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7  Gestaltungsmöglichkeiten für Packungsbeilagen

7.4  Kürze bzw. Prägnanz der Packungsbeilagen

7.4.2  Präzision und Eindeutigkeit der Anweisungen

Packungsbeilagen sollen konkret und präzise formulierte Anweisungen enthalten, damit die Patienten korrekte Handlungen ausführen können1096 1297 1463 1464. Patienten bemessen derart formulierten Hin-weisen mehr Bedeutung zu als allgemein und unspezifisch formulierten Instruktionen1005 1465. Die Un-tersuchung von Heaps und Henley mit 59 Personen konnte dies bestätigen und zeigte, dass einem Pro-dukt bei konkreter und präziser Angabe möglicher schwerer Folgen bei bestimmungswidriger Anwen-dung in der beigefügten Anleitung eine größere Gefährlichkeit und Bedeutung zugemessen wurde als im Falle einer eher vagen Angabe möglicher Risiken1466. Die konkrete Formulierung enthielt einen expliziten Hinweis auf die gesundheitsschädlichen oder fatalen Folgen einer Fehlanwendung, während die vage Formulierung lediglich auf Haut- und Augenirritationen und Unwohlsein hinwies. Konkrete und präzise formulierte Anweisungen werden von den Patienten besser gemerkt und können außerdem zur Verbesserung der Patienten-Compliance beitragen1339 1467 1468. So wiesen Bradshaw et al. eine bessere Merkleistung nach, wenn konkrete und spezifische anstatt nur allgemein formulierter

Hinwei-se zur Diät erteilt wurden1467. Auch in der eben genannten Untersuchung von Heaps und Henley konnte durch die präzise formulierten Aussagen eine bessere Erinnerungsleistung erzielt werden1466.

Grundsätzlich sollte daher auch das alleinige Aufführen eventueller Konsequenzen beispielsweise einer gleichzeitigen Einnahme zweier Arzneimittel oder einer bestimmten Nebenwirkung ohne kon-krete Handlungsanweisung für den Patienten vermieden werden9071191. Wurden in einer Untersuchung von Wogalter et al. lediglich mögliche Konsequenzen ohne eine klare Handlungsanweisung als Reak-tion auf eine Gefahrenquelle aufgeführt, konnten die Befragten die Bedeutung der gewünschten Hand-lung und die Folgen ihres Unterlassens schwerer einschätzen1469.

Dagegen können das Merken der Anweisungen und die Patienten-Compliance weiter verbessert werden, wenn dem Patienten zusätzlich zur Handlungsanweisung die eventuellen Konsequenzen des Ausführens oder Unterlassens der Handlung bzw. Gründe für die erteilten Anweisungen kurz und prägnant erklärt werden1337 1470 1471 1472. So führten 65 Prozent der Befragten in der Studie von Taylor und Bower, denen zusätzlich der Grund für eine Anweisung genannt worden war, die ge-wünschte Handlung aus. Wurde ausschließlich die Handlungsanweisung erteilt, hielten sich nur 23 Prozent daran1471. Zusätzliche Erklärungen sollten allerdings im Hinblick auf einen geringen Text-umfang sparsam und nur dann eingesetzt werden, wenn die Zusatzinformation zum besseren Ver-ständnis der Instruktion beiträgt oder hierfür unverzichtbar ist1179128913961416.

Mit dem Ziel präzise und konkret formulierter Anweisungen bei Gebrauch von Formulierungen mit Modalverben sollten gemäß Schuldt idealerweise modale Hilfsverben verwendet werden, die Hand-lungen des Patienten möglichst explizit festlegen wie „dürfen“ oder „müssen“. Hierdurch wird der Handlungsbedarf mit höherem Nachdruck vermittelt. Auf Modalverben, die Handlungen nicht aus-drücklich anordnen oder untersagen wie „sollen“ oder „können“, ist in Packungsbeilagen folglich zu verzichten907. Außerdem empfiehlt Schuldt möglichst konkretisierende Adverbien wie das Temporal-adverb „sofort“ oder das FokusTemporal-adverb „nur“ zu verwenden, um die Handlungen des Patienten weiter zu spezifizieren und infolgedessen konkrete Handlungsanweisungen zu erteilen907.

Um möglichst konkrete und präzise Anweisungen zu erreichen, soll in Packungsbeilagen ferner auf mehrdeutige und unspezifische bzw. schwer quantifizierbare Angaben verzichtet werden1260129113391473. Der durch Fuchs geprägte Begriff „schwer quantifizierbare Formulierungen“ erfasst dabei solche An-gaben, die den Patienten nicht befähigen, für sich eindeutig die Bedeutung der vermittelten Infor-mationen abzuschätzen. Mehrdeutige und unspezifische bzw. schwer quantifizierbare Formulierungen werden schlechter von den Patienten verstanden und gemerkt1339 1474. Derartige Instruktionen können zudem leicht zu einer abweichenden Auslegung der Informationen führen1009147514761477. Die fehlerhafte Interpretation häufig verwendeter mehrdeutiger Anwendungshinweise, insbesondere durch Patienten mit geringer Lesefähigkeit, konnte in zahlreichen Untersuchungen bestätigt werden1478 1479 1480 1481. Beispielsweise wurde der Hinweis „3-mal täglich“ in einer Befragung von 67 Patienten durch Mazzullo et al. von einigen Patienten so gedeutet, dass die Tabletten im Abstand von 8 Stunden einzu-nehmen sind. Andere Befragte verstanden diese Aussage aber auch dahingehend, dass eine Tablette zu jeder Hauptmahlzeit einzunehmen ist, das heißt im Abstand von etwa vier bis sechs Stunden1482. In einer weiteren Untersuchung durch Wolf et al. wurden 395 Patienten nach der Tagesgesamtdosis an Tabletten befragt unter Zuhilfenahme des Anwendungshinweises „2-mal täglich 2 Tabletten“. Nur etwa ein Drittel der Befragten gab die richtige Antwort und nannte eine Tagesgesamtdosis von vier Tabletten1483. Wolf et al. empfehlen daher Anwendungshinweise, die den Abstand der Einzelgaben

genau spezifizieren1483. Auch Anwendungshinweise wie die Angabe des Abstands zu oder Hinweise zur Einnahme mit Mahlzeiten bzw. Getränken sowie der gewünschte Zeitpunkt und die Dauer der Anwendung sollten in Packungsbeilagen möglichst konkretisiert werden907 1191 1291. Außerdem sollte explizit die Menge des Arzneimittels, wie die Anzahl der Tabletten oder Kapseln, angegeben werden anstelle der Wirkstoffmenge, da dies dem Patienten komplizierte Rechenoperationen erspart und in-folgedessen möglichen Anwendungsfehlern vorbeugt1297 1484. In der Untersuchung von Fuchs und Hippus konnten nur neun Prozent der Teilnehmer anhand der Wirkstoffmenge eines paracetamol-haltigen Saftes die maximale Tagesdosis in Form des Flüssigkeitsvolumens bestimmen1406. Raynor ist jedoch der Auffassung, dass die Angaben in Packungsbeilagen wie Anwendungshinweise nicht zu spezifisch formuliert werden sollten, sofern dies nicht zwingend erforderlich ist. Als Beispiel nennt er die Anweisung „1 Stunde vor dem Essen“. Diese könnte den Patienten verunsichern und dazu führen, dass er das Arzneimittel nicht mehr einnimmt, wenn nicht mehr genau eine Stunde Zeit zur Mahlzeit bleibt. Raynor empfiehlt stattdessen den Hinweis „etwa 1 Stunde vorm Essen“1321.

Weitere schwer quantifizierbare Formulierungen sind15121712911485: – „hochdosierte Einnahme“

– „regelmäßige Untersuchungen“

– „ausreichend Wasser“.

Derartige Ausdrücke sind durch eindeutige Formulierungen zu ersetzen bzw. zu ergänzen, um die Begriffe quantitativ für den Patienten zu charakterisieren9071406. In diesem Zusammenhang sollten auch Häufigkeiten von Nebenwirkungen in Form von Adjektiven bzw. Adverbien, wie „selten“, „oft“ oder

„wahrscheinlich“, mittels nummerischer Angaben präzisiert werden1218 1486 1487 1488. Grund dieser Empfehlung ist, dass Häufigkeitsangaben ausschließlich mittels schwer quantifizierbarer verbaler Begriffe von Laien unterschiedlich nummerisch interpretiert werden (Tabelle 30)1489149014911492.

Tabelle 30: Schätzung von verbal formulierten Häufigkeitsangaben Verbale

Häufigkeits-angabe

Geschätzte Häufigkeit des Eintritts des Risikos in Prozent Mazur, D. J.;

Hickam, D. H.1493 (n= 133

Klinik-patienten)

Ohnishi , M. et al.1494 (n= 168 Klinikpati-enten; Studie Erkäl-tungsmedikation)

Biehl, M.; Halpern-Felsher, B. L.1495 (n= 34 Erwachsene)

Reyna, V. F.1496 (n= 41 Erwachsene)

certain 96 78 91 99

probably 60 64 74 80

unlikely 31 11 18 20

never 6 8 10 -

Die individuelle Beurteilung des jeweiligen Risikos wird bei ausschließlicher Verwendung verbaler Häufigkeitsangaben von der Art und Schwere des Risikos, möglichen individuellen Erfahrungen und der Schwere der Folgen bei Verwirklichung der Gefahr beeinflusst14771497 1498. Verschiedene Untersu-chungen konnten außerdem zeigen, dass die in der Europäischen Union für Packungsbeilagen empfohlenen Häufigkeitsadjektive zur Einteilung der Nebenwirkungen zu einer Überbewertung der Gefahr durch die Patienten führen, wenn sie nicht nummerisch erklärt werden1499150015011502. Beispiels-weise interpretierten die 268 Befragten in der Untersuchung von Berry et al. die Häufigkeitsangabe

„sehr häufig“ als eine 65-prozentige Gefahr, die Nebenwirkung zu erleiden, wohingegen in der

Europäischen Union für Packungsbeilagen die Definition „mehr als 10 Prozent“ verwendet wird. Einer

„seltenen“ Nebenwirkung wurde in derselben Untersuchung eine Häufigkeit von etwa sieben Prozent zugeordnet1503. In einer weiteren Studie mit 360 Personen durch Berry et al. wurde die prozentuale Häufigkeit eines „seltenen“ Risikos auf annähernd 22 Prozent geschätzt1504. Dies entspricht etwa dem 220-fachen der in der Europäischen Union für ein „seltenes“ Risiko festgelegten prozentualen Häufig-keit von 0,01-0,1 Prozent158. Außerdem konnten Berry et al. in verschiedenen Untersuchungen aufzei-gen, dass die Angabe der Häufigkeit von Nebenwirkungen rein über verbale Begriffe zu einer vermin-derten Zufriedenheit der Befragten mit den erteilten Informationen führt1505. Zudem wurde die Schwere der Nebenwirkung sowie das bestehende Gesundheitsrisiko von den Befragten signifikant höher be-wertet als bei einer rein nummerischen Angabe15031505. Auch konnte eine durch die Überbewertung der Begriffe bedingte verminderte Bereitschaft zur Arzneimitteleinnahme gezeigt werden15051506.

Unabhängig davon, dass eine nummerische Angabe oft zu einer korrekteren Einschätzung der Häufig-keit von Risiken führte, wurde sie gegenüber der alleinigen Angabe schwer quantifizierbarer Begriffe in einzelnen Untersuchungen bevorzugt1487 1507 1508 1509. Dennoch führte auch die Verwendung rein nummerischer Angaben bei einigen Personen zu einer fehlerhaften Interpretation, insbesondere wenn den Probanden reine Prozentwerte präsentiert wurden14991510. In der Untersuchung von Schwartz et al.

waren etwa 46 Prozent der befragten 287 Frauen nicht in der Lage, die Prozentangabe von 1 Prozent mit der Häufigkeit 10 Fälle von 1.000 anzugeben. Umgekehrt konnten etwa 80 Prozent der Befragten die Häufigkeitsangabe 1 Fall in 1.000 auch nicht in die korrekte Prozentangabe von 0,1 Prozent über-führen1511. Auch in der von Gigerenzer zitierten Untersuchung, in der 1.000 Personen nach der Inter-pretation von 40 Prozent gefragt wurden, nannten etwa 25 Prozent der Befragten nicht die korrekte Antwort von drei vorgegebenen Möglichkeiten. Die Befragten mit Fehlinterpretationen gaben statt 4 Fälle von 10 an: 40 Prozent bedeutet ein Viertel oder 40 Prozent ist jede vierzigste Person1510.

Empfohlen wird deshalb die Kombination der verbalen Häufigkeitsangaben mit einer entsprechenden nummerischen Beschreibung1487149814991512. Insbesondere eine geeignete Umschreibung in Form natür-licher Häufigkeiten wie „1 Patient von 100 Patienten“ anstelle der Prozentangaben ist empfehlenwert149915131514. Eine derartige Angabe der Häufigkeiten in Packungsbeilagen wird seit April 2007 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) basierend auf den von Fuchs in Lesbarkeitstests mit Musterpackungsbeilagen verwendeten Häufigkeitsangaben empfohlen1515 1516. Auf europäischer Ebene wird eine analoge Häufigkeitsklassifikation nahegelegt172. In der Untersu-chung von Fuchs et al. konnte der Anteil korrekter Antworten bei Aufforderung der Befragten, die Häufigkeit der Nebenwirkung Hautausschlag eines telmisartanhaltigen Arzneimittels in Zahlen auszu-drücken, auf 74 Prozent erhöht werden. Die von Fuchs entwickelte Musterpackungsbeilage war dahin-gehend optimiert worden, dass diese Häufigkeitsadjektive zusätzlich zu einer nummerischen Erklä-rung in einer übersichtlichen Tabelle enthielt. Bei der Originalpackungsbeilage, in der die Nebenwir-kungen ausschließlich mittels verbaler Häufigkeitsbegriffe angegeben waren, konnten nur etwa 11 Prozent der Befragten eine richtige Antwort geben1291.

Bei der Angabe verschiedener Häufigkeiten, wie bei der Häufigkeitseinteilung von Nebenwirkungen in Packungsbeilagen, muss allerdings berücksichtigt werden, dass Patienten durch unterschiedliche Nenner verunsichert werden könnten1499 1517. In der Untersuchung von Grimes und Snively identifi-zierten nur etwa 65 Prozent der 633 Befragten ein mit der Umschreibung „1 Patient von 112“ gekenn-zeichnetes Risiko als größere Gefahr, gegenüber dem mit der Häufigkeit „1 Patient von 384“

be-schriebenen Risiko1518. Wurden die Häufigkeiten mit gleichem Nenner präsentiert, sprich 8,9 bzw. 2,6 Patienten von 1.000, so konnten immerhin etwa 73 Prozent das größere Risiko korrekt benennen1518. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, wird daher bei Angabe verschiedener Häufigkeiten von einigen Autoren empfohlen, einen konstanten Nenner zu wählen, während der Zähler entsprechend verändert werden sollte1489 1499. Die aktuell auf europäischer Ebene sowie vom BfArM empfohlenen Häufigkeitsangaben berücksichtigen dies zurzeit nicht1721516.