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Inhalt des Films und Interpretation

II. Analysen der publizistischen Kontroversen über den Holocaust im Film

II.1.2. Inhalt des Films und Interpretation

Ein detailliertes Filmprotokoll liefert Peter Pleyer.261 Der Filminhalt wird in allen Rezensionen mehr oder weniger ausführlich referiert. Die folgende Inhaltsangabe basiert auf diesen Quellen und einer Videokopie des Films, die mir Artur Brauner freundlicherweise zur Verfügung ge-stellt hat. Das Zweite Deutsche Fernsehen hat Morituri zu Brauners 75.

Geburtstag am 1.8.1993 ausgestrahlt.

Ein Arzt, Dr. Bronek, hat in einem Konzentrationslager eine Selektion durchzuführen. Unter Aufsicht des Lagerkommandanten sondert er eine Gruppe politischer Häftlinge als „arbeitsunfähig“ aus. Die Männer ahnen, daß sie nicht mehr lang zu leben haben. Dr. Bronek aber will den Gefangenen zur Flucht verhelfen. Während eines vorgetäuschten Fliegeralarms überwinden die Häftlinge den elektrischen Stacheldraht-zaun. Stundenlang sind ihnen die Häscher auf den Fersen, verfolgen sie durch Wald und Sümpfe. Fünfen gelingt die Flucht. Es sind der Russe Pjotr, der Franzose Armand, der Kanadier Roy, der Staatenlose Eddy und der deutsche Pfarramtskandidat Gerhard. Bronek versorgt die Geflo-henen mit Zivilkleidung und führt sie tiefer in den Wald zu einem Erd-bunker, in dem sich aus Furcht vor den deutschen Besatzern etwa fünfzig Menschen versteckt halten. Lydia, eine Dorfschullehrerin, kümmert sich um die Heimatlosen. Sie erlaubt den KZ-Flüchtlingen nur, sich einige Tage auszuruhen. Dann sollen sie weiter, um die Versteckten nicht zu gefährden. Dr. Bronek muß unterdessen mitansehen, wie die Deutschen seine Frau Maria verhaften. Im Lager wird sie verhört und zu Tode ge-foltert. Der Arzt schwört Rache. Die geflohenen Häftlinge richten sich im Waldversteck ein und schließen Bekanntschaft mit den anderen dort Lebenden: da sind ein jüdischer Rechtsanwalt und seine Familie, das polnische Bauernmädchen Stascha, ein Invalide, der Haus und Hof ver-loren hat, eine verwirrte Frau, die den Tod ihrer Tochter nicht verwinden kann.

260 Edel, Peter: Ist der Weg frei? In: Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. 3. Jg, Nr. 49 vom 7.12.1948, S. 1552.

261 Pleyer, Peter: Deutscher Nachkriegsfilm 1946-1948. Münster, 1965, S. 315-328, (=

Studien zur Publizistik, Bd. 4).

Bronek kommt bewaffnet und mit der Nachricht, daß die Rote Armee vorrückt, ins Waldlager zurück. Er möchte die Geflohenen überreden, sich an einer Sabotageaktion zu beteiligen. Darüber gerät er in Streit mit Lydia, die fürchtet, daß die Deutschen nach Sabotageakten den Wald durchkämmen werden. Bronek beschließt allein zu gehen. Da erreicht die Versteckten die Meldung, daß deutsche Soldaten ganz in der Nähe gesehen wurden. Alle geraten in Panik. Bei einer Hochschwangeren set-zen die Wehen ein. Eine Frau hält ihr den Mund zu. Plötzlich sind Schüsse zu hören. Bronek hat die Deutschen erschossen.

Ständig rechnen die „Morituri“ damit, entdeckt zu werden. Die Versor-gung mit Lebensmitteln ist schwierig. Der polnische Bauer Sokol wird von einem deutschen Soldaten beobachtet, als er mit einem Sack Mehl im Wald verschwindet. Der Deutsche folgt dem Bauern, wird aber von Roy und anderen gefangengenommen. Die Versteckten müssen nun ent-scheiden, was mit ihrem Gefangenen geschehen soll. Laufenlassen?

Töten? Nach einer langen Auseinandersetzung, die einer Gerichtsver-handlung gleicht, beschließen sie, den Deutschen vorerst weiter gefan-gen zu halten.

Die Lage der Waldmenschen wird immer verzweifelter. Sie schlachten das letzte Stück Vieh. Bronek überfällt trotz Lydias Warnung Wehr-machtsfahrzeuge. Einmal besteht seine Beute aus einer Kiste franzö-sischen Cognacs. Das nützt den hungernden Menschen wenig. Weil der deutsche Gefangene verspricht, Lebensmittel zu besorgen und nichts zu verraten, läßt Eddy ihn heimlich frei. Der Deutsche kommt nicht zurück.

Broneks Anschläge auf eine Bahnlinie führen dazu, daß sich die Deut-schen das Waldstück vornehmen. Der Arzt wird erschossen, Eddy schwer verwundet. Pjotr schleppt ihn ins Waldlager. Überzeugt, daß sie keine Chance haben zu überleben, feiern die „Morituri“ ein letztes Fest.

Sie trinken den Cognac und beginnen zu tanzen. Eddy stirbt an seinen Verletzungen. Alle zusammen, jeder in seiner Sprache, sprechen sie ein Gebet. Da ertönt ein Ruf. Es ist der deutsche Soldat, den Eddy hat laufenlassen. Er erklärt den Frontverlauf und weist den Versteckten den Weg in die Freiheit. Am nächsten Morgen brechen die Waldmenschen auf. Hinter sich lassen sie zwei frische Gräber mit Birkenkreuzen. Sie ziehen über ein Feld und verschwinden in der Ferne.

Als Handlungsort wird in dem CCC-Pressematerial „das Arbeitslager Gellnik in Polen“ genannt. In Polen hat es zwischen 1939 und 1945 eine Vielzahl von Lagern gegeben, ob es auch ein „Arbeitslager Gellnik“ ge-geben hat, ist nicht zu belegen. Brauner läßt ein Lager mit Baracken, Wachtürmen und Stacheldrahtzaun nachbauen. Das Lagertor trägt wie in Buchenwald die Aufschrift „Jedem das Seine“. Morituri gehört mit Lang

ist der Weg zu den wenigen deutschen Nachkriegsproduktionen, in denen überhaupt ein Lager als Ort der Handlung vorkommt. Das Lager ist aber weniger Ort der Handlung als deren Ausgangspunkt. Das mag zum einen daran liegen, daß der Anspruch, den Terror in einem Lager möglichst realistisch darzustellen, schon aufgrund technischer und orga-nisatorischer Schwierigkeiten schwer zu erfüllen gewesen ist, zum ande-ren an der Geschichte, die Brauner erzählen will.

Der Film fesselt vor allem in seinen Anfangssequenzen. Die Flucht der Häftlinge aus dem Lager und die anschließende Verfolgungsjagd durch den nächtlichen Wald sind hochdramatisch. Schnelle Schnitte, wech-selnde Kameraperspektiven, der gekonnte Einsatz von Licht und Schat-ten und Geräuschen (Motorräder, Hundegebell, knackende Äste) erzeu-gen Spannung. Diese läßt nach, als die Flüchtierzeu-gen im Waldversteck an-kommen. Von da an kommt den Dialogen ein größerer Stellenwert zu als den Handlungen. Die Figuren werden weniger durch ihr Tun als durch ihre Aussagen charakterisiert. Zwar sprechen alle verschiedene Spra-chen, doch verstehen sie einander. Bewußt verzichtet Morituri auf Un-tertitel. Verständigung trotz unterschiedlicher Sprachen ist ein Motiv, das den Film durchzieht. Am Beginn, im Lager, den Tod vor Augen, sagt Eddy, der Staatenlose, nachdem er die anderen nach ihrer Nationalität gefragt hat: „Na, bald haben wir ja alle dieselbe Nationalität. Wenn man tot ist, versteht man sich auch ohne Worte. Das ist die einzig wahre Völkerverständigung.“ Später aber pflichtet er Armand bei, der feststellt:

„Nous nous avons compris dans toutes les langues.“ Am Ende, im Ster-ben liegend, fragt Eddy den Pfarrer nach dem lateinischen Satz, den die todgeweihten Sklaven sprechen mußten, wenn sie vor den römischen Kaiser traten. „Ave Caesar, morituri te salutant“, antwortet ihm der Pfar-rer. In diesen Szenen werden der Titel und die Idee des Films dem Zuschauer verdeutlicht: Krieg und Verfolgung einen die Opfer. Nur diese Einigkeit sichert Überleben und verhindert Krieg und Gewalt in Zukunft.

In Morituri sind alle Opfer von Krieg und Verfolgung. Das Schicksal der Juden wird nicht ausdrücklich benannt. Sie sind eine Gruppe unter ande-ren. In einem Gespräch zwischen dem Pfarrer und dem ehemaligen Strafverteidiger, der jüdischen Glaubens ist, bezichtigt sich der Pfarrer allerdings eines christlichen Antijudaismus und der unterlassenen Hilfe-leistung:

Pfarrer: „Sie sind gejagt und gehetzt worden, während ich noch auf der Kanzel stand und predigte: Herr, vergib ihnen! Und als ihre Kirchen brannten, da schloß ich meine Kirchentür von innen zu und fühlte mich als Werkzeug Gottes. Dabei war ich auch nur ein Werkzeug der Gewalt. – Der fürch-terlichste Krieg stürmt über alle Länder und Meere, und wir sitzen hier und sind an den Rand geworfen wie Strand-gut und können nichts tun.“

Verteidiger: „Doch!“

Pfarrer: „Glauben Sie?“

Verteidiger: „Ja, denn der Mensch will leben, und er wird sich überall in der ganzen Welt mit all den Menschen zusammentun, die gleich ihm an das Kreuz des Krieges geschlagen sind.“

Der Film vermittelt die Sicht des „kleinen Mannes“, der den Ereignissen und Zeitläuften machtlos gegenübersteht. So spricht einer der Verfolg-ten: „Einmal möchte ich der liebe Gott sein, dann würde ich aufräumen!

- Dann würde uns keiner mehr mit einer Kanone in die Quere kommen.

Dann könnten wir Menschen sein und menschlich, wie es sich gehört.“

Und ein anderer, der als alter Matrose wie aus Große Freiheit Nr. 7 übernommen wirkt, singt zu seiner Ziehharmonika:

„Das Leben kann so schön sein, nur mußt Du zu leben verstehn, und hat’s nicht immer den Anschein, es wird immer weitergehn!

So trage des Lebens Bürde

mit Gleichmut, du irdischer Gast, und grüße den Tod mit Würde, den einzigen Freund, den du hast!

Das Leben kann noch so schlecht sein, mal muß es zu Ende gehn!

Dann wird es dir aber nicht recht sein dazu war es doch zu schön!

Das Lied zeugt sicher nicht von einem „progressiven“ Geschichtsver-ständnis, wie es manche Kritiker des Films fordern. Eine schicksalserge-bene, sich im Allgemein-Menschlichen ergehende und wenig kämpfe-rische Haltung prägt stattdessen den Film. Die Deutschen als Okkupan-ten und Mörder haben im Film kein Gesicht und keine Gestalt. Man hört nur ihre Befehle schreienden Stimmen, sieht ihre Uniformen, Stiefel, ihre Waffen, Fahrzeuge und die von ihnen errichteten Lager mit

Stachel-draht und Wachtürmen.262 Während des Verhörs von Maria, der deut-schen Frau Dr. Broneks, klagt sie ihre Peiniger an: „Ihr glaubt, mein Schreien hört niemand, und morgen habt ihr´s vergessen, was? Alle Schmerzen, jede Träne werden euch angerechnet werden!“

In der Schlüsselszene des Films, in der seine auf Versöhnung zielende Aussage besonders deutlich wird, erhebt ebenfalls ein Opfer Anklage gegenüber den Deutschen. Ein invalider Jude, dessen Frau und Kind ermordet worden sind, wirft dem gefangenen Deutschen vor, mitschuldig am Tod seiner Familie zu sein. Jegliche Menschlichkeit spricht er ihm ab: „Er sieht nur aus wie ein Mensch, singt und lacht wie ein Mensch, hat aber Blut an den Händen.“ Der Verteidiger des Deutschen ist ein jüdischer Rechtsanwalt. Er hält dem Ankläger entgegen:

Verteidiger: „Du klagst ihn an, ich klage ihn auch an. Aber mein Freund, wissen wir denn, ob er je eine solche Tat began-gen hat?

Ankläger: „Der oder sein Bruder oder sein Vater!“

Verteidiger: „Er ist ja noch ein halbes Kind, er kann es nicht gewesen sein!”

Ankläger: „Du willst ihn also verteidigen?“

Verteidiger: „Ja! Ich habe in meinem Leben viele Menschen verteidigt, nach Gesetz und Recht, und das will ich auch jetzt tun. Es geht nicht um unser Schicksal, es geht um das, was Recht ist! Wir halten hier Gericht über einen von denen, die uns soviel angetan haben ...“

Hier blendet die Kamera über, aus dem Waldversteck wird ein Gerichts-saal, und der Verteidiger fährt fort:

Verteidiger: „Vielleicht hat er selber nichts Böses getan, vielleicht ist er einer der Schlimmsten, vielleicht hat er nur marschie-ren gelernt und singen und schießen, vielleicht hat man ihm jedes Gefühl aus dem Herzen wegkommandiert. Wir wissen es nicht.”

Und trotz der Einwände der anderen fährt der Verteidiger fort:

262 Damit greift der Kameramann Eugen York ein aus der Filmgeschichte bekanntes Ver-fahren auf: das Böse bleibt ohne Gesicht, ein Teil steht für das Ganze.

Verteidiger: „Einmal werden auf Erden, die, die leiden, siegreich sein über die, die die Macht haben, und dann werden wir und alle unsere Leidensgefährten das Urteil sprechen. Und diese Urteil wird lauten: Zum Leben verurteilt! Zu einem armen Leben, das nur dann noch einen Sinn haben kann, wenn sich Liebe unter den Menschen verbirgt. – Laßt ihn leben, sieh, wie wir hier leben, das ist schon genug. Oder wollt ihr ihn zum Tode verurteilen, aus Gründen der Sicherheit, aus Angst, das er uns verrät?“

Die Kamera blendet wieder über ins Waldversteck. Die Menschen ant-worten beschämt mit „Nein“, „No“, „Non“, „Njet“. So fordert der jüdi-sche Verteidiger die Prüfung individueller Schuld. Eine Absage an die Kollektivschuldthese, wie sie zur Zeit der Entstehung des Films in Deutschland kontrovers diskutiert wird. Wie unerläßlich die Prüfung individueller Schuld ist, wird durch den weiteren Verlauf der Handlung bestätigt, denn der freigelassene deutsche Soldat warnt die Versteckten, kurz bevor sie aufgespürt und als Partisanen erschossen werden können.

Der vermeintliche Täter wird damit zum Retter. Das in ihn gesetzte Ver-trauen wird nicht enttäuscht. Rache und Vergeltung, so die Aussage, treiben die Spirale der Gewalt immer weiter, einmal muß Schluß sein, will man endlich Frieden. Deshalb werden auch die Attentate und Sabo-tageakte des polnischen Arztes Bronek, dessen Frau im KZ ermordet wurde, als zwar verständlich, aber für die gemeinsame Sache - der Siche-rung des Überlebens im Waldversteck - schädlich angesehen. Der Dialog zwischen Lydia und Dr. Bronek, als er die Männer im Waldversteck auf-fordert, sich an Sabotageakten gegen die Deutschen zu beteiligen, ist aufschlußreich, weil hier Pragmatismus, vertreten durch eine Frau, und Idealismus, vertreten durch einen Mann, aufeinandertreffen:

Lydia: „Daraus wird nichts! Ich verbiete es euch!“

Bronek: „Das geht Sie nichts an!“

Lydia: „Wieso geht mich das nichts an? Ein Jahr lang habe ich die Menschen hier davor bewahrt, entdeckt zu werden.

Sollen sie jetzt wieder fliehen müssen? Bloß weil ihr ein paar Wachtposten überfallen wollt? Oder glaubt ihr, da-mit den Krieg zu beenden?“

Bronek: „Was verstehen sie vom Krieg?“

Lydia: „Nichts!“

Bronek: „Also!“

Lydia: „Ich will auch nichts vom Krieg verstehen, aber trotzdem rede ich!“

Bronek: „Ich kämpfe für mein Heimatland!“

Lydia: „Kämpfen Sie für oder gegen wen sie wollen. Ich kämpfe gegen jeden, der die hilflosen Menschen hier in Gefahr bringt!“

Eindruck hinterläßt die Szene, in der die „Morituri“ ihren Abschied vom Leben feiern, sich betrinken und tanzen. Der Filmkritiker der Hannover-schen Abendpost schreibt: „Alle Gesichte und Gesichter verdichten sich zu einer gespenstischen, makabren Schau, die an Gemälde von Carl Hofer erinnert: Von erbeutetem Schnaps Trunkene tanzen, Marionetten gleich, in Lumpen und auf Krücken einen Totentanz des Lebens. Der suggestive Expressionismus der Schwarz-Weiß-Optik, der im Helldunkel der Nachtaufnahmen den gesamten Film bestimmt, erreicht in dieser visionären Optik des Grauens seinen Höhepunkt.“263 Wolfgang Becker und Norbert Schöll meinen, daß durch diese Szene, an deren Ende ein Feuer im Waldversteck ausbricht, „... der Tanz um das Goldene Kalb erinnert werden soll“264, also die in 2. Mose, 32 beschriebene Abkehr der Israeliten von Gott und die darauffolgende Strafe. Diese Interpretation jedoch, Verfolgung und Ermordung der Juden während des Holocaust mit alttestamentarischen Sühnegeschichten in Zusammenhang zu brin-gen, geht meines Erachtens zu weit.

II.1.3. Mitwirkende