• Keine Ergebnisse gefunden

Anlage und Methode der Untersuchung

Der Untersuchungszeitraum umfaßt mehr als fünf Jahrzehnte. Dabei handelt es sich jedoch um eine grobe Umschreibung der Zeit, die bei der Untersuchung insgesamt berücksichtigt werden soll. Neun zwischen 1948 und 1994 in Deutschland gezeigte Filme zum Thema Holocaust, vor allem aber die publizistischen Kontroversen, die diese Filme ausge-löst haben, werden analysiert. Aussageträger, ihre Motivation, Gegen-stand und Adressat der Äußerungen, der Publikationsort (in welcher Zeitung oder Zeitschrift?, auf welcher Seite?), der Publikationszeitpunkt (vor oder nach Ausstrahlung des Films? als Reaktion auf andere Äuße-rungen?) und die Publikationsart (welche journalistische Darstellungs-form?) stehen im Mittelpunkt der Untersuchung.125

Die Untersuchungsmethode muß geeignet sein, Argumentationsweisen zu rekonstruieren, um eventuell Rückschlüsse auf die politische Kultur zu erlauben. Als Methode bietet sich deshalb die Kombination von inhaltsanalytischen126 und deskriptiv-hermeneutischer Verfahren an, da so über den Einzeltext hinausgehende Informationen struktureller Art gewonnen werden können. Ein komplexes Phänomen (der Umgang der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit) wird unter einem Teilaspekt (welche publizistischen Kontroversen Holocaustfilme ausgelöst haben) betrachtet. Erst an einem umfangreichen Textkorpus aus einem längeren Zeitraum lassen sich latente Kommunikationsstruk-turen eines Kollektivs („der Deutschen“) zeigen. Jürgen Ritsert definiert Latenz in Abgrenzung zu manifesten Inhalten: „1. ‚Latenz’ kann die gesellschaftlichen Connotationen eines Textes insgesamt meinen ... 2.

Mit ‚Latenz’ können auch sich in Texten ohne bewußte Absicht des Ver-fassers ausdrückende gesellschaftliche Sinngehalte gemeint sein ... 3.

125 Vgl. was Aufbau und Untersuchungsdesign anbelangt Wilke, Jürgen/Schenk, Bir-git/Cohen, Akiba A./Zemach, Tamar: Holocaust und NS-Prozesse. Die Pressebericht-erstattung in Israel und Deutschland zwischen Aneignung und Abwehr. Köln, Weimar, Wien, 1995. Schwab-Trapp, Michael: Konflikt, Kultur und Interpretation. Eine Dis-kursanalyse des öffentlichen Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Opladen, 1996.

Jäger, Siegfried: Text- und Diskursanalyse. Eine Anleitung zur Analyse politischer Texte. 4. Aufl. Duisburg, 1993, (= DISS-Texte Nr. 16).

126 Die quantitative Inhaltsanalyse wird als Methode zur objektiven und systematischen Beschreibung manifester Inhalte definiert, die qualitative Inhaltsanalyse darüber hinaus als Methode zur Beschreibung des latenten Gehalts von Kommunikation. Eine Tren-nung zwischen quantitativ und qualitativ, manifest und latent gilt als überholt. Welche Präzisierungen die Methode Inhaltsanalyse im Laufe der Jahre erfahren hat, läßt sich anhand der Modifizierungen von Berelsons grundlegender Definition nachweisen. Vgl.

Berelson, Bernard: Content analysis in communication research. Glencoe (Illinois), 1952. Seitdem wurde die Methode durch die elektronische Datenverarbeitung weiter-entwickelt.

Latenz kann schließlich jene gesellschaftliche Sinngehalte bezeichnen, welche Texten in der historischen Entwicklung und auf dem Boden sich erweiternden Wissens ‚zuwachsen“.“127 Alle Aussagen zum latenten Gehalt eines Textes müssen auf diesen zurückführbar und intersubjektiv nachprüfbar sein.

Ein sich wandelndes gesellschaftliches Umfeld, neue Medien, veränderte Mediennutzung und dem angepaßte Kommunikationsstrategien sind Aspekte, die bei inhaltsanalytischen Untersuchungen berücksichtigt werden müssen. Die Komplexität von Kommunikationsprozessen ver-langt nach reliablen Fakten, allerdings auch nach deren Interpretation und Bewertung, vor allem dann, wenn, wie in dieser Untersuchung, Texte unterschiedlicher Autoren und unterschiedlichen Datums analy-siert werden, in denen Einstellungen und Meinungen überwiegen. Diese Meinungen beziehen sich zudem auf Filme und trotz aller Fortschritte auf dem Gebiet der Analyse von Bildern ist es nicht möglich, Sinn, Bedeutung und Qualität eines künstlerischen Werkes erschöpfend und übereinstimmend zu beschreiben. Dennoch eignet sich ein hermeneu-tisch-deskriptiver Ansatz in Kombination mit inhaltsanalytischen Ver-fahren zur Untersuchung nichteindeutiger Aussagen und verdeckter Kommunikationsstrategien, da Sprache Konventionen folgt, die bekannt sind. Die allgemeine Sprachkompetenz sowie die aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse lassen eine Interpretation mehr oder weniger plausibel erscheinen.

Die Vorgehensweise und die Wahl der Methode sind auch durch sozio-linguistische Studien zur Diskursanalyse bestimmt. „Diskurs“ bedeutet das sukzessive, logische Fortschreiten von einem bestimmten Argument zu einem anderen durch begriffliches („diskursives“) Denken (im Gegensatz zum „intuitiven Denken“). Jürgen Habermas beschreibt dem-entsprechend „Diskurs“ als „... die argumentative, dialogisch konzipierte und methodisch reflektierte Form des über die ‚vernünftige Rede‘ ver-mittelten begrifflichen Denkens.“128 Bei der „Diskursanalyse“ bzw. der

„Analyse des diskursiven Feldes“ geht es laut Michel Foucault darum,

„... die Aussage in der Enge und Besonderheit ihres Ereignisses zu erfas-sen; die Bedingungen ihrer Existenz zu bestimmen, auf das Genaueste ihre Grenzen zu fixieren, ihre Korrelationen mit anderen Aussagen

127 Ritsert, Jürgen: Inhaltsanalyse und Ideologiekritik. Ein Versuch über kritische Sozial-forschung. Frankfurt/M., 1972, S. 44.

128 Habermas, Jürgen, zit. nach: K.K.: Stichwort „Diskurs“. In: Lexikon zur Soziologie.

Hrsg. von Werner Fuchs-Heinritz u.a. 3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Opladen, 1994, S. 145f.

zustellen, die mit ihr verbunden sein können, zu zeigen, welche anderen Formen der Äußerung sie ausschließt.“129

Ein mögliches Verfahren innerhalb der Diskursanalyse stellt die Kon-frontation unterschiedlicher Positionen dar, um die Breite der Kontro-verse aufzuzeigen. Die Analyse beginnt mit einem für die Auseinander-setzung wichtigen Artikel, der eindeutige Stellungnahmen für oder gegen den Film enthält. Dem folgt die Analyse eines zu diesem Artikel in größtmöglichem Kontrast stehenden Beitrags. Das Verfahren wird so lange wiederholt, bis die Argumentationslinien erkennbar werden.

Gemäß den theoretischen Überlegungen würden normalisierende und dramatisierende Argumentationen, die per definitionem kontrastiv zuein-ander stehen, ausgewählt und solange analysiert, bis nur noch Bekanntes zutage gefördert werden kann. Die Beiträge sollen ein möglichst breites Spektrum abdecken und den Bezug zu vorherigen filmästhetischen Debatten deutlich werden lassen. Michael Schwab-Trapp beschreibt den Analysevorgang folgendermaßen: „Die Auswertung vollzieht sich mithin in drei Schritten. In einem ersten Schritt werden gemäß der Fragestellung und in Anlehnung an die Webersche Konzeption des Idealtypus solche Artikel gewählt, welche normalisierende und dramatisierende Argu-mentationsmuster in möglichst reiner Ausprägung aufweisen. Die aus-gewählten Artikel werden in einem zweiten Schritt sequenzanalytisch analysiert. Anhand der Analyse werden Hypothesen zum Konflikt gebil-det. In einem dritten Schritt werden die solcherart gewonnenen Ergeb-nisse mit anderen Beiträgen zum Konflikt konfrontiert. Den Interpreta-tionsergebnissen gezielt ausgewählter Artikel steht mithin eine Teil-menge von veröffentlichten Beiträgen als Falsifkationsinstanz gegen-über, die potentiell die Gesamtheit der argumentativen Äußerungen zum untersuchten Konflikt umfaßt.“130

Gleichzeitig muß der Autor darüber Auskunft geben, wer spricht (etwa:

Politiker, Privatperson oder bekannter Intellektueller) und was es be-deutet, daß dieser Sprecher sich zu diesem Zeitpunkt, zu diesem Thema in dieser oder jener Form äußert. Zu ermitteln sind in einem letzten Schritt die Interdependenzen in der Argumentauswahl und -verwendung der Konfliktparteien. Der argumentative Wert einer Aussage ist - abgesehen von der Stichhaltigkeit des Arguments (Inhaltsaspekt) - abhängig vom Grad, in dem sie mit der vorherrschenden Lesart der Vergangenheit übereinstimmt oder aber dieser Lesart entgegensteht.

129 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt/M., 1973, S. 43.

130 Schwab-Trapp, Michael: Konflikt, Kultur und Interaktion. Eine Diskursanalyse des öffentlichen Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Opladen, 1996, S. 88.

Bei der Textanalyse ist zu berücksichtigen, daß jede Äußerung in einem spezifischen (zeitlich, sachlich und sozial strukturierten) Kontext steht, der jedoch Raum läßt für verschiedene Lesarten. Bedeutung erlangen Aussagen auch dadurch, daß auf sie reagiert wurde. Ohne oppositionelle Anschlußkommunikation ist die publizistische Kontroverse am Ende, selbst wenn der eigentliche Konflikt weiterbesteht. Schweigen, Nicht-Reagieren, bedeutet daher keineswegs Einverständnis, Nicht-Streiten keineswegs Konfliktmangel. Folgeäußerungen bestimmen somit nach-träglich den Streitwert einer Äußerung und markieren aus dem Konti-nuum möglicher Bedeutungsrelationen eine spezifische Relation, was immer zu Mißverständnissen führen kann.

Zur Ermittlung von Argumentationsstrukturen können einzelne Text-passagen eventuell vernachlässigt werden, sofern sie für die Argumenta-tion nicht konstitutiv sind. Bei der sequentiellen Feinanalyse aber ist zu beachten, daß „... keine Informationen aus und Beobachtungen an späte-ren Interakten zur Interpretation eines vorausgehenden Interaktes benutzt werden.“131