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2 Forschungsstand

2.2 Architekturgeschichte: Architektur und Repräsentation

Als Pionierin architekturtheoretischer Beschäftigung mit Medien gilt Colomina, die 1988 für den Sammelband ,Architectu-Re-Production‘ verantwortlich zeichnete. Der Titel des Buches verweist bereits darauf, dass sie Reproduktion als integralen Bestandteil des Produktionsprozesses von Architektur versteht. Nach ihrer Ansicht hatte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Dominanz der Medien – insbesondere durch den Einfluss der Fotografie – fundamental die Art und Weise verändert, wie Architektur erlebt wurde.

Das Publikum bestünde seitdem nämlich nur noch zu einem geringen Anteil aus den tatsächlichen Nutzern und Besuchern eines Baus, während die weit größere Masse von Medienkonsumenten gestellt werde:

„Until the advent of photography, and earlier of lithography, the audience of architecture was the user. With photography, the illustrated magazine, and tourism, architecture’s reception began to occur also through an additional social form: consumption. With the enormous amplification of the audience, the relation to the object changed radically. The audience (the tourist in front of a building, the reader of a journal, the viewer of an exhibition or a newspaper advertisement, and even the client who often is also all of the above) increasingly became the user, the one who gave meaning to the work.

In turn the work itself changed.“92

Colominas Interesse richtete sich auf ebendieses Zusammenspiel von Produzenten, Produkt und Publikum und zielte letztlich auf eine Neuausrichtung ihres eigenes Forschungsfelds ab. Durchaus bewusst war sie sich nämlich der Tatsache, das Architekturhistoriker und -theoretiker zu einem gewissen Anteil auch stets Architekturkritik betreiben und den Architekturkanon mitbestimmen. Sie forderte ihre Kollegenschaft dazu auf, Architektur als Institution zu begreifen und als solche auch zu erforschen. Den Anregungen der Frankfurter Schule folgend regte sie an, Architektur als Teil einer „Kulturindustrie“93 zu betrachten und ihre Verbreitungskanäle und Akteure in der architekturhistorischen Forschung stärker in den Blick zu nehmen.

Colomina und die von ihr inspirierten Zeitgenossen konzentrierten sich in ihren Untersuchungen zunächst auf die Avantgardebewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts

92 Colomina, Beatriz: Introduction. On Architecture, Production and Reproduction, in: Colomina, Beatriz /Ockman, Joan (Hgg.): Architectu-Re-Production, New York 1988a, S. 6–23, S. 9

93 Horkheimer, Max /Adorno, Theodor: Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947.

– einer Zeit, in der die gestiegene Bedeutung der Presse für den Architekturdiskurs deutlich zu beobachten war. So hätten einzelne Architekten damals enorm viel Aufwand betrieben, die eigenen Werke auszustellen und zu publizieren, so dass die Produktion dieser Sekundärerzeugnisse die eigentliche Bauproduktion bei Weitem überstiegen habe.

Nach Ansicht Colominas sei damit in den Medien eine neue Produktionsstätte entstanden, die nun parallel zur Baustelle existiere.94

In Kontrast zu Colominas Auffassung, den Medien sei in der Architekturpraxis erst im 20.

Jahrhundert größere Bedeutung zugekommen, widmen sich neuere Arbeiten dem Verhältnis von Architektur und Medien verstärkt auch in seiner vollen historischen Bandbreite.95 Ein gestiegener Einfluss von Massenmedien um 1900 wird dabei weniger als qualitative denn als quantitative Veränderung interpretiert. Indem man über den Tellerrand des 20. Jahrhunderts hinaus blickte, offenbarte sich deutlich, dass es sich keinesfalls um ein grundsätzlich neues Phänomen handele, sondern vielmehr um eine dem Architekturdiskurs von jeher inhärente Eigenschaft. Colominas Ursprungsgedanke, die Architektur werde nicht nur auf der Baustelle, sondern auch durch die (Architektur)Presse gemacht, lebt jedoch auch in diesen Arbeiten fort. Die Vorstellung, dass materielle und mediale Realität eines Gebäudes eine untrennbare Einheit bilden, die in der Architekturgeschichte zusammen gedacht werden müssen, gilt mittlerweile als fest etabliert. So ist Architekturjournalist Rattenbury der Ansicht, dass die mediale Vermitteltheit eines Baus fester Bestandteil seiner Wirklichkeit sei. In der Einleitung zu seinem Sammelband ,This Is Not Architecture‘ rüttelt er an unserem Alltagsverständnis, das Architektur zunächst einmal als etwas rein Materielles begreift:

„Architecture’s relationship with its representation is peculiar, powerful and absolutely critical. Architecture is driven by belief in the nature of the real and the physical: the specific qualities of one thing – its material, form, arrangement, substance, detail – over another. It is absolutely rooted in the idea of ,the thing itself‘. Yet it is discussed, illustrated, explained – even defined – almost entirely through its representations.“96

94 Colomina 1988a, S. 16.

95 Melters, Monika /Wagner, Christoph (Hgg.): Die Quadratur des Raumes. Bildmedien der Architektur in Neuzeit und Moderne, Berlin 2017, Sonne, Wolfgang (Hg.): Die Medien der Architektur, München 2011; Beyer, Andreas /Burioni, Matteo /Grave, Johannes (Hg.): Das Auge der Architektur. Zur Frage der Bildlichkeit in der Baukunst, Paderborn 2011; Rattenbury, Kester (Hg.): This Is Not Architecture.

Media Constructions, New York 2002.

96 Rattenbury 2002; S. xxi.

In diesem Sinne geht auch der Architekturhistoriker Wolfgang Sonne davon aus, dass diskurstheoretisch gar nicht zwischen einem Gebäude und seinem Abbild unterschieden werden könne. Was er selbst als „Unhintergehbarkeit der Dualität von Bau und Medien“

beschreibt, hält im Unterschied zu Colomina jedoch auch er nicht für ein Phänomen erst des 20. Jahrhunderts. Diese Erkenntnis sei vielmehr „ebenso alt wie die Disziplin selbst“.97 Somit beobachtet Sonne auch keinen Paradigmenwechsel, sondern lädt „zur besonnenen Reflexion über das grundsätzliche Verhältnis zwischen Architektur und ihren Medien“98 ein. Mit Blick auf die Frühe Neuzeit stellt ebenso von Engelberg fest, dass „Architektur als ,Medienkonstruktion‘ [...] oft irrtümlich für ein Phänomen des 20. und 21.

Jahrhunderts gehalten“99 werde, das aber auch schon im Zeitalter des Kupferstichs beobachtet werden könne. Unstrittig ist, dass Colominas Ausführungen einen wichtigen und den in diesem Zusammenhang prominentesten Impuls für den Architekturdiskurs darstellten. Auch wenn sich vergleichbare Phänomene für die Vergangenheit diagnostizieren lassen, so stellt die wissenschaftliche Beschäftigung doch auch eine Reaktion auf den von ihr begründeten Paradigmenwechsel dar.

Wenngleich sich die massenmediale Präsentation von Architektur bei weitem nicht in Bildmedien erschöpft, so fällt doch auf, dass sich die architekturhistorische und -theoretische Medienforschung besonders an den Bildern abzuarbeiten scheint.100 So konstatiert Sonne beispielsweise, dass es sich bei den Medien der Architektur hauptsächlich um optische handele, was darauf hinweise, „dass Architektur ganz wesentlich ein visuelles Geschäft“ sei.101 Auch Beyer, Burioni und Grave sind der Ansicht, bei der Reflexion des Verhältnisses von Bauten zu Bildern gehe es um „die grundlegende Frage nach einer genuinen Bildlichkeit der Architektur“.102

97 Sonne 2011, S. 7.

98 Ebd., S. 11.

99 Engelberg, Meinrad von: Weder Handwerker noch Ingenieur. Architektenwissen der Neuzeit, in:

Dülmen, Richard /Rauschenbach, Sina (Hgg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln 2004, S. 241–272, S. 252. Vgl. dazu auch: Völkel, Michaela: Das Bild vom Schloss. Darstellung und Selbstdarstellung deutscher Höfe in Architekturstichserien 1600-1800, München 2001.

100 Siehe Fußnoten 18 bis 21. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass sich Architekturhistoriker neuerdings auch häufiger mit dem Verhältnis von Sprache zur Architektur beschäftigen. Siehe: Forty, Adrian: Words and Buildings. A Vocabulary of Modern Architecture, London 2013; Hultzsch, Anne /Mejía Moreno, Catalina: Introduction. Building Word Image. A New Arena for Architectural History, in: Architectural Histories 4 (2016), S. 1-6, https://journal.eahn.org/articles/10.5334/ah.220/ [Zugriff:

31.04.2017].

101 Sonne 2011, S. 12.

102 Beyer/Burioni/Grave 2011, S. 11.

Gleichzeitig wird aber auch einem verbreiteten Bewusstsein Ausdruck verliehen, dass Architektur auf unzulässige Weise verkürzt werde, reduziere man sie allein auf ihre visuelle Eigenschaften. Im Verständnis von Architekten kommt ein Bauwerk erst als

„Raumkunst“,103 also als leibliche Erfahrung zu seinem vollen Recht. In diesem Wissen plädieren Beyer, Burioni und Grave denn auch für eine Erweiterung und Neubestimmung des Bildbegriffes. Architektonische Bildlichkeit wollen sie zu diesem Zweck als „Prozesse bildhaften Erscheinens“104 – das Sehen also als Teil körperlicher Raumerfahrung – verstanden wissen. Die Autoren wenden sich damit gegen eine verbreitete Forschungsperspektive, die Bilder stets in Opposition zu Bauten sieht. Mit ihrem Versuch, Bilder in eine Theorie des architektonischen Raumes einbetten zu wollen, reproduzieren Beyer, Burioni und Grave meiner Ansicht nach aber genau das, was sie zu überwinden vorgeben. Nach meinem Dafürhalten greift eine Verhältnisbestimmung von Bauten und Bildern mithilfe eines wahrnehmenden Subjekts zu kurz, so lange dieses Subjekt nicht auch als gesellschaftliche Entität konzipiert ist, weil dann der konventionalisierte Vermittlungs- und Kommunikationsprozess weitestgehend ausgeblendet wird. Werden die untersuchten Abbildungen stets primär in ihrer Relation zu dem von ihnen repräsentierten Gebäuden betrachtet, kann ihre gesellschaftliche Relevanz meiner Ansicht nach gar nicht erst erfasst werden.

Melters beschreibt den Versuch, das reziproke Verhältnis zwischen Bauten und Bildern analytisch fassen zu wollen, als eine unlösbare Aufgabe, die einer „Quadratur des Raumes“105 gleichkomme. Sie setzt sich damit von Forschungsansätzen ab, die dem einen oder dem anderen die Vorherrschaft einräumen wollen: „So wie die empiristisch orientierte Architekturgeschichte die Bildmedien letztlich zu Informationsträgern herabgestuft hat, so verschwindet in der media construction das Bauwerk gewissermaßen im Gegenzug hinter seinen Medien.“106 Bauten und ihre Darstellungen gehören ihrer Ansicht nach gleichermaßen zur „Architektur als gesellschaftlichem Phänomen“.107 Nach diesem Verständnis wird ein Gebäude erst durch seine Abbildungen und deren Veröffentlichung – also erst durch seine (mediale) Rezeption – zu dem, was es ist. In ihren Worten „emergiert der Bau neu im Feld der Kommunikation“.108

103 Schmarsow, August: Das Wesen der architektonischen Schöpfung, Leipzig 1894.

104 Beyer/Burioni/Grave 2011, S. 20.

105 Melters, Monika: Die Quadratur des Raumes. Über die historische Dichotomie von Architektur und Bildmedien, in: Dies./Wagner 2017, S. 13-23.

106 Ebd., S. 16.

107 Ebd., S. 22.

108 Ebd., S. 19.

Diesem Ansatz folgt auch das vorliegende Buch, indem es Medien und Bilder, Architekten und Architektur in ihren gesellschaftlichen Kontext einbezieht und explizit als Teil eines wechselseitigen Kommunikationsprozesses zwischen Architekten und Gesellschaft untersucht – letztere personifiziert durch Konkurrenten, Bauherren, Nutzer, Konsumenten und Rezensenten. Die in den letzten Jahren entstandenen architekturhistorischen und -theoretischen Arbeiten zum Thema zeichnen sich meiner Ansicht nach mehrheitlich durch ein etwas selbstreferenzielles Verhältnis zum Architekturdiskurs aus. Wie bereits dargelegt, wurden vor allem einzelne Architekten, Medienformate oder Bauten analysiert.109 Dies bildet nach meinem Dafürhalten einen zu engen Rahmen, der allein Bedeutungszuschreibungen entdecken lässt, die von Architekten gemacht und an Architekten gerichtet waren, möglicherweise aber auch nur für Architekten Sinn ergaben.

Ich gehe im Unterschied dazu davon aus, dass die gesellschaftliche Bedeutung und Wahrnehmung von Architektur nur zu einem gewissen Anteil durch die Institution Architektur geprägt wird, der Colomina zu große Bedeutung beimisst. Die Bewertung bestimmter Bauten und Architekten sowie die Vorstellung, was Architektur leistet oder auch nicht leistet, wird auch von anderen Akteuren mitbestimmt. Diese müssen ebenfalls in den Blick genommen werden, um eine Aussage über den Berufsstand des Architekten und dessen gesellschaftliche Rolle und Bedeutung treffen zu können. Ein solches Vorhaben kann erst durch die Forschungsperspektive der Professionsgeschichte geleistet werden. Denn aus dieser Perspektive werden Architekten mittels ihrer Professionsvertretungen als interessengeleitete Gruppe untersucht und in einen größeren Zusammenhang gebracht.

2.3 Professionsgeschichte: Das Selbstverständnis von Architekten als Profession

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