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Die Einstellungen der Bevölkerung zur Demokratie im vereinigten Deutschland Deutschland

I Deutschland 2014 – Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsumfrage

5 Deutschland 2014 – Ergebnisse der Umfragestudie

5.5 Die Einstellungen der Bevölkerung zur Demokratie im vereinigten Deutschland Deutschland

Die Demokratie unterscheidet sich von allen anderen Herrschaftsordnungen dadurch, dass sie ihre Legitimität aus dem Grundsatz der Volkssouveränität ableitet. Demnach verdient die in einem Land bestehende politische Ordnung nur dann das Attribut „de-mokratisch“, wenn sie sich auf das freiwillig erteilte Einverständnis möglichst vieler Mitglieder der politischen Gemeinschaft stützen kann.

In unterschiedlichen Akzentuierungen spielt diese Überlegung in Untersuchungen der politischen Kultur der Demokratie eine wichtige Rolle. Geprägt durch die Erfahrung des Zusammenbruchs vieler Demokratien in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, betrachteten Forscher wie Almond und Verba ([1963]), Easton (1965 [1979];

1975) und Lipset ([1959] 1981) eine von spezifischen Systemleistungen unabhängige, breite Unterstützung der Demokratie durch alle gesellschaftlichen Gruppen als notwen-dige Voraussetzung der Stabilität demokratischer Regime.

Mit der Konsolidierung der westlichen Demokratien in der Zeit nach dem Zweiten Welt-krieg verlor das Problem der Regimestabilität zunächst etwas von seiner ursprünglichen Dringlichkeit. Es gelangte jedoch nach dem Ende der autokratischen Regime in

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ropa und Lateinamerika, insbesondere aber nach dem Zusammenbruch der kommunis-tischen Regime in Ost- und Ost-Mitteleuropa erneut auf die Tagesordnung. Unter den schwierigen Bedingungen der Regimetransformation konnte ein erfolgreicher Übergang vom Kommunismus zur Demokratie keineswegs von vornherein als gesichert gelten (vgl. z. B. Eisen, Kaase und Berg 1996; Merkel 1996; Merkel 2010).

Im geeinten Deutschland wurden der Aufbau einer demokratischen Ordnung und die Entwicklung einer zu diesem System „passenden“ politischen Kultur durch eine zweite Herausforderung überlagert. Nach der Wiedervereinigung zweier nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffener, in vieler Hinsicht antagonistischer Staaten, stand ne-ben der Bewältigung der Regimetransformation die Bildung einer gesamtdeutschen po-litischen Gemeinschaft auf der Agenda. Gerade wenn, wie in Deutschland nach 1990, zwei Staaten und Gesellschaften über längere Zeit eine gegensätzliche politische und gesellschaftliche Entwicklung durchlaufen haben und unterschiedliche politische Struk-turen und KulStruk-turen aufweisen, ist es nicht selbstverständlich, dass sich innerhalb einer überschaubaren Zeit eine kulturelle Einheit etablieren kann. Dies gilt nicht zuletzt für diejenigen Elemente der Kultur, die in der Phase der Primärsozialisation erworben wer-den und sich in wer-den folgenwer-den Lebensabschnitten in der Regel nicht oder nur noch sehr langsam ändern (vgl. Eisen, Kaase und Berg 1996). Zu diesen langfristig stabilen Be-standteilen des individuellen und kollektiven Orientierungssystems gehören in konsoli-dierten Demokratien die Internalisierung demokratischer Werte und Normen und die generalisierte Unterstützung der Demokratie als der wünschenswerten Form des politi-schen Zusammenlebens der Menpoliti-schen (Gabriel 1999a; Rohrschneider 1999: 33ff).

Bereits kurz nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung der DDR-Grenze zum Westen gab es innerhalb der damaligen DDR eine intensive Diskussion über die nach dem Fall des SED-Regimes anzustrebende Form der Demokratie. Anders als der Natio-nalsozialismus und rechtsautoritäre Regierungsformen hatten sich die kommunisti-schen Herrschaftssysteme in Ost- und Mitteleuropa niemals als Gegenentwurf zur De-mokratie verstanden. Sie beanspruchten vielmehr, die im Vergleich mit den westlichen Modellen bessere Form der Demokratie zu repräsentieren. Diese Sicht auf die Demokra-tie fand nicht zuletzt im der Selbstbezeichnung des ostdeutschen Staates als „Deutsche Demokratische Republik“ ihren Niederschlag. Sozialismus und Demokratie wurden so-mit als vereinbar betrachtet. Als Antithese zum Sozialismus sah man nicht die Demokra-tie, sondern den Kapitalismus.

Vor diesem Hintergrund darf bezweifelt werden, dass der Wunsch nach der Ablösung des DDR-Regimes für die Bürger der DDR gleichbedeutend war mit präzisen Vorstellun-gen darüber, was der Übergang zu einer liberal-pluralistischen Demokratie westlicher oder westdeutscher Prägung konkret bedeuten würde. Die Stellvertreterumfragen sind in dieser Hinsicht insofern zu wenig präzise, als sie mit ihrem Frageraster die zu DDR-Zeiten privat gehegten Vorlieben der Ostdeutschen für das Systemmodell der Bundesre-publik nur allgemein erfassen (vgl. Kapitel 3). Die Verwirklichung einer wahren,

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tischen Demokratie – als Dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus – war je-denfalls eine der in der Umbruchsphase 1989/90 öffentlich debattierten Optionen und fand insbesondere bei DDR-Intellektuellen eine breite Zustimmung (vgl. dazu auch Ta-belle 29).

Für die Annahme, dass der Regimewechsel in der DDR keineswegs zwangsläufig in die Übernahme einer westlichen Variante der Demokratie einmünden musste, sprachen auch die in der Phase zwischen der Entmachtung des alten Regimes und der Wiederver-einigung durchgeführten demokratischen Experimente. Um die Probleme der prakti-schen Politik zu lösen, installierten Vertreter der Bürgerbewegungen im Winter 1989 Runde Tische. Sie können als Varianten dialogorientierter Beteiligungsformen angese-hen werden und galten vielen politiscangese-hen Aktivisten der ersten Stunde als Institutionen eines Mittelweges zwischen autoritärem und totalitärem Sozialismus (vgl. ausführlich:

Thaysen 1990). Jedoch dürfte es in der Auflösungsphase der DDR auch eine nennens-werte Zahl von Befürwortern des westlichen bzw. des bundesdeutschen Demokra-tiemodells gegeben haben. Schon vor dem Zusammenbruch des SED-Regimes hatte ein großer Teil der Bürger der DDR über die Nutzung des Westfernsehens und durch per-sönliche Kontakte mit Westdeutschen mittelbar am politischen Leben der Bundesrepub-likteilgehabt. Nicht zuletzt auf Grund der in der Zeit der nationalen Teilung fortbeste-henden Kommunikationsbeziehungen zwischen West- und Ostdeutschland ist zu vermu-ten, dass die mit dem Westen assoziierten Vorstellungen von Wohlstand und Reisefrei-heit nicht folgenlos für die Regimepräferenzen der Bevölkerung geblieben waren (vgl.

Scheuch und Scheuch 1991).

Vor diesem Hintergrund ist den in der Literatur verbreiteten Annahmen über eine vor-geblich schnelle und vollständige Übernahme des bundesdeutschen Demokratiemodells seitens der DDR-Bürger mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Wahrscheinlicher als Mutmaßungen über die institutionelle und kulturelle Kolonisierung der DDR durch die Bundesrepublik ist die Vermutung, dass in der Transitionsphase Ostdeutschlands und noch einige Zeit danach unterschiedliche, wenn nicht gegensätzliche, Ordnungsvorstel-lungen und Regimepräferenzen nebeneinander existierten, und zwar unbeschadet der Tatsache, dass eine breite Mehrheit der DDR-Bürger sich seit langem grundsätzlich für die Übernahme des Systems der Bundesrepublik aussprach. Ersteres belegen die Ergeb-nisse der nunmehr freien Meinungsforschung, die ab 1990 auch auf dem Gebiet der DDR Einzug hielt. Letzteres bezeugen die DDR-Stellvertreterumfragen. Die Wertorientierun-gen der ostdeutschen Bevölkerung befanden sich in den Jahren nach 1989 ebenso im Umbruch wie das politische System, das Wirtschaftssystem und das gesellschaftliche Gefüge (Merkel 1996; Eisen, Kaase und Berg 1996). Die Formierung des Verhältnisses der DDR-Bürger zur Politik war unterschiedlichen, sogar widersprüchlichen Einflüssen lang- und kurzfristiger Natur ausgesetzt, und es war anfangs kaum möglich abzuschät-zen, in welche Richtung diese Einflüsse wirken würden.

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So vermittelten die ersten Untersuchungen der Einstellungen der DDR-Bürger bzw. der Menschen in den neuen Ländern lange Zeit das Bild widersprüchlicher und instabiler Einstellungen zur Demokratie. Auf der anderen Seite belegte die empirische Forschung eine erstaunlich breite Akzeptanz der für eine liberale Demokratie typischen Werte, Normen und Verfahren. Allerdings koexistierten diese Orientierungen mit negativen Einstellungen zu spezifischen Aspekten der Demokratie und mit einer Unterstützung autoritärer Ordnungsvorstellungen. Viele Einstellungen zur Demokratie – auch zu grundlegenden demokratischen Prinzipien – veränderten sich innerhalb einer sehr kur-zen Zeitspanne. Zudem sah die ostdeutsche Bevölkerung große Mängel im westdeut-schen Demokratiemodell, etwa im Hinblick auf die sozialstaatliche Komponente und die geringe Bedeutung direktdemokratischer Beteiligungsrechte der Bevölkerung (vgl. Bau-er 1991a; BauBau-er 1991b; Dalton 1994; Fuchs 1997; Gabriel 1999a; Gabriel 2000; Gabriel 2005: 488ff; Klein 1998; Niedermayer 2005: 95ff; Rohrschneider 1999).

Wenn man zu Vergleichszwecken den Blick auf die Geschichte der alten Bundesrepublik richtet, findet man Belege dafür, dass sich die Herausbildung demokratischer Wertorien-tierungen und Einstellungen als ein langwieriger Prozess erweist. Erst in den frühen 1970er Jahren konstatierte die empirische Forschung die Überwindung antidemokrati-scher Traditionen (Baker, Dalton und Hildebrandt 1981; Conradt 1974; Conradt 1989;

Conradt 1991). Demnach hat es nahezu ein Vierteljahrhundert gedauert, bis die West-deutschen die liberal-pluralistische Demokratie in ihrem Lande nicht nur akzeptierten, sondern sie aktiv unterstützten.

Im Jahr 2014 liegt der Fall der Mauer 25 Jahre zurück. Somit besteht die Demokratie in den neuen Bundesländern ebenso lange wie die Herausbildung demokratischer Einstel-lungen in der alten Bundesrepublik gedauert hat. Auch wenn die Diskussion darüber entbehrlich ist, ob sich Geschichte wiederholt, bleibt die Frage bedeutsam, ob in den neuen Bundesländern 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes eine ähn-lich breite Akzeptanz der Demokratie zu verzeichnen ist wie in der alten Bundesrepub-lik der 1970er Jahre. Nicht weniger interessant ist es, den Prozess des Entstehens von Regimeakzeptanz in seinem zeitlichen Ablauf zu verfolgen und den Zeitraum zu be-stimmen, innerhalb dessen eine Mehrheit der Ostdeutscheneine positive Einstellung zur Demokratie im Allgemeinen und zu der in Deutschland bestehenden Form der Demokra-tie im Besonderen entwickelte.

Im Jahr 2014 war die Demokratie das bei Ost- wie Westdeutschen breit akzeptierte Mo-dell politischer Ordnung. Der Auffassung, die Demokratie sei die beste Staatsform, stimmten 90 Prozent der Westdeutschen und 82 Prozent der Ostdeutschen zu. Sechs Prozent der Befragten in den alten Ländern und neun Prozent in den neuen Ländern vertraten die Auffassung, es gebe eine bessere Staatsform als die Demokratie.2 Nicht ganz so breit, aber gleichwohl sehr breit, fällt in beiden Landesteilen die Unterstützung

2 Diese und die folgenden Daten basieren auf einer Repräsentativen Bevölkerungsumfrage, die im Rahmen der Studie

„Deutschland 2014“ von Infratest Dimap vom 15. September bis zum 10. Oktober erhoben worden ist.

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der in Deutschland bestehenden Form der Demokratie aus. 80 Prozent der Westdeut-schen und 72 Prozent der OstdeutWestdeut-schen stimmen der Aussage zu, die in der Bundesre-publik existierende Form der Demokratie sei die beste Staatsform; nur 13 bzw. 17 Pro-zent hielten eine andere Form der Demokratie für besser (Abbildung 58).

Unterstützung der Demokratie im Allgemeinen und der in Deutschland Abbildung 58

existierenden, West- und Ostdeutschland, 2014 (Nennungen in Prozent)

Frage 9: “Glauben Sie, dass die Demokratie die beste Staatsform ist, oder gibt es Ihrer Meinung nach eine andere Staatsform, die besser ist?“ Fehlende Werte zu 100 %: weiß nicht/keine Angabe/rundungsbedingt.

Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland (Cramérs V): Demokratie im Allgemeinen,13***; Demo-kratie in Deutschland:,10***. Signifikanzen (Chi Quadrat) *** p = ,000.

Frage 10: „Glauben Sie, dass die Demokratie, wie wir sie in der Bundesrepublik haben, die beste Staats-form ist, oder gibt es Ihrer Meinung nach eine andere StaatsStaats-form, die besser ist?“ Fehlende Werte zu 100 %: weiß nicht/keine Angabe/rundungsbedingt

Dabei lässt die Antwortvorgabe offen, welche konkrete Spielart der Demokratie die Kri-tiker der deutschen Variante der Demokratie favorisieren. Zwar bestehen statistisch signifikante West-Ost-Unterschiede in der Einstellung zur Demokratie und zur Demo-kratie, so wie sie in der Bundesrepublik existiert. Die Unterstützung fällt in beiden Fällen in den ostdeutschen Bundesländern um knapp zehn Prozentpunkte geringer aus als im Westen. Jedoch bewegen sich diese Unterschiede auf einem sehr hohen Akzeptanzni-veau und betreffen nur das Ausmaß, nicht aber die Qualität der Unterstützung. Gemes-sen an den hier benutzten Indikatoren, erweist sich die Demokratie im vereinigten Deutschland als ein breit akzeptiertes, wenn auch nicht von einem uneingeschränkten Konsens getragenes Modell politischer Ordnung. Insbesondere im östlichen Landesteil gibt es eine zahlenmäßig gar nicht so schwache Minderheit, die sich der Unterstützung

9 12

Im Allgemeinen In Deutschland Im Allgemeinen In Deutschland

Die Demokratie ist die

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der Demokratie und insbesondere ihrer bundesdeutschen Variante nicht sicher sind oder sich erklärtermaßen für eine Alternative ausspricht. Diese kritischen Vorbehalte sind aber in beiden Landesteilen weit davon entfernt, von der Mehrheit unterstützt zu werden.

Wie Abbildung 59 zeigt, war diese Konstellation seit der Wiedervereinigung nicht immer gegeben. Insbesondere die mehrheitliche Unterstützung der deutschen Demokratie durch West- und Ostdeutsche stellt eine neue Entwicklung dar. Zuvor bestanden in die-ser Hinsicht qualitative Unterschiede zwischen beiden Landesteilen, und auch die Un-terstützung der Demokratie als Ordnungsmodell wies ein deutliches West-Ost-Gefälle aus. Zwar befand sich die Zustimmung zur Demokratie in Westdeutschland seit 1991 stets auf einem sehr hohen Niveau und sank während des gesamten Untersuchungszeit-raums niemals unter den Wert von 80 Prozent. Anders verhält es sich jedoch in den neuen Bundesländern. Auch wenn ebenso in Ostdeutschland die Mehrheit stets der De-mokratie als wünschenswertem Modell politischer Ordnung zustimmte, lag dieser Wert in den Jahren 2005 und 2007 nur bei 64 bzw. 56 Prozent.

Im Zeitverlauf erwies sich diese Einstellung zudem als höchst instabil. Den in der Litera-tur weit verbreiteten Annahmen über die Eigenschaft der generalisierten Systemunter-stützung als Legitimationsgrundlage einer Demokratie (Easton 1975; Fraenkel [1932]1973; Lipset 1969) zufolge, sollte die Zustimmung zur Demokratie in einem Lan-de nicht nur hoch ausfallen. Sie sollte sich darüber hinaus durch Stabilität auszeichnen und nicht Gegenstand von Kontroversen zwischen wichtigen gesellschaftlichen Gruppen sein. Diese Bedingungen waren in Ostdeutschland zwischen 1991 und 2007 kaum gege-ben. Daher fehlte es auch an einer Form der Demokratieunterstützung, die den westli-chen und östliwestli-chen Landesteil vereinte.

Als noch problematischer erwiesen sich im gleichen Zeitraum die Einstellungen zu der in der Bundesrepublik bestehenden Demokratie. Im Westen des Landes wurde die in Deutschland institutionalisierte Form der Demokratie stets von einer breiten Mehrheit der Bürger unterstützt, wenn auch in geringerem Maße als die Demokratie im Allgemei-nen und mit einer deutlich größeren Schwankungsbreite (Minimum: 71%, 2007; Maxi-mum 89%, 2010). Dagegen fand die bundesrepublikanische Spielart der Demokratie die Zustimmung der Mehrheit der Ostdeutschen erstmals in einer 2010 durchgeführten Um-frage. Noch in den Jahren 2005 und 2007 sprachen sich jeweils mehr Bürger der neuen Bundesländer gegen als für die bundesdeutsche Demokratie aus. Im Hinblick darauf stellte sich Deutschland bis zum Umschwung dieses Einstellungsmusters, der zwischen 2007 und 2010 erfolgte, als ein kulturell gespaltenes Land dar, in dem nur die Bürger des westlichen Landesteiles die bestehende politische Ordnung mehrheitlich unterstütz-ten, die Bürger im östlichen Teil hingegen unentschieden waren oder einer nicht spezifi-zierten Alternative den Vorzug gaben. Ebenso zeigen einige empirische Studien das wi-dersprüchliche Verhältnis vieler Ostdeutscher zur Demokratie (vgl. Dalton 1994; Rohr-schneider 1999; Gabriel 1999a; Gabriel 2007).

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Unterstützung der Demokratie im allgemeinen und der in Deutschland Abbildung 59

existierenden Form der Demokratie in West- und Ostdeutschland 1991 – 2014 (Nennungen in Prozent)

Quellen: Gabriel und Neller (2010), S. 116 (1991 bis 2007); Citizens and Representatives in France and Germany (2010); BMI-Studie (2014). Frage 9 und 10

Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland (Cramér’s V): Demokratie: 2005: ,24***; 2007: ,32***;

2010: , 18***; 2014: ,13***; : Demokratie in Deutschland: 2005: ,27***; 2007: ,43***; 2010: ,28***; 2014:

,17***. Signifikanzen (Chi Quadrat): *** p= ,000.

Die kritische Einstellung einer mehr oder weniger großen Minderheit der Bürger zur Demokratie, insbesondere zur Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, kann mehrere Ursachen haben. Hinweise hierfür finden sich in der Debatte über den Reform-bedarf der repräsentativen Demokratie, die in den letzten Jahren in der internationalen Politikwissenschaft verstärkt geführt wird. Nach Norris (Norris 1999; Norris 2011) brei-tet sich in vielen modernen Demokratien ein Staatsbürgertyp aus, den sie mit dem Be-griff „kritische Demokraten“ belegt. Die betreffende Gruppe zeichne sich durch eine starke Unterstützung der Demokratie als Ordnungsmodell aus, bekunde aber zugleich eine mehr oder weniger große Unzufriedenheit mit dem aktuellen Zustand der Demo-kratie (so auch Gabriel 1999a; Klingemann 1999: 32). Norris sieht in den „kritischen Demokraten“ die Trägergruppe einer Reformbewegung, zu deren Forderungen unter anderem der Ausbau der direkten Mitsprachemöglichkeiten der Bürger bei politischen Entscheidungen gehöre. Cain, Dalton und Scarrow (2008) schätzen diese Reformbestre-bung als Teil einer „Zweiten Transformation der Demokratie“ ein, in deren Verlauf die bestehenden Formen der repräsentativen Demokratie zunehmend um direktdemokrati-sche und deliberative, also ´beratschlagende` Verfahren ergänzt würden.

Die These, dass die direkte Demokratie in Deutschland eine breite und wachsende Un-terstützung in der Öffentlichkeit erfahre, deckt sich mit den verfügbaren Daten (vgl.

Ab-86 92

1991 2000 2005 2007 2010 2014

Demokratie West Demokratie Ost

Demokratie in Dtl. West Demokratie in Dtl. Ost

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bildung 60). Bereits kurz nach der Vereinigung fand die direkte Demokratie mehr öffent-liche Zustimmung als die repräsentative Demokratie, und diese Präferenz war in den neuen Bundesländern sehr viel stärker ausgeprägt als in den alten (67 zu 18 % im Os-tengegenüber 47 zu 39 % im Westen). Allerdings entwickelten sich die Einstellungen in der Folgezeit im westlichen und im östlichen Landesteil unterschiedlich. In den alten Bundesländern nahm die Vorliebe für eine direkte Demokratie seit 1991 deutlich zu, nämlich von 47 auf 60 Prozent. In Ostdeutschland blieb die Zustimmung im untersuch-ten Zeitraum mehr oder weniger auf dem 1991 gemessenen Niveau (67 bzw. 66 %).

Präferenz für eine direkte gegenüber einer repräsentativen Demokratie in West- Abbildung 60

und Ostdeutschland, 1991-2014 (Nennungen in Prozent)

Quellen: Wilhelm. P. Bürklin et al., “Zwei Gesichter der Demokratie: Repräsentative versus ‚direkte‘ Demo-kratie“, in: Hans Dieter Klingemann und Max Kaase (Hrsg.), Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 1998 (Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001) 529-551, 534 (1991 und 1998); Citizens and Representatives in France and Germany (2010); BMI-Projekt (2014).

Frage 12: „Nun lese ich Ihnen zwei verschiedene Auffassungen über die Demokratie vor. Bitte sagen Sie mir, welcher dieser Aussagen Sie eher zustimmen: Ich bin (eher) für eine repräsentative Demokratie, also dafür, dass das Volk das Parlament wählt und dann das Parlament die politischen Entscheidungen trifft und dafür auch die Verantwortung übernimmt (1). Ich bin (eher) für eine direkte Demokratie, also dafür dass möglichst viele Entscheidungen von den Bürgern direkt und für alle verbindlich in Volksabstimmun-gen getroffen werden (0).“

Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland (Cramér’s V): 2010: ,05 n. s.; 2014: ,07*; Signifikanzen (Chi Quadrat): n. s. nicht statistisch signifikant; * p< ,05. Fehlende Werte zu 100 %: weiß nicht/keine An-gabe/rundungsbedingt

Bei der Interpretation dieser unterschiedlichen Trends muss allerdings das im Vergleich mit dem Westen wesentlich höhere Ausgangsniveau in der Unterstützung der direkten Demokratie im Blick behalten werden. Diese divergierenden Startbedingungen schlagen

15 9

1991 1998 2010 2014 1991 1998 2010 2014

Repräsentative

Demokratie Ostdeutschland Direkte vs. repräsentative Demokratie Westdeutschland

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sich auch in der Entwicklung des Votums für eine repräsentative Demokratie nieder, das seit 1991 in den neuen Ländern von 18 auf 33 Prozent deutlich wuchs, während es sich im Westen im Jahr 2014 in etwa auf dem Niveau des Jahres 1991 befand. Die in beiden Landesteilen feststellbare Veränderung der Regimepräferenz ist weniger auf einen Ein-stellungswandel unter den ursprünglichen Befürwortern der repräsentativen (West) bzw. der direkten Demokratie (Ost) zurückzuführen als vielmehr auf einen Rückgang des Anteils der Meinungslosen.

Bevor wir uns der Frage zuwenden, welche Bedeutung die Unzufriedenheit mit dem po-litischen Status Quo und der Wunsch nach direkter Demokratie für die Unterstützung der Demokratie im allgemeinen und die Zustimmung zu der in der Bundesrepublik insti-tutionalisierten Form der Demokratie im besonderen haben, ist es sinnvoll, die Demo-kratiezufriedenheit der West- und Ostdeutschen als einen weiteren Aspekt der Einstel-lung zur Demokratie zu beleuchten.

In der empirischen Einstellungsforschung gehört die Frage nach der Demokratiezufrie-denheit zu den am häufigsten genutzten Indikatoren. Allerdings besteht keineswegs Klarheit darüber, welchen Aspekt der Einstellungen zur Demokratie die Demokratiezu-friedenheit misst (Kaase 1985). Arbeiten zur Validierung dieses Items kamen jedenfalls zu unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. Canache, Mondak und Seligson 2001; Linde und Edlund 2003). Wenn man allerdings vom Wortlaut der Frage sowie von den vorliegen-den Daten über die Korrelation der Demokratiezufrievorliegen-denheit mit anderen politischen Einstellungen ausgeht, so haben wir es bei der Demokratiezufriedenheit weder mit ei-nem Maß der generalisierten Unterstützung der Demokratie als Ordnungsmodell noch der Bewertung der Regierungsleistungen zu tun. Demokratiezufriedenheit zielt ab auf die Bewertung der von einem bestimmten demokratisch verfassten Staat erbrachten Leistungen. Gemäß der von Easton (1975) entwickelten Konzeption politischer Unter-stützung handelt es sich bei der Demokratiezufriedenheit also um eine Form spezifi-scher, leistungsabhängiger Unterstützung des politischen Regimes.

Über die Entwicklung der Demokratiezufriedenheit im vereinigten Deutschland liegen etliche empirische Studien vor. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung lag die Demokra-tiezufriedenheit in den neuen Bundesländern erheblich niedriger als in den alten Län-dern. Während eine Mehrheit der Westdeutschen von gut 85 Prozent mit dem Funktio-nieren der Demokratie ziemlich oder sehr zufrieden war, zeigten sich in Ostdeutschland

Über die Entwicklung der Demokratiezufriedenheit im vereinigten Deutschland liegen etliche empirische Studien vor. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung lag die Demokra-tiezufriedenheit in den neuen Bundesländern erheblich niedriger als in den alten Län-dern. Während eine Mehrheit der Westdeutschen von gut 85 Prozent mit dem Funktio-nieren der Demokratie ziemlich oder sehr zufrieden war, zeigten sich in Ostdeutschland

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