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I.8.5. Internationale Produktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust

I.8.5.3. Italien und Frankreich

Kapo (1960) von Gillo Pontecorvos ist eine italienisch-französisch-jugo-slawische Co-Produktion. Der Film thematisiert den Zwiespalt privile-gierter Häftlinge: um zu überleben, müssen sie andere Häftlinge verraten und quälen. Am Ende steht dennoch der eigene Tod, es gibt kaum eine Chance, auch nicht für einen Kapo, zu überleben. Die Hauptrolle, eine französische Jüdin, spielt Susan Strasberg.251

La cadute degli dei/Die Verdammten (1968) von Luchino Visconti ist Teil seiner „deutschen Trilogie“ (Tod in Venedig, 1970 und Ludwig, 1972). In Die Verdammten zeigt Visconti die Nähe einer Großindustri-ellen-Familie zum Nationalsozialismus. Als Modell dient die Familien-geschichte der Krupps.

Seit Anfang der siebziger Jahre entstehen in Italien Filme, die auf die Verbindung von Faschismus und Sexualität setzen, die sogenannten Sadiconazistafilme. Zu ihnen zählt Marcus Stiglegger in seiner Disserta-tion als Vorläufer Viscontis La caduta degli dei (1968), Bertoluccis Il conformista (1970), schließlich Cavanis Il portiere die notte (1973), Wertmüllers Pasqualino Settebellezze (1975), Bras‘ Salon Kitty (1975), Pasolinis Salò o le 120 giornate di Sodoma (1975), Canevaris L‘ultima orgia del Terzo Reich und eine große Zahl exploitativer Filme, die das Thema Konzentrationslager ausbeuten.252 Die Thematisierung der sexu-ellen Komponente von Täter-Opfer-Verhältnissen mag ein Anliegen der Filmemacher gewesen sein - so äußert sich beispielsweise Liliana Cavani - zugleich entstehen im Gefolge der etwas anspruchsvolleren Filme Produktionen, deren exploitativer Charakter eindeutig ist. In Deutschland sind die meisten dieser Filme indiziert worden. Entsprechend selten haben sich Filmkritiker damit beschäftigt. Eine Ausnahme bildet der katholische Film-Dienst: „Die heutige Nachläufer-Welle freilich gehört zur untersten Hardcore-Gattung, in der minuziös gezeigte Operationen an Eierstöcken oder auch Kastrierungen ein besonderes Stimulans

251 Vgl. Kapo. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 7. Jg, H. 1/1963, S.

32-34.

252 Vgl. Stiglegger, Marcus: Sadiconazista. Faschismus und Sexualität im Film. St. Augu-stin, 1999.

bilden, das wohl weniger die Libido als das Ekelgefühl (oder aber perverse Neigungen) des Zuschauers ansprechen soll.“253

Neben den Sadiconazista-Filmen entstehen in Italien Filme, deren Qua-lität weniger umstritten ist. Atempause (1997) von Francesco Rosi basiert auf dem gleichnamigen Werk von Primo Levi. Levi, der Auschwitz überlebt hat, erzählt in dem Roman von der Befreiung des Vernichtungslagers durch die Rote Armee und der anschließenden Odys-see der Überlebenden durch Europa. Nur schwer finden sie zurück ins Leben. Der Film enthält im Gegensatz zu Levis Roman eine Szene, die auf dem Münchner Bahnhof spielt. Dort treffen die Überlebenden auf ehemalige deutsche Offiziere, die unter Bewachung US-amerikanischer Soldaten, Gleise reparieren. Einer der Offiziere fällt auf die Knie vor dem Mann mit dem Stern auf der Brust. Diese Szene sei, so deutet sie Marisa Buovolo in film-dienst Nr. 22/1997, „... eine Hommage an die spätere, in die Geschichte eingegangene Geste von Willy Brandt, die den Glauben an die kollektive Erinnerung und an die Stärke des Versöh-nungswillens ausdrückt.“254

Den europäischen Faschismus, Besatzung und Verfolgung thematisieren auch die französischen Filmemacher. Seit Ende der sechziger Jahre wagen sie, die Frage nach der Kollaboration zu stellen. Le Chagrin et la Pitie/Das Haus nebenan (1969) von Marcel Ophuls, eine Chronik der Stadt Clermont-Ferrrand während des Zweiten Weltkriegs, provoziert heftige Auseinandersetzungen. Im französischen Fernsehen wird der Film erst 1981 ausgestrahlt. Ophuls 1988 fertiggestellter Film Hotel Terminus über den auch „Schlächter von Lyon“ genannten Gestapo-Chef Klaus Barbie versammelt Aussagen von Zeitgenossen. Über achtzig Per-sonen hat Ophuls befragt. Wie Claude Lanzmann in Shoah ist der Filmemacher als Interviewer präsent und reagiert zuweilen mit Ironie auf die Aussagen der Befragten.

In François Truffauts Le dernier métro/Die letzte Metro (1980) geht es um ein Pariser Theater, dessen jüdischer Intendant nach dem Einmarsch der Deutschen angeblich geflohen ist, sich aber in einem Keller des Theaters versteckt hält. Seine nichtjüdische Frau Marion übernimmt unterdessen die Leitung des Theaters. Sie hat mit kollaborierenden Landsleuten ebenso zu tun wie mit heimlichen Résistance-Kämpfern.

Ein Epilog spielt nach dem Krieg: nach einer erfolgreichen Premiere tritt Marion Hand in Hand mit Bernard, dem Widerstandskämpfer und ihrem

253 USE: „Nazis“ wie im alten Rom. In: Film-Dienst, 30. Jg., Lieferung 31/32 vom 2.8.1977, S. 1f.

254 Zit. nach Lumière-Programmheft Oktober 1999, S. 2. Das „Lumière“ ist das aus der Göttinger Film- und Kinoinitiative (FKI) hervorgegangene Programmkino.

Ehemann, der im Versteck überlebt hat, auf die Bühne. Beide liebt sie und alle drei verkörpern die Versöhnung zwischen Verfolgten, Wider-standskämpfern und denen, die sich arrangierten.

Au Révoir les Enfants, eine deutsch-französische Co-Produktion von 1987, spielt 1944 in Frankreich. Erzählt wird die Geschichte dreier jüdi-scher Jungen, deren Aufenthalt in einer katholischen Schule jedoch nicht geheim bleibt. Sie werden abgeholt, zurück bleibt Julien, der sich vor-wirft, den Freund durch einen unbedachten Blick verraten zu haben. Wie schon in Lacombe Lucien von 1973 schildert der Regisseur Louis Malle mit großer Sorgfalt die durch Angst gekennzeichnete Stimmung während der deutschen Besatzung. Aus Frankreich stammen zudem zwei der hier näher untersuchten Filme, Nacht und Nebel von 1955 und Shoah von 1985. Beide haben Maßstäbe gesetzt, was die filmische Repräsentation des Holocaust anbelangt.

I.9. Annahmen

Siegfried Kracauer diagnostiziert in „From Caligari to Hitler“ eine „auto-ritäre Kollektivmentalität“, erkennbar im deutschen Spielfilm vor und nach 1933. Er vermutet, daß Filme die Mentalität einer Nation unver-mittelter reflektieren als andere künstlerische Medien: „Was die Filme reflektieren, sind weniger explizite Überzeugungen als psychologische Dispositionen - jene Tiefenschichten der Kollektivmentalität, die sich mehr oder weniger unterhalb der Bewußtseinsdimension erstrecken.“255 Zu überprüfen ist, ob dies auch für die nach 1945 in Deutschland produ-zierten und rezipierten Holocaustfilme gilt. Volker Schlöndorff formu-liert es 1980 folgendermaßen: „Vielleicht haben wir doch so einen ver-dammten Nationalcharakter, den Kracauer nicht wahrhaben wollte und nur der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zuschrieb.“256

Die im I. Teil der Arbeit vorgenommene theoretische Fundierung legt Annahmen über Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen nahe. Es scheint in den öffentlichen Auseinandersetzungen über Holo-caustfilme um sehr viel mehr zu gehen als nur die Bewertung eines Films. Neben ästhetischen, sprachlichen und religiösen Aspekten berührt das Thema grundsätzliche Fragen im Identitätsfindungsprozeß der

255 Kracauer, Siegfried: Schriften: Hrsg. von Karsten Witte. Bd. 2. Von Caligari zu Hitler.

Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt/M, 1979 (1947), S.

286f.

256 Schlöndorff, Volker: Der Wille zur Unterwerfung. In: Frankfurter Rundschau vom 16.2.1980, Filmseite III.

schen. Das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik und der DDR hat sich in Abgrenzung zum Nationalsozialismus herausgebildet.

In publizistischen Kontroversen über Holocaustfilme stehen die legitime Sicht der Vergangenheit und die Politik der Gegenwart zur Debatte. Es geht um „kulturelle Hegemonie“. Die aufeinandertreffenden Positionen lassen sich als „Normalisierung“ oder „Dramatisierung“ beschreiben. Sie bestimmen die Argumentationsweisen derjenigen, die sich zu Holo-caustfilmen äußern.

Fragen der filmischen Repräsentation geraten dadurch in der öffentlichen Auseinandersetzung zuweilen in den Hintergrund. Sie aber stehen im Mittelpunkt filmwissenschaftlicher Debatten, wo es um massenmediale Geschichtsvermittlung geht, um gattungsspezifische (synthetischer oder dokumentarischer Film?) und erkenntnistheoretische Fragen (wie werden Bilder gelesen?). Insgesamt sind Zahl und Umfang wissenschaftlicher Publikationen zum Thema „Repräsentation des Holocaust“ in den letzten zwei Jahrzehnten stark angestiegen. Vermutlich gilt das auch für die Tages- und Wochenpresse.

Verbunden mit der Entscheidung für die Methode Diskursanalyse ist die Annahme, daß sie am ehesten geeignet ist, Argumentationsweisen und

„das diskursive Feld“ zu rekonstruieren. Die Bedeutung von Filmen für die Herausbildung eines kollektiven Bewußtseins ist unbestritten, empi-risch freilich schwer zu belegen. Die Analysen der publizistischen Kon-troversen von Morituri 1948 bis Schindlers Liste 1993 können allerdings Aufschluß darüber geben:

• Welche künstlerischen Verfahren Regisseure wählen, um den Holo-caust im Film darzustellen,

• Welche Rolle Zeitungen und Zeitschriften spielen; wann im Verlauf der Kontroverse sie Organ oder Spiegel der öffentlichen Auseinan-dersetzung sind,

• Wie das Publikum auf Holocaustfilme reagiert und wie einzelne Filmkritiker in ihrer Doppelfunktion als Rezipienten und Kommuni-katoren Holocaustfilme beurteilen,

• Welche Argumente in der jeweiligen Kontroverse vorgebracht wer-den und ob es Gemeinsamkeiten zwischen wer-den Kontroversen gibt.

• Welche deutschen Spezifika in der Auseinandersetzung mit Holo-caustfilmen erkennbar sind,

• Ob sich im Verlauf der Jahrzehnte die Art und Weise (Vehemenz, Häufigkeit, Dauer) der öffentlichen Auseinandersetzungen verändert hat.

II. Analysen der publizistischen Kontroversen über den