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Bundesdeutsche Filme zu Nationalsozialismus und Holo- Holo-caust (1949-1990; 1990-1999)

In diesem Überblick über die bundesdeutschen Produktionen mit Bezug auf Nationalsozialismus und Holocaust kann wie im Kapitel zuvor nur am Rande auf politische und künstlerische Entwicklungen eingegangen werden.

Schon der deutsche Nachkriegsfilm überzeugt die Kritiker nicht.192 Die Urteile über den bundesdeutschen Film der fünfziger Jahre sind ebenso hart und belegen die Enttäuschung über den verpaßten Neuanfang im Film. So spricht Ulrich Gregor von „künstlerischer Stagnation“ bei

„wirtschaftlicher Hochblüte“, von „Wirklichkeitsflucht“, „Sentimentali-tät“ und „Autoritarismus“. Das erfolgreiche Genre Heimatfilm bezeich-net er als „Inkarnation provinzieller Beschränktheit“. Theodor Kotulla hat Anfang der sechziger Jahre eine Auflistung der „markantesten Stereotypen“ im westdeutschen Nachkriegsfilm vorgelegt. Sie lauten:

• „Der Nationalsozialismus und der Hitler-Krieg sind mit der Gewalt einer unausweichlichen Naturkatastrophe über das ahnungslose deut-sche Volk hereingebrochen.“

• „Der deutsche Soldat hat nur seine Pflicht fürs Vaterland getan;

zwischen ihm und den Verbrechen der Nationalsozialisten ist scharf zu trennen.“

• „Der deutsche Widerstand wurde von hohen Militärs geleistet.“

• „Die deutsche Teilung ist eine Quelle menschlichen Leids.“

• „Das Übel am deutschen Wirtschaftswunder ist der Wirtschafts-boß.“193

Diese Äußerungen belegen, wie unbeliebt der westdeutsche Film bei der Kritik ist, wie beliebt hingegen bei der Mehrheit der Zuschauer. 1958 verzeichnen die bundesdeutschen Kinos 817,5 Millionen Besucher.194 Mit den Schrecken des Krieges, mit Vertreibung und Mord mag die Mehrheit des Publikums der fünfziger Jahre nicht belästigt werden. Den-noch hat es Versuche gegeben, sich mit der unmittelbaren Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Artur Brauner startet diese Versuche immer wieder, auch nach Morituri, der ihm viel Ärger und finanzielle Verluste beschert hat. So produziert seine CCC 1955 den Film Der 20. Juli, Regie Falk Harnack. Und auch G.W. Pabst setzt sich mit dem Attentat auf Hitler auseinander in Es ge-schah am 20. Juli. Diese Filme stehen am Beginn einer differenzierten Sicht auf den militärischen Widerstand gegen Hitler. Galten die Männer um Stauffenberg bis dahin vielen als Verräter, zeigen die genannten Filme, welche Motive die Widerständler leiteten. Als Gegner Hitlers erscheinen auch die Hauptfiguren in den Filmen Canaris und Des

192 Vgl. Schnurre, Wolfdietrich: Rettung des deutschen Films. Eine Streitschrift. In: Der Deutschenspiegel. Schriften zur Erkenntnis und Erneuerung, Bd. 38. Hrsg. von Gerhart Binder. Stuttgart, 1950.

193 Kotulla, Theodor: Zum Gesellschaftsbild des Films in der Bundesrepublik. In: Frank-furter Hefte. 17. Jg., H. 6/1962, S. 406f.

194 Vgl. Gregor, Ulrich: Geschichte des Films ab 1960. München, 1978, S. 122.

fels General. Wilhelm Canaris, Chef der deutschen Abwehr und Gegen-spieler des SS-Obergruppenführers Heydrich, steht im Mittelpunkt des Films von Alfred Weidenmann. Er wird 1955 mit dem Deutschen Film-preis ausgezeichnet, der Verleih ändert den Titel bezeichnenderweise in Ein Leben für Deutschland – Admiral Canaris. In Des Teufels General nach dem erfolgreichen Theaterstück von Carl Zuckmayer und mit Curd Jürgens in der Rolle des Hauptmann Harras geht es um die Gewissens-konflikte eines Generals, der vor allem seiner Flugleidenschaft frönen will.

In der Zeitschrift Film ´56 faßt der Kritiker zusammen: „Mag man jeden einzelnen dieser Filme für tragbar oder wenigstens harmlos halten, so ist das Gesamtbild fatal. Die Art, wie der Widerstand angegangen wird, ist symptomatisch: Niemals wird ein durchschnittlicher Zeitgenosse in den Mittelpunkt gestellt; stets gehört der Held den höheren Chargen an. So weiß der Zuschauer im Parkett: er ist nicht gemeint. Das Grundübel des mangelnden politischen Bewußtseins und der blinden Autoritätsgläubig-keit bleiben unberührt.“195 In die Gruppe der verharmlosenden Kriegs- bzw. „Anti“-Kriegs- und Militärfilme gehören neben Canaris und Des Teufels General, 08/15, Hunde, wollt ihr ewig leben, Unruhige Nacht, Haie und kleine Fische, Die letzte Brücke, Nacht fiel über Gotenhafen.

Auf Schuldzuweisungen wird verzichtet. Der Krieg erscheint als Schick-salsschlag, die Täter als Opfer. Politisch-historische Reflexion findet nicht statt. Sie alle zeigen den deutschen Soldaten als jemanden, der nur seine Pflicht getan hat, dabei „anständig“ geblieben ist oder als Verführ-ten, der seinen Irrtum aber einsehen mußte. Diese Filme haben zum Mythos „saubere Wehrmacht“ beigetragen. Die Ausstellung „Vernich-tungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung thematisiert diese von der westdeutschen Nachkriegspublizistik betriebene Legendenbildung. Entspechend heftig sind die Reaktionen der Ausstellungsgegner.

Als einer der wenigen in seiner Aussage eindeutigen Antikriegsfilme gilt den Kritikern Die Brücke von Bernhard Wicki aus dem Jahr 1959. Eine Gruppe Jugendlicher wird in den letzten Wochen des Krieges einge-zogen. Die fanatisierten jungen Männer, stolz, für ihr Vaterland kämpfen zu dürfen, erhalten den völlig sinnlosen Auftrag, eine Brücke zu vertei-digen. Alle, bis auf einen, kommen dabei ums Leben. Wicki erwirbt sich nationale und internationale Anerkennung durch diesen Film, der auf-grund seiner gesellschaftlichen Analyse und der formalen Mittel

195 Zit. nach Gregor, Ulrich: Der deutsche Film seit 1951 im Spiegel des Deutschen Film-preises. In: Deutscher Filmpreis 1951-1980. Hrsg. vom Bundesminister des Innern.

Bonn, 1980, S. 19.

zeugt. Der Film wird 1960 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, das Filmband in Silber erhält Wolfgang Staudte für seinen Film Rosen für den Staatsanwalt. Er thematisiert die personellen Kontinuitäten im Justizwesen. Ein kurz vor Kriegsende wegen Diebstahls von Schokolade zum Tode verurteilter Mann erkennt seinen Richter wieder. Der Mann hatte wenige Minuten vor der Hinrichtung fliehen können, als ein Luft-angriff für allgemeine Verwirrung sorgte. Jahre später ist der Richter ein angesehener Oberstaatsanwalt. Seinem Opfer gelingt es, ihn unfreiwilli-gerweise zum Eingeständnis seiner Tat zu bringen. Staudte variiert damit das in der DEFA-Produktion Die Mörder sind unter uns behandelte Thema der Täter, die nach 1945 weitermachen, als sei nichts geschehen.

Anhand zweier exemplarischer Figuren, dem typischen Mitläufer und dem ewigen Verlierer, zeigt auch Helmut Käutners Satire Wir Wunder-kinder von 1959, wie leicht manchen der Wechsel von der NS-Diktatur zum bundesdeutschen Wirtschaftswunder gefallen ist.

Diese Filme stellen eher Ausnahmen dar. Das Gros der Produktionen der fünfziger Jahre ist wirklichkeitsfern, sentimental, bieder und klischee-beladen. Wie für die Politik gilt für den westdeutschen Film: „keine Ex-perimente“. So sind viele Werke geprägt vom UFA-Stil der dreißiger und vierziger Jahre, ein künstlerischer Neuanfang hat genausowenig stattgefunden wie ein personeller. Selbst jemand, der wie Veit Harlan mit seinen Propagandafilmen den Nazis dienstbar gewesen ist, setzt nach kurzem Berufsverbot seine Arbeit fort. Allerdings nicht vollkommen un-behelligt. Harlan wird angeklagt, daß er „... durch die Art und Weise der Verfassung und Darstellung des Films Jud Süß in bewußter Verfäl-schung der historischen Tatsachen auf das breite Publikum einwirken wollte und auch eingewirkt habe, um dieses gegen die Juden aufzu-hetzen, und die Maßnahmen der Nazi-Regierung gegen die Juden ideo-logisch einzuleiten und zu rechtfertigen. Sein Verschulden habe den Anlaß zu maßlosen Ausschreitungen gegeben.“196 Einen Zusammenhang zwischen dem Film Jud Süß und der rassistischen Verfolgung der Juden während des Nationalsozialismus können die Staatsanwaltschaft und die jüdischen Nebenkläger jedoch nicht beweisen. Der Regisseur wird im April 1949 freigesprochen, der „Fall Harlan“ ist damit aber nicht been-det. Der Leiter der Staatlichen Hamburger Pressestelle, Erich Lüth, ruft im September 1950 bei der Eröffnung der „Deutschen Filmwoche“ zum Boykott des Films Unsterbliche Geliebte auf. Er bittet Produzenten, Verleiher und Kinobesitzer, diesen und andere Filme Harlans nicht auf-zuführen. Per einstweiliger Verfügung wird Lüth verboten, den

196 Vgl. zum „Fall Harlan“ Bergmann, Werner: Antisemitismus in öffentlichen Konflikten.

Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949-1989. Frank-furt/M., New York, 1997, S. 86-117.

Aufruf zu wiederholen. Lüth klagt dagegen und findet Unterstützung bei Vertretern von Kultur, Politik, Kirchen und Gewerkschaften. Doch auch Harlan wird in Schutz genommen. Die öffentliche Meinung ist gespalten.

Lüth geht durch alle Instanzen und legt schließlich Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Dieses urteilt sechs Jahre später, 1958, daß Lüths Äußerungen keinen Verstoß gegen die guten Sitten und keinen Boykott-Aufruf im zivilrechtlichen Sinne darstellen, sondern verfas-sungsrechtlich durch die in Art. 5, GG garantierte Meinungsfreiheit ge-schützt seien. Die als „Lüth-Urteil“ in die bundesdeutsche Rechts-geschichte eingegangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gilt manchen als erster Sieg der Demokratie; die Jahre andauernde publi-zistische Kontroverse über den „Fall Harlan“ als beispielhafte Auseinan-dersetzung mit den personellen Kontinuitäten im deutschen Film.

Ulrich Gregor kann im bundesdeutschen Film der fünfziger Jahre nur insofern etwas Positives erkennen, als er bei einigen Filmemachern und Kritikern eine solche Abwehrhaltung hervorgerufen hat, daß sie vehe-ment einen echten Neubeginn fordern. Die durch das Aufkommen des Fernsehens sich zusätzlich vertiefende Kino-Krise führt schließlich dazu, daß sich während der 8. Westdeutschen Kurzfilmtage 1962 einige junge Autoren zusammenfinden und einen Aufruf verfassen. Im „Oberhause-ner Manifest“ erklären sie ihren Anspruch, den neuen deutschen Film zu schaffen. „Dieser neue Film braucht Freiheiten. Freiheit von den brancheüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner. Freiheit von der Bevormundung durch Interessen-gruppen.“197

In den folgenden Jahren entsteht ein kompliziertes System der Film-förderung, die Mittel kommen aus dem Bundesinnenministerium (An-schubfinanzierung für das „Kuratorium Junger Deutscher Film, 1965), später von der Filmförderungsanstalt (1968) und den Ländern. Bis die ersten „neuen deutschen Filme“ aufgeführt werden können, vergehen vier Jahre. 1966 gilt als das „Jahr 1“ des Jungen Deutschen Films mit Werken von Schlöndorff, Schamoni, Reitz u.a. Der erste Spielfilm Alex-ander Kluges trägt den programmatischen Titel Abschied von gestern.

Die Hauptfigur, als „Anita G.“ vorgestellt, sammelt nach ihrer Flucht aus der DDR Erfahrungen in der westdeutschen Gesellschaft. Keine guten.

Beiläufig wird erwähnt, daß Anita G. Jüdin ist. Zu sehen ist im Film auch der Staatsanwalt im Frankfurter Auschwitz-Prozeß, Fritz Bauer.

197 Vgl. Die Oberhausener. Rekonstruktion einer Gruppe 1962-1982. Hrsg. von Rainer Lewandowski. Diekholzen, 1982, S. 29. Unterzeichnet haben das Manifest 26 Filme-macher, Kameraleute und Produzenten, darunter Peter Schamoni, Edgar Reitz und Alexander Kluge.

Einer der wenigen Filme, in denen es um das Weiterleben der Über-lebenden des Holocaust geht und einer der wenigen Filme, die die ju-ristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen thematisieren, ist Zeugin aus der Hölle. Produziert wird der Film, der zunächst den Arbeitstitel Bittere Kräuter erhält, von Artur Brauners CCC. Die Regie führt bei dieser deutsch-jugoslawischen Co-Produktion Zika Mitrovic. Uraufgeführt wird der Film am 29.6.1967 in Berlin. Die Jüdin Lea Weiß soll gegen ihren Peiniger aussagen. Der Staatsanwalt (Heinz Drache, bekannt aus den Edgar-Wallace-Verfilmungen) und ein Freund (Daniel Gélin) versu-chen Lea von der Notwendigkeit ihrer Aussage zu überzeugen. Sie, die von Nazis bedroht wird, fürchtet die Konsequenzen. Und sie hat Angst, alles wieder durchleben zu müssen, wenn sie mit den Tätern konfrontiert wird. Sie begeht Selbstmord.

Der Film Zeugin aus der Hölle ähnelt stark der ostdeutschen Produktion Chronik eines Mordes. Auch mit Alexander Kluges Abschied von gestern gibt es Gemeinsamkeiten. Die drei Filme sind zur gleichen Zeit entstanden (nach dem Eichmann- und dem Frankfurter Auschwitz-Prozeß) und spielen in Westdeutschland. Im Mittelpunkt steht eine jüdi-sche Überlebende des Holocaust, die Gerechtigkeit statt Geld fordert. Sie zerbricht an ihrer Geschichte und an dem Verhalten ihrer Mitmenschen in der Gegenwart. Abschied von gestern erhält zwar von der Filmbewer-tungsstelle Wiesbaden das Prädikat „wertvoll“, findet aber in der bundesdeutschen Öffentlichkeit wenig Beachtung. Zeugin aus der Hölle erhält „wegen handwerklicher Mängel“ kein Prädikat. Er wird erst 1998 zum 80. Geburtstag Artur Brauners und 1999 während der Tagung der Arbeitsgruppe „Cinematographie des Holocaust“ im Frankfurter Film-museum wiederaufgeführt.198

Einen wesentlichen Anteil an der Auseinandersetzung mit der Vergan-genheit durch das Medium Film hat in den sechziger Jahre das öffent-lich-rechtliche Fernsehen, hier insbesondere die Dokumentar- und Fern-sehspielredaktionen der ARD und ab 1963 auch das Zweite Deutsche Fernsehen, ZDF. Die Täter in den Blick nimmt der Film KZ-Schergen, produziert vom WDR im Jahr 1958. Er zeigt Bilder der Verhandlung gegen die SS-Aufseher Wilhelm Schubert und Gustav Sorge und vom Ort ihrer Verbrechen, dem Lager Sachsenhausen. Der Film endet mit dem Urteilsspruch „lebenslänglich für beide“. Die Abteilung Fernseh-spiel des NDR erwirbt sich Anerkennung mit Produktionen wie Wer

198 Vgl. Loewy, Ronny: Zeugin aus der Hölle und die Wirklichkeit des Auschwitz-Prozes-ses. In: Die Vergangenheit der Gegenwart. Konfrontationen mit den Folgen des Holo-caust im deutschen Nachkriegsfilm. Hrsg. vom Deutschen Filminstitut. Frankfurt/M., 2001, S. 26-28. Und: Dillmann-Kühn, Claudia: Zu bittere Kräuter: Zeugin aus der Hölle. Produktion und Rezeption eines „riskanten“ Films. In: A.a.O., S. 29-35.

überlebt, ist schuldig (1960, Regie: Axel Eggebrecht), Die Anfrage (1962, Regie: Egon Monk), Unruhige Nacht (1962, Regie: Oliver Storz), Mauern (1963, Regie: Egon Monk und Gunter R. Lys) und Ein Tag.

Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939 (1965, Regie:

Egon Monk und Gunter R. Lys.) Als Beispiel für die im Fernsehen auf hohem Niveau geführte Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit soll das Fernsehspiel Ein Tag in Kap. II.5 analysiert werden.

Die politischen Entwicklungen der späten sechziger Jahre finden nur wenig Niederschlag im westdeutschen Film. Die große Koalition in Bonn und die Entstehung einer außerparlamentarischen Opposition, der in Teilen der Bevölkerung vorhandene Wunsch nach Veränderungen,

„Reformen“, kommen nur am Rande vor. Nationalsozialismus und Holocaust aber werden nicht länger beschwiegen, sondern in Filmen wie Mord in Frankfurt (1968), Wie ein Hirschberger Dänisch lernte (1968), Kaddisch nach einem Lebenden (1969), Bilder aus einem fremden Land – Deutschland 1945 (1971) thematisiert. Mitte der siebziger Jahre spre-chen Filmkritiker gar von einer „Hitler-Welle“ und meinen damit den Trend, die Protagonisten des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt eines Films zu stellen. Zu dieser Gruppe von Filmen gehören Theodor Kotullas Aus einem deutschen Leben (1977)199, Hans Jürgen Syberbergs Hitler – ein Film aus Deutschland200 und Joachim C. Fests Kompila-tionsfilm Hitler – eine Karriere (1977).201

Die Kluft zwischen der kommerziell erfolgreichen Massenware einer-seits und den künstlerisch ambitionierten Werken eines Kluge, Reitz, Straub, Schlöndorff, Wenders, Lilienthal, Herzog oder Fassbinder ande-rerseits ist groß. Nur mit einigen ihrer Filme erreichen die genannten Regisseure ein größeres Publikum, so, wenn es sich um Literaturver-filmungen handelt oder die Story in gewohnter Weise erzählt wird. Der Spiegel lobt die „Wunderkinder“ des neuen deutschen Films, verweist aber auf die geringe Resonanz beim Publikum und darauf, daß der

199 Der Film basiert auf dem Roman von Robert Merle „Der Tod ist mein Beruf“ und auf autobiographischen Aufzeichnungen des KZ-Kommandanten Rudolf Höß. Den Höß spielt Götz George.

200 Der Film wird in London uraufgeführt. In Deutschland will Syberberg den siebenein-halbstündigen Film zunächst nicht zeigen – Höhepunkt einer von ihm selbst inszenier-ten publizistischen Kontroverse. Eine solche entzündetet sich auch an seinem Film Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914-1975, in dem die Schwiegertochter Wagners lange Lobreden auf Hitler hält. Siehe auch das Buch zum Film: Syberberg, Hans-Jürgen: Hitler, ein Film aus Deutschland. Reinbek bei Hamburg, 1978.

201 Fests Film ist umstritten. So wirft ihm Wim Wenders vor: „Dieser Film ist von den Faschisten abgeschrieben worden, Bild um Bild.“ Wenders, Wim: That´s entertainment:

Hitler. In: Die Zeit, Nr. 33 vom 5.8.1977, S. 34.

Binnenabsatzmarkt durch US-Filme begrenzt ist.202 Zeichen der Krise des deutschen Films ist außerdem die sinkende Zahl der Kinotheater und Sitzplätze. Zwischen 1959 und 1979 hat sich die Zahl der Filmtheater halbiert (1959: 7.085, 1979: 3.196), die der Sitzplätze ist um ein Drittel (1959: 2.926.000, 1979: 932.000) zurückgegangen. In den Kinosälen, die manchmal nicht viel größer als ein Wohnzimmer sind, läuft routiniert abgedrehte Massenware. Die Referenz- und die Projektfilmförderung der FFA und die Prädikatisierungen der FBW tragen insgesamt wenig zur Förderung der Qualität des deutschen Films bei. Doch im Ausland sorgen die neuen deutschen Autorenfilme für Aufsehen. Das US-ameri-kanische Nachrichtenmagazin Newsweek beschreibt in einer Titel-geschichte 1976 „The German Film Boom“: „Mehr als 40 Jahre nach-dem der Nationalsozialismus den goldenen Zeiten des deutschen Films ein Ende bereitet hat, bringt eine engagierte Mannschaft junger Regis-seure Deutschland auf die kinematographische Landkarte zurück.“203 Deutlich ist in vielen dieser Filme das Ringen mit der deutschen Vergan-genheit, die Auseinandersetzung mit sozialpsychologischen Fragen und dem, was Siegfried Kracauer die deutsche Kollektivmentalität genannt hat.204 Als Beispiel kann die Verfilmung des Romans Die Blechtrommel von Günter Grass dienen. Eine jüdische Figur, der Spielzeugladenbe-sitzer Herr Markus, spielt eine zentrale Rolle. Er versorgt den kleinen Oskar Matzerat mit Blechtrommeln. Eines Tages liegt der gutmütige Mann ermordet vom Nazi-Mob in seinem Laden. Oskar nimmt „als legi-timer Erbe“ die vorrätigen Trommeln an sich. Volker Schlöndorff, über-aus versiert, was die Adaption literarischer Stoffe anbelangt, wird mit der „Goldenen Palme“ in Cannes und dem „Oscar“ für den besten nicht englischsprachigen Film ausgezeichnet.

Auch in Werken wie dem als Reaktion auf den Terrorismus der siebziger Jahre entstandenen Gruppenfilm Deutschland im Herbst, in Rainer Werner Fassbinders Die Ehe der Maria Braun, in Alexander Kluges Die Patriotin und Peter Lilienthals David stehen die deutsche Geschichte und ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart im Mittelpunkt. David zeigt das Schicksal einer Rabbinerfamilie in der Zeit nationalsozialistischer Judenverfolgung, in der Patriotin gräbt die Geschichtslehrerin Gabi Tei-chert (Hannelore Hoger) im wahren Sinne des Wortes nach deutscher

202 Vgl. Lorbeer für die Wunderkinder. Spiegel-Titelgeschichte. In: Der Spiegel, Nr. 47 vom 17.11.1975, S. 182-196.

203 Newsweek vom 2.2.1976, S. 42ff. Zit. nach Geschichte des deutschen Films. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin. Stuttgart, Weimar, 1993, S. 548.

204 Vgl. Kracauer, Siegfried: Schriften: Hrsg. von Karsten Witte. Bd. 2. Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt/M, 1979 (1947), S. 286f.

Geschichte. Ihre Fundstücke versucht sie in einen Zusammenhang zu bringen, sie fragt, was „Deutschland“ bedeutet. Ein Zwischentitel mit einem Karl-Kraus-Zitat hilft nicht weiter: „Je näher man ein Wort an-sieht, desto ferner sieht es zurück.“

Von verschiedenen Seiten, z.B. von US-amerikanischer Studenten, ist der Einwand vorgebracht worden, daß in den bundesdeutschen Filmen der siebziger und achtziger Jahre jüdische Figuren selten sind, entspre-chend der „Logik“: Die Juden sind nicht mehr da, also können sie nicht in deutschen Filmen nach 1945 vorkommen. Eine Ausnahme bildet Abschied von gestern. Was die anderen Filme Alexander Kluges anbe-langt, so vertritt z.B. Thomas Elsaesser die These von der „Fehlleistung als Trauerarbeit“.205 Der Filmwissenschaftler meint, daß gerade durch das Fehlen jüdischer Figuren und durch das Fehlen von Bildern des Holocaust dieser ins Bewußtsein der Zuschauer gerückt werde. Diese These kann nur z.T. überzeugen. Zunächst sollte ein Film danach beur-teilt werden, was er zeigt. Das Nichtgezeigte mitzudenken, setzt ein Vorwissen der Zuschauer voraus. Die wenigen Intellektuellen, die Kluges Arbeiten schätzen, verfügen über dieses Vorwissen. Sie denken vielleicht – in Dialektik geschult – auch an die Shoah, wenn sie Bilder der Bombardierung deutscher Städte und die in Gefangenschaft ziehen-den deutschen Soldaten sehen. Laut Kluge entsteht ein Film im Kopf des Zuschauers. So gesehen, ist die Annahme, daß der Holocaust durch Nichtpräsenz indirekt thematisiert wird, nicht völlig abwegig. Sie zeigt aber, wie vielfältig Filme gedeutet werden können. Jeder Zuschauer sieht einen anderen Film, und manche Zuschauer sehen auch da einen Holo-caustfilm, wo der Holocaust nicht gezeigt wird.

Im selben Jahr, Ende Januar 1979, wird die US-amerikanische Serie Holocaust in den Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt. Die publi-zistische Kontroverse, die dieses TV-Ereignis auslöst, ist

Im selben Jahr, Ende Januar 1979, wird die US-amerikanische Serie Holocaust in den Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt. Die publi-zistische Kontroverse, die dieses TV-Ereignis auslöst, ist