. Gerade aufgrund der fehlenden Tradition von Zünften und Gilden in den Kolonien war hier eine Situation gegeben, die freies wirtschaftliches Handeln begünstigte. Während sich in England das Unternehmertum stark an den Professionen orientierte, war das Verhältnis in den Vereinigten Staaten nach Ansicht Burrages genau umgekehrt. Hier hätten sich die Professionen ihrerseits viel stärker der Praxis von Unternehmern angenähert.126 Im Vergleich dazu hatten Unternehmer und Industrielle in Großbritannien geringeres Sozialprestige.127

Nicht nur in anderen Ländern, sondern auch für gänzlich andere Berufsgruppen waren die englischen Mediziner und Juristen beispielgebend, was insbesondere für die Gruppe der Ingenieure belegt ist. So gibt Buchanan an, die Berufsvertretung der Ingenieure habe sich am Vorbild der Gentlemen’s Clubs orientiert, da diese Teil genau jenes sozialen Milieus gewesen seien, in das die Ingenieure aufzusteigen hofften. Diese Herrenclubs waren Symbol sozialer Distinktion und Abgrenzung nach ,unten‘, wobei weniger wichtig gewesen sei, wer dazu gehöre, als vielmehr, wer davon ausgeschlossen sei.128 Der

123 Brint, Steven G.: In an Age of Experts. The Changing Role of Professionals in Politics and Public Life, Princeton 1996, S. 27f.

124 Gidney, Robert /Millar, Winnifred: Professional Gentlemen. The Professions in Nineteenth-Century Ontario, Toronto/Buffalo 1994, S 14ff.

125 Siegrist 1988, S. 40.

126 Burrage 1988, S. 73.

127 Wende, Peter: Großbritannien 1500-2000, München 2001 (=Oldenbourg Grundriss der Geschichte 32), S. 157.

128 Buchanan, Robert: The Engineers. A History of the Engineering Profession in Britain, 1750-1914, London 1989, S. 195.

Gentleman war für Professionen stets wichtiger Bezugspunkt. Ausgehend von England prägten diese Zuschreibungen das Bild der Professionen als diskret, vertrauenswürdig, verantwortungsbewusst, kultiviert, intellektuell und charakterstark.129

Als sich die Mehrzahl der heute existierenden Professionsorganisationen im 19. Jahrhundert gründeten, taten sie dies zunächst in Form von Vereinen, die in Anlehnung an die englischen Vorbilder vor allem ein soziales Umfeld zum Zweck der Geselligkeit, Weiterbildung und Prestigeförderung boten. Dies bot zunächst einmal einen Marktvorteil, indem man sich von weniger kompetenten und weniger ehrenhaften Konkurrenten abgrenzte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war es immer stärker der Markt, der den Status der Professionen bestimmte. Langsam verbreitete sich auch die Idee, die ökonomische Basis einer Berufsgruppe durch Marktschließungsmechanismen absichern zu wollen.130 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die anfänglich als Vereine gegründeten Professionsorganisationen zunehmend zu Interessenverbänden und begannen, Lobbyarbeit zu betreiben, indem sie sich für konkrete Ziele wie die Einführung von Lizenzbestimmungen, Mindestanforderungen für die Ausbildung und die Durchsetzung eines Akkreditierungssystems für Hochschulen einsetzten.131 Erfolgreich waren solche Bemühungen auch deshalb, weil Professionen innerhalb des politischen Klimas des Progressivismus an der Wende zum 20. Jahrhundert zur „national efficiency“132 beitrugen.

Denn im Zuge der Nationenbildung, der Demokratisierung und Modernisierung kam ihnen die Rolle als Experten zu, die sich durch ein systematisches Wissen ausgezeichneten.133 Ein allgemeines Bemühen um Fortschritt auf ökonomischer, technologischer und sozialpolitischer Ebene – in den USA besonders innerhalb des Progressive Movements vorangetrieben, in Großbritannien eher durch den Wettlauf der Nationen ausgelöst – ließ auch die Wertschätzung der Professionen als akademische Berufe steigen, weshalb nach Ansicht Siegrists die Geschichte des modernen Nationalstaats ohne die Professionen nicht denkbar sei:

„Sooner or later, the professions became the champions of national society, science, knowledge and culture in all European countries. Professionals represented – together with the nobility and entrepreneurs, and with the literati

129 Brint 1989, S. 121.

130 Siegrist 1988, S. 26.

131 Burrage 1988, S. 74.

132 Wende 2001, S. 156.

133 Siegrist 2004, S. 72f.

and intellectuals, depending on the country in question – the system of dominance and opposition, knowledge and meaning of the world.“134

Bezüglich des Professionalisierungsprozesses unterscheidet die Forschung daher einen anglo-amerikanischen von einem kontinentaleuropäischen Weg – bzw. zwischen einer Entwicklung von „unten“ und einer von „oben“.135 Tatsächlich ging die Forschung bis in die 1970er Jahre davon aus, dass Professionen ein allein anglo-amerikanisches Phänomen seien.136 Da im englischsprachigen Kontext der politischen Autonomie von Professionen hohe Bedeutung beigemessen wurde, geriet die Situation beispielsweise in Frankreich oder Deutschland aus dem Fokus, wo die gleichen Berufe an staatlichen Universitäten gelehrt und die Absolventen auf eine Beamtenlaufbahn vorbereitet wurden.137 Die akademische Ausbildung, die heute zu den Grundkonstanten von Professionen zählt, spielte im anglo-amerikanischen Raum bis um 1900 jedoch kaum eine Rolle. Insbesondere bei Ingenieuren war eine „shop culture“, bei Architekten ein Ateliersystem,138 verbreitet, bei der die Ausbildung jeweils in der Praxis stattfand. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden Universitäten aber auch im englischsprachigen Raum zu einer wichtigen Instanz, deren Absolventen nun erstmals die Mehrheit der Professionen bildeten.139

Damit kommt die Professionsgeschichte zu ähnlichen Ergebnissen wie die Technikgeschichte, die ihrerseits von lokal geprägten Technikstilen ausgeht. König untersucht diese anhand der spezifischen „Technikkultur, Schulkultur und Praxiskultur, Konstruktions- und Produktionskultur“140 von Maschinenbauingenieuren in Deutschland, Großbritannien, USA und Frankreich. Dabei unterscheidet er eine „Praxiskultur“ in

134 Ebd., S. 81.

135 Siegrist, Hannes: Professionelle Autonomie in der modernen Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur, in:

Ders. /Müller, Dietmar (Hgg.): Professionen, Eigentum und Staat. Europäische Entwicklungen im Vergleich. 19. - 20. Jahrhundert, Göttingen 2014, S. 15–38, S. 30f.

136 Burrage, Michael: Introduction, in: Burrage/Torstendahl 1990, S. 4f.

137 Der Begriff ‚Profession‘ war im deutschen oder französischen Sprachraum zwar nicht verbreitet.

Verwandtschaften bestanden aber zu dort erforschten Gruppen wie ‚Bürgertum‘ ‚Freie Berufe‘, ‚Grand Corps‘, ‚Elité‘ oder ‚Caste‘. Vgl.: Burrage 1988, S. 70; Kocka, Jürgen: ‚Bürgertum‘ and Professions in the Nineteenth Century: Two Alternative Approaches, in: Burrage 1990, S. 62–74.

138 Ricken 1977, S. 97.

139 Lundgreen, Peter: Wissen und Bürgertum. Skizze eines historischen Vergleichs zwischen Preußen/Deutschland, Frankreich, England und den USA, 18.-20. Jahrhundert, in: Siegrist 1988, S. 106–124, S. 121.

140 König, Wolfgang: Künstler und Strichezieher. Konstruktions- und Technikkulturen im deutschen, britischen, amerikanischen und französischen Maschinenbau zwischen 1850 und 1930, Frankfurt am Main 1999, S. 221. König leitet seinen Begriff der ‚Technikkultur‘ von Hughes Terminus des

‚technological style‘ ab. Vgl.: Hughes, Thomas: The Evolution of Large Technological Systems, in:

Hughes, Thomas P. /Bijker, Wiebe /Pinch, Trevor: The Social Construction of Technological Systems.

New Directions in the Sociology and History of Technology, S. 51–82; Hughes, Thomas P.: Networks of Power. Electrification in Western Society, 1880-1930, Baltimore 1983.

Großbritannien und den USA und eine „Schulkultur“ in Frankreich und Deutschland.

Dabei beschreibt der Technikhistoriker genau das, was die Professionsgeschichte als anglo-amerikanischen von einem kontinentaleuropäischen Weg abgrenzt.

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