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Polen, Tschechoslowakei, Sowjetunion

I.8.5. Internationale Produktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust

I.8.5.1. Polen, Tschechoslowakei, Sowjetunion

Die Zahl und Qualität der Holocaustfilme, die in einem Land produziert werden, hängt zum einen mit der Potenz der jeweiligen nationalen Filmindustrie zusammen, zum anderen spielen politische und künstleri-sche Beweggründe eine Rolle. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema belegen polnische Holocaustfilme, was zum einen mit den bis 1990 herrschenden Produktions- und Vermarktungsverhältnissen zu erklären ist, zum anderen damit, daß Polen das Land ist, in dem die Ver-nichtungslager der Deutschen errichtet wurden, und das Land, dessen Bevölkerung am schlimmsten von Verfolgung und Mord betroffen war.

In den polnischen Filmen aus dieser Zeit nimmt der Widerstand der Bevölkerung - zumal der organisierte kommunistische Widerstand - einen wichtigen Platz ein.

Bereits 1947 hat Wanda Jakubowska einen der ersten Holocaustfilme über das in Auschwitz Erlittene gemacht, Ostatni etap/Die letzte Etappe.

Als polnische Widerstandskämpferin verhaftet, entschließt sie sich im Lager, über diese Hölle Zeugnis abzulegen. Sie merkt sich, was sie sieht und was die anderen Frauen berichten. Gleich nach der Befreiung von Auschwitz fängt sie an, ein Drehbuch zu schreiben. Der Film beginnt mit der Geburt eines Kindes und der sofortigen Tötung des Neugeborenen.

Er schildert die Solidarität zwischen den inhaftierten Frauen aller Natio-nalitäten, spart aber nicht aus, wie privilegierte Häftlinge, die „Blocho-was“, ihre Stellung mißbrauchen, um andere zu quälen. 1948 gelangt Die letzte Etappe zur Aufführung, läuft während der Internationalen Filmausstellung in Leipzig und gewinnt den Grand Prix bei den Film-festspielen im tschechischen Karlsbad. Die Authentizität des Films wird gelobt, im beginnenden Kalten Krieg aber wird der „Propagandafilm“

Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen, ebenso Jakubowskas 1964 aufgeführter Auschwitz-Film Das Ende unserer Welt. Gegner sehen in den Filmen der polnischen Regisseurin eine ungebührende Aufwertung des kommunistischen Widerstandes. Diese Kritik wird wieder laut, als der Film zuletzt 1995 auf dem 17. Frauenfilmfestival in Créteil läuft.231 Als die künstlerisch wichtigste Periode im polnischen Nachkriegsfilm gilt die Zeit zwischen 1957 und 1961, in der Filme wie Kanal, Asche und Diamant, Der Mann auf den Schienen, Eroica und Nachtzug ent-stehen.232 In Pasazerka/Die Passagierin (1963) von Andrzej Munk meint Lisa, eine ehemalige KZ-Aufseherin, während einer Schiffsreise

231 Vgl. Pätzold, Brigitte: Der erste Film zum Holocaust. In: die tageszeitung/le monde diplomatique 5/95, S. 17.

232 Vgl. Toeplitz, Krzysztof-Teodor: Die drei Wellen. Polnische Filmkunst. In: Filmkritik.

Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 7. Jg., H. 9/1963, S. 402-407.

Marta wiederzuerkennen, die Häftling in Auschwitz gewesen ist. Lisa erinnert sich an die Ereignisse damals und sucht sich gegenüber ihrem Mann zu rechtfertigen. Die Geschichte, die sie ihm erzählt, entspricht aber nicht den Tatsachen. Allein, muß sie sich eingestehen, daß sie sich nicht für Lisa eingesetzt hat. Den Film kann Munk nicht fertigstellen, weil er, gerade vierzig Jahre alt, 1961 bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.233 Witold Lesiewiciz, ein enger Mitarbeiter des Regis-seurs, hat den Film in eine aufführbare Form gebracht. Ulrich Gregor lobt an diesem Werk, welches die Täterperspektive einnimmt, daß es sich bei ihm „... um den einzigen Film weit und breit handelt, dem mit den Mitteln der Fiktion eine überzeugende Rekonstruktion der Welt des Konzentrationslagers gelang. ... Er zeigt die KZ-Welt nicht als Wirklich-keit, sondern als alptraumhafte - und doch sehr reale - Erinnerung, widerspruchsvoll und perspektivisch gebrochen; er liefert Hypothesen, die der Weiterführung durch den Zuschauer bedürfen.“234 Angeblich hat Munk lange darüber nachgedacht, wie eine „objektive“ Version der Ereignisse im Lager aussehen könnte. Er ist zu dem Schluß gelangt, auf Bilder zu verzichten, die den Anspruch erheben, die wahre Atmosphäre der Brutalität im Lager wiederzugeben.235 Laut Reclams Filmführer ent-hält Die Passagierin Hinweise auf den Fall, der Nackt unter Wölfen zu-grunde liegt, nämlich dem Verstecken eines Kindes im Lager.236

1965 entsteht in Polen mit Bylem Kapo/Ich war Kapo von Tadeus Jaworski ein Film, der die Zwangslage der Funktionshäftlinge be-schreibt.237 Jaworski montiert Interviews von Tätern und Opfern und be-gründet den filmmethodischen Ansatz, der später beispielsweise von Marcel Ophuls, Eberhard Fechner und Claude Lanzmann aufgegriffen und weiterentwickelt wird.

Dem Thema in besonderer Weise angenommen hat sich Andrzej Wajda.

Krajobaz po bitwie/Landschaft nach der Schlacht (1970) zeigt die kurze Euphorie polnischer KZ-Häftlinge nach der Befreiung, doch ihr folgt wiederum die Unterbringung in einem Lager, einem DP-Camp. Der All-tag dort ist trostlos. Tadeusz lernt allerdings Nina kennen, eine jüdische Überlebende. Für einen Tag verlassen sie heimlich das Lager und ver-bringen „draußen“ Stunden, die sie Hoffnung schöpfen lassen. Bei der

233 Vgl. Berghahn, Wilfried: In memoriam Andrzej Munk. In: Filmkritik. Aktuelle Infor-mationen für Filmfreunde. H. 11/ 1961, S. 526f. und W.K. (= Werner Kließ): Munks Fragment. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 4. Jg. H. 12/1966, S. 31.

234 Gregor, Ulrich: Geschichte des Films ab 1960. München, 1978, S. 286.

235 Krusche, Dieter: Reclams Filmführer. Unter Mitarbeit von Jürgen Labenski. 10. neube-arb. Aufl. Stuttgart, 1996, S. 487.

236 Vgl. A.a.O., S. 436.

237 Vgl. Film. Eine deutsche Zeitschrift. 3. Jg., H. 4/1965, S. 46.

Rückkehr ins Lager wird Nina versehentlich erschossen. Tadeusz faßt darauf den Entschluß, das Lager zu verlassen und sich allein in seine Heimat Polen durchzuschlagen.

Ein filmisches Denkmal setzt Wajda 1990 seinem Landsmann, dem pol-nischen Priester Janusz Korczak. Dieser wurde schon in der deutsch-israelischen Co-Produktion Der Märtyrer/Sie sind frei, Dr. Korczak (1973, Regie: Aleksander Ford, Produzent: Artur Brauner) portraitiert.

Den Wajda-Film über den katholischen Priester, der mit seinen jüdischen Schützlingen ins Gas gegangen ist, nennt Claude Lanzmann, der Regis-seur von Shoah, „ein antisemitisches Machwerk“.238

Auch im polnischen Dokumentarfilm setzen sich Filmemacher mit der jüngsten Vergangenheit auseinander. Die Ende der dreißiger Jahre von Jerzy Bossak gegründete Gruppe „Start“, zu der Aleksander Ford, Jerzy Toeplitz und Wanda Jakubowska gehören, will den gesellschaftlich nützlichen, „fortschrittlichen“ Film. Daran knüpfen die Filmemacher nach Kriegsende an. Bossak wird Leiter der polnischen Wochenschau, Direktor des polnischen Dokumentarfilmstudios, Leiter der Filmgruppe Kamera, Dozent an der Filmhochschule in Lodz. In den sechziger Jahren arbeitet er in der Gruppe Fernsehspiel des NDR mit.

Sein 1963 gemeinsam mit Waclaw Kazmierczak produzierter Film Requiem für 500.000 stößt international auf großes Interesse, ist aber in den „sozialistischen Bruderländern“ umstritten.239 Im Vordergrund von Requiem für 500.000 steht nicht die politische Analyse, statt dessen soll der Film ein Zeugnis der Trauer sein. Die Filmemacher haben nur histo-rische Aufnahmen verwendet, z.T. griffen sie auf dasselbe von den Nazis gedrehte Material zurück, das bereits Frédéric Rossif in seinem Streifen Le temps du Ghetto verwendet hat. U.a. darauf gründet sich Jay Leydas Kritik an Requiem für 500.000. Er schreibt: „... ich war über die darin enthaltene weiche, ja sentimentale Einstellung bestürzt. Und diese Ein-stellung war überall zu verspüren, vom Schnitt bis zur Begleitmusik. ...

Für Studenten der Filmwissenschaft und zukünftige Kompilatoren sollte dieser polnische Film eine eindringliche Lehre sein, sie sollten ihn

238 Lanzmann, Claude, zit. nach Noack, Frank: Darf ein Heiliger vulgär sein? Schindlers Liste und andere Spielfilme über den Holocaust. In: Der Tagesspiegel vom 27.3.1994, S. VIII.

239 Jerzy Bossak äußert sich im Gespräch mit Hermann Herlinghaus über Requiem für 500 000 und Vorwürfen, die gegenüber diesem Film und seinen Machern erhoben wurden.

Bossak, Jerzy: Der polnische Film wurde im antifaschistischen Befreiungskampf gebo-ren. In: Dokumentaristen der Welt in den Kämpfen unserer Zeit. Selbstzeugnisse aus zwei Jahrzehnten (1960-1981). Hrsg. von Hermann Herlinghaus. Berlin (Ost), 1982, S.

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nächst mit Rossifs Werk und dann mit dem ursprünglichen Nazimaterial vergleichen, das nur scheinbar unveränderlich ist.“240

Zu Beginn des ca. 30-minütigen Films werden Beschlüsse zitiert, die nach dem Überfall auf Polen von den Deutschen durchgesetzt wurden.

Erst nach acht Minuten erfolgt die Einblendung des Titels und das Geschehen im Ghetto von Warschau wird kommentiert. Die Rede ist von der Rolle der Judenräte, des jüdischen Ordnungsdienstes, dem täglichen Kampf ums Überleben, Hunger und Krankheit und den Versuchen, ein halbwegs menschenwürdiges Leben führen zu können. Manche schrei-ben auf, was sie sehen. Daß die Ghettobewohner „in den Osten umge-siedelt“ werden sollen, glauben nur diejenigen, die die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Andere beginnen den Widerstand zu organisieren und planen den Aufstand. „Das Leben so teuer wie möglich verkaufen“, lau-tet ihre Devise. Sie möchten sich nicht „wie die Schafe zur Schlachtbank führen lassen“ und so nehmen sie Kontakt zu polnischen Widerstands-gruppen auf, um Waffen in das Ghetto zu schmuggeln.

Nach mehreren Deportationswellen 1942 formiert sich der Widerstand und es kommt am 19. April 1943 zum Aufstand im Warschauer Ghetto.

Länger als vermutet leisten die Juden Widerstand, mehrfach müssen die Deutschen den Rückzug antreten. Einen Monat später aber ist der Auf-stand vorbei, die meisten Aufständischen, an die 56.000 Menschen, wur-den sofort erschossen, andere in die Vernichtungslager deportiert. Der Film wird 1963 mit der „Silbernen Taube“, einem Kritikerpreis, in Leip-zig ausgezeichnet und gewinnt den 1. Preis der XI. Internationalen Kurz-filmtage für Ethnographische und Soziologische Filme in Florenz 1965.

In weiteren polnischen Dokumentarfilmen wie Fleischers Album (1962) und Der Alltag des Gestapomannes Schmidt (1964) wird anhand privater Fotografien eines deutschen Soldaten bzw. Gestapomannes gezeigt, wie

„ganz normale Deutsche“ Polen besetzt und die Bevölkerung drangsa-liert haben. Andrzej Brzozowskis Archaeologia/Archäologie (1967) zeigt, wie Wissenschaftler in einem Waldstück nach der jüngsten Ver-gangenheit graben und fündig werden.

In der Tschechoslowakei entstehen mehrere Filme über die Schrecken im Lager Theresienstadt: Alfred Radoks Ghetto Terezin/Ghetto Theresien-stadt von 1948, Miro Bernats Motýli tady nežijí/Schmetterlinge leben hier keine, in dem Kinderzeichnungen aus dem Lager gezeigt werden.

1968 verwendet Vladimir Kressl Bilder aus dem Nazi-Propagandafilm über das Lager Theresienstadt für seinen Film mit dem Titel Mĕsto

240 Leyda, Jay: Filme aus Filmen. Eine Studie über den Kompilationsfilm. Berlin (Ost), 1967, S. 197f.

darované/Die geschenkte Stadt. In Jan Nemec‘ Film Diamanten der Nacht/Démanty Noci (CSSR 1963/64) gelingt zwei Jungen die Flucht aus einem Judentransport. Doch finden sie bei der sudetendeutschen Bevölkerung keine Unterstützung, im Gegenteil, sie werden gejagt, ge-stellt und schließlich von einer Eskorte abgeführt. Diamanten der Nacht basiert auf einem Roman von Arnošt Lustig.241 1968 entsteht Juraj Herz‘

Film Spalovač mrtvol/Der Leichenverbrenner nach der gleichnamigen Novelle von Ladislav Fuks. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kündigt den Film am 31.1.2000 als „Filmkomödie“ an. Der Inhalt wird folgen-dermaßen wiedergegeben: „Auf den ersten Blick ist Herr Kopfkringl aus Prag ein vorbildlicher Bürger, liebevoller Ehemann und treusorgender Vater zweier Kinder. Mindestens ebenso wie seine Familie liebt er seinen Beruf als Angestellter eines Krematoriums. Sorgfältig präpariert er die Leichname für die Zeremonie, die sie von allen Unbilden des Lebens erlösen wird. Als er sich kurz vor dem Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei durch das Treffen mit einem alten Kriegskame-raden seiner deutschen Abstammung und damit seiner Zugehörigkeit zur Herrenrasse bewußt wird, erwacht in Herrn Kopfkringl der Ehrgeiz. Bald wird er Direktor des Krematoriums. Weil sich herausstellt, daß seine Frau Halbjüdin ist, muß er sich zwischen Familie und Karriere entschei-den. Nachdem er seine Lieben entsorgt hat, steht seinem Aufstieg zum Chef-Leichenverbrenner des Dritten Reichs nichts mehr im Wege.“242 Abhandlungen über die Besonderheiten des tschechischen Humors oder die Langlebigkeit surrealistischer Tendenzen in der tschechischen Kunst des 20. Jahrhunderts sind bei der Rezeption und Interpretation dieses Films wenig hilfreich.

Der sowjetische Filmemacher Michail Romm versucht in seinem Kom-pilationsfilm Obyknovennyj fasizm/Der gewöhnliche Faschismus von 1965 zu erklären, „... warum der einfache Deutsche Hitler gefolgt ist.“243 Romm möchte verstehen, was in den Deutschen vorgegangen ist. Er zeigt die Aufmärsche und Paraden, die begeistert jubelnden Massen und nimmt sich einzelne Gesichter vor. Sein Kommentar ist bewußt subjek-tiv, fragend und erklärend. Romm begnügt sich nicht mit der ansonsten in sowjetischen Filmen geübten Faschismuskritik, sondern bemüht sich um eine sozialpsychologische Deutung, will verstehen, wie ein ganzes Volk narkotisiert werden konnte. Parallelen zwischen Nationalsozialis-mus und KommunisNationalsozialis-mus spricht Romm in seinem Film natürlich nicht

241 Vgl. Lustig, Arnošt: Finsternis wirft keine Schatten. Roman. Ungek. Ausgabe. Mün-chen, 1997.

242 Programmankündigung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.1.2000, S. 56.

243 Vgl. Roth, Wilhelm: Der Dokumentarfilm seit 1960. München und Luzern 1982, S.

122.

an, dem kritischen Zuschauer jedoch können sie nicht verborgen bleiben.

Der gewöhnliche Faschismus wird international ein großer Erfolg. Er ist einer der wenigen sowjetischen Filme, die nach dem Funktionieren nationalsozialistischer Massensuggestion fragen.244

Ansonsten sind in der Sowjetunion keine Filme entstanden, die speziell die Situation der Juden während des Zweiten Weltkriegs in den Blick nimmt. Nur in dem 1967 von Aleksander Askoldov gedrehten Film Komisar/Die Kommissarin kommen jüdische Figuren vor und es wird in einer Traumsequenz die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung imagi-niert. Askoldov erzählt die Geschichte einer Kommissarin der „Roten“.

Sie ist schwanger und soll sich auf Befehl ihres Vorgesetzten zur Geburt bei einer jüdischen Familie verstecken. In dieser Familie verändert sich die junge Frau, auch beginnt sie, sich auf ihr Kind zu freuen. Doch siegt ihr Pflichtgefühl, sie läßt das Kind bei dem jüdischen Ehepaar und schließt sich wieder ihrem Regiment an. Ihre eigene Zukunft, die ihres Kindes und der Pflegeeltern ist ungewiß. Der Film bleibt zwanzig Jahre verboten, hauptsächlich wegen der Darstellung des Bürgerkriegs zwi-schen „Roten“ und „Weißen“, wegen „zionistischer Propaganda“ und

„Verleumdung der Revolution“. Dem Regisseur wurden wegen „man-gelnder fachlicher Eignung“ keine weiteren Regie-Aufträge erteilt.245

I.8.5.2. USA

Mit dem Aufkommen des Kalten Krieges werden die Westdeutschen allmählich zu Verbündeten der US-Amerikaner. Sie teilen die Furcht vor dem Kommunismus und orientieren sich an den von den Amerikanern propagierten Werten. Zwar gibt es immer Filme, die ohne den häßlichen Deutschen, den Widerling in SS-Uniform, nicht auskommen, doch ver-weist insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren die Darstellung der Unterdrückung der Juden oder des Expansionswillens der Nazis auf aktuelle innenpolitische Debatten in den USA (Civil Rights Movement, Vietnam). Der Zweite Weltkrieg und die Shoah sind die historischen Ereignisse, die am häufigsten in US-amerikanischen Filmen thematisiert werden. Sie prägen ganz entscheidend das Deutschlandbild der Ameri-kaner, andere historische Ereignisse und Zeitabschnitte wie z.B. der

244 Vgl. Red.: Der gewöhnliche Faschismus. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 4. Jg. H.

5/1966, S. 36 und Der gewöhnliche Faschismus. Ein Gespräch zwischen dem Regisseur des Films Michail Romm und den Kritikern Hermann Herlinghaus und Friedrich Hitzer. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 4. Jg. H. 5/1966, S. 49-56.

245 Vgl. Krusche, Dieter: Reclams Filmführer. Unter Mitarbeit von Jürgen Labenski. 10.

neubearb. Aufl. Stuttgart, 1996, S. 348f.

Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, die DDR oder das wiederver-einte Deutschland kommen so gut wie gar nicht vor und wenn, dann im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus.246

In den fünfziger Jahren befördert vor allem die Übersetzung des Tage-buchs der Anne Frank die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Judenverfolgung. Aufgrund des großen Erfolgs des Theaterstücks folgt 1959 die Verfilmung des Tagebuchs unter der Regie von George Stevens.247 Im selben Jahr wird der Film auch in der Bundesrepublik aufgeführt. 1980 entsteht ebenfalls in den USA eine Verfilmung von Boris Sagal, 1987 adaptiert der Engländer Gareth Davies den Stoff.248 Es gibt auch einen DEFA-Film namens Ein Tagebuch für Anne Frank von Joachim Hellwig und Günter Deicke von 1958. Nicht das Tagebuch der Anne Frank steht im Mittelpunkt, sondern diejenigen, die von der natio-nalsozialistischen Rassenpolitik profitiert haben, Unternehmen, deren Chefs in Westdeutschland unbehelligt ihren Geschäften nachgehen.

Damit ist die Stoßrichtung dieses Films eindeutig: der Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus soll verdeutlicht werden, die DDR als das bessere, eben „antifaschistische“ Deutschland erscheinen.

Anne Franks Tagebuch dient nur als Aufhänger, denn ihr Name ist nach der gleichzeitig in West- wie in Ostdeutschland stattfindenden Premiere des Theaterstückes im Oktober 1956 bekannt.249

Abby Manns Fernsehspiel Judgement of Nuremberg/Das Urteil von Nürnberg von 1959 dient als Grundlage für Stanley Kramers gleich-namigen Kinofilm von 1961. Auch in Schweden entsteht 1961 im Zuge des Erfolgs von Mein Kampf (1960) ein Film über den Nürnberger Pro-zeß. Leisers Produzent von Mein Kampf, Tore Sjöberg, führt diesmal Regie. Der Schriftsteller und spätere Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel kehrt in Harold Beckers Film Sighet, Sighet von 1964 in seine Heimatstadt Sighet zurück. Juden gibt es in dieser jetzt rumänischen Kleinstadt nicht mehr. Sie sind alle deportiert und ermordet worden.

Wiesel ist einer der wenigen Überlebenden. Mit Hilfe alter Fotos ver-sucht er, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Doch kann er in in diesem

246 Vgl. Heeb, Inken: Deutschlandbilder im amerikanischen Spielfilm 1946-1993. Stutt-gart, 1997.

247 Vgl. Kotulla, Theodor: Das Tagebuch der Anne Frank (The Diary of Anne Frank). In:

Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 3. Jg., H. 8/1959, S. 220f.

248 Den Film, der ebenfalls den Titel Das Tagebuch der Anne Frank trägt, zeigt das ZDF am 1.11.1994.

249 Vgl. Loewy, Hanno: Das gerettete Kind, die Universalisierung der Anne Frank. In:

Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust. Hrsg. von Stephan Braese et al. Frank-furt/M., New York, 1998, (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 6), S. 19-41.

halbstündigen Film, den Annette Insdorf als „poetic meditation“250 be-zeichnet, nur auf die Leerstellen verweisen, die die Juden hinterlassen haben. Die heutigen Bewohner mögen über die zwei Jahrzehnte zurück-liegenden Ereignisse nicht reden.

In den siebziger Jahren entstehen in den USA Spielfilme, in denen der Nationalsozialismus den Hintergrund der Geschichte bildet. Sie sind im strengeren Sinne keine Holocaustfilme. Überaus erfolgreich ist Cabaret (1972), ein Musikfilm von Bob Fosse, der von dem Aufstieg der Nazis und den zunehmenden Repressionen gegenüber einer Gruppe von Künstlern erzählt. Ingmar Bergmanns erstmals außerhalb von Schweden produzierter Film Das Schlangenei/ The serpents egg (BRD/USA 1977) spielt ebenfalls in den zwanziger Jahren, als die Nazi-Partei Zulauf ver-zeichnet. Bergmann selbst hält The serpents egg für einen seiner weniger gelungenen Filme.

Mißlungen ist der unter der Regie von Alan J. Pakula entstandene Film Sophie´s Choice (1982) mit Meryl Streep, Kevin Kline, Peter Mc Nicol und Günter Maria Halmer in der Rolle des Lagerkommandanten Höß.

Aus der Sicht eines jungen Schriftstellers in Brooklyn 1947 wird die Leidensgeschichte einer Exilpolin erzählt, die sich an der Rampe in Auschwitz gegen eines ihrer Kinder entscheiden muß. Der Film arbeitet mit Rückblenden, mehr Raum nimmt aber die Gegenwart ein, in der Sophie zwischen zwei Männern steht. Sie begeht Selbstmord. Der Film ist völlig überfrachtet, gleitet immer wieder in Kitsch ab. Die Besetzung der Rolle der Sophie mit Meryl Streep ist einleuchtend. Sie identifizieren die Zuschauer seit der Serie Holocaust mit weiblichem Leid während der Nazi-Zeit. Streep erhält einen „Oscar“ als beste Schauspielerin.

Mit Triumph of the Spirit/Triumph des Geistes wählt Robert M. Young für seinen Film einen Titel, der an Leni Riefenstahls Filmtitel erinnert. In seinem Film von 1989 aber geht es um ein Opfer der nationalsozialisti-schen Vernichtungspolitik, den griechinationalsozialisti-schen Juden Salomo, der als Boxer im Konzentrationslager Auschwitz um sein Leben kämpft. Solche sportlichen Wettkämpfe haben in den Lagern tatsächlich stattgefunden.

In dem Film Boxer a smrt/Der Boxer und der Tod hat Peter Solan schon 1962 den Überlebenskampf eines Boxers gezeigt.

Holocaust von 1978 und Schindlers Liste von 1993 sind die beiden her-ausragenden US-amerikanischen Produktionen, die zum internationalen Medienereignis wurden und gerade in Deutschland heftige publizistische

250 Insdorf, Annette: Indelible Shadows. Film and the Holocaust. Second edition. Cam-bridge, New York, 1989 (1983), S. 215.

Kontroversen nach sich zogen. Sie werden in Kapitel II.6 und II.9.

Kontroversen nach sich zogen. Sie werden in Kapitel II.6 und II.9.