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4  Rechtliche Anforderungen an Packungsbeilagen

4.2  Anforderungen in der Europäischen Union

4.2.2  Deutschland

4.2.2.5  Das Recht der Patienten auf Information in Deutschland

Die im Grundgesetz verankerte Patientenautonomie (Abbildung 9) wird hergeleitet aus Urteilen des Reichsgerichts und des späteren Bundesgerichtshofs239. Danach erfüllt der ärztliche Eingriff den Tat-bestand einer Körperverletzung nach Strafgesetzbuch (§ 223 StGB) und wird nur durch eine freie Einwilligung des Patienten nach dessen Aufklärung gerechtfertigt215 347 566. Da die im Grundgesetz (GG) verankerten Rechte dem Willen des Einzelnen Vorrang geben, ist eine verständliche, sachkun-dige, angemessene und rechtzeitige Aufklärung über Eingriffe erforderlich567568569.

Patientenautonomie

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Recht auf körperliche Unversehrtheit Recht auf Menschenwürde

Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG Artikel 2 Abs. 1 GG Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG Patientenautonomie

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Recht auf körperliche Unversehrtheit Recht auf Menschenwürde

Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG Artikel 2 Abs. 1 GG Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG

Abbildung 9: Grundlagen der Patientenautonomie im deutschen Grundgesetz

Die selbstbestimmte Einwilligung nach Aufklärung rechtfertigt einerseits die Körperverletzung durch den Eingriff, gleichzeitig verzichtet der Patient auf spätere Schadensersatzansprüche570. Als Eingriff zählt in diesem Zusammenhang auch die Arzneimittelanwendung571572573.

Bei der Aufklärung zu Arzneimitteln muss zwischen der Verordnung eines rezeptpflichtigen Arznei-mittels, die der Arzt oder manchmal eine Hebamme beziehungsweise ein Entbindungspfleger veran-lasst sowie dem Erwerb eines rezeptfreien Arzneimittels, der meist keine Konsultation des Arztes er-fordert, unterschieden werden. Den Patienten trifft übergreifend die Pflicht, sich mittels verständlicher Packungsbeilagen über die Risiken der Medikation zu unterrichten, auch bezeichnet als seine zumut-bare Selbstverantwortung425 574575. Unternimmt der Patient ein zusätzlich schädigendes Verhalten wie eine körperliche Belastung oder Alkoholgenuss, lässt er beschriebene Warnzeichen ungeachtet oder unterlässt er das von ihm erwartete und in der Gebrauchsinformation empfohlene schadensmindernde Verhalten, so kann ihm ein Mitverschulden zugerechnet werden385417 576. Dies kann zu einer Minderung der Schadensersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers führen. Den Verbraucher trifft demzu-folge stets die Pflicht, diejenige Sorgfalt zu beachten, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt577578. Sofern der Patient jedoch gegen Angaben der Packungsbeilage verstößt, entfällt eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers wegen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs.

Der Patient kann auf die erforderliche Aufklärung verzichten, entweder ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten, beispielsweise indem er die Packungsbeilage nicht liest570. Dabei willigt er ohne Kenntnis in die Therapie ein und eventuelle spätere Schadensersatzansprüche entfallen579.

a) Aufklärung des Patienten zu rezeptpflichtigen Arzneimitteln

An die Aufklärung für eine wirksame Einwilligung eines Patienten in einen ärztlichen Eingriff, wie die Verordnung rezeptpflichtiger Arzneimittel, werden hohe Anforderungen gestellt. Der Patient muss im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung über seinen Zustand und eventuelle Behandlungs-optionen sowie über Risiken und Gefahren des Eingriffs informiert werden570. Bei Arzneimitteln ist insbesondere auf die Gefährlichkeit des Präparats inklusive der möglichen Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie typische assoziierte Risiken hinzuweisen580 581. Auch über extrem seltene Risiken ist stets aufzuklären, wenn diese bei Verwirklichung die Lebensführung schwer beeinträchti-gen582. Diese Informationen sollen den Patienten in die Lage versetzen, das Für und Wider der Thera-pie abzuwägen und eine selbstbestimmte Entscheidung über die TheraThera-pie treffen zu können. Zudem muss er durch die therapeutische Aufklärung über das zur Sicherung des Therapieerfolges erforder-liche Verhalten und die Gefahrenvorsorge z.B. durch Hinweise auf Gegenmaßnahmen beim Auftreten

von Nebenwirkungen in Kenntnis gesetzt werden (siehe Tabelle 18)583. Bei Arzneimitteln obliegen die erforderliche Risikoaufklärung und die therapeutische Aufklärung sowohl dem Hersteller als auch dem Arzt, denn die Packungsbeilage enthält sowohl Informationen zu Risiken und Gefahren als auch Hin-weise zur bestimmungsgemäßen Anwendung und Sicherung des Behandlungserfolgs584.

Tabelle 18: Arten der ärztlichen Aufklärung gemäß deutschem Recht585586 Art der Aufklärung Inhalt

Selbstbestimmungs-aufklärung

Der Patient ist über Befunde und Diagnosen, Prognose, Therapie, Ziele der Behandlung, deren Tragweite, Notwendigkeit, Dringlichkeit, vorgesehene Untersuchungs- und Behandlungsphasen aufzuklären. Die Selbstbestimmungs-aufklärung beinhaltet:

Diagnose- und Befundsaufklärung:

Aufklärung über Befunde und Diagnosen

Verlaufsaufklärung: Aufklärung über Art und Umfang der medizinischen Maßnahme und den durch diese Maßnahme gewünschten Krankheitsverlauf

Risikoaufklärung: Aufklärung über Risiken der medizinischen Maßnahme Aufklärung zu

Alter-nativtherapien:

Aufklärung über alternative Behandlungsmöglichkeiten therapeutische Aufklärung

(= Sicherungsaufklärung)

Der Patient ist über das zur Sicherung des Therapieerfolges erforderliche Ver-halten nach dem ärztlichen Eingriff aufzuklären.

Da die Packungsbeilage eher generelle und für die Allgemeinheit bestimmte Informationen enthält, der Arzt sich jedoch an der konkreten Situation des einzelnen Patienten auszurichten und daher situativ und patientenbezogen aufzuklären hat, decken sich die Inhalte der Packungsbeilage nicht zwingend mit den ärztlich erforderlichen Hinweisen573587588589. Die Hinweise beider Informationsquellen ergän-zen sich jedoch, der Patient wird somit gemeinsam aufgeklärt450590. Die Packungsbeilage, die der Pati-ent mit dem Arzneimittel in der Apotheke erhält, vervollständigt zeitlich versetzt die Aufklärung des Patienten570. Der Patient willigt erst nach der Lektüre in die Arzneimitteltherapie ein, ohne dass eine ausdrückliche Willenserklärung erforderlich ist450. Die Diagnose-, Befunds- und Verlaufsaufklärung und die Aufklärung über Behandlungsalternativen erfolgen hingegen ausschließlich durch den Arzt.

Eine Aufklärung durch den Arzt ist bei Arzneimitteln mit möglichen schwerwiegenden Neben-wirkungen oder bei aggressiv wirkenden Medikamenten unverzichtbar571572. Für unkomplizierte und weitgehend risikoarme Arzneimittel reicht gemäß dem Urteil des Landgerichts Dortmund der Verweis auf die Packungsbeilage zur Aufklärung aus571. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um ein Hor-monpräparat, das bei der Klägerin zu einer Thrombose geführt hatte575. Das Gericht sah die Warnhin-weise der Packungsbeilage als ausreichend und eine ärztliche Aufklärung als nicht erforderlich an.

Grundsätzlich kann die Packungsbeilage die ärztliche Aufklärung jedoch nicht ersetzen586587591. Ver-weist der Arzt lediglich auf die Packungsbeilage, so fallen Verschreibung und Aufklärung zeitlich nicht mehr zusammen. Von einer selbstbestimmten Entscheidung des Patienten kann nicht mehr ge-sprochen werden. Der Arzt ist seiner vertraglichen Pflicht zur Aufklärung nicht nachgekommen und folglich auch nicht rechtlich entlastet587592593. Außerdem muss beachtet werden, dass eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung nur auf Basis der patientenspezifischen Anamnese, Konstitution und even-tueller Begleitmedikation und damit ausschließlich durch den Arzt möglich ist. Der alleinige Verweis auf die Packungsbeilage ist nur dann ausreichend, wenn die individuell erforderlichen Informationen

mit den allgemeinen Angaben in der Packungsbeilage deckungsgleich sind. Der Arzt hat dies zuvor abzugleichen sowie sicherzustellen, dass der Patient die Hinweise der Packungsbeilage verstehen kann und Fragen des Patienten wegen des einfachen Sachverhalts nicht zu erwarten sind587570594.

b) Aufklärung des Patienten zu rezeptfrei erhältlichen Arzneimitteln

Im Falle von rezeptfreien Arzneimitteln ist der Apotheker meist die einzige Informationsquelle neben der Packungsbeilage. Seine Verantwortung ist im Falle von rezeptpflichtigen Arzneimitteln zurückge-stellt und ihn trifft keine generelle Pflicht zur Information und Beratung450 595. Die Aufklärungs-funktion tritt jedoch bei der Selbstmedikation in den Vordergrund, da die Verantwortung des Apothe-kers und der Beratungsbedarf in diesem Fall steigt596. Die Beratung kann und muss in Anlehnung an das Apothekengesetz individuell und situativ stattfinden240. Diese Beratungsfunktion gehört zum Be-rufsbild des Apothekers und stellt eine vertragliche Nebenpflicht im Zusammenhang mit der Abgabe von Arzneimitteln dar597. Die Pflicht zur Information und Beratung ist zudem im § 20 der Apotheken-betriebsordnung (ApBetrO) festgeschrieben241598599600601. Inhalt und Umfang der Aufklärung richten sich nach dem Kenntnisstand des Apothekers. Hält der Apotheker eine Information bzw. Beratung aus Gründen der Arzneimittelsicherheit für erforderlich, so hat diese bei rezeptpflichtigen wie auch rezept-freien Arzneimitteln unaufgefordert zu erfolgen597. Die Pflicht wird beispielsweise aufgrund von be-stehenden Kontraindikationen, Unverträglichkeiten oder eines Interaktionspotentials ausgelöst.

Bei rezeptfrei erhältlichen Arzneimitteln besteht zusätzlich nach § 20 Abs. 1 Satz 3 ApBetrO die Pflicht, dem Kunden die zur sachgerechten Anwendung des Arzneimittels erforderlichen Informa-tionen zu übermitteln. Diese können auch dann erforderlich sein, wenn sie aus Gründen der Arznei-mittelsicherheit nicht zwingend geboten sind, und betreffen z.B. die Dosierung sowie Art und Dauer der Anwendung. Solche Hinweise schuldet der Apotheker jedoch nur, wenn der Patient möglicherwei-se oder wahrscheinlich nicht in der Lage ist, das Arzneimittel sachgerecht anzuwenden. Dies ist je-weils vom Apotheker individuell abzuwägen602. Sofern kein besonderer Informationsbedarf beim Kun-den vorliegt und davon auszugehen ist, dass der Kunde die Anweisungen der Packungsbeilage sachge-recht zur Kenntnis nehmen kann, ist ein pauschaler Verweis des Apothekers auf die Packungsbeilage erforderlich und auch ausreichend602. Hinweise, die über deren Inhalt hinausgehen, sind in der Regel nicht notwendig und nur erforderlich, wenn beispielsweise die Fragen des Kunden dies gebieten602. Sollten Informationen des Apothekers aus Gründen der Arzneimittelsicherheit oder Informationen zur sachgerechten Anwendung des rezeptfrei erhältlichen Arzneimittels im konkreten Fall erforderlich sein, so vervollständigt die Packungsbeilage die Aufklärung des Patienten. Der Patient willigt mit der Einnahme des Arzneimittels stets gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmer ohne explizite Willensäußerung in die Therapie ein450. Sofern im Einzelfall keine Aufklärung durch den Apotheker erforderlich ist, übernimmt die Packungsbeilage die vollständige Risikoaufklärung des Patienten582591. Fehlen wichtige Angaben für die Aufklärung des Patienten, so kann der pharmazeutische Unternehmer wie im Kapitel 4.2.2.3 beschrieben haftbar gemacht werden.

Es liegt ferner in der Verantwortung des Patienten bei laufender Arzneimitteltherapie den Arzt vor einer eventuellen Selbstmedikation zu konsultieren sowie ihn über die Selbstmedikation zu infor-mieren. Den Patienten trifft ein Mitverschulden, sofern aus der Selbstmedikation während der Arzneimitteltherapie Schäden beispielsweise aufgrund von Interaktionen resultieren. Daher wird in diesem Fall auch der Arzt an der Aufklärung zu rezeptfreien Arzneimitteln beteiligt450.