• Keine Ergebnisse gefunden

Ausgewählt wurden Produktionen aus allen Jahrzehnten, Filme mit Spielhandlung und Gesprächs-/Interviewfilme.132 Einerseits Filme, die wirtschaftlich erfolglos blieben und beim Publikum kaum auf Resonanz stießen, andererseits Filme, die zum „Medienereignis“wurden. Daß ein Film als „besonders wertvoll“ sowohl in künstlerischer als auch in auf-klärerischer Hinsicht bewertet werden kann, zudem breitenwirksam und ökonomisch erfolgreich ist, trifft auf kaum eine der ausgewählten Pro-duktionen zu. Diese vier Kriterien zu erfüllen, ist fast unmöglich, eine Ausnahme bildet vielleicht der letzte in die Untersuchung aufgenom-mene Film, Steven Spielbergs Schindlers Liste. Dennoch stellt das Zusammentreffen der vier Kriterien häufig das Maß zur Beurteilung von Filmen dar. So läßt sich erklären, warum bis heute die Ansicht verbreitet ist, es existiere kein deutscher Holocaustfilm. Es existieren einige, aller-dings waren sie entweder künstlerisch ambitioniert und erreichten des-wegen nur ein sehr kleines Publikum oder sie boten politische Erklä-rungsmuster, die durch mangelnde Differenzierung eher abschreckten.

131 Oevermann, Ulrich u.a.: Die Methodologie einer objektiven Hermeneutik und ihre all-gemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Hrsg. von Hans-Georg Soeffner.

Stuttgart, 1979, S. 414.

132 Vgl. Kapitel I.5.2. Filmgattungen: synthetischer und dokumentarischer Film.

Selbst wenn künstlerische und politische Ansprüche erfüllt schienen, hieß das noch nicht, daß das Publikum diesen Film sehen wollte und er dadurch auch wirtschaftlich erfolgreich war.

Alle in die Untersuchung einbezogenen Filme wurden in Deutschland gezeigt und sind dem Publikum grundsätzlich zugänglich. Inhaltlich wurden die Filme nach folgenden Kriterien ausgewählt: Gegenstand des Films ist der Massenmord an den Verfolgten des Nazi-Regimes. Es geht um die Zeit zwischen 1939 und dem Kriegsende, als der Vernichtung in den Konzentrationslagern täglich Tausende zum Opfer gefallen sind.

Handlungsort im Film sind die Arbeits- und Vernichtungslager. Be-stimmte Bilder kehren in den ausgewählten Filmen wieder - und wenn sie nicht direkt gezeigt werden wie z.B. in Lanzmanns Shoah, so werden sie doch evoziert: Eisenbahnschienen, Deportationszüge, Verlade-rampen, Stacheldraht, Wachtürme, Lagertore, Schornsteine, Baracken, Aufschriften in Fraktur, Koffer, Haufen mit Kleidung, Brillen, Prothe-sen, Kinderspielzeug, Schuhe, Häftlinge in gestreifter Kleidung, mit Nummer und Dreieck versehen, kahlgeschorene Köpfe, Uniformen, Stiefel, Schäferhunde, Zyklon B-Behälter, Leichenhaufen. Auch werden bestimmte Situationen in fast allen Filmen beschrieben: Deportation, Ankunft und Selektion, Entblößung, Rasur, Appell, Hunger, Zwangs-arbeit, Folter, Exekution, Massenvernichtung.

An dieser Stelle sollen noch einmal die Schwierigkeiten bedacht werden, die eine strenge Auslegung des Begriffs „Holocaustfilm“ mit sich bringt.

In der Forschung über Holocaustfilme existiert das Problem, was dazu zählt und was nicht, ebenso wie in der Forschung über Holocaustlite-ratur. James E. Young nennt Tagebücher, Memoiren, Gedichte, Lieder, dokumentarische Literatur wie Augenzeugenberichte und Textcollagen, aber auch Legenden und mündlich Überliefertes. Bei der Definition des Begriffes Holocaustliteratur gibt es insgesamt jedoch wenig konkrete Angaben über Gattungen, Autorenschaft (Augenzeuge, Betroffener, Nachgeborener, Opfer, Täter, etc.), Gegenstand, Handlungsort und erzählte Zeit. Eine weit gefaßte, aber letztlich einleuchtende Definition liefert Jan Philipp Reemtsma. Er zählt Bücher wie Ruth Klügers „weiter leben“, die Tagebücher Victor Klemperers oder Ladislaus Szücs´

„Zählappell“ zur „neueren deutschen Literatur“, denn trotz der unter-schiedlichen Herkunft und Sprache der Autoren, ist es „deutsche“

Literatur, da „... es in dieser Literatur um Deutschland geht“. Reemtsma:

„...- es ist ein Ergebnis deutscher Geschichte, daß diese Literatur in allen Sprachen geschrieben worden ist, die auch in den Lagern gesprochen worden ist.“133 Ebenso ist es ein Ergebnis deutscher Geschichte, daß in

133 Reemtsma, Jan Philipp: Die Memoiren Überlebender. Eine Literaturgattung des 20

den Nationen, die als alliierte Streitkräfte versucht haben, den Terror der Nazis zu beenden, Filme entstanden sind, die das von den Nazis verur-sachte Leid dokumentieren. So werden in die Untersuchung franzö-sische, schwedische, US-amerikanische, z.T. in internationaler Koopera-tion entstandene ProdukKoopera-tionen einbezogen. Inwieweit sich die Deutschen ihrer Geschichte stellen, zeigen die Filme Morituri, Nackt unter Wölfen, Ein Tag und Der Prozeß. Bei Nackt unter Wölfen handelt es sich um einen in der DDR produzierten Film. Nacht und Nebel und Shoah sind französische, Holocaust und Schindlers Liste US-amerikanische Produk-tionen. Mein Kampf wurde von dem während der NS-Zeit zum Exil gezwungenen Deutschen Erwin Leiser 1959 in Schweden hergestellt.

Wer diese Filme wo gemacht hat, ist bei der Einordnung und Deutung unbedingt zu berücksichtigen. Mehr noch als die Unterschiede zwischen den einzelnen Filmen, was den Produktionsort und die Produktions- und Rezeptionsgeschichte anbelangt, muß aber das von den Filmemachern gewählte Sujet im Vordergrund stehen: die Vernichtung von Millionen Menschen in den Lagern der Nationalsozialisten. Dieses Thema verbin-det die Filmemacher. Auch weil manche selbst oder ihre nahen Ver-wandten und Bekannten Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden sind.

„Holocaust“ bezieht sich auf den Massenmord an den Juden, hier aber werden auch Filme untersucht, in denen nichtjüdische Opfer des Nazi-terrors vorkommen. Die in Nackt unter Wölfen und Ein Tag gezeigten Lager sind keine Vernichtungslager. In Bruno Apitz‘ Roman, der dem Film Nackt unter Wölfen als Vorlage dient, kommen jüdische Gefangene - obwohl es sie in Buchenwald gegeben hat - nicht vor. Gerade aufgrund solcher Verfälschungen, die durch Auslassungen oder einseitige Sicht-weise entstehen, werden diese Filme für die Untersuchung interessant, entzünden sich doch an ihnen besonders leicht publizistische Kontrover-sen.

Zu unterscheiden ist, ob ein Film zum Thema Holocaust für das Kino- oder Fernsehpublikum produziert worden ist. Gemeinhin ist das finan-zielle Risiko bei einem Kinofilm größer. Jeder Kinofilm ist irgendwann auch im Fernsehen zu sehen. Andersherum gilt das nicht. Nachdem sich das Fernsehen in den sechziger Jahren etabliert hatte, war eine größere Zahl an Zuschauern eher über dieses Medium zu erreichen. Das hatte Einfluß auf das Filmangebot sowohl im Kino als auch im TV. Im damals ausschließlich öffentlich-rechtlich organisierten Fernsehen spielte die Aufarbeitung des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle. In

Jahrhunderts. In: ders.: Mord am Strand. Allianzen von Zivilisation und Barbarei. Auf-sätze und Reden. S. 229.

reichen TV-Dokumentationen, in Spielfilmen, Fernsehspielen und Diskussionsrunden widmete man sich dem Thema. In der Holocaust-Kontroverse 1978/79 wurde dennoch die Auffassung vertreten, daß bis-lang insgesamt zu wenige oder aber zu wenige wie Holocaust auf ein Massenpublikum zielende Produktionen ausgestrahlt worden seien.

Kino und Fernsehen konkurrieren heutzutage kaum noch miteinander.

Im Gegenteil, es gibt vielfältige Formen der Zusammenarbeit, z.B. das seit 1974 bestehende Film-Fernsehabkommen. Auch das Verhältnis zwischen Film/Fernsehen und Presse ist mehr durch Zusammenarbeit als durch Konkurrenz geprägt.134 Zum „Medienereignis“ wird ein Holo-caustfilm nämlich nur, wenn alle Medien an einem Strang ziehen.