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DDR-Filme zu Nationalsozialismus und Holocaust (1949- (1949-1989)

Im folgenden wird ein kurzer Überblick über DDR-Filme mit Bezug zu Nationalsozialismus und Holocaust gegeben. Verbunden ist dieser Über-blick mit Hinweisen auf politische Entwicklungen, die unmittelbare Konsequenzen für die Kunst in der DDR hatten.

Unter den vor Gründung der DDR entstandenen DEFA-Filmen sind einige künstlerisch und politisch ambitionierte Werke zu finden (s.o).

Viele Filmemacher hoffen, an diese Erfolge anknüpfen zu können. Mit der veränderten politischen Situation nach der Währungsreform, der Blockade Berlins und der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949,

schließlich der Übergabe der DEFA in deutsche Hände ändert sich aller-dings einiges. Bis 1950 wird die DEFA noch unter Mehrheitsbeteiligung des Ministeriums für Filmwirtschaft der UdSSR als sowjetische Aktien-gesellschaft geführt, dann der Aufsicht eines Staatlichen Komitees für Filmwesen unterstellt, später in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) um-gewandelt. Die Aufgaben des Staatlichen Komitees übernimmt 1954 die Hauptverwaltung Film des Ministeriums für Kultur der DDR. Der Ein-fluß von Staat und Partei ist damit sichergestellt. Wichtigste Aufgabe des Films wie aller Massenmedien in der DDR sind Agitation, Propaganda und Organisation; der sozialistische Realismus gibt die künstlerische Schaffensmethode vor. Einberufen vom ZK der SED findet im Septem-ber 1953 die „Konferenz der Filmschaffenden“ statt. Das Hauptreferat, gehalten vom ZK-Mitglied Hermann Axen, widmet sich den Aufgaben des Films in der DDR. Seine zentrale Aussage lautet: „Die Kunst des sozialistischen Realismus zu meistern, heißt, den Marxismus-Leninismus zu studieren und künstlerisch anzuwenden.“183 Heinz Kersten inter-pretiert diesen Satz als Schwenk in der Filmpolitik, denn die Filme der ersten Periode der DEFA, mit denen sie einen gewissen künstlerischen Kredit erworben hatte, waren nun laut Axen solche des „kritischen Rea-lismus“, der zwar Mißstände benenne, nicht aber zum Handeln auf-fordere. Axen will gemäß sowjetischer Vorgaben keinen „bürgerlichen“, sondern einen „sozialistischen Realismus“, der „den Ausweg kündet“, außerdem „optimistisch und zukunftsfroh“ ist. Mehr „positive Helden“, klassenbewußt, der Partei ergeben und kampfeswillig sollen im Film zu sehen sein.

Filme wie Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse und Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse, 1954 und 1955 unter der Regie von Kurt Maetzig hergestellt, entsprechen diesen Vorgaben. Für sie besteht Besucher-pflicht. Wolfgang Staudtes Der Untertan, eine Verfilmung des gleich-namigen Romans von Heinrich Mann, dagegen unterscheidet sich künstlerisch und in seiner Fragestellung von solchen „biederen Heili-genlegenden“184. Orientiert an den Montagetheorien Pudovkins und Eisensteins setzt sich Staudte wie diese großen sowjetischen Regisseure zwar dem Vorwurf des „Formalismus“ aus; beruhigt sind die

183 Axen, Hermann: Über die Fragen der fortschrittlichen deutschen Filmkunst. In: Neues Deutschland vom 18.9.1952. Zit. nach Kersten, Heinz: Das Filmwesen in der sowje-tischen Besatzungszone Deutschlands. Hrsg. vom Bundesministerium für gesamtdeut-sche Fragen. 2. Grundlegend überarb. u. wes. erw. Aufl. Teil I Textteil, Teil II Anla-genteil. Bonn, Berlin (West), 1963, (= Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutsch-land), S. 17f.

184 Gersch, Manfred: Film in der DDR. Die verlorenen Alternative. In: Geschichte des deutschen Films. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin. Stuttgart, Weimar:

1993, S. 332.

gen Zensoren aber, als die westdeutschen Stellen den Film nicht zur Auf-führung freigeben. Das geschieht erst 1956. Eine gekürzte Fassung kommt in die Kinos, versehen mit dem Hinweis, daß es sich „bei den Geschehnissen in diesem Film um einen Einzelfall handelt“.

Die ideologische Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik findet statt in Filmen wie Unser täglich Brot von 1949, Rat der Götter von 1950 oder Du und mancher Kamerad, einem Kompilationsfilm von 1956. In Zlatan Dudovs Film Unser täglich Brot geht es in einer Nebenhandlung um die Integration von Juden in die sozialistische Gemeinschaft. Der Ingenieur Bergstetter erhält das Angebot, im VEB den Arbeitsplatz eines in den Westen „Rübergemachten“ einzunehmen. Er sagt zu. In Rat der Götter kritisiert Kurt Maetzig am Beispiel der IG-Farben die Ver-quickung von Politik und Wirtschaft vor und nach 1945. Du und man-cher Kamerad von Annelie und Andrew Thorndike, Drehbuch Karl-Eduard von Schnitzler, geht den Ursachen zweier Weltkriege nach.

Schuld sind Kapitalismus und Militarismus, legt dieser Film nahe und verweist auf Entwicklungen in der Bundesrepublik, die zu einem dritten Weltkrieg führen könnten. Antwort auf die Wiederbewaffnung der BRD müsse daher die Gründung der NVA sein.

Im März 1953 stirbt Stalin, im Juni gehen die Arbeiter nach weiteren Normerhöhungen und aufgrund der schlechten Versorgungslage auf die Straßen. Der Aufstand wird mit Hilfe sowjetischer Truppen nieder-geschlagen. Für den Film hat zwar nach der Konferenz vom März 1952 eine Phase der Zugeständnisse begonnen, doch wird jedes Drehbuch ge-prüft, jeder Film unterliegt der Vor- und Nachzensur. Die Verstaat-lichung des Filmwesens ist abgeschlossen. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 gibt es eine kurze Tauwetterperiode, die aber spätestens mit dem Bau der Mauer im August 1961 ihr Ende findet.

In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre entstehen Dokumentarfilme wie Urlaub auf Sylt, Unternehmen Teutonenschwert und Ein Tagebuch für Anne Frank, in denen es allgemein um die Ursachen und Kontinuitäten des deutschen Faschismus geht. Die Spielfilme Zwischenfall in Ben-derath und Der Prozeß wird vertagt spielen in der Bundesrepublik. Die darin vorkommenden jüdischen Figuren haben unter dem offenen Anti-semitismus der Westdeutschen zu leiden. Die DDR erscheint als das bes-sere Deutschland.

Die Errichtung des „antiimperialistischen Schutzwalles“ haben die Film-schaffenden der DDR offiziell zu begrüßen. Nicht wenige glauben, daß sich der Mauerbau auf ihr Schaffen eher positiv auswirken wird. Die Gefahr des Ausblutens des Staates scheint ihnen gebannt, man könne

sich jetzt auf sich selbst besinnen und am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft ungestört arbeiten. Der Schauspieler Manfred Krug schil-dert die Stimmung in dieser Zeit: „Nach 1961 sagten sich viele Men-schen – auch ich: Die Mauer ist sicher nichts Wunderbares, aber sie ist auch nicht für alle Zeiten und sie ist auf kulturellem Gebiet vielleicht eine Chance, diesen Vorwurf der Nestbeschmutzung loszuwerden. Den Kritikern wurde doch ständig gesagt: Ihr verunglimpft den Sozialismus, den schönsten Versuch der Geschichte, mehr Gerechtigkeit auf deut-schem Boden zu schaffen. Wir hatten die Hoffnung, die Mauer würde diesen ewigen Knüppel brechen, den sie uns übers Maul zogen. Das war ein Irrtum.“185

Es entstehen zu dieser Zeit mehrere Filme mit unmittelbarem Geschichtsbezug, so 1961 Der Fall Gleiwitz von Gerhard Klein, 1962 Das zweite Gleis von Joachim Kunert, 1963 Nackt unter Wölfen von Frank Beyer. Im Fall Gleiwitz geht es um die Rekonstruktion der Ereig-nisse Ende August 1939, den von der SS fingierten Überfall auf den Reichssender Gleiwitz, der Hitler als Kriegsvorwand diente. Das zweite Gleis führt zurück in die Vergangenheit und fragt nach der Mitschuld der Älteren am Nationalsozialismus. Nackt unter Wölfen erzählt die authen-tische Geschichte eines dreijährigen polnisch-jüdischen Jungen, der von den Häftlingen des KZ Buchenwald versteckt wird. Sie riskieren für den Jungen ihr Leben.186

1963 entsteht unter der Regie von Konrad Paetzold der Film Jetzt und in der Stunde meines Todes. Er spielt in der BRD. Die Journalistin Ella Conradi, die aus Jerusalem vom Eichmann-Prozeß berichtet hat, recher-chiert, zurück in der Bundesrepublik, in einem Mordfall mit rechts-extremen Hintergrund. Deutlich wird, daß die Macht alter Nazis unge-brochen ist. Chronik eines Mordes von 1964 mit Angelika Domröse in der Rolle der Jüdin Ruth Bodenstein spielt ebenfalls in der Bundesrepu-blik. „Wiedergutmachung“, also Zahlung eines Geldbetrags, will die Überlebende nicht. Sie möchte, daß „der Faschismus“ ernsthaft be-kämpft wird, damit sich das Grauen nicht wiederholt. Weil aber die westdeutsche Justiz nichts gegen den Mörder ihrer Eltern unternimmt, übt Ruth Selbstjustiz und erschießt ihn. Der Film entspricht der Politik der DDR-Führung, die Ansprüche jüdischer Bürger auf Restitution stets zurückgewiesen hat.

Bezüge zur unmittelbaren Vergangenheit lassen sich vor allem in den Filmen Konrad Wolfs finden. Hier treten auch jüdische Figuren auf.

185 Krug, Manfred. In: tip, (Berlin) Nr. 10, 1990. Zit. nach Gersch, Wolfgang: Film in der DDR. Die verlorene Alternative. A.a.O., S. 340.

186 Zu Nackt unter Wölfen siehe Kap. II.4.

Konrad Wolf, Sohn des Dramatikers und Arztes Friedrich Wolf und Bruder des späteren DDR-Geheimdienst-Chefs Markus Wolf, muß als Siebenjähriger 1933 Deutschland verlassen. Exil findet die jüdische Familie in Moskau. Mit neunzehn Jahren kehrt Wolf als Offizier der Roten Armee nach Deutschland zurück. Später beginnt er ein Studium an der Moskauer Filmhochschule. In dem stark autobiographisch geprägten Film Ich war 19 von 1968 geht es um Wolfs Identität als jüdischer Deut-scher, deutscher Kommunist und sowjetischer Soldat im zerstörten Deutschland von 1945 und damit um die Verkörperung dessen, was „das andere, bessere Deutschland“ genannt wird. In den Film montiert sind von den Sowjets gedrehte Sequenzen aus dem Dokumentarfilm Todes-lager Sachsenhausen.

Sterne von 1959 spielt in einer bulgarischen Kleinstadt im Jahr 1943. Ein Transport griechisch-sephardischer Juden hält dort und wird für einige Tage in ein Lager interniert. Dieses bewachen deutsche Soldaten. Einer von ihnen beobachtet durch den Stacheldraht eine junge Frau. Er ist be-eindruckt von ihrer Mitmenschlichkeit und versucht schließlich, sie zu retten. Doch kommt er zu spät. Der Transport ist schon auf dem Weg nach Auschwitz. Der Soldat ist durch dieses Ereignis aber ein anderer geworden, er schließt sich dem Widerstand an. Der Kritiker der Berliner Morgenpost, Günther Geisler, schreibt über das durch seine Bildsprache, mehr noch aber durch sein Thema beeindruckende Werk: „Daß ein so gerechter und reiner Film ausgerechnet von der sowjetischen DEFA stammt, mag, wie manche sagen, eine Schande sein. Ich weiß eine viel größere Schande: daß unsere freie Filmproduktion noch immer keine gleichwertige Auseinandersetzung mit dem so schmerzenden Thema zustandegebracht hat, um das es hier geht.“187

Der Film Sterne endet mit dem jiddischen Lied „Es brennt, ´s Shtetl brennt“, allerdings eingedeutscht und mit einem Appell zum aktiven Handeln versehen:

187 Geisler, Günther über Sterne. In: Berliner Morgenpost vom 19.6.1960. Zit. nach Gersch, Wolfgang: Film in der DDR. Die verlorene Alternative. A.a.O., S. 337.

Es brennt Brüder ach- Die Hilf liegt nur in euren Händ´!

Wenn das Städtle Euch ist teuer nehmt die Kellen löscht das Feuer!

Löscht´s mit eurem eignen Blut!

Beweist,

daß ihr das könnt ...

Steht nicht da,

laßt´s nicht geschehn Unser Städtele brennt´...

Die Aufforderung ist eindeutig: Widerstand muß rechtzeitig beginnen, aktiv und bewaffnet sein, nur das eröffnet eine Chance zu überleben.

Dieser Auffassung folgt auch Konrad Wolfs Film Professor Mamlock, der auf dem gleichnamigen Drama Friedrich Wolfs basiert. Entstanden ist das Stück 1933, als die Verfolgung der Juden begonnen hatte, jedoch noch nicht absehbar war, wohin der Antisemitismus der Nazis führen sollte. Der Film kommt nun fast dreißig Jahre später und ist als Genera-tionenkonflikt und als Auseinandersetzung darüber zu verstehen, was den Mord an den Juden hätte verhindern können. Mamlock begeht aus lauter Verzweifelung Selbstmord. Diese individuelle Reaktion wird als kollektive gedeutet und gemäß der über Jahrzehnte und auch in der DDR nicht aufgegebenen antisemitischen Stereotype als Versagen der Juden beschrieben, die Teil der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft waren.

Im Film wird das Gesicht des toten Mamlock überblendet mit dem Satz:

Es gibt

kein größeres Verbrechen – nicht kämpfen zu wollen- Wo man kämpfen muß.

Die Filme Konrad Wolfs gehören zu den wenigen, die nicht nur Ant-worten auf die Frage suchen, wie es zu Nationalsozialismus und Krieg hat kommen können, sondern auch die jüdische Katastrophe in den Blick nehmen. Die Erklärungen, die Wolfs Filme bieten, passen jedoch in das ideologische Konzept der SED und sind nicht frei von Antisemitismen.

Juden erscheinen als passiv und erduldend, besitzstandswahrend und bürgerlich. Ihnen mangelt es an politischer Überzeugung, Klassen-bewußtsein und Kampfesbereitschaft. Ohne es so deutlich auszu-sprechen, scheinen die Juden „selbst schuld“ zu sein an Vertreibung und Mord.

Wolfs Filme spiegeln die Schwierigkeiten wider, die das Verhältnis zu den Juden nach 1945 bestimmen. Den Staat Israel erkennt die DDR nicht an, die wenigen in der DDR verbliebenen Juden verschweigen lieber nach dem Slansky- und den Moskauer Ärzteprozessen ihr Jüdischsein.

Gertrud Koch nennt Beispiele für die Repressionen, denen jüdische Bürger in der DDR ausgesetzt waren: „Seit dem Winter 1952/53 wurden die Kaderakten der jüdischen Parteimitglieder überprüft und Juden aus hohen Positionen ausgeschlossen. Es kam zu routinemäßigen Wohnungsdurchsuchungen, Personalausweise wurden eingezogen, die Vorsteher jüdischer Gemeinden wurden verhört und aufgefordert, das Joint (American Jewish Joint Distribution Committee) als Organisation jüdischer Agenten zu denunzieren, Zionismus mit Faschismus gleichzu-setzen und Wiedergutmachungszahlungen abzulehnen, weil sie einer Ausbeutung des deutschen Volkes gleichkämen. Rabbiner und Gemein-devorsteher riefen im Frühjahr 1953 die Juden auf, die DDR zu verlas-sen. Die SED löste die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Nazi-regimes) auf und gründetet an deren Stelle das Komitee der antifaschisti-schen Widerstandskämpfer, das die spezifisch jüdische Problematik nazistischer Verfolgung ausklammerte.“188

188 Koch, Gertrud: Vom Verschwinden der Toten unter den Lebenden. Holocaust und Identitätskonfusion in den Filmen von Konrad Wolf. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Heft 17: Erinnerung und Geschichte. Hrsg. von Jürgen Felix, Günter Giesenfeld, Heinz-B. Heller, Knut Hickethier u.a. Marburg, 1994, S. 54.

Dieser politische Hintergrund muß berücksichtigt werden, wenn wir der Frage nachgehen, warum wenige Jüdinnen und Juden in den Filmen der DDR vorkommen. Erst in den achtziger Jahren hat sich aufgrund verän-derter außenpolitischer Interessen - die DDR ringt um internationale An-erkennung - das Verhältnis zum Staat Israel und zu jüdischen Organisa-tionen verbessert.

Im DDR-Film beginnt wie oben dargelegt nach dem Mauerbau eine Phase des künstlerischen Aufbruchs. Das kurze Tauwetter ist aber mit dem 11. Plenum des ZK der SED, 1965, vorbei. Die bis dahin entstande-nen Filme, die zum Teil sehr mutig inhaltlich und formal Probleme der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit aufgreifen, dabei die sozialisti-sche Idee aber nie grundsätzlich in Frage stellen, laufen nur kurz in den ostdeutschen Kinos oder gelangen überhaupt nicht zur Aufführung. Kurt Maetzigs Das Kaninchen bin ich oder Frank Beyers Spur der Steine landen wie neun weitere Filme im Giftschrank. Die genauen Gründe für das harte Durchgreifen der Zensoren sind den Filmemachern nicht klar.

Sie vermuten einen Kotau vor den Dogmatikern in Moskau, die ein Jahr zuvor Kruščëv gestürzt haben, oder einfach Furcht vor Kritik, die irgendwann außer Kontrolle geraten könnte. Die Partei wittert ständig Verrat und sieht die Filme der DEFA von „Skeptizismus“ geprägt. Polit-büromitglied Paul Verner faßt zusammen: „Die hier gezeigten Filme sind politisch falsch, schädlich und bedeuten im Grunde genommen einen Angriff auf unsere sozialistische Gesellschaft in der DDR.“189 Die Partei greift hart durch, Regisseure wie Frank Beyer oder Günter Stahnke können nicht mehr für die DEFA arbeiten, andere wie Kurt Maetzig ver-fassen reuevolle Artikel für das Parteiorgan und produzieren danach Filme, die nicht weiter auffallen.

Der künstlerische und politische Aufbruch von 1968 findet in der DDR nicht statt. Den Prager Frühling beenden auch Truppen der NVA. Hoff-nungen verbinden manche Kulturschaffende mit der Ablösung Walter Ulbrichts durch Erich Honecker. Er verkündet nach dem VII. Parteitag:

„Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben.“190 Trotz der verschiedenen Interpretationen, die dieser Satz zu-läßt, entstehen zwischen 1971 und 1975 bemerkenswerte Filme. Ein solcher ist Jakob, der Lügner von 1974, einer der wenigen Filme, die als DDR-Holocaustfilme bezeichnet werden können. Er bringt der DEFA

189 Verner, Paul: Der Künstler soll Mitgestalter unserer Gesellschaftsordnung sein. In:

Neues Deutschland vom 20.12.1965, S. 4.

190 Honecker, Erich am 17.12.1971, zit. nach: Klunker, Heinz: Expeditionen in den Alltag.

Nach Ulbricht: DDR-Filme einer DDR-Generation. In: Film in der DDR. Mit Beiträgen von Heiko R. Blum u.a. München, 1977, (= Reihe Film 13), S. 135.

internationale Anerkennung. Erstmals rückt in einem Spielfilm der jüdi-sche Widerstand im Warschauer Ghetto in den Mittelpunkt. Jakob, der Lügner, nach dem gleichnamigen Roman von Jurek Becker, ist eine deutsch-tschechische Co-Produktion, Regie führt Frank Beyer, der die Idee der Romanverfilmung schon Mitte der sechziger Jahre gehabt hat, sie aber aufgrund der veränderten kulturpolitischen Situation nach dem 11. Plenum erst ein Jahrzehnt später umsetzen kann. Jakob, der Lügner erzählt die Geschichte des Schneiders Jakob, der vorgibt, ein Radio zu besitzen. Er tröstet die anderen Ghettobewohner mit Nachrichten, wo-nach die Befreiung durch die Rote Armee unmittelbar bevorstehe. Der Film ist die einzige DEFA-Produktion, die für den Oscar nominiert wird.

1973 entsteht Der nackte Mann auf dem Sportplatz von Konrad Wolf, Buch: Wolfgang Kohlhaase, Kamera: Werner Bergmann. In den Inhalts-angaben der Filmlexika findet sich nur der Hinweis darauf, daß es sich um die Reflexionen eines Bildhauers handelt, der sich fragt, für wen er seine Werke schafft. In diesem Film geht es aber um mehr. Um Erinne-rung und Gedächtnis und um die Frage, wie Kunst beitragen kann, histo-rische Ereignisse im kollektiven Gedächtnis zu verankern. In einer Szene fragt der Künstler eine junge Frau, was ihr einfällt, wenn sie das Wort Babij Jar hört. „Indianisch“ kommt es ihr vor. Daß in der Schlucht von Babij Jar 1943 an zwei Tagen mehr als dreißigtausend Zivilisten von deutschen Einsatzgruppen ermordet worden sind, weiß sie nicht, eben-sowenig von dem Bemühen russischer Intellektueller wie Evgenij Evtušenko, ein Mahnmal in Babij Jar zu errichten.

1976, mit der Ausweisung Wolf Biermanns, beginnt wieder eine längere Frostperiode. Die Künstler, die nicht bereit sind, öffentlich die Auswei-sung gutzuheißen, geraten unter Druck, bekommen als Regisseure und Schauspieler kaum noch Aufträge. Viele beantragen ihre Ausreise. In den achtziger Jahren ist die Kulturpolitik sowohl durch Willkür als auch durch Pragmatik gekennzeichnet. Eine Phase der Stagnation. Propaganda betreibt mehr das Fernsehen der DDR als der Film. Die in der DDR ge-bliebenen Regisseure verlegen sich auf historische Stoffe und Literatur-verfilmungen. Was die Auseinandersetzung mit der nationalsozialisti-schen Vergangenheit und dem Jüdischsein anbelangt, so sind im Film kaum Veränderungen zu erkennen. Die Ausstrahlung der Serie Holo-caust im westdeutschen Fernsehen 1979 kommentieren die Kritiker noch mit den bekannten antiamerikanischen und antisemitischen Versatz-stücken.191 Der in den achtziger Jahren allmählich einsetzende Wandel im Verhältnis zu den Juden und dem Staat Israel beeinflußt stärker das Ausstellungsangebot, Restaurierungen, Lesungen oder Konzerte als den

191 Siehe Kap. II.6.6, Exkurs: Die Holocaust-Resonanz in der DDR.

Film. Aber es gibt Produktionen wie Roland Gräfs Fariaho (1982) und Rainer Simons Jadup und Boel (1981/88), der aber zunächst nicht zur Aufführung gelangt. Einzelschicksale jüdischer Menschen rücken in den Mittelpunkt, so in Konrad Weiß‘ Film Dawids Tagebuch (1980), in dem Zeitzeugenfilm Sonst wären wir verloren... Buchenwaldkinder erinnern sich oder in`S brent, einen Film über die Interpretin jüdischer Lieder, Lin Jaldati (1983). Peter Rochas Film Das Singen im Dom zu Magdeburg zeigt den jüdischen Kantor Estrongo Nachama.

In dem in seiner Thematik stark an Kurt Maetzigs Ehe im Schatten erin-nernden Werk Die Schauspielerin von 1988 stellt der Regisseur

In dem in seiner Thematik stark an Kurt Maetzigs Ehe im Schatten erin-nernden Werk Die Schauspielerin von 1988 stellt der Regisseur