• Keine Ergebnisse gefunden

I.5.1. Geschichtsvermittlung durch Film und Fernsehen

I.5.1.1. Probleme der Darstellbarkeit

Die Differenz des Vergangenen zur Gegenwart schafft das Darstellungs-problem. „Darstellen“ bedeutet „ins Bild setzen“, „Darstellbarkeit“, die

55 Vierhaus, Rudolf: Wie erzählt man Geschichte? Die Perspektive des Historiographen.

In: Historisches Erzählen. Formen und Funktionen. Hrsg. von Siegfried Quandt und Hans Süssmuth. Göttingen, 1982, S. 55.

Endmorpheme verweisen schon darauf, daß die Darstellung möglich oder unmöglich sein kann, moralisch vertretbar oder nicht. Die Frage nach der Darstellbarkeit bezieht sich zum einen auf die künstlerische Möglichkeit, zum anderen impliziert sie, daß es Grenzen gibt, deren Überschreitung eine Mißachtung der Rechte anderer bedeutet. Gemeint sind das Recht auf Privatheit, das Recht am eigenen Bild, oder um einen juristischen Fachbegriff zu benutzen, das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“. Vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen mit Zensur und Denkverboten scheint die Frage nach der Darstellbarkeit und ihren Grenzen unangebracht, doch ist zu unterscheiden zwischen dem Inhalt einer bildlichen Darstellung und der Beschaffung und möglichen Verwendung eines Bildes. Die Debatten über Medienethik wurden ganz überwiegend ausgelöst durch die Publikation von Bildern, die das Privateste eines Menschen berühren. Ob „Barschel“, „Gladbeck“ oder

„Diana“ – das Publikum hat nicht das Recht, einem Menschen beim Sterben zuzusehen.

Die publizistischen Kontroversen über die Darstellbarkeit des Holocaust im Film sind ebenfalls Auseinandersetzungen um die moralische Nor-mierung bildlicher Darstellungen. Claude Lanzmanns Kritik an Steven Spielbergs Film Schindlers Liste gründet in der Überzeugung, daß jede Form der fingierten und fiktionalisierten Bebilderung der Shoah eine Trivialisierung des Geschehens sei und seine Einzigartigkeit in Frage stelle. Und es geht ganz konkret um das Recht am eigenen Bild, das auch den Opfern zugestanden werden muß. Sie selbst können nicht mehr ent-scheiden, ob Nachgeborene sie nackt in einem Massengrab sehen sollen.

Doch wie weit reicht das Recht am eigenen Bild? Sollen Verwandte Ein-spruch erheben können gegen die Publikation historischer Dokumente?

Gegen die Darstellbarkeit des Holocaust im Film werden somit verschie-dene Gründe angeführt. Grundsätzlicher Art, wie Claude Lanzmann und andere Verfechter des Bildertabus sie vortragen, und eher privater Art:

man möchte nicht, daß Dokumente verwendet werden, die den Vater oder die Schwester auf dem Weg in die Gaskammer zeigen.

Gegner und Befürworter eines Darstellungsverbotes finden sich sowohl in der Gruppe der überlebenden Opfer des Holocaust als auch in der Gruppe der nicht unmittelbar Betroffenen. Im Vorwort zu „Shoah – Formen der Erinnerung“ beschreibt Nicolas Berg die sich gegenüber-stehenden Positionen, die der Nichtdarstellbarkeit, des Unsagbaren, wie sie beispielsweise Theodor W. Adorno, Elie Wiesel, Jean-François Lyotard und Claude Lanzmann vertreten, und die Position derjenigen, die meinen: „Das Unsagbare ist nur ein Alibi.“ Zur ihr gehören bei-spielsweise Jorge Semprun, Gertrud Koch, Ruth Klüger und alle, die hoffen, mit ihren Texten und Filmen einer Wiederholung des Schreckens

vorbeugen zu können. Erstere berufen sich auf die „Negative Dialektik“

und Adornos Diktum zur „Lyrik nach Auschwitz“.56 Für sie ist Auschwitz das Ende der Zivilisation, der Bruch schlechthin. Verständi-gung ist seitdem nicht mehr möglich. Die Grenzen unserer Ausdrucks- und Verstehensmöglichkeiten zu erfahren, anzuerkennen und an ihnen zu leiden, bedeutet ihrer Meinung nach, sich ein Stück Humanismus zu bewahren. Elie Wiesel, der Auschwitz überlebt hat, schreibt: „Wir spre-chen verschlüsselt, wir Überlebenden, und unser Code kann nicht aufge-brochen werden, kann nicht entziffert werden, nicht durch euch, so sehr ihr euch auch darum bemüht. Eine Geschichte über Treblinka ist keine Geschichte, oder es ist keine Geschichte über Treblinka. Eine Geschichte über Majdanek ist fast schon eine Gotteslästerung. Nein, es ist Gottes-lästerung! Treblinka bedeutet Tod, Tod der Sprache, Tod der Hoffnung, Tod des Vertrauens und der Eingebung. Dieses Geheimnis ist dazu ver-dammt, unversehrt zu bleiben.“57Wiesel stellt mit Nachdruck fest: „‚Die Massenvernichtung als literarische Inspiration‘, das ist ein Widerspruch in sich selbst. Wie in vieler Hinsicht hebt Auschwitz auch hier sämtliche geltende Gesetze auf, zerstört es alle Grundsätze. Jeder Versuch einer literarischen Darstellung wird jenes Erlebnis, das jetzt unserem Zugriff entzogen ist, nur verblassen und verarmen lassen. Fragen Sie jemanden, der es selber erlebte, oder fragen sie dessen Kinder, sie werden es bestä-tigen.“58 Wiesel wehrt sich gegen „Auschwitz als literarische Inspira-tion“, das gleiche gilt seiner Meinung nach für „Auschwitz als filmische Inspiration“. Claude Lanzmann, der Regisseur von Shoah, der sich be-wußt gegen historische Aufnahmen oder eine Spielfilmhandlung ent-schieden hat, stimmt dem zu: Wer Auschwitz ins Bild setzt, „... macht sich der schlimmsten Übertretung schuldig.“59 Jean-François Lyotard sieht in Lanzmanns Film Shoah eine der möglichen Ausnahmen. Grund-sätzlich aber vertritt er die Auffassung: „Jedes repräsentative, repräsen-tierende Gedächtnis führt das Vergessen des ursprunglosen Schreckens, der ihm zugrundeliegt, mit sich und vergrößert ihn.“60

Mit einer solchen Ausschließlichkeit betrachten nicht alle das Problem der Darstellbarkeit. Für sie ist entscheidend, wie der Holocaust in

56 Vgl. Anmerkung 1.

57 Wiesel, Elie: Die Massenvernichtung als literarische Inspiration. In: Kogon, Eugen u.a.:

Gott nach Auschwitz. Dimensionen des Massenmords am jüdischen Volk. Freiburg, 1979, S. 26.

58 A.a.O., S. 25.

59 Lanzmann, Claude: Ihr sollt nicht weinen. Einspruch gegen Schindlers Liste. In:

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.3.1994, S. 27.

60 Lyotard, Jean-François: Heidegger und „die Juden“. Hrsg. von Peter Engelmann. Aus d.

Franz. von Clemens-Carl Härle. Dt. Erstausg. Wien, 1988, (= Edition Passagen; 21), S.

38.

ratur und Film dargestellt werden kann. So ist sich die Literatur- und Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch sicher, daß „ ... bezogen auf ihre Darstellbarkeit die Massenvernichtung keinerlei einzigartige Bedingun-gen formaler Art hat - alle Probleme, die aus ihrer Darstellung hervor-gehen und in einzelnen Darstellungen liegen, sind Probleme, die in der ,Art und Weise’ der Darstellung liegen, in ihrer Intentionalität ... Die globale Metapher von der Undarstellbarkeit der Massenvernichtung ist primär eine Aussage über die Ereignisstruktur selber, nicht über die spezifischen Probleme der Darstellung.“61

Die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger setzt sich in dem Essay „Kitsch, Kunst und Grauen“62 ebenfalls mit dem Problem der Darstellbarkeit und der Fiktionalisierung historischer Ereignisse ausein-ander. Sie trifft eine diskutable Unterscheidung: „Es gibt aber zwei Arten des Ästhetisierens, die eine ist Wahrheitssuche durch Phantasie und Ein-fühlung, also Interpretation des Geschehens, die zum Nachdenken reizt, die andere, die Verkitschung, ist eine problemvermeidende Anbiederung an die vermeintliche Beschränktheit des Publikums.“63 Was die Beur-teilung einzelner Werke, die sich mit dem Holocaust befassen, anbe-langt, greift Klüger auf das mehr oder minder bewährte Instrumentarium der literaturwissenschaftlichen Textanalyse zurück und stellt fest, daß „...

der wohlbekannte Unterschied zwischen Kitsch und Kunst auch bei diesem heiklen Thema dienlich“64 sei. Das heißt, daß auch bei Literatur zum Thema Holocaust zwischen gelungen und mißlungen unterschieden werden kann - und muß, wie der Fall Wilkomirski zeigt.65

Der ungarische Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Imre Kertész präzisiert den Begriff „Holocaust-Kitsch“, nachdem er den Film La vita è bella sehr gelobt, Schindlers Liste aber als Kitsch abgetan hat: „... jede Darstellung ..., die also den Holocaust ein für allemal als etwas der menschlichen Natur Fremdes festmacht, ihn aus dem Erfahrungsbereich des Menschen herauszudrängen versucht. Doch für Kitsch halte ich auch, wenn Auschwitz zu einer Angelegenheit bloß zwischen Deutschen und Juden, zu etwas wie einer fatalen Unverträglichkeit zweier Kollektive

61 Koch, Gertrud: Die Einstellung ist die Einstellung. Visuelle Konstruktionen des Juden-tums. Frankfurt/M., 1992, S. 125.

62 Klüger, Ruth: Kitsch, Kunst und Grauen. Die Hintertüren des Erinnerns: Darf man den Holocaust deuten? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.12.1995, S. IV. Klüger verweist u.a. auf Ludwig Giesz und dessen „Phänomenologie des Kitsches“ von 1971.

63 Ebenda.

64 Ebenda.

65 Auch zu diesem Fall einer erfundenen Holocaust-Geschichte hat sich Ruth Klüger geäußert. Vgl. Klüger, Ruth: Kitsch ist immer plausibel. Was man aus den erfundenen Erinnerungen des Binjamin Wilkomirski lernen kann. In: Süddeutsche Zeitung vom 30.9.1998, S. 17.

degradiert wird; wenn man von der politischen und psychologischen Anatomie der modernen Totalitarismen absieht; wenn man Auschwitz nicht als Welterfahrung auffaßt, sondern auf die unmittelbar Betroffenen beschränkt. Darüber hinaus halte ich natürlich alles für Kitsch, was Kitsch ist.“66

Jorge Semprun, wie Ruth Klüger und Imre Kertész als Kind deportiert, plädiert trotz aller Zweifel für die Darstellung der Erlebnisse. Er setzt auf die Dichte der Beschreibung. „Nur die Kunstfertigkeit eines gebändigten Berichts vermag die Wahrheit des Zeugnisses teilweise zu übermitteln.

Aber das ist nichts Außergewöhnliches: So geht es mit allen großen historischen Erfahrungen. Man kann also immer alles sagen. Das Unsag-bare, mit dem man uns ständig in den Ohren liegen wird, ist nur ein Alibi. Oder ein Zeichen von Faulheit. Man kann immer alles sagen, die Sprache enthält alles.“67 Die Gegner eines Darstellungsverbotes eint der Glaube an die Kraft des Wortes und die Macht der Bilder. Sie stehen dem Projekt Aufklärung noch positiv gegenüber und halten wenig von postmodernen Repräsentationstheorien, die alle Versuche der mime-tischen Darstellung diskreditieren.

An die Stelle der Problematisierung von Darstellbarkeit überhaupt tritt inzwischen die Analyse der verschiedenen Formen des Ausgesagten und Dargestellten. Es steht also weniger das „Ob?“ im Vordergrund als das

„Wie?“.68 Dies hat vor allem diejenigen zu interessieren, die als Künst-ler, als Literaten und Filmemacher, sich dem Thema stellen wollen. Sie stehen bei allen Unterschieden vor ganz ähnlichen Problemen. Beide arbeiten mit Bildern, die Literatur imaginiert abstrakte, der Film bildet konkrete ab. Den Holocaust darzustellen, heißt einen Stoff zu bearbeiten, ihn zu gliedern und dabei beinahe zwangsläufig den Regeln der Drama-turgie zu folgen: an Exposition und Peripetie schließt sich die Katastro-phe an. Die Geschichte der Judenverfolgung im Dritten Reich entspricht der Theorie des Dramas in vielen Punkten, die zugrundeliegende histo-rische Realität, das Ausmaß der Katastrophe, verbieten aber nach An-sicht der Befürworter eines Bildertabus, das Geschehene künstlerisch aufzubereiten. Dennoch erscheint die Shoah als der literarische Stoff schlechthin, da hier eine Verdichtung extremer menschlicher Situationen und Handlungsweisen zu erkennen ist. Volker Hage stellt in einem Spiegel-Beitrag über die vielen Neuerscheinungen zum Thema fest, daß die Literatur dem Holocaust als dem Ereignis des 20. Jahrhunderts nicht

66 Kertész, Imre: Wem gehört Auschwitz? In: Die Zeit, Nr. 48 vom 19.11.1998, S. 55f.

67 Semprun, Jorge: Der Rauch aus den Öfen hat die Vögel vertrieben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.1.1995, S. 33.

68 Shoah - Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Kunst, Literatur. Hrsg. von Nicolas Berg. München, 1996, S. 7.

ausweichen kann. „Es wird ihr gar nichts anderes übrigbleiben, als vom Schweigen und Verstummen - auch von ihrem eigenen - immer wieder zu erzählen.“69

Das gleiche gilt für den Film. Doch scheint dieser immer noch einen Schritt weiter zu gehen als die Literatur. Der Filmkritiker Georg Seeßlen gibt zu bedenken: „Ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne, war eine fundamentale Frage der kulturellen Wahrnehmung.

Aber kein Mensch fragte, ob man nach Auschwitz ... noch Frauen in Bikinis fotografieren könne.“70 Der Film konfrontiert seine Zuschauer mit Bildern, die nicht unbedingt ihren eigenen Erinnerungen ent-sprechen. Die Begriffe Adaption oder „Ver“-filmung erwecken gar den Eindruck, als würde etwas Originäres (ein geschichtliches Ereignis oder eine literarische Vorlage) verarbeitet und damit verändert. Es klingt so, als sei bei diesem Prozeß immer ein „Ver“-lust von Authentizität zu erwarten. Es kann jedoch keine 1:1-Übersetzung von einer Kunstform in eine andere geben. Film ist ein eigenständiges Medium und folgt schon aufgrund der Produktions- und Rezeptionsbedingungen anderen Gesetz-mäßigkeiten als Literatur, Malerei oder Musik. Häufig handelt es sich bei einer Verfilmung um die Adaption eines Romans oder einer anderen literarischen Gattung. Wie „wahrhaftig“, „authentisch“ ein Holo-caustfilm ist, kann daher nur in dem Bewußtsein diskutiert werden, daß er wie jedes Kunstwerk sowohl auf Fakten als auch auf Fiktionen basiert.

Letztlich scheint die Kontroverse über die Darstellbarkeit eine Fort-setzung des in allen literarischen Epochen geführten Streits über das Verhältnis von Inhalt und Form zu sein. Darstellung verweist auf die Beziehung zwischen Wesen und Erscheinung, Darstellbarkeit ist ein von ästhetischen Kategorien geprägter Begriff. Es gibt freilich keine norma-tive Ästhetik und damit keine generellen Regeln über Form, Inhalt und Funktion eines künstlerischen Werkes. Zu sagen, nur dieses oder jenes sei darstellbar oder aber überhaupt nichts mehr, kann höchstens als Meinung über Kunst akzeptiert werden, jedoch nicht als Handlungs-anweisung. Manche Dogmen unseres Kulturschaffens beruhen nur auf historischen Konstellationen. Was trivial ist oder „falschem Bewußtsein“

entspringt, bleibt bis heute schwer zu definieren. Kritiker der Ver-mischung von Kunst und Kommerz und Zyniker, die vom „Shoah-Busi-ness“ reden, vermuten, daß darstellbar ist, was die opinio communis für darstellbar hält und was in größeren Mengen verkauft werden kann.

69 Hage, Volker: Der Schatten der Tat. In: Der Spiegel, Nr. 47 vom 20.11.1995, S. 265.

70 Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur, Berlin, 1994, S. 107.

I.5.1.2. Bildertabu

Zwischen dem Verbot, den Holocaust darzustellen und dem älteren, reli-giösen Verbot, Gott ins Bild zu setzen, scheint eine Analogie zu beste-hen. Mißtrauen gegenüber dem Bild als Vermittler göttlicher Botschaften hegen insbesondere Anhänger der monotheistischen Wort-Religionen, als welche Judentum, Christentum und Islam bezeichnet werden können.

So heißt es in Johannes 1,1: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Und im 2. Buch Mose 20,4 steht:

„Und Gott redete alle diese Worte: ... Du sollst Dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, die mich hassen; und tue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich liebhaben, und meine Gebote halten.“

Im Judentum als der ersten der drei Hochreligionen, die die Sprache als Trägerin der Offenbarung begreifen, wird dieses Bilderverbot streng ein-gehalten. Es betrifft sowohl Darstellungen Gottes als auch der Propheten und anderen Heiligen. Im Christentum sind die Anfänge der Bilderver-ehrung unklar. Seit dem 4. Jahrhundert nahmen die Kirchenväter Stel-lung zur Bilderfrage, Basilius der Große rechtfertigte die Verehrung von Bildern mit dem Hinweis darauf, daß Gott durch das Bild Anbetung erfahren solle. Zu unterscheiden sei zwischen der Anbetung, die Gott allein zuteil werden müsse, und der Verehrung oder Ehrenbezeigung, die dem Bild entgegengebracht wird. Eine solche Auslegung des Bilderver-bots führte zu heftigem Widerspruch orthodoxer Christen. 730 erschien das Edikt Kaiser Leons II. gegen die Ikonodulen, Konstantin V. verfolgte die Bilderfreunde mit Folter und Hinrichtung. Auf dem Konzil von Trient 1563 formulierten die Versammelten einen Text mit dem Titel

„De invocatione, veneratione et reliquiis sanctorum, et de sacris imagini-bus“. Dieser erlaubte wiederum Christus- und Heiligenbilder, insofern sie der Anbetung des Abgebildeten dienten, jedoch nicht selbst Gegen-stand des Glaubens würden.71 Luther72 und die radikaleren Reformatoren wie Karlstadt, Münzer, Zwingli, Calvin kritisierten die Bilderverehrung der Katholiken, die Bilder als „Bibel der Laien“ zur Missionierung nutzten und sich nicht schämten, die Sinne der Gläubigen anzusprechen.

71 Vgl. Hilpert, Konrad: Aspekte einer Ethik des Bildes. In: Medien und Ethik. Interdiszi-plinäre Vortragsreihe an der Universität des Saarlandes im Wintersemester 1994. Hrsg.

von Peter Winterhoff-Spurk und Konrad Hilpert. St. Ingbert, 1995, S. 23.

72 Das Luthertum hat später Bilder zugelassen, soweit kein Mißbrauch damit verbunden war. Luther zählte die Bilderverehrung zu den Dingen, „die man halten mag oder nit.“

Dadurch würde der ursprüngliche und eigentliche Gehalt des Geistes christlichen Glaubens verfälscht.

Hans Belting schreibt in seinem Aufsatz „Die Bilder in der Bildung“, daß Luther sich während der Bibelübersetzung besonders freute, wenn sich die Evangelisten klar und verständlich und ohne Bilder, Allegorien und Metaphern ausdrückten. Den Anfang des Johannes-Evangeliums übersetzte der Reformator deshalb mit besonderem Genuß, nur daß er dabei den griechischen Begriff „logos“ „unbillig verkürzte“.73 Die Wort-gläubigkeit der Bibelexegeten verstärkten solche Übersetzungen. Grund-sätzlich war sich Luther aber bewußt, daß Glaube nicht ohne Vorstellung und also Bilder möglich ist. „Wenn es nun nicht Sünde, sondern gut ist, daß ich Christi Bild im Herzen trage, warum sollte es dann Sünde sein, wenn ich es in den Augen habe?“, zitiert Belting den Reformator.74 Luthers Argumente ähneln in der Struktur Platons Theorie des Gedächt-nisses, die von einem inneren Schreiber ausgeht. Micha Brumlik, beken-nender Jude, ist der Auffassung, daß sich die Frage nach der Wahrheit und Falschheit des Bilderverbots immer als die Frage nach der Wahrheit des Christentums stellt. Jenes nämlich gehe von der Fleischwerdung Gottes als Heilstat aus, Jesus Christus sei lebendiger Gott. Die Juden hingegen sähen die Welt als nicht erlöst, sie bekennten sich zum ab-strakten, erhabenen Gott, der nur durch die Lektüre der heiligen Schrif-ten erfahrbar wird.75

Das Motiv der Verfälschung und Täuschung durch die Sinne zieht sich durch die Philosophiegeschichte. Bilder verstellten den Zugang zur eigentlichen Wirklichkeit, weil sie die Erkenntnis sinnenhaften Empfin-dungen auslieferten. Platon sieht im Gegensatz zu den Gedankendingen (Ideen) in den Bildern die Sinnendinge. Und noch zweitausend Jahre später fürchtet der protestantische Philosoph Sören Kierkegaard, daß sich im Bild des Schönen das Böse verbirgt. Christliche Kunst gilt ihm als im Grunde heidnischer Frevel. Darstellungen Gottes oder des Gottessohnes könne ein Künstler nicht wagen, ohne sich zu fragen, ob doch Christus sich gemalt wünschte. Kern des Schönen, Ästhetischen ist nach Kierke-gaard das Erotische, das nicht überzeugt, sondern verführt. Diesem Sinnlichen entgegengesetzt sei die Sprache, alles Sinnliche verneinend sei sie das vollkommene Medium des Geistes.

73 Belting, Hans: Die Bilder in der Bildung. Das Nicht-Gesehene in Worten. In: Süddeut-sche Zeitung vom 3./4./5. 6. 1995, S. 13.

74 Zit. nach Belting, Hans: Bild und Kult. München, 1991, S. 610.

75 Vgl. Brumlik, Micha: Schrift, Wort und Ikone. Wege aus dem Bilderverbot, Frank-furt/M., 1994, S. 56f.

Die Furcht vor dem Bild beruht häufig auf einem Reinheitsbedürfnis und geht einher mit Sexualfeindlichkeit. Angst vor Verführung und Macht-verlust werden in der feministischen Theologie als Ursachen für Bilder-furcht gesehen. Deshalb gäbe es Bildertabus gerade in den Religionen des maskulinen Monotheismus: im Judentum und im Islam sowie im frauenfeindlichen und marienlosen Protestantismus. Hans Belting spricht von der „Absicht, die Bilder in eine Denkschule zu schicken und ihnen Benehmen und Gehorsam beizubringen“, denn offenbar fürchteten die Philosophen, die sich in den Worten sicherer fühlten, den „unzähmbaren Eigensinn“ der Bilder. Sie haben zudem den Fehler gemacht, nur über das Bild als solches nachzudenken. Von der Vielfalt und Ambiguität in den Bildern, wie in allem Sichtbaren, das immer etwas Tautologisches an sich habe, sei da nicht mehr viel übrig geblieben.76

Eine strenge Auslegung des Holocaust-Bilderverbots führt zur Sakrali-sierung, Vergöttlichung und einem Absolutsetzen der Shoah. Der Holo-caust kann dann auch als Ersatzreligion für Assimilierte und Atheisten dienen. „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ ist das falsche Gebot dieser

Eine strenge Auslegung des Holocaust-Bilderverbots führt zur Sakrali-sierung, Vergöttlichung und einem Absolutsetzen der Shoah. Der Holo-caust kann dann auch als Ersatzreligion für Assimilierte und Atheisten dienen. „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ ist das falsche Gebot dieser