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II. Analysen der publizistischen Kontroversen über den Holocaust im Film

II.1.3. Mitwirkende Stab

Regie Eugen York

Buch Gustav Kampendonk nach einer

Idee von Artur Brauner

Komponist Wolfgang Zeller

Kamera Werner Krien

Architekt Hermann Warm, Bruno Monden

Tonmeister Werner Pohl

Schnitt und Regie-Assistenz

Walter Wischniewski

Produktionsleitung Hans Lehmann

263 A.E.K.: Morituri. Film-Uraufführung in Hamburg. In: Abendpost (Hannover) vom 30.9.1948, S. 3.

264 In jenen Tagen ... . Wie der deutsche Nachkriegsfilm die Vergangenheit bewältigte.

Hrsg. von Wolfgang Becker und Norbert Schöll. Opladen, 1995, S. 60.

Darsteller

Dr. Leon Bronek Walter Richter Maria, seine Frau Winnie Markus

Lydia, Polin Lotte Koch

Eddy, Staatenloser Josef Sieber Gerhard Tenborg,

Deutscher

Siegmar Schneider Armand, Franzose Karl-Heinz Schroth Roy, Kanadier Alfred Cogho

Pjotr, Russe Peter Marx

Dr. Simon, Anwalt Josef Almas Ruth, seine Tochter Ursula Bergmann Lucie, seine Tochter Ellinor Saul

Vater Simon Willi Prager

Mutter Simon Annemarie Hase

Georg, deutscher Soldat Karl Viebach Janek, 12 Jahre Bob Kleinmann Wladek, 16 Jahre Michael Günther Sokol, polnischer Bauer Erich Dunskus Stascha, seine Tochter Catja Görna

Der Invalide David Minster

Die Irre Hilde Körber

Holländischer Häftling Klaus Kinski

Die Schwangere Gabriele Hessmann

Film ist immer ein im Kollektiv entstandenes künstlerisches Werk, den-noch wird gemeinhin dem Regisseur eine besondere Verantwortung für die Realisierung eines Films zugeschrieben. Im Fall von Morituri ist je-doch weniger Eugen York der Filmemacher als Artur Brauner. Er bringt seine eigenen Erfahrungen ein, von ihm stammt die Idee, das Schicksal der unter Krieg und Besatzung leidenden Zivilbevölkerung in den Blick zu nehmen. Für sein Projekt ist er bereit, sämtliche bürokratische Hürden zu nehmen und viel Geld und Arbeit zu investieren. Zusammen mit sei-nen wenigen Mitarbeitern bemüht sich Brauner, die richtigen Leute für Morituri zusammenzubekommen. Dabei scheint es ihm als Produzenten mehr um technisches und schauspielerisches Können zu gehen als um Unbelastetheit. Die am Film Mitwirkenden haben größtenteils ihr Hand-werk bei der UFA gelernt. Brauner will als Regisseur Arthur Maria Rabenalt, nimmt dann aber den 36-jährigen Eugen York unter Vertrag.

Dieser ist Assistent von Walter Ruttmann gewesen und hat von 1937 bis 1943 als „Kulturfilmregisseur“ für die UFA gearbeitet. Ebenso der Kameramann Werner Krien, der an Münchhausen, Große Freiheit Nr. 7,

Irgendwo in Berlin, Und über uns der Himmel beteiligt gewesen ist, der Filmkomponist Wolfgang Zeller, der die Filmmusik für Die Abenteuer des Prinzen Achmed, Melodie der Welt, Vampyr und Jud Süß geschrie-ben hat, und der Filmarchitekt Hermann Warm, der durch seine Bauten für Das Cabinet des Dr. Caligari, Der müde Tod und Peer Gynt Be-rühmtheit erlangt hat.

Für das Drehbuch verantwortlich zeichnet Gustav Kampendonk, der als UFA-Dramaturg an Filmen wie Frauen sind doch die besseren Diplo-maten (1941) mit Marika Röck beteiligt gewesen ist. Er ist schon der zweite Autor, der Brauners Ideen in ein Drehbuch umsetzen soll. Im Spiegel vom 2.10.1948 steht: „Das erste Drehbuch mußte weggeworfen werden. Es bestand aus ‚Leitartikeln‘, meint Otto Heinz Jahn, künstleri-scher Leiter der CCC und früher Chef der UFA und der Berlin-Film.“265 Kampendonk hat nicht viel Zeit für die Überarbeitung des ersten Ent-wurfs. Brauner ist auch mit dieser Vorlage nicht zufrieden: „Zu pathe-tisch, zu hölzern, zu wenig lebendig”266, findet er. Die Zeit aber drängt, und so werden Änderungen während der laufenden Dreharbeiten vorge-nommen. Dem Film bekommt das nicht. Szenen noch einmal zu drehen, ist aufgrund des Rohfilmmangels ausgeschlossen.

Gustav Kampendonk schildert in einem Zeitungsartikel, wie er als Autor während der Außenaufnahmen zu Morituri dabei gewesen ist und was er von dem fast fertigem Film hält: „Auf der Rückfahrt werde ich gefragt, was der Autor sich so denkt, wenn er den Aufnahmen eines seiner Filme zusieht. Nicht viel. Höchstens, daß man den Film jetzt nochmal schrei-ben müßte. Und vielleicht noch, daß es doch keinen Zweck hätte, weil ja doch wieder alles anders gemacht würde.“267 Daraus sprechen gekränkte Eitelkeit und Resignation. Ob ein striktes Festhalten am Drehbuch dem Film aber besser bekommen wäre, ist fraglich.

Darsteller wie Winnie Markus, Karl-Heinz Schroth, Walter Richter und die früher mit den NS-Regisseuren Liebeneiner und Harlan verbundene Hilde Körber sind bekannte UFA-Schauspieler. Einige Mitwirkende wie Klaus Kinski sollen später berühmt werden. Bewußt verzichtet der Film darauf, eine Person in den Mittelpunkt zu stellen. Hauptdarsteller ist die Gruppe der im Waldversteck lebenden Menschen aller Nationen und

265 Menschen hart am Abgrund. Der Weg in die Freiheit. In: Der Spiegel, Nr. 40 vom 2.10.1948, S. 21.

266 Brauner, Artur, zit. nach Dillmann-Kühn, Claudia: Artur Brauner und die CCC.

Filmgeschäft, Produktionsalltag, Studiogeschichte 1946-1990. Frankfurt/M., 1990, (=

Schriftenreihe des Deutschen Filmmuseums, hrsg. von Hilmar Hoffmann und Walter Schobert), S. 30.

267 Kampendonk, Gustav: Autor auf Außenaufnahme. Bei den „Todgeweihten“. O.O., 21.12.1947, Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde.

Überzeugungen. Mittels aufwendiger Synchronarbeiten (Tonmeister:

Werner Pohl) sind im Film verschiedene Sprachen zu hören: polnisch, englisch, französisch, russisch und deutsch wechseln einander ab.

II.1.4. Resonanz

Daß Morituri zum ersten Mal während der Internationalen Filmfestspiele in Venedig aufgeführt wird, erfüllt Brauner mit Stolz. Er hat seiner Meinung nach einen internationalen Film gemacht und hofft nun auf internationales Interesse. Der Film wird indes von der ausländischen Presse zurückhaltend aufgenommen. Die Berichterstattung in Deutsch-land ist zunächst wohlwollend. Wegen der Premierenverlegung von Berlin nach Hamburg findet der Film gewisse Beachtung. Und durch die Werbung des Schorcht-Verleihs und die Teilnahme an der Biennale wird die Filmpremiere in Hamburg gar zum gesellschaftlichen Ereignis. Der Spiegel berichtet am 2.10.1948 ausführlich über den „mit geheimnis-voller Reklame wirkungsvoll angekündigten“ Film und weist darauf hin, daß Morituri „schon in Venedig internationale Beachtung gefunden“

hat.268 Doch sind die Reaktionen des Hamburger Publikums am Ende der Vorstellung eindeutig ablehnend. Erika Müller schreibt in der Zeit vom 30.9.1948: „Es ist ein Film, der als Mittel zur readucation [sic!]

dient, und das ist leider kein gutes Wort. Aber niemand darf es sich leicht machen und Verantwortung ablehnen. Und deshalb sollt es besser diese Stimmen nicht geben, wie sie nach der Vorstellung am Ausgang zu hören waren. ‚Den sollten sie in Nazi-Lagern zeigen‘, ‚ganz schön, aber immer diese Tendenz‘, ‚ich gehöre nicht dazu ...‘. Dieser Film ist eine ernste Warnung, die jeden angeht.”269

Das Thema ist vielen Zuschauern zu bedrückend, sie möchten die Ver-gangenheit hinter sich lassen, vor allem aber sich nicht angeklagt fühlen, ganz unabhängig davon, ob ein Film Anklage erhebt oder wie im Fall von Morituri doch Versöhnung und Vergebung propagiert. Brauner erin-nert sich 1995: „Als der Film damals zur Aufführung kam, sind die Fensterscheiben zerschlagen und Stinkgase angedroht worden. Manche Kinos haben dann sofort den Film absetzen müssen. Heute würde es liberaler zugehen, wobei das Publikum trotzdem nicht in Scharen ins Kino rennt.“270

268 Menschen hart am Abgrund. Der Weg in die Freiheit. In: Der Spiegel, Nr. 40 vom 2.10.1948, S. 22.

269 Müller, Erika: Morituri. Filmerstaufführung in Hamburg. In: Die Zeit vom 30.9.1948.

Quelle: Deutsche Institut für Filmkunde.

270 Brief Artur Brauners an die Verfasserin vom 12.12.1995.

In anderen Städten wie z.B. Hannover sind die Proteste noch lauter.

Schon während der Vorstellung pfeifen und rufen die Zuschauer oder verlassen empört den Kinosaal und verlangen ihr Geld zurück. Nach wenigen Vorführungen setzen die meisten Kinobetreiber den Film ab. Im Hamburger Waterloo-Filmtheater, wo Morituri gestartet ist, läuft er nur zwei Wochen. In 363 Theatern sehen 424.476 Zuschauer den Film, wäh-rend ein durchschnittlich erfolgreicher Film damals in mindestens der Hälfte der 6.000 Filmtheater aufgeführt wird und vier bis fünf Millionen Besucher anzieht.271 Kurt Schorcht, der Verleiher, schlägt Brauner nach den öffentlichen Protesten vor, den Film nur noch in Sonderveranstal-tungen und in Verbindung mit geeigneten Organisationen wie der Verei-nigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aufzuführen. Morituri ist also ein wirtschaftlicher Mißerfolg. Artur Brauner stellt in seinen Erinne-rungen Mich gibt´s nur einmal fest: „Gekostet hat Morituri anderthalb Millionen Reichsmark und, da uns die Währungsreform überrollt hatte, noch einmal 250.000 DM. Eingespielt hat er knapp 60.000 DM. An mei-nen Schulden zahlte ich fünf lange, bittere Jahre. Ich habe es trotzdem nie bereut, diesen Film gemacht zu haben. Gelernt allerdings habe ich - leider, leider -, daß ein Kino in erster Linie eine Stätte der Unterhaltung sein sollte und keine Stätte der Vergangenheitsbewältigung.”272

II.1.5. Filmkritiken

Zu berücksichtigen ist bei der Auswertung der Pressemeldungen und Filmkritiken die Situation der Presse in Deutschland zum Zeitpunkt der Produktion und Aufführung von Morituri. Zeitungen und Zeitschriften stehen 1948 noch unter strenger Kontrolle der Alliierten. In den West-zonen dürfen nur diejenigen eine Zeitung oder Zeitschrift herausgeben, die als unbelastete Deutsche über eine Lizenz verfügen. In der Sowje-tisch Besetzten Zone erhalten Parteien und Massenorganisationen Lizen-zen, wobei die SED bevorzugt wird. Papier ist knapp. Filme zu rezensie-ren, scheint weniger notwendig als über Politik und Wirtschaft zu be-richten. So sind Zahl und Umfang der Kritiken zu Morituri insgesamt und verglichen mit späteren Produktionen zum Thema Holocaust nicht sehr hoch. Erschwerend kommt hinzu, daß viele Kritiken nicht mehr auf-findbar sind oder wichtige Angaben zum Autor und zu Erscheinungsort und –datum fehlen.

271 Die Angaben stammen von der Geschäftsführerin der Schorcht International Film-produktion und Filmvertriebsgesellschaft, München. Vgl. Dillmann-Kühn, Claudia:

Artur Brauner und die CCC. A.a.O., Anm. 59, S. 47.

272 Brauner, „Atze“: Mich gibt´s nur einmal. Rückblende eines Lebens. München, 1976, S.

76.

Dennoch gibt es schon Berichte über die Arbeiten an einem neuen CCC-Film, bevor dieser fertiggestellt ist. Herbert Schläger faßt in seinem mit Fotos vom Set versehenen Beitrag die Handlung zusammen und schließt nach viel Lob für die Darsteller und den „begabten Nachwuchsregisseur Eugen York“ mit dem Wunsch, „daß hier neben Lang ist der Weg und Ehe im Schatten ein Werk Gestalt gewinnt, das einen Stoff unserer Tage in die Bezirke des allgemein Menschlichen transponiert.“273 Der Film-rezensent der Berliner Zeitung vermischt in seiner Schilderung der Arbeitsweise des Filmteams gekonnt Film und Wirklichkeit und deutet damit an, daß die Zeit des Hungers und der Entbehrungen noch nicht lang vorbei ist. Gegenseitige Unterstützung aber – so zeigt es der Film und so zeigen die an Morituri Beteiligten – kann zu einem guten Ende führen.274

Zum Verlauf der Dreharbeiten äußert sich in einem Zeitungsbeitrag auch der Autor des Drehbuchs, Gustav Kampendonk. Seine Schilderung der Situation am Set ist sehr subjektiv und man möchte beinahe sagen „lau-nig“ geschrieben. Sie enthält viele überflüssige Passagen, beispielsweise über die Frisur des jungen Regisseurs oder die leichtbekleideten Schau-spielerinnen. Insgesamt scheint der Beitrag dem Ziel der Filmcrew, einen ernsthaften Film zu drehen, nicht ganz angemessen. Sich selbst sieht Kampendonk als Verursacher der Betriebsamkeit, die am nächtlichen Drehort herrscht. „Hätte man damals nicht am Schreibtisch gesessen oder sich etwas anderes ausgedacht, würden diese Menschen jetzt wahr-scheinlich im Bett liegen und schlafen.“ Doch glücklicherweise komme niemand auf diesen Gedanken. Mit der Erkenntnis, daß Filme schreiben doch „gemütlicher“ sei als Filme drehen, fährt der Drehbuchautor wieder nach Haus.275

Ganz unterschiedliche Sichtweisen und Erwartungen sind in den Rezen-sionen und Unmutsäußerungen der Zuschauer nach dem Filmstart zu er-kennen. In der SBZ, wo der Film trotz der Unterstützung der sowje-tischen Behörden bei der Produktion gar nicht zur Aufführung gelangt, wird er immerhin im Neuen Deutschland rezensiert. Dieser Artikel ist ein Verriß und gleichzeitig ein Beleg für die sich vertiefende Kluft zwi-schen Ost und West im hochpolitizwi-schen Bereich Kultur. Kritisiert wird die „westliche“ Sicht auf den „antifaschistischen Widerstand“. Regisseur und Kameramann seien „Opfer eines Drehbuches geworden, das nur

273 Schläger, Herbert: Central Cinema Comp. dreht: Morituri (Die Namenlosen). O.O., 7.11.1947, Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde.

274 Vgl. -lt: „Der Wald ist unser Nachtquartier ...“. Die Kameradschaft der „Morituri“ - Filmszenen unterm Tarnnetz. In: Berliner Zeitung vom 11.11.1947, S. 3.

275 Vgl. Kampendonk, Gustav: Autor auf Außenaufnahme. Bei den „Todgeweihten“. O.O., 21.12.1947, Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde.

vorgibt, Dokument der Gehetzten und Verfolgten des Naziterrors zu sein. Aber nicht nur Gehetzte und Verfolgte gab es, sondern auch harte Kämpfer gegen den Terror, insbesondere in den Reihen des heldenhaft ringenden polnischen Volkes. Darüber wird hier geschwiegen. Es ist kein Zufall, wenn dem Film Morituri in der westlichen Presse Beifall geklatscht wird, gilt er doch Filmleuten, in deren Hirnen der Traum vom großdeutschen Reich und seiner Herrschaft über angeblich minderrassige Völker noch herumgeistert.“276

Der Autor des Drehbuches, Gustav Kampendonk, wird als „Drehbuch-konfektionär“ direkt angegangen: „Es erhebt sich bei diesem Film die berechtigte Frage, weshalb altbewährte Drehbuchautoren, die noch immer in den Gleisen der zwölf Jahre fahren, nicht einen Stoff aus dem verrotteten Filmmilieu der Nazizeit gestalten, einen Stoff, den sie aus bester Sachkenntnis heraus wohl beherrschen dürften? Wenn sie schon ihre Hände nicht von dem neuen deutschen Film lassen können, so soll-ten sie sich nicht ausgerechnet ein Thema aussuchen, zu dem sie inner-lich keine Beziehung haben können.“277 Die Kritik endet mit Protest

„gegen diesen Film, der kein Dokumentarwerk des antifaschistischen Kampfes auch in den KZ ist“ und gipfelt in der Forderung „den Streifen schleunigst vom Spielplan abzusetzen.“278

Die Behauptung, der polnische Widerstand bleibe ausgeblendet, ist nicht richtig. Die Sabotageakte, die Dr. Bronek mit seiner Gruppe verübt, nehmen breiten Raum ein. Sie sind allerdings Grund heftiger Auseinan-dersetzungen der Versteckten im Waldlager. Denn bei allem Verständnis für Broneks - übrigens mehr persönlich als politisch motivierte Rache-akte - fürchten die Flüchtlinge, daß seine Aktionen ihre Sicherheit ge-fährden. Dem Kritiker des Neuen Deutschland paßt vermutlich diese Zwiespältigkeit nicht. Eine eindeutige Stellungnahme für den bewaffne-ten kommunistischen Widerstand hätte eher ins ideologische Konzept des Zentralorgans gepaßt.

Das Neue Deutschland setzt mit seiner Kritik Maßstäbe für andere. So tragen Hans Schlesinger und Peter Edel in der wiedergegründeten Welt-bühne dieselben Argumente vor, kritisieren, daß ehemalige UFA-Mitar-beiter beteiligt sind, „die keine innere Bindung zu dem Stoff haben“, und daß der Film „romantisiert“. Edel stellt fest: „Einzig die filmische Gestaltung wäre bei diesem Streifen noch zu würdigen. Denn wäre nicht die ausgezeichnete Kamera Walter Kriens, der Film wäre des Sehens

276 Morituri in der Neuen Scala. In: Neues Deutschland vom 21.11.1948, S. 5.

277 Ebenda.

278 Ebenda.

nicht wert.“279 Schlesinger geht es weniger um die Technik als die Aus-sage des Films. Er fragt: „Die Nazigesichter! Warum zeigt man sie nicht? Die SS und Wehrmacht in Polen, wie sie ‚herrschte‘. Die ‚Herren-rasse‘! – Eine Konzession an den Teil des Publikums, dem man damit einen Spiegel vorhalten würde.“ Besonders ärgerlich findet Schlesinger den Schlußteil und die Darstellung des jungen Wehrmachtssoldaten als Retter der „Morituri“: „Anstatt die Wahrheit zu sagen, die lauten müßte:

‚Die siegreiche Sowjetarmee hat mit ihrem Vormarsch die von den faschistischen Truppen hoffnungslos eingekesselten Flüchtlinge befreit‘, wird noch einmal dieser deutsche Soldat in voller Bewaffnung gezeigt, wie er den Flüchtlingen zuruft, daß sie frei seien, die deutschen Truppen wären abgezogen. (!)“280

Ein Film, der ausschließlich den antifaschistischen Widerstand im Konzentrationslager darstellt, wird fünfzehn Jahre später die DEFA-Produktion Nackt unter Wölfen sein. Die wenig klassenkämpferische, stattdessen nachsichtig-deutschfreundliche Tendenz der Braunerscher Produktion von 1948 und die mangelnde Bereitschaft, Kriegsursachen zu benennen, führen im Fall von Morituri jedoch dazu, den Film in der SBZ nicht aufzuführen. Brauner versteht bis heute nicht ganz, was die Sowje-tischen Behörden gegen seinen Film gehabt haben können, wo sie doch erst die Produktion unterstützt hatten. Eine Begründung hat er nie erhal-ten. Auf die Frage, wie er sich die vernichtende Kritik im Neuen Deutschland erklärt, stellt Brauner fest: „Sie waren bitterböse und schäumten vor Wut, daß wir als einzige Firma in der Sowjetzone drehen durften außerhalb des DEFA-Monopols. Sie haben alle Versuche unter-nommen, die Herstellung des Films zu torpedieren.“281 Mit „sie“ meint Brauner hier die deutschen Konkurrenten, nicht die sowjetischen Behör-den.

Die in der SBZ-Presse geäußerte Kritik an Morituri unterscheidet sich grundlegend von den Unmutsbekundungen des Publikums in den West-zonen. Was den einen zu wenig klassenkämpferisch, prosowjetisch, anti-faschistisch, politisch eindeutig erscheint, empfinden die anderen als anklägerisch und den Deutschen gegenüber ungerecht. Die Kritiker in den Westzonen versuchen der ablehnenden Haltung der Zuschauer zu-vorzukommen. Für den Rezensenten der Hamburger Allgemeinen „bleibt zu hoffen, daß die starken Nervenanspannungen, die er [der Film] aus-übt, jene Hemmungen ausschalten, die er vom Thema her noch (oder

279 Edel, Peter: Ist der Weg frei? In: Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. 3. Jg, Nr. 49 vom 7.12.1948, S. 1552-1554.

280 Schlesinger, Hans: Morituri. In: Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirt-schaft. 3. Jg, Nr. 48 vom 30.11.1948, S. 1523f.

281 Brief Artur Brauners an die Verfasserin vom 12.12.1995.

wieder) enthalten dürfte.“282 Abgesehen von seiner sehr unterschiedlich beschriebenen Tendenz wird Morituri wegen seiner Machart und Ästhe-tik gerügt. Das Pathos dieses Films, seine Unentschiedenheit zwischen Realismus und Sentiment verärgern manchen Kritiker. Ein neuer, sich vom UFA-Stil absetzender Umgang mit Bildern und Dialogen sei nicht erkennbar. Zwar zählt Wolfdietrich Schnurre, Mitbegründer der „Gruppe

´47“, in seiner „Streitschrift“ zur „Rettung des deutschen Films“ Mori-turi zu den „eben noch diskutablen“ deutschen Nachkriegsfilmen, zu-gleich ist ihm dieser Film aber ein Beispiel für „deutsche (Film-) Rühr-seligkeit“, offenkundig als Dr. Bronek, dem die KZ-Schergen auf den Fersen sind, noch einmal sein Haus betritt: „Was tut er dort? Er schwelgt, von seiner jungen Frau darin nach besten Kräften unterstützt, minutenlang in idyllischen Flitterwochenerinnerungen. Nachdem man sich dann noch einmal, unter den entsprechenden Stöhn- und Seufzer-pausen versteht sich, gegenseitig seine unzerstörbare Liebe gestanden hat, wird noch schnell die alte, liebe Spieluhr aufgezogen, und indes die traute Weise erklingt, schickt man sich versonnen an, den Koffer zu packen.“283

Schon unmittelbar nach der Aufführung von Morituri hat Schnurre er-kannt, worin der eigentliche Fehler dieses Films liegt: „Das Unglück die-ses Films ist vielleicht nur, daß er drei Jahre zu spät kam. Anfang 1946 hätte man ihn fraglos noch als einen mutigen Anfang begrüßt. Heute jedoch - darüber sollte man sich klar sein - hat er für lange Zeit den Schlußstrich unter alle Bemühungen gesetzt, deutscherseits eine echt un-sentimentale filmische Zeitaussage zu schaffen. Morituri war die letzte Chance des deutschen Nachkriegsfilms. York hat sie sich mit Anstand entgehen lassen.”284 Morituri ist aufgrund seiner politischen Indifferenz und aufgrund ästhetischer und personeller Kontinuitäten nicht nur eine vertane Chance des Neubeginns, wie Schnurre konstatiert. Er ist zugleich Beweis eines dennoch vorhandenen Bemühens, „es besser zu machen”.

Das ist nicht gelungen.

So sieht es auch Peter Pleyer in seiner Analyse deutscher Nachkriegs-filme. Er konstatiert gravierende künstlerische Mängel: die Darsteller wirkten unglaubwürdig, seien lediglich „Sprachrohr” der von den

282 Morituri. CCC-Filmaufführung im Waterloo-Filmtheater. In: Hamburger Allgemeine vom 27.9.1948, S. 4.

283 Schnurre, Wolfdietrich: Rettung des deutschen Films. Eine Streitschrift. In: Der Deut-schenspiegel, Schriften zur Erkenntnis und Erneuerung, Bd. 38. Hrsg. von Gerhart Binder, Stuttgart, 1950, S. 36.

284 Schnurre, Wolfdietrich: Dokument oder Unterhaltung? Morituri in der Neuen Scala. In:

Ja, 24.11.1948. Zit. nach Dillmann-Kühn, Claudia: Artur Brauner und die CCC. A.a.O.,

Ja, 24.11.1948. Zit. nach Dillmann-Kühn, Claudia: Artur Brauner und die CCC. A.a.O.,