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Politische Kultur, Politische Unterstützung, Pfadabhängigkeit – ein begriff- begriff-liches Dreieck der Metaanalyse begriff-liches Dreieck der Metaanalyse

I Deutschland 2014 – Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsumfrage

3 Ausgangslage 1990 - Die Historisierung politischer und gesell- gesell-schaftlicher Einstellungen und das kulturelle Erbe der DDR im

3.1 Allgemeine Einordnung

3.1.2 Politische Kultur, Politische Unterstützung, Pfadabhängigkeit – ein begriff- begriff-liches Dreieck der Metaanalyse begriff-liches Dreieck der Metaanalyse

Im folgenden Abschnitt werden zunächst die oben bereits verwendeten Begriffe Kultur, politische Unterstützung und Pfadabhängigkeit näher erläutert. Wenn wir von „Kultur“

und „kulturellem Erbe“ sprechen, dann verstehen wir darunter den psychologischen Sachverhalt, der mit dem Analysekonzept der politischen Kultur umschrieben wird. Un-ter politischer Kultur ist, nach der klassischen Definition der US-amerikanischen Poli-tikwissenschaftler Gabriel Almond und Sidney Verba, die Gesamtheit der in einer Gesell-schaft existierenden Orientierungen gemeint, die auf das politische System als Ganzes, auf seine einzelnen Institutionen, Verfahrensweisen und Akteure, seine Angebote und Leistungen hin ausgerichtet sind. Zur subjektiven Einschätzung von Politik gehört auch,

wie der Einzelne seine Position wahrnimmt, die ihm als Person innerhalb der politi-schen Ordnung eingeräumt wird; im Englipoliti-schen wird dies umschrieben als „the role of the self in the system“ (Almond/ Verba 1963: 12ff.). Politische Kultur ist folglich ein komplexes psychologisches Gebilde, das sich aus individuellen Denkweisen, Bewertun-gen, Gefühlen und Stimmungen der Mitglieder einer Gesellschaft und ihrer Untergliede-rungen zusammensetzt. Politische Kultur meint aber mehr als die bloße Addition von gedanklichen, gefühlsmäßigen und wertenden Bekundungen vieler Einzelner. Hinzu kommen außerdem überindividuelle kulturelle Gebrauchsgüter, wie beispielsweise Weltbilder, Mentalitäten, Zeitgefühle und Lebensweisen („ways of life“), die so etwas wie stabile Anker im Fluss tagesflüchtiger Eindrücke und Meinungswechsel sind (Rohe 1993: 215).

Die politische Kultur eines Landes ist das Produkt nationalgeschichtlicher Entwicklung.

Das begründet ihre Historisierung zu Zwecken der Analyse, wie sie hier vorgenommen wird. Die politische Kultur ist zudem mit der Sozialkultur einer Gesellschaft eng verwo-ben. Die im engeren Sinne politischen Orientierungen sind eingebettet in soziale Umge-bungen, in welchen nichtpolitische Richtwerte wie Vertrauen und informelle Regeln so-zialen Verhaltens vermittelt werden (Almond/Verba 1963: 32, 35). Einflüsse, die aus privaten Lebenswelten bzw. dem sozialen Umfeld herrühren, können sich auf die politi-sche Kultur, konkret etwa auf das Ausmaß der Unterstützung der politipoliti-schen Ordnung, festigend auswirken, sie können einen solchen „Support“ aber auch aufweichen.

Die Kategorie der politischen Unterstützung erschließt das Ausmaß der subjektiven Be-urteilung der Politik durch die Bürgerinnen und Bürger. Wie diese Bewertung ausfällt, ist für die Stabilität eines politischen Systems grundlegend bedeutsam. Das analytische Konzept hierfür ist von David Easton, einem Vordenker der Systemtheorie, in den 1960er Jahren entwickelt worden (Easton 1967). Easton unterscheidet zwei Formen politischer Unterstützung, nämlich „diffuse support“ und „specific support“. „Als diffuse Unterstützung bezeichnet er eine generalisierte, situations- und leistungsunabhängige positive Einstellung zu politischen Objekten. Sie bildet ein Good-Will Reservoir, das den Bestand eines politischen Systems und das Befolgen politischer Entscheidungen in Kri-sensituationen sicherstellt. Die spezifische Unterstützung spiegelt die Bewertung der Tauschbeziehungen zwischen Regierenden und Regierten, also die Vorteile wider, wel-che die Bürger aus der Regierungsarbeit beziehen“ (Gabriel/Neller 2010: 100).

Kennzeichnend für diffuse Unterstützung ist generalisiertes, d.h. als Vorschuss gewähr-tes politisches Vertrauen. Zufriedenheit (oder Unzufriedenheit) mit konkreten Leistun-gen der Regierung oder anderer Institutionen, also mit der soLeistun-genannten „Performanz“

des Systems, ist hingegen Ausdruck spezifischer Unterstützung. Die Trennung beider Formen von Zustimmung dient analytischen Zwecken. In der realen Welt besteht zwi-schen beiden Unterstützungsarten ein enger Zusammenhang. Fällt zum Beispiel die Zu-friedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie dauerhaft gering aus, färbt dies à la longue auch auf die Hochschätzung der Idee der Demokratie negativ ab (ebd.).

Vor allem die diffuse Unterstützung eines politischen Regimes braucht in der Regel Zeit zu wachsen, und sie erweist sich dann auch als vergleichsweise änderungsträge. Dass

´sedierte` kulturelle Ausprägungen in aktuellen Einstellungen wieder auftauchen, bestä-tigt das Element der Kontinuität, das zu einer jeden politischen Kultur dazugehört. Das Beharrungsvermögen von Einstellungen und Werthaltungen verweist auf einen einfa-chen psychologiseinfa-chen Sachverhalt: Um ihr Leben zu bewältigen, sind Menseinfa-chen auf ver-traute Deutungsangebote, auf seelisch soliden Grund angewiesen. Bewährte Regeln und Überzeugungen, die im sicheren Hafen beständiger Gewohnheiten vor Anker liegen, werden daher gerade in Krisenzeiten nicht einfach ausgewechselt. Dies schließt nicht generell aus, dass das, „was immer schon so war“, auf den Prüfstand gestellt wird. Aus der kritischen Auseinandersetzung mit überkommenen Wahrheiten, die sich als harsche Täuschung oder große Illusion entpuppen, können Anstöße für Modernisierung und kulturellen Wandel erwachsen. Vor allem dann, wenn, wie im Falle der späten DDR, All-tagspraxen und Erwartungshaltungen, sozialmoralische Normen und einfache Lebens-regeln in einen zunehmenden Widerspruch zu herrschenden und von oben unbelehrbar verteidigten Sprachregelungen geraten, schlägt gefühlte Entfremdung in politische Re-sistenz um. Autoritätsverluste und Loyalitätseinbußen des Regimes und seiner Füh-rungsschicht sind dann die wahrscheinliche Folge. Dann ist, wie im Herbst 1989, der Weg nur noch kurz bis zu dem offenen Begehren, gegebene Verhältnisse grundstürzend zu ändern.

Es kennzeichnet Zeiten des politischen Umbruchs, dass ein bestehendes Regime drama-tisch an Unterstützung verliert. Massendemonstrationen, Verweigerung zivilen Gehor-sams und Absetzbewegungen der alten Eliten sind typische Vorboten eines bevorste-henden Systemwechsels. Doch es gibt kulturelle Kontinuitäten, die einen politischen Umsturz überstehen. Ihr Fortbestand gerät zwangsläufig in ein Spannungsverhältnis zur neuen Zeit. So begleitet einen jeden Systemwechsel ein spannungsvolles Nebeneinander von Forderungen der Erneuerung und Kräften der Beharrung. Almond und Verba be-schreiben diese Spannungslage mit Rückgriff auf die Kategorienlehre Max Webers als Ungleichzeitigkeit von „Struktur“ und „Kultur“ (Almond/Verba 1963: 21f.).

Die Inkongruenz von Struktur und Kultur verweist darauf, dass Gesellschaften mit ei-nem Systemwechsel nicht sogleich geschlossen und restlos überzeugt mitgehen. Das lehrt auch der inzwischen historische Vorgang der zerbröselnden Loyalität zum System der DDR im Endstadium ihrer Existenz und der gesellschaftlichen Entwicklung nach dem Systemumbruch: Der aktive Kern der Erneuerer, der zu den Ikonen des Regimes auf Gegenkurs ging, war anfangs vergleichsweise überschaubar. Er gewann jedoch an Durchsetzungskraft, sobald er von der großen Mehrheit derer, die dem wankenden alten System nichts mehr zutrauten und zwischen abwartender Indifferenz, gefühlsmäßiger Billigung oder euphorischer Begrüßung des Umbruchs schwankten, als moralisch legi-timierte Vorhut der Reform anerkannt worden war. Andere Teile der Gesellschaft, die materielle Vorteile, Statusprivilegien oder auch schlicht Ideale zu verlieren hatten,

rea-gierten hingegen defensiv mit öffentlich unerklärten Treuebekundungen (allegiance) für die noch bestehende und schließlich zerfallene alte Ordnung.

In solchen Situationen, wenn Orientierungsmarken allgemein wegbrechen, erweisen sich vertraute kulturelle Reflexe, auf die alle gesellschaftlichen Gruppen zurückgreifen können, als bemerkenswert änderungsfest. Dazu gehört etwa die Erwartung, dass „das System“ die Grundbedürfnisse des wirtschaftlichen und sozialen Daseins abdeckt. Wenn die neuen Verhältnisse diese Bedürfnisse nicht erfüllen, wächst nicht nur bei überzeug-ten Anhängern der alüberzeug-ten Zustände die Neigung, sogenannte „guüberzeug-ten Seiüberzeug-ten“ des verbli-chenen Systems erinnernd zu verklären. Eine aus Unzufriedenheit gespeiste Protesthal-tung, die sich zuvor gegen die alte Ordnung gekehrt hatte, erhält dann Nahrung aus dem

„Versagen“ und der „Ungerechtigkeit“ des neuen Systems. Ist die Hochstimmung, die den Systemwechsel anfangs begleitet, verflogen, kann sich aus enttäuschter Hoffnung neuer-lich eine systemkritische Grundstimmung aufbauen. Die Folge ist, dass nun erneuerte Strukturen und alte Erwartungen sich aneinander reiben. Dieses Reiz-Reaktions-Muster ist auch für das Ostdeutschland der Nach-Wende-Zeit nachweisbar (vgl. unten die Abbil-dung 28, AbbilAbbil-dung 34).

Zentral für unsere Analyse ist drittens der Begriff der Pfadabhängigkeit. Hier folgen wir dem Erklärungsansatz der Theorie des Historischen Institutionalismus, dem der Begriff entstammt. Demnach bezeugen die in einer politischen Kultur aufgehobenen histori-schen „Rückstände“, dass auch kulturelle Entwicklungen, betrachtet man sie über länge-re Zeiträume, pfadabhängig sind, d.h. entlang einer einmal eingeschlagenen Route ver-laufen. Historische Abläufe bewegen sich, derselben theoretischen Annahme zufolge, innerhalb des in der Regel weiten Rahmens, den ein bestehendes Institutionengefüge – letztlich die Verfassungsordnung – für handelnde Akteure bereitstellt. Der Gang der Dinge verläuft jedoch nicht geradlinig und störungsfrei. Vielmehr führt der Weg über

`Stolperschwellen´ (critical junctures), die mitunter ohne Vorwarnzeit auftauchen und dann ein reaktionsschnelles Umsteuern erfordern. An solchen „Verzweigungspunkten“, wo sich der Weg für alternative, d.h. entweder pfadgetreue oder pfadabweichende Kursbestimmungen gabelt, „haben Akteure Oberwasser und relativ weite Handlungs-spielräume“ (Best/Holtmann 2012: 19). Die Akteure können dann beispielsweise eine schwelende Systemkrise aktiv beschleunigen und bis zum Systemwechsel vorantreiben.

In diesem Fall handeln sie besonders „riskant“, da die Folgen des Handelns außerge-wöhnlich unsicher sind.

Erkennbar wird: Pfadabhängigkeit sorgt für Kontinuität einer politischen Kultur. Auch und gerade im Falle einer markanten Pfadabweichung, die ein Systemwechsel ja mit sich bringt, werden gewohnte Gangroutinen nicht sogleich wie lästiger Ballast abgeworfen.

Alte politische Loyalitäten und Überzeugungen machen für neue nicht schlagartig und in Gänze Platz. Kulturelle Deutungsmuster und soziale Regulative der alten Zeit behalten zumindest befristet dort weiterhin Geltung, wo sie in Zeiten tiefgreifender Verunsiche-rung, die ein ständiger Begleiter von Systemwechseln ist, für orientierenden Halt sorgen.

Wenigstens vorläufig widersteht die Macht der Gewohnheit dem Veränderungsdruck.

Mit der Zeit können sich die kulturellen Gegensätze abschleifen, können alte Vorstellun-gen und Vorlieben auf den neuen Weg einschwenken, also ihren Frieden machen mit den erneuerten Strukturen, ohne allerdings zwangsläufig völlig zu verschwinden. Ein Einschwenken auf den neu abgesteckten Pfad erscheint jedoch auch den Widerstreben-den deshalb geboten, weil alle Beteiligten und Betroffenen grundsätzlich derselben Pfadlogik unterliegen. Deren Verkehrsregel lautet: Nur wer künftig der Hauptstraße folgt, vermeidet Kosten und Risiken, die mit der andauernden Erkundung eines unge-wissen „dritten Weges“ einhergehen würden (vgl. Pierson 2004). Es ist daher vorteilhaft im Sinne eines rationalen Nutzenkalküls, in die Bahnen der neu justierten Route mit ein-zuschwenken.

Das Tempo und die Gangart, die auf dem Entwicklungspfad eingeschlagen werden, kön-nen durchaus wechseln. Pfadabhängigkeit ließ, überträgt man den bildhaften Sprachge-brauch des Pfadtheorems auf unseren Untersuchungsgegenstand, im Fall der deutschen Einigung für die sich neu einfädelnde Fahrgemeinschaft der Ostdeutschen im Fortgang der Entwicklung unterschiedliche Geschwindigkeiten, auch Bremsmanöver und selbst das Fahren von „Schlangenlinien“ zu. Es kann, wie die längere Zeit noch „gespalten“ ge-bliebene politische Kultur Deutschlands bestätigt, durchaus seine Zeit dauern, bis große Abstände unterwegs verringert oder aufgeholt werden. Solche unterschiedlichen „Fahr-praxen“ treten unvermeidlich auf, wenn aus einem Systemwechsel, wie oben erwähnt, ein ungleichzeitiges Verhältnis von „Struktur“ und „Kultur“ hervorgeht. Die Empirie der politischen Kultur in Deutschland zwischen 1990 und 2014 hält dafür, wie wir ausführ-lich darstellen werden, mannigfache Belege bereit (vgl. hierzu auch das im Rahmen des SFB 580 erstellte, ausführliche Dossier unter bpb.de/geschichte/lange-wege-der-deutschen-Einheit/dossier).

Altbewährtes Pfadwissen arrangiert sich dort mit neuen Wegbeschreibungen, wo deren Pfadtauglichkeit aus Sicht der Betroffenen den Praxistest besteht. Dies war im Fortgang der deutschen Einigung beispielsweise bei dem gemeinsamen historischen Erfahrungs-gut der „Staatskultur“ der Fall. Wir werden im Folgenden ausführen, dass dieses Kul-turmuster ein gesamtdeutsches Basiswissen verkörpert und für das Ausmaß der politi-schen Unterstützung, die das System der Bundesrepublik im Osten und im Westen Deutschlands erfährt, eine Schlüsselrolle spielt.

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