• Keine Ergebnisse gefunden

4 Architektur in der Tagespresse

4.1 Die Times als ‚Produktionsort‘ des Barbican in London , 1953-1957

4.1.3 Konkurrierende Planungskonzepte in der Presse: „Piecemeal“ –

wurde lediglich angegeben, dass es sich um eine hufeisenförmige Grundstruktur handele.

Der Korrespondent der Times unterstützte das Vorhaben des NBC, begrüßte die Aussicht auf innerstädtischen Wohnraum und bestätigte die Zukunftsträchtigkeit des Projekts:

„In making the City once more a residential area the architects would not only revive the period when business men lived over their premises, but by the boldness and imagination of their plan they would create a principle of urban development which would be well ahead of its time.“470

Presse, verkannt wird, zeigt sich am deutlichsten bei Tsubaki. So identifiziert sie den LCC als Urheber von Ideen, die eindeutig dem NBC zugeschrieben werden müssen, da sie vom LCC lediglich aufgegriffen wurden.475 Weder die Integration innerstädtischen Wohnraums noch die einheitliche Gestaltung des Areals als Großform oder die Trennung von Auto-und Fußgängerverkehr wurden vom LCC in die Diskussion eingebracht.

Insbesondere die negative Beurteilung des „piecemeal planning“ der COL schreibt Tsubaki dem LCC zu. In ihrer Argumentation verweist sie dabei auf eine Sitzung der LCC-Planungsabteilung TPC im Oktober 1954. Auf dieser Sitzung forderte der LCC die COL auf, von ihrer gängigen Planungsstrategie abzuweichen.476 Zu diesem Zeitpunkt war dieselbe Kritik bereits im erwähnten Leserbrief des NBC formuliert und von der Times aufgegriffen worden. Der LCC hatte die Piecemeal-Strategie bis dahin nie in Frage gestellt, weshalb anzunehmen ist, dass sich der LCC lediglich der öffentlichen Meinung anschloss. Wie ich noch zeigen werde, unterschieden sich die Planungsvorstellungen von LCC und NBC trotz dieser vordergründigen Begriffsanleihen ohnehin fundamental.477 Dass die Urheberschaft dieser Kritik beim NBC liegt, ist aber nicht alleine durch die Wortwahl belegt. Wie einflussreich das Medieninteresse auf die Planungspolitik war, wird an einer viel früheren Sitzung des ITPC am 15. September 1954 deutlich.478 Schon damals wurde eine vom LCC vorgeschlagene „modification of the Corporation [of London]’s present policy“ diskutiert. Dass dies zweifelsfrei als Reaktion auf den eine Woche zuvor erfolgten Vorstoß des NBC geschah, verdeutlicht der in den Sitzungsprotokollen dokumentierte explizite Verweis des Town Clerk auf den zitierten Leserbrief der NBC-Mitglieder Barry und Peat am 9. September 1954.479 Ein weiteres Mitglied der COL sprach außerdem eine Zeitungsmeldung desselben Tages an: „The Times this morning had said that something bold should be done about this area“480, womit er sich höchstwahrscheinlich auf den Artikel „A Chance for Boldness“481 bezog.

Das Sitzungsprotokoll verdeutlicht außerdem, wie unvorbereitet das ITPC als Planungsabteilung der COL von der scheinbar plötzlich geforderten Änderung seiner

475 Vgl.: Tsubaki 2012, S. 527ff.

476 LMA/LCC/MIN11/219, S. 733, City of London Comprehensive Development Area - Layout to north of Route 11, TPC-Sitzungsprotokoll vom 11.10.1954.

477 Vgl. Kap. 4.1.5.

478 LMA/COL/CC/ITP/01/02/057, S. 476, ITPC-Sitzungsprotokoll vom 15.09.1954.

479 LMA/COL/CC/ITP/02/031, Memorandum from the Town Clerk, S. 2, Tagungsordnung und Zusammenfassungen der einzelnen Themenpunkte von Anthony Frederick Ingham Pickford für die ITPC-Sitzung am 15.09.1954.

480 LMA/COL/CC/ITP/02/031, Memorandum of Meeting of the Special Sub Impovements and Town Planning Committee, Mitschrift der Diskussion in der ITPC-Sitzung am 15.09.1954, S. 1.

Planungsmethoden getroffen wurde, die bis dato nie diskutiert worden waren. Die nun von LCC und Planungsexperten geäußerte Kritik kam dementsprechend „as something of a shock“ und schien darüber hinaus auch „late in the day“ geäußert worden zu sein.482 Immerhin verhandelte das ITPC mit verschiedenen Privatinvestoren schon seit längerem zwei Einzelprojekte innerhalb des besagten Areals,483 die so gut wie genehmigt waren. Ein Gesamtentwurf im Sinne des NBC-Vorschlags, der nun auch dem LCC vorschwebte, wäre durch das Festhalten an diesen Einzelgenehmigungen nicht mehr möglich gewesen. Die COL war daher geneigt, den angestoßenen Prozess wie gehabt weiterzuführen. Was beim ITPC auf besondere Ablehnung stieß, war der nun auch vom LCC unterstützte Vorschlag des NBC, die Stadt solle alle Teilgrundstücke des Areals aufkaufen. Zwar befand sich der Großteil der Fläche bereits in städtischem Eigentum, einzelne Baugrundstücke waren jedoch nach wie vor in privater Hand. Gerade diese Strategie des Landankaufs wurde aber wiederum vom LCC begrüßt, der sich nun vehement dafür einsetzte, einen

„comprehensive plan“ zu erstellen.484

Die öffentliche Debatte über das NBC-Projekt in der Presse befasste sich zunächst mit einzelnen Details. So wurden die vorgesehenen unterirdischen Räume ohne Tageslicht bemängelt, die Bereitstellung innerstädtischer Wohnräume wiederum befürwortet, und über den Umgang mit den wenigen erhaltenen Baudenkmälern auf dem Gelände des Barbican diskutiert. Einerseits befeuerte die Times die Auseinandersetzung mit dem Projekt durch redaktionelle Beiträge,485 andererseits meldeten sich in den Leserbriefen

481 A Chance for Boldness, in: The Times, 15.09.1954, S. 9. In diesem Artikel wurde nicht nur die Innovationskraft des NBC-Entwurfs, sondern auch die Rückständigkeit der Behörden betont: „It is true that the City has a plan […] But theirs are ad hoc proceedings, determined by short-term demands and possibilities. What seems to have been lost is the bold, imaginative view that looks beyond the short-term programme and, on a basis of first principles, preserves unclouded the vision of the City as it might be. An example of such imaginative thinking can be seen in the scheme, of which a preliminary account was given in The Times last week, […]. Known as New Barbican, [...]. It is too early yet to assess its merits, but it has the required quality of boldness (without being merely fanciful) and is none the worse for including unorthodox ideas, such as the provision of warehouse accommodation in layers of basements and residential accommodation on the upper storeys of office blocks – a proposal, it may be noted which received the explicit approval of London Transport [...].“

482 LMA/COL/CC/ITP/02/031, Mitschrift der Diskussion in der ITPC-Sitzung am 15.09.1954, S. 1.

483 LMA/COL/CC/ITP/01/02/057, S. 477, Independent Proposals for Redevelopment in the ‚Cripplegate Section‘, ITPC-Sitzungsprotokoll vom 15.09.1954.

484 LMA/COL/CC/ITP/01/02/057, S. 476, The Views of the London County Council, ITPC-Sitzungsprotokoll vom 15.09.1954.

485 Difficulties of New Barbican Scheme, in: The Times, 03.12.1954, S. 10; New Barbican Project to Continue, in: The Times, 11.03.1955, S. 6; Barbican Scheme Progressing, in: The Times, 03.12.1954, S. 5; Committee Member on Zoning „Paneca“, in: The Times, 03.05.1955, S. 6.

immer wieder Vertreter des NBC486 wie auch der städtischen Behörden487 zu Wort. Von den Vor- und Nachteilen einzelner Aspekte des vorgelegten Entwurfes ging die Presse dann aber in eine Diskussion über Planungsmethoden über. Erwähnt wurden dabei immer wieder drei Strategien: „Piecemeal“-, „Comprehensive“- und „Large-Scale“-Planning.

Dabei waren die unterschiedlichen Begrifflichkeiten nur bedingt voneinander abgrenzbar.

Diskreditiert und inakzeptabel schien die „Piecemeal“-Strategie, die der COL vorgeworfen wurde. Der Begriff verwies im Grunde auf das völlige Fehlen jeglicher Planungsvorstellungen, die über die Auszeichnung einzelner Flächen für bestimmte Nutzungen hinausging. Das NBC forderte ein „Large-Scale“-Projekt, das die Überbauung des gesamten Areals mit einer einheitlichen, identitätsstiftenden Baustruktur versehen sollte und legte mit seinem Bauantrag auch einen entsprechenden Entwurf vor. Damit kündigte sich bereits die Planungspraxis der 1970er Jahre an, in der „Megastructures“ die Architekturpraxis prägen und in der Öffentlichkeit so unbeliebt werden sollten.488 Der LCC schlug sich dabei auf die Seite der Kritiker der COL und forderte eine

„Comprehensive“-Planung in Anlehnung an die im Abercrombie-Plan designierten

„comprehensive development areas“.

Undurchschaubar wurde die Angelegenheit, als auch das NBC diesen Wortlaut übernahm, damit aber etwas völlig anderes meinte. Da das Areal von LCC und COL bis zum Vorpreschen des NBC gar nicht beachtet worden war, hatten beide Behörden dem Vorschlag des NBC zunächst nichts Konkretes entgegenzusetzen und die Debatte erschöpfte sich in Worthülsen. Was die verbal verteidigten, unterschiedlichen Planungsansätze genau auszeichnete, wurde letztlich erst zu dem Zeitpunkt klar, als beide Behörden ihre Gegenvorschläge der Öffentlichkeit präsentierten. So offenbarte erst die im folgenden Kapitel thematisierte Veröffentlichung in der Architekturzeitschrift Architects’

Journal im April 1955, dass der LCC keineswegs so innovativ plante, wie er sich in der Presse generierte. Solange keine Illustrationen in Form von Architekturzeichnungen oder ähnlichem vorlagen und lediglich mit Worten und Absichtserklärungen diskutiert wurde, war dies jedoch nur bedingt auszumachen.

486 Cliff, John (London Transport Executive): New Barbican (Leserbrief), in: The Times, 07.01.1955, S. 9;

Glenny, Charles F. (ITPC): New Barbican (Leserbrief), in: The Times, 01.11.1955, S. 9.

487 Barry, Gerald (NBC): New Barbican (Leserbrief), in: The Times, 12.03.1955, S. 7; Kadleigh, Sergei (NBC): New Barbican (Leserbrief), in: The Times, 04.07.1955, S. 11.

488 Vgl.: Banham, Reyner: Megastructure - Urban Futures of the Recent Past, London 1976; Düesberg, Christoph: Megastrukturen: Architekturutopien zwischen 1955 und 1975, Berlin 2013.

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE