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4 Architektur in der Tagespresse

4.1 Die Times als ‚Produktionsort‘ des Barbican in London , 1953-1957

4.1.2 Das „New Barbican“ in den Leserbriefen der Times

Am 4. Juli 1953 wandte sich der Immobilienmakler Bryan Anstey, der damals selbst in der Nachbarschaft des heutigen Barbican wohnte, in Form eines solchen Leserbriefes an die Öffentlichkeit und verwies auf das bisher ungenutzte Potential der Innenstadtbrache.455 Nach Ansicht Ansteys bot sich hier eine letzte Chance, eine innovative städtebauliche und architektonische Vision umzusetzen. Er beklagte die städtische Planungspraxis an, die keinerlei Gesamtkonzept für das Gelände entwickelt habe. Ein solches Konzept lieferte er gleich selbst mit seinem Vorschlag, an dieser Stelle eine innerstädtische New Town zu verwirklichen.

Ihm schwebte ein nahezu eigenständiger Stadtteil vor, der alle Funktionen des täglichen Bedarfs, Arbeitsstätten und Wohnungen beinhalten solle. Die Vorteile einer solchen Bebauung sah er vor allem in finanzieller Hinsicht, denn die nötigen Infrastrukturen seien im Stadtzentrum bereits vorhanden und müssten nicht wie bei klassischen New Towns erst geschaffen werden. Ganz im Sinne eines Immobilienexperten argumentierend verwies er auch auf die ordentliche Rendite, mit der aufgrund der zentralen Lage gerechnet werden könne. Diese Gewinne versäume die Stadt nun schon seit zehn Jahren und er fragte sich, ob das Gelände ein „waste land within the City for another 10 years“456 bleiben solle. Aber auch das architektonische Potential betonte er: „If ever a new town were needed it is here, and what a glorious opportunity for architects!“457

Die von Anstey in der Times erstmals geäußerte Idee, eine New Town im Zentrum Londons, anstatt wie üblich in der Peripherie zu errichten, wurde auch von anderen Zeitungslesern aufgegriffen und kommentiert. Zunächst meldete sich der stellvertretende London Transport Executive in einem Leserbrief zu Wort. Er begrüßte Ansteys Vorschlag als Lösung für eine problematische Verkehrssituation, die aus gestiegenen Pendlerzahlen der neu entstandenen Vororte resultierte. Die räumliche Nähe von Wohn- und Arbeitsort, die Anstey mit seinen Ideen propagierte, hielt er aus ebendiesem Grund für durchaus bedenkenswert.458 Unterstützung bekam dieses Argument vom Herausgeber der Zeitschrift Building Digest, der allerdings auch zur Vorsicht vor allzu leichtfertigen Schlussfolgerungen mahnte und eine detaillierte, statistische Berechnung von Pendlerzahlen forderte.459 Es meldeten sich aber auch kritische Stimmen, die statt einer

455 Anstey, Bryan: High Barbican“. A New Town Town in the City of London? (Leserbrief), in: The Times, 04.07.1953, S. 7.

456 Ebd.

457 Ebd.

458 Cliff, John: High Barbican. London Transport’s View (Leserbrief), in: The Times, 11.07.1953, S. 7.

459 Peppler, George L.: High Barbican (Leserbrief), in: The Times, 15.07.1953, S. 5.

dichten Wohnbebauung lieber Grünflächen sehen wollten460 oder Ansteys Einschätzung bezweifelten, das Errichten einer New Town im Zentrum sei günstiger als im Umland.461 Anstey hielt die Debatte am Laufen, indem er mit einem weiteren Leserbrief auf seine Vorredner reagierte.462 Insgesamt wurden in der Times immerhin sechs Leserbriefe zum Thema abgedruckt, womit sich im Juli 1953 eine erste, wenn auch kleine, öffentliche Debatte über das spätere Barbican entfaltete. Zunächst schien diese aber folgenlos zu bleiben und das Projekt wieder in Vergessenheit zu geraten. Wie sich noch zeigen sollte, war es Bryan Anstey allerdings durchaus ernst mit seiner Idee.

Im darauffolgenden Jahr gründete sich die Privatgesellschaft NBC, bestehend aus Planern, Sachverständigen und Finanzexperten. Die genauen Umstände dieses Zusammenschlusses können aus den zugänglichen Quellen nicht zweifelsfrei geklärt werden. Auch Bryan Anstey war Mitglied des NBC. Er gab später an, die Reaktion auf seine Leserbriefe sei gewaltig gewesen und Architekten, Bautechniker, Investoren und Bauunternehmer hätten der Sache so großes Interesse entgegengebracht, dass es zur Gründung des NBC gekommen sei.463 Als Vorsitzender des neu gegründeten Interessenverbands fungierte Sir Gerald Barry, Journalist und Vertreter einer modernistischen Architektur, der 1951 das Festival of Britain organisiert hatte.464

Ende Juli 1954 wurden die Architekten Kadleigh, Whitfield & Horsbrugh vom NBC beauftragt, einen Entwurf für das Barbican zu erarbeiten. Wiederum zwei Monate später wurde der Bauantrag samt Plänen und Baubeschreibung eingereicht.465 Zuvor hatten die Architekten schon Rücksprache mit Henry A. Mealand als Leiter des ITPC – also der Planungsbehörde der COL – gehalten,466 der das Projekt aber weitestgehend ignorierte und zunächst in keiner offiziellen Sitzung zur Sprache brachte. Gleichzeitig bemühten sich die Mitglieder des NBC, auch das öffentliche Interesse wiederzubeleben, und nutzten dazu

460 Whittick, Arnold: High Barbican (Leserbrief), in: The Times, 27.07.1953, S. 5.

461 Purdom, C. B.: High Barbican (Leserbrief), in: The Times, 16.07.1953, S. 7.

462 Anstey, Bryan: High Barbican“ (Leserbrief), in: The Times, 01.08.1953, S. 9.

463 CRC/GB 0237/PJM/LCC/E.1.2.1, Evidence of Bryan Anstey, S. 3f, ohne Datumsangabe, verfasst für die Anhörung vor dem Wohnungsministerium am 17.01.1956. Ansteys Aussagen zeichnen sich allerdings durch einige Widersprüche aus. Über seine Motive kann daher spekuliert werden. Vgl. dazu Kap. 4.1.6.

464 Oxford Dictionary of National Biography (ODNB): Barry, Sir Gerald Reid (1898–1968), http://www.oxforddnb.com/view/10.1093/ref:odnb/9780198614128.001.0001/odnb-9780198614128-e-1004657?rskey=nshxl2&result=1 [Zugriff: 03.01.2018].

465 CRC/GB 0237.PJM/LCC/E.1.2.2, Architects’ Preliminary Report on the New Barbican Project, 29.09.1954.

466 Ebd., S. 2; LMA/COL/CC/ITP/01/02/057, 478, Special Sub Improvements and Town Planning Committee, ITPC-Sitzungsprotokoll vom 15.09.1954.

erneut die Leserbrief-Rubrik der Times.467 In ihrer Zuschrift griffen sie die kommunale Planungspraxis diesmal noch deutlicher an, die sie als geradezu altertümlich diffamierten.

So stimme das Stadtplanungsamt lediglich über einzelne, von Privatinvestoren eingereichte Bauanträge ab, ohne ein stimmiges Gesamtkonzept für das Barbican-Areal vor Augen zu haben. Ein Masterplan, der ein klares Planungsziel verfolge, fehle völlig.

Die Bebauung werde damit schlichtweg einzelnen Investoren überlassen, ohne dass sich die Behörde selbst um eine Gesamterscheinung kümmere. Die Autoren waren der Ansicht, es käme einer Katastrophe gleich, werde das Barbican-Gelände weiterhin in dieser Methode des „piecemeal planning“ bebaut, die als Resultat letztlich nur ein „meaningless patchwork“ ergeben könne. Der Bebauungsvorschlag des NBC setze dagegen nicht auf getrennt voneinander entworfene Einzelbauten, sondern favorisiere ein „integrated large-scale treatment“, also eine einheitlich gestaltete Großform. Ausdrücklich verwiesen die Autoren auf die einzigartige Möglichkeit, damit an diesem Ort Stadtplanungsgeschichte zu schreiben und ein Zeichen zu setzen, das der Stadt London globale Aufmerksamkeit schenken könne:

„Nowhere else does there exist an equivalent opportunity for a powerful new approach to the problem of redevelopment of a central area in a great capital city in a manner which might well prove a prototype for the redevelopment of central urban areas all over the world. […] Architecturally the possibilities are superb. Economically the integrated large-scale treatment has no rival.“468

Mit diesem Frontalangriff erreichten die Mitglieder des NBC, dass sich auch die Times für das Projekt zu interessieren begann und dem Leserbrief einen redaktionellen Beitrag über die Planung der Behörden zur Seite stellte.469 Ungeklärt bleibt an dieser Stelle, ob das NBC dabei weiteren Kontakt mit Zeitungsmitarbeitern unterhielt. Jedenfalls wurde der Vorschlag des NBC nun auch in der Öffentlichkeit erstmals genauer beschrieben. Nach dessen Vorstellung sollten mehrere, unter der Erdoberfläche liegende Stockwerke als Warenhäuser, Gewerbebetriebe und Parkhaus genutzt werden und die darüber liegenden Etagen eine abwechslungsreiche Funktionsmischung aus Wohnungen, Büros, Grünflächen, Schulen, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten bieten. Darüber hinaus sollten die vorhandenen historischen Bauten erhalten bleiben. Zur äußeren Gestalt der Anlage

467 Barry, Gerald /Peat, C. U.: New Barbican (Leserbrief), in: The Times, 09.09.1954, S. 9.

468 Ebd., S. 9.

469 Rebuilding In The City, in: The Times, 09.09.1954, S. 5.

wurde lediglich angegeben, dass es sich um eine hufeisenförmige Grundstruktur handele.

Der Korrespondent der Times unterstützte das Vorhaben des NBC, begrüßte die Aussicht auf innerstädtischen Wohnraum und bestätigte die Zukunftsträchtigkeit des Projekts:

„In making the City once more a residential area the architects would not only revive the period when business men lived over their premises, but by the boldness and imagination of their plan they would create a principle of urban development which would be well ahead of its time.“470

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