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4  Rechtliche Anforderungen an Packungsbeilagen

4.2  Anforderungen in der Europäischen Union

4.2.1  Vorgaben aus dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union

4.2.1.2  Historische Entwicklung und gemeinschaftsrechtliche Anforderungen an Inhalt und

Anforderungen an den Inhalt und die Gestaltung von Packungsbeilagen werden auf europäischer Ebene durch die Richtlinie 2001/83/EG, geändert durch die Richtlinie 2004/27/EG, formuliert156 157. Die darin enthaltenen Vorschriften gelten für im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (MRP), im dezentralisierten Verfahren (DCP) oder für national zugelassene Arzneimittel sowie gemäß Artikel 9 Abs. 4 lit. d der Verordnung 726/2004 für zentral zugelassene Arzneimittel284. Die Richtlinie führt die in einer Packungsbeilage erforderlichen Pflichtangaben sowie mögliche weitere Angaben auf und legt deren Reihenfolge verbindlich fest.

Der Inhalt und der Umfang der erforderlichen Angaben wurden im Rahmen der Rechtsfortbildung der Europäischen Union bis zu dem aktuellen Anforderungskatalog stark erweitert. Erste Vorgaben zu den Pflichtangaben einer Packungsbeilage wurden – noch nicht rechtsverbindlich – mit der Richtlinie 75/319/EWG erlassen und durch die spätere Richtlinie 92/27/EWG in wesentlichen Punkten geän-dert285286. Die Packungsbeilage muss seither eindeutig, für den Patienten verständlich und gut lesbar gestaltet sein und mit den Angaben der SmPC (Fachinformation) übereinstimmen. Außerdem wurde die Liste der Pflichtangaben durch die Richtlinie 92/27/EWG stark erweitert. So muss seit dieser Richtlinie die qualitative Zusammensetzung an sonstigen Bestandteilen vollständig deklariert und der Hersteller zusätzlich zum pharmazeutischen Unternehmer angegeben werden. Zudem mussten fortan Warnhinweise beispielsweise für besondere Patientengruppen, zu Hilfsstoffen oder Hinweise zu Anwendungsfehlern aufgeführt werden. Neu war außerdem, dass aufgrund eines Beschlusses der Be-hörden auf Angaben in Packungsbeilagen verzichtet werden kann, sofern diese schwerwiegende Nach-teile für den Patienten nach sich ziehen könnten. Auch wurden zusätzliche Angaben in Packungsbeila-gen gestattet.

Eine erneute Anpassung der Anforderungen erfolgte erst im Jahr 2004 mit der Richtlinie 2004/27/EG.

Seitdem müssen die nationalen Vertretungen des pharmazeutischen Unternehmers in den Mitglied-staaten sowie ein Verzeichnis der in den einzelnen MitgliedMitglied-staaten genehmigten Produktnamen ange-geben werden. Außerdem sind bei der Beantragung der Zulassung seither Ergebnisse von Lesbarkeits-tests der Packungsbeilagen vorzulegen. Auch in Zukunft ist eine Erweiterung der durch das Gemein-schaftsrecht in Packungsbeilagen geforderten Angaben zu erwarten, wie durch die mit der Verordnung über Kinderarzneimittel geplanten Faltschachtel-Symbole, die in der Packungsbeilage näher erklärt werden sollen287288. Darüber hinaus soll die Packungsbeilage gegebenenfalls einen separaten Abschnitt mit verständlichen Informationen für die verschiedenen Altersgruppen der Kinder, für die das Arznei-mittel zugelassen ist, beispielsweise in Form von Fragen und Antworten enthalten289. Außerdem wird diskutiert, einen neuen Abschnitt mit den für eine sichere und wirksame Anwendung des Arzneimittels wichtigsten Angaben in Packungsbeilagen aufzunehmen290 291. Letztere Angaben sollen gemäß dem Entwurf der Europäischen Kommission in einem schwarz umrandeten Kasten präsentiert werden291. Neu aufgenommene oder geänderte Angaben sollen mit der Angabe „neue Informationen“ versehen sowie gesondert hervorgehoben werden291. Für Arzneimittel, deren Vermarktung mit einer intensiven Beobachtung der Arzneimittelsicherheit beauflagt wird, ist ein zusätzlicher Hinweis geplant292. Auch über die Erfahrungen mit der geänderten Angabe der Häufigkeit von Nebenwirkungen in Packungs-beilagen soll noch diskutiert werden172.

Basierend auf Artikel 65 der Richtlinie 2001/83/EG wurden Empfehlungen erlassen, die neben den Anforderungen der Richtlinie bei der Erstellung von Packungsbeilagen zu beachten, jedoch ent-sprechend den oben vermittelten Ausführungen nicht verbindlich sind (Abbildung 2)158159. Die Europä-ische Kommission hat diese Anweisungen abweichend von den Ausführungen im Artikel 12 der Richtlinie 92/27/EWG bzw. Artikel 65 der Richtlinie 2001/83/EG nicht als Richtlinie, sondern be-wusst in Form von Empfehlungen erlassen.

Die kürzlich neugefasste „guideline on the readability of the label and package leaflet“, auch kurz

„readability guideline“ genannt, gibt formale Hinweise zur Gestaltung einer Packungsbeilage wie Empfehlungen für das Format oder auch die Papierqualität und für die sprachlich-stilistische Gestal-tung. Darüber hinaus wird die Verwendung einer Mindestschriftgröße von neun PostScript-Punkten für Packungsbeilagen empfohlen158.

Die ebenfalls auf dem Artikel 65 der Richtlinie 2001/83/EG erlassene Guideline „excipients in the label and package leaflet of medicinal products for human use“, oder kurz „excipients guideline“, gibt die Bezeichnung bestimmter Hilfsstoffe sowie die jeweils in der Packungsbeilage erforderlichen Warnhinweise vor159. Zudem sind weitere, auf den Artikeln 57 und 62 der Richtlinie 2001/83/EG basierende Empfehlungen für Packungsbeilagen von Relevanz, die spezielle nationale Anforderungen der Mitgliedstaaten sowie von Island und Norwegen beinhalten160 161. Hierzu zählen Informationen zum Verschreibungsstatus (gefordert in Slowenien, Tschechien oder der Slowakei) oder Piktogramme (gefordert in Österreich).

Bei der Erstellung von Packungsbeilagen sind neben den Richtlinien und Empfehlungen in der Euro-päischen Union die Textvorlagen der im Jahr 1996 von der EuroEuro-päischen Arzneimittelbehörde (EMEA) gegründeten Arbeitsgruppe „Quality Review of Documents“ (QRD-Gruppe) zu beachten, an deren Erarbeitung seit dem Jahr 2003 auch Patientenorganisationenbeteiligt sind162293.

Diese sogenannten QRD-Vorlagen enthalten standardisierte Formulierungen und Textformate für be-stimmte Teile von Packungsbeilagen. Die Vorlagen sind nicht rechtsverbindlich und die pharmazeu-tischen Unternehmer sind lediglich gehalten, diese in ihren Packungsbeilagen umzusetzen. Basis für diese Vorlagen bildet zurzeit die geänderte Richtlinie 2001/83/EG156. Aktuell wird darüber diskutiert, die Vorlagen insbesondere hinsichtlich der Patientenfreundlichkeit zu überarbeiten, was vor allem auf den mit Lesbarkeitstests gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen basiert294 295. Außerdem sollen gemäß den im Oktober 2009 aktualisierten Vorlagen zukünftig verstärkt Dosierungs- bzw. Anwen-dungshinweise für Kinder und Jugendliche erteilt werden296.

Die QRD-Vorlagen verweisen auf zahlreiche Empfehlungen, die ebenfalls bei der Erstellung einer Packungsbeilage zu berücksichtigen sind (Abbildung 2). Dies sind zum einen die sogenannten

„scientific guidelines“ des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP), die Vorgaben für die Anga-be von Altersgruppen Anga-bei Kindern oder auch für die AngaAnga-be der Haltbarkeit nach erster Öffnung bzw.

Zubereitung enthalten168 169. Bei der Angabe der Art der Anwendung eines Arzneimittels in der Packungsbeilage wird in den Vorlagen auf die „standard terms“ verwiesen170.

Verordnung 726/2004

Richtlinie 2001/83/EG (geändert durch Richtlinie 2004/27/EG)

Vorlagen der Quality Review of Documents (QRD)-Gruppe (QRD human product information templates)

Zusätzliche Anforderungen z.B. ableitbar aus:

–QRD product information templates: Appendices II und III –List of standard terms for pharmaceutical dosage forms, routes of

administration and containers

–Addressing the paediatric or incapacitated patient: In the package leaflet –Minutes of the fourth meeting of the EMEA Human Scientific Committees'

Working Party with Patients' and Consumers' Organisations (PCWP) –Guideline on the readability of the label and package leaflet

–Excipients in the label and package leaflet of medicinal products for human use –Chapter 7: General information

–Guideline on the packaging information of medicinal products for human use authorised by the community

Verordnung 726/2004

Richtlinie 2001/83/EG (geändert durch Richtlinie 2004/27/EG)

Vorlagen der Quality Review of Documents (QRD)-Gruppe (QRD human product information templates)

Zusätzliche Anforderungen z.B. ableitbar aus:

–QRD product information templates: Appendices II und III –List of standard terms for pharmaceutical dosage forms, routes of

administration and containers

–Addressing the paediatric or incapacitated patient: In the package leaflet –Minutes of the fourth meeting of the EMEA Human Scientific Committees'

Working Party with Patients' and Consumers' Organisations (PCWP) –Guideline on the readability of the label and package leaflet

–Excipients in the label and package leaflet of medicinal products for human use –Chapter 7: General information

–Guideline on the packaging information of medicinal products for human use authorised by the community

Abbildung 2: Kaskade der Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts, die Anforderungen an Packungsbeilagen formulieren156 157 158 159 160 161 162 163 164 170 171 172

Die Angabe der Häufigkeit von Nebenwirkung in Packungsbeilagen soll gemäß den QRD-Vorlagen in Übereinstimmung mit der „MedDRA frequency convention“ erfolgen162163. Außerdem werden mögli-che Formulierungen für die Lagerbedingungen angeboten164. Die QRD-Gruppe bietet über die Vorla-gen hinaus Hilfestellung, inwieweit bestimmte Begriffe in PackungsbeilaVorla-gen verwendet werden sollen und wie nur begrenzt handlungsfähige Patienten adressiert werden könnten165166 167 171. Die aus den Anforderungen der Richtlinie 2001/83/EG sowie den Vorlagen der QRD-Gruppe resultierende Gliederung von Packungsbeilagen ist im Anhang dargestellt156162.

Entspricht die Packungsbeilage nicht den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2001/83/EG bzw. der Verordnung 726/2004, so kann dies zur Aussetzung oder Versagung einer Ge-nehmigung für das Inverkehrbringen führen156284. Zudem kann infolge irreführender oder falscher An-gaben in Packungsbeilagen eine positive Beurteilung – als Voraussetzung für die Erteilung der Zu-lassung – auf der Grundlage einer potentiell schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit durch einen Mitgliedsstaat, der in ein MRP oder DCP involviert ist, verweigert werden297.

Neben den oben genannten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben können weitere Anforderungen an Packungsbeilagen resultieren aus sogenannten Risikoverfahren („referrals“) basierend auf der Richt-linie 2001/83/EG oder aufgrund der Bewertung von Arzneimittelrisiken durch die Pharmakovigilanz-Arbeitsgruppe (PhVWP) des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der EMEA156. In den letz-ten Jahren wurden infolgedessen zahlreiche neue und zum Teil umfangreiche Warnhinweise für die Produktinformationen bestimmter Wirkstoffe bzw. Arzneimittelgruppen durch die Zulassungsbehör-den in der Europäischen Union gefordert (Tabelle 13).

Zudem sind bei der Gestaltung von Packungsbeilagen für bestimmte Produktgruppen wie Influenza-Vakzine besondere Textvorlagen der EMEA zu berücksichtigen (sogenannte „core package leaflet“), denen ebenfalls nur empfehlender Rechtscharakter zukommt298.

Tabelle 13: Wortwörtlich aufgrund von EU-Risikoverfahren oder der Neubewertung von Risiken durch die Pharmakovigilanz-Arbeitsgruppe geforderte Hinweise in Packungsbeilagen bestimmter Arzneimittelgruppen

Arzneimittelgruppe Arzneimittelrisiko Konsequenz (Packungsbeilage)

Anzahl Wörter* Neubewertung der PhVWP; Aufforderung zur Umsetzung durch EU-Zulassungsbehörden

Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten299

Gefahr bei Anwendung während der Schwangerschaft und Stillzeit

Ergänzung (bzw. Textänderung) der Gegenanzeigen, Warnhin-weise und HinWarnhin-weise zur Schwangerschaft und Stillzeit

217

Selektive Serotonin- Wiederaufnahmeinhibito-ren und Venlafaxin300

Suizidrisiko, Gefahr einer Akathisie sowie eventueller Ab-setzerscheinungen

Ergänzung der Warnhinweise, Nebenwirkungen und Angaben zur Dosierung

580

Glukokortikoide (inhalativ)301

Risiken bei bestimmungsgemä-ßem Gebrauch (adrenale Suppression, Osteoporose, Wachstumsbeeinträchtigung etc.)

Ergänzung (bzw. Textänderung) der Warnhinweise, Nebenwir-kungen und Angaben zur Dosierung

196

Orale Kontrazeptiva der 3. Generation302

Erhöhtes Thromboserisiko während der Einnahme

Ergänzung der Warnhinweise und Nebenwirkungen

360**

Verfahren nach Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG; Aufforderung zur Umsetzung durch EU-Zulassungsbehörden

SSRI und Serotonin- und Noradrenalin-Wiederauf-nahme-Inhibitoren303

Suizidrisiko bei Kindern und Jugendlichen während der Ein-nahme

Ergänzung der Warnhinweise 159

* Berechnet für die behördliche deutsche Übersetzung (Ausnahme: Textänderungen für AIIRA).

** Basierend auf den geforderten Hinweisen für einen Wirkstoffgehalt von 20 μg Ethinylestradiol.