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Die Unterstützung des politischen Systems der DDR

I Deutschland 2014 – Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsumfrage

3 Ausgangslage 1990 - Die Historisierung politischer und gesell- gesell-schaftlicher Einstellungen und das kulturelle Erbe der DDR im

3.1 Allgemeine Einordnung

3.2.3 Die Unterstützung des politischen Systems der DDR

Mit den politischen Verhältnissen in ihrem Land waren die Bürger der DDR, gemessen anhand der Berichte von DDR-Besuchern aus Westdeutschland, während der letzten eineinhalb Jahrzehnte des Bestehens dieses Staates mehrheitlich unzufrieden (Abbildung 2). Zwar unterlag die Stimmungskurve temporären Schwankungen. Zwi-schen 1975 und 1980 verdreifachte sich fast die Zahl derer, die eine Verschlechterung der politischen Lage feststellten, von 14 auf 40 Prozent. Danach ging diese Quote konti-nuierlich bis auf 17 Prozent im Jahr 1987 zurück. Zugleich stieg die Zahl derer, die keine Veränderung beobachteten, auf rund zwei Drittel – ein Zeichen sich ausbreitender Re-signation. 1988 zeichnete sich dann erstmals wieder eine auffällige Verschlechterung des politischen Klimas ab, die sich 1989 nochmals sprunghaft verstärkte. Dies ist ein untrügliches Indiz für die besondere Bedeutung dieser beiden späten und vorletzten Jahre der DDR: Die Jahre 1988 und 1989 haben den zeitgeschichtlichen Status von „Um-schaltjahren“, in deren Verlauf sich der spätere Systemwechsel bereits ankündigte. Auch weitere erhobene Indikatoren erhärten die Einschätzung, dass in diese Zeitspanne die Inkubationsphase des Umbruchs fällt.

70,00 67,00

61,00 66,00 68,00

63,00 68,00 69,00 66,00

30,00 33,00 39,00

34,00 32,00 36,00

31,00 31,00 34,00

0 25 50 75 100

1969 1970 1971 1972 1973 1974 1977 1986 1988

Man muß sehr vorsichtig sein. Man darf ruhig mal seine Meinung äußern.

Zufriedenheit der DDR-Bürger mit den politischen Verhältnissen in der DDR aus Abbildung 2

der Sicht der DDR-Besucher, Angaben in Prozent, 1975 bis 1989

Erläuterungen: Als Basis dienten alle DDR-Besucher des jeweiligen Jahres, die nicht zum ersten Mal in der DDR waren; Angabe für 1989 = Mittelwert aus 1. und 2. Quartal.

Quelle: Infratest Kommunikationsforschung 01/1994: 64, eigene grafische Darstellung.

Wenn sich die politische Stimmungslage, in der sich die Einschätzung des aktuellen Ta-gesgeschehens spiegelt, wandelt, hat dies nicht automatisch Änderungen bei politischen Grundüberzeugungen zur Folge. Das belegen seit langem auch Erkenntnisse der Einstel-lungs- und Wählerforschung. Wie die gemessene Einstellung zum politischen System der DDR im Trendverlauf zeigt, erhöhte sich zwar die Anzahl der Systemgegner von Anfang der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre auf etwa 30 Prozent. Insgesamt hielten sich die Anteile der Befürworter des Systems und erklärter Gegner aber etwa die Waage (Abbildung 3). „Die Mehrheit der DDR-Bürger zeigt sich dagegen gegenüber dem politi-schen System in der DDR angepasst bzw. resigniert“ (Infratest 1988/4: 67). Erst im Jahr 1989 stieg die Zahl der Systemgegner rapide an auf knapp 40 Prozent. Umgekehrt moch-ten sich im gleichen Jahr nur noch gut 13 Prozent, das waren 10 Prozentpunkte weniger als im Jahr davor, mit dem herrschenden System identifizieren.

Um Abstufungen der Systemidentifikation der indirekt befragten DDR-Bürger zu erfas-sen, hat Infratest seinerzeit eine Fünferskala eingesetzt, die von überzeugten Anhängern und Sympathisanten des Systems über Angepasste und Gleichgültige bzw. politisch Des-interessierte bis zu erklärten Gegnern und Kritikern der politische Verhältnisse und der

13 8 5 5 3 2 1 3 2 3 5 4 8 5 2

1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 Ist schlechter geworden. Hat sich nicht verändert. Hat sich verbessert.

Regierung reicht (Tabelle 2). In der Abbildung 3 sind die Prozentwerte für die voll und weniger überzeugten Parteigänger des Systems sowie für die Angepassten und Indiffe-renten jeweils in einem Wert zusammengefasst.

Stufen der Identifikation der DDR-Bürger mit dem politischen System (Person X) Tabelle 2

Typus Beschreibung

Anhänger:

Person X ist… …völlig von der Richtigkeit des Systems in der DDR überzeugt.

…dem politischen System gegenüber im Allgemeinen positiv eingestellt, wenn auch bestimmte Dinge kritisiert werden.

Angepasste/Indifferente:

Person X ist… …dem politischen System der DDR angepasst, ohne von der Richtigkeit des Systems überzeugt zu sein.

…steht dem politischen System der DDR gleichgültig gegenüber und ist politisch überhaupt nicht interessiert.

Gegner:

Person X ist… …lehnt das politische System der DDR grundsätzlich ab.

Quelle: Infratest Kommunikationsforschung 01/1994, eigene grafische Darstellung.

Um ein tiefenschärferes, d.h. mehr als nur ein Einstellungsmerkmal erfassendes Bild der Identifikation der Bevölkerung der DDR mit dem System zu erhalten, hat Infratest sei-nerzeit zudem eine personifizierende Typologie entwickelt, mit welcher unterschiedli-che Einstellungsmuster erfasst werden. „Im Rahmen dieser Typologie“, so heißt es in der damals erstellten Regieanweisung zur methodischen Vorgehensweise, „werden ver-schiedene Einstellungsdimensionen gleichzeitig berücksichtigt. Mit Hilfe dieses Verfah-rens werden die DDR-Bewohner zu Gruppen (Typen) zusammengefasst. Die Zugehörig-keit bestimmt sich aufgrund der ÄhnlichZugehörig-keit grundsätzlicher Einstellungen zum politi-schen System in der DDR, des politipoliti-schen Interesses, einer eventuellen Parteimitglied-schaft sowie aufgrund der Bewertung bestimmter Lebensbedingungen in der DDR im Vergleich zu denen in der Bundesrepublik“ (Infratest 1988/4: 69). Die mit Hilfe multiva-riater Verfahren erstellte Typologie politischer Grundhaltungen kam ab 1973 zur An-wendung.

Einstellung der DDR-Bürger (Person X) zum politischen System der DDR, Angaben in Prozent, 1973 bis 1989 Abbildung 3

Erläuterungen: Angabe für 1989 = Mittelwert aus 1. und 2. Quartal.

Quelle: Infratest Kommunikationsforschung 01/1994: 66.

26 25 28 30

25 26 23 22 22 19 20 22 23 21 21 23

13,5

55 54 51 51

52 52 54

51 48 50 50 51 49 50 54 52

47

20 21 21 19 23 22 23 27 30 31 30 27 28 29 25 25

39,5

0%

25%

50%

75%

100%

1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989

Gegner

Angepasste/

Indifferente Anhänger

In der folgenden Tabelle 3 werden die Typen mit Kennbuchstaben (A bis E) bezeichnet und stichwortartig in kennzeichnenden Merkmalen erläutert. Dabei orientiert sich die Reihenfolge an der grafisch aufsteigenden Anordnung der Abbildung 4.

Typen politischer Grundhaltungen der DDR-Bevölkerung Tabelle 3

Typ B

ausgeprägtes politisches Interesse, auch hinsichtlich der BRD; im Systemver-gleich der Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven schneidet die BRD besser ab; trotz politischer Aktivitäten niedrige Identifikation mit dem System der DDR; fast gleichmäßig über alle Altersgruppen verteilt, formale Bildung überdurchschnittlich

Typ D

bewertet die Lebensbedingungen der BRD ebenfalls besser; mäßiges politi-sches Interesse bezüglich beider deutscher Staaten; dem DDR-System gegen-über teilweise kritisch, aber im Wesentlichen den gegebenen Verhältnissen angepasst; gleichmäßig verteilt nach Alter, Geschlecht und formaler Bildung

Typ A

weit unterdurchschnittliches Politikinteresse, auch hinsichtlich der BRD; ten-denziell bessere Bewertung der Lebensbedingungen in Westdeutschland;

überwiegend Frauen und ältere Personen, vergleichsweise niedrige Formalbil-dung

Typ E

gegenüber dem DDR-System eher positiv bzw. zumindest angepasst eingestellt;

gegenüber dem System der BRD eine häufig unverbindliche, aber auch partiell kritische Grundhaltung; im niedrigen Grad des Politikinteresses ähnlich wie Typ A; keine sozialstrukturellen Auffälligkeiten; ab Ende der 1970er Jahre „nur noch eine marginale Rolle“

Typ C

„Rückgrat des DDR-Systems“; starkes politisches Interesse und Engagement; zu fast 90 % Anhänger des Systems; bei Vergleich der Lebensbedingungen deutli-che Präferenz für DDR; überdurchschnittlich gebildet und überwiegend Männer der jüngeren Altersgruppen

Quelle: Infratest Kommunikationsforschung: Köhler 1994, S. 59 + 61.

Verteilung der DDR-Bewohner (Person X) auf die folgenden Einstellungstypen Abbildung 4

1978 bis 1988, Angaben in Prozent,

Quelle: Infratest Kommunikationsforschung 01/1994: 68, eigene grafische Darstellung.

Wie in Abbildung 4 ersichtlich ist, dominierten innerhalb der DDR seit Ende der 1970er Jahre die Typen B und D, denen zusammen durchgehend zwischen 70 und 80 Prozent der Bevölkerung zugeordnet werden können. Geringe Identifikation mit der DDR, Ange-passtheit an die dort gegebenen Verhältnisse, mäßiges bis starkes politisches Interesse sowie eine starke Orientierung an der Bundesrepublik haben demzufolge die Grundhal-tung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung dauerhaft gekennzeichnet. Nur eine Minderheit von maximal etwas mehr als 15 Prozent hat sich entschieden zur DDR be-kannt. Doch auch dieses Bevölkerungssegment bekennender DDR-Anhänger konnte in der Spätzeit der DDR nicht mehr als eine sichere Bank für die politische Unterstützung

31

1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988

Typ C: Politisch stark interessiert. Starke Identifikation mit dem politischen System in der DDR.

Typ E: Geringes politisches Interesse. Vergleichsweise starke Identifikation mit dem politischen System in der DDR.

Typ A: Geringes politisches Interesse. Den Verhältnissen gegenüber eher indifferent oder angepasst. Von besseren Lebensbedingungen in der Bundesrepublik überzeugt.

Typ D: Mässiges politisches Interesse. Dem politischen System in der DDR gegenüber angepasst.

Lebensbedingungen in der Bundesrepublik werden in der Regel besser bewertet.

Typ B: Politisch stark interessiert. Geringer Identifikationsgrad mit der DDR. Ausgeprägte Orientierung an den Verhältnissen in der Bundesrepublik.

des Regimes angesehen werden. Gerade bei Angehörigen des Typs C, so beobachteten die Infratest-Forscher Ende der 1980er Jahre, hätten West-Reisen einen starken Ein-druck hinterlassen und sie für die Schwarz-Weiß-Malerei der offiziellen Propaganda weniger empfänglich gemacht. Es bleibe, so lautete die 1988 getroffene Einschätzung, daher abzuwarten, „ob diese „Erosionserscheinungen“ bei den Parteigängern der SED sowie der von zahlreichen bundesdeutschen Besuchern konstatierte politische Stim-mungswandel zu einer Veränderung der politischen Grundhaltung breiter Bevölke-rungsschichten führen wird“ (Infratest 1988/4: 69). Die Fortschreibung der Daten im Jahr 1989 hat die Vorhersage bestätigt: Die Zahl der starken System-Identifizierer hal-bierte sich binnen Jahresfrist. Umgekehrt schnellte der distanzierte Typ B zur stärksten Kohorte mit über 50 Prozent hoch (Köhler 1994: 58).

3.2.4 Erscheinungsformen von Gesellschafts- und Gemeinschaftskultur: Beteili-gung am öffentlichen Leben, Tauschbeziehungen und Gemeinschaft im Be-trieb

Die Teilnahme an Veranstaltungen, die von öffentlichen Organisationen wie Parteien und Verbänden angeboten werden, beschreibt ein Merkmal der staatsaffinen Gesell-schaftskultur der DDR. Für das Jahrzehnt zwischen 1974 und 1983 liegen hierzu Er-kenntnisse der Stellvertreterforschung vor. Demnach hat nur rund ein Viertel der DDR-Bewohner oft oder regelmäßig Veranstaltungen der SED, der Blockparteien oder weite-rer Massenorganisationen besucht (Abbildung 5). Der typische Organisationsaktive war demzufolge männlich, mit höherem Schulabschluss, im Berufsleben Angestellter und jünger als 30 Jahre. Arbeiter blieben Veranstaltungen vergleichsweise häufiger fern. Un-ter denjenigen, die politisch inUn-teressiert und aktiv waren und sich mit der DDR stark identifizierten (Typus C), lag der Anteil der Teilnehmenden naturgemäß deutlich höher.

Allerdings schloss dieser Typus nur eine Minderheit der Bevölkerung der DDR ein. Zu Beginn der 1980er Jahre stieg die Beteiligungsfrequenz an. Das Grundmuster der sozia-len Verteilung blieb dabei unverändert.

Teilnahme an Veranstaltungen politischer/gesellschaftlicher Organisationen, 1975 Abbildung 5

bis 1983, Angaben in Prozent, Gesamt und Personen X mit hoher DDR-Identifikation

Quelle: Infratest Kommunikationsforschung; eigene grafische Darstellung.

Im Kapitel 3.1 haben wir mit Bezug auf Karl Rohe ausgeführt, dass die freiwillige Bin-dung an eine Organisation das Repräsentationsmodell des liberalen Korporatismus kennzeichnet, ein nachweisbarer Organisationszwang hingegen auf die Existenz eines autoritären Staatskorporatismus hindeutet. Unterstellt, dass Zwang nicht offener Druck und unverhülltes Drohen heißen muss, sondern sehr viel subtiler als Möglichkeit, keine Nachteile zu erleiden, sozial vermittelt werden kann, hat sich die Bevölkerung der DDR, was ihr Verständnis der Mitgliedschaft in einer Organisation (Partei, FDJ, FDGB etc.) be-trifft, in diesem Punkt mehrheitlich der herrschenden autoritären Gesellschaftskultur angepasst: 42 Prozent aller Organisierten und mit 39 Prozent fast ebenso viele SED-Mitglieder gaben 1970 als Beitrittsmotiv an, „um Schwierigkeiten zu vermeiden“ (Abbil-dung 6). Aufgrund „innerer Überzeugung“, also aus freien Stücken, waren etwa jeder vierte Organisierte und jedes drittes SED-Mitglied beigetreten.

12 11

6 7 10 11 12 12 13

45 44

27

32

50 52

46

62 60

0 10 20 30 40 50 60 70 80

1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983

DDR-Identifizierer (DDR-Bewohner ab 14 jahren) Alle DDR-Bewohner

Motivation des Beitritts in eine Organisation, Angaben für das Jahr 1970 in Prozent Abbildung 6

Quelle: Infratest Kommunikationsforschung Nr. 4519; eigene grafische Darstellung.

Ein zweckrationales Kalkül („wegen der Vorteile“) ist als solches gleichfalls für die Orga-nisationsbindung in der Partei- und Verbändelandschaft demokratischer Regime leitend.

Es existierte auch zu Zeiten der DDR: 33 Prozent aller Organisierten und 28 Prozent der Mitglieder der Einheitspartei nannten ein Zweckdenken als Beitrittsmotiv. Mitglied der SED oder einer anderen Massenorganisation zu sein, war folglich in der Mehrzahl kein Indiz für einen Entschluss, der in politischer Gesinnung gründete. Der Beitritt erfolgte

„offenbar in erster Linie aus einer „Defensivhaltung“ heraus: Man will eventuellen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen“ (Infratest Nr. 4519: 13). Allerdings führte nach Einschätzung der Umfrageforscher die Mitgliedschaft in einer DDR-Organisation „nach einiger Zeit zu einem relativ gruppenkonformen Verhalten“, was hieß: man übernahm gewisse ideologische Deutungsangebote und politische Sprachregelungen des Regimes (ebd.: 19-21).

Einstellungsmuster und subjektive Einschätzungen, die empirisch näheren Aufschluss über die DDR-typische Gemeinschaftskultur geben können, sind im archivierten Daten-material der Stellvertreterumfragen nur in geringem Umfang verfügbar. Wir haben im obigen Kapitelteil 3.1 die Gemeinschaftskultur allgemein beschrieben als einen Modus persönlichen sozialen Zusammenhalts und Zusammenwirkens, der auf die Privatsphäre sowie andere nichtöffentliche Räume, wie etwa den Betrieb, beschränkt ist. Daran ge-messen, lassen sich gemeinschaftskulturelle Elemente in folgenden Fragebatterien der Stellvertreterumfragen aufspüren: berufliche Orientierungen, private Tauschbeziehun-gen und „wichtige Dinge im Leben“.

Angesichts der herrschenden Mangelsituation waren die „ja in der DDR immer wieder [gegebenen] Möglichkeiten, unter der Hand durch Beziehungen schneller an Dienstleis-tungen oder Waren heranzukommen, die sonst nur schwer zu haben sind“ (so eine Fra-geformulierung), für die meisten DDR-Bewohner eine wichtige Erleichterung im Alltag.

42 33

25

39 28

33

0 10 20 30 40 50

Um Schwierigkeiten zu vermeiden Wegen der Vorteile Aus innerer Überzeugung

SED-Mitglieder Alle Organisierten

Als knappe Güter, die nur auf inoffiziellen Nebenwegen leichter zu beschaffen waren, wurden im Jahr 1979 vor allem genannt: Delikatessen und Südfrüchte, Baustoffe jeder Art, Ersatzteile für Auto und Motorrad sowie Reparaturleistungen durch Handwerker (Tabelle 4).

In abgeschwächter Größenordung stellten auch DDR-Bürger, die sich mit dem System stark identifizierten, dieselbe Mängelliste zusammen.

Bestimmte Dinge, die man nur unter der Hand bekommt, 1979, Angaben in Prozent Tabelle 4

Quelle: Infratest

Zwei Drittel der Bevölkerung – und ebenso noch 50 Prozent der entschiedenen Anhä-nger des Systems – äußerten 1979 quer durch alle Alters, Berufs- und Bildungsgruppen die Einschätzung, dass diese Form der Beschaffung „in den letzten ein bis zwei Jahren eher zugenommen“ habe. Bestünde dieser verdeckte zweite Markt nicht, so müssten wiederum zwei Drittel der Bevölkerung nach eigener Einschätzung auf „sehr viel“

(18 %) oder zumindest „ziemlich viel“ (48 %) verzichten. Auch hier fielen die Aussagen der politischen Gefolgsleute des Systems nur unerheblich sorgenfreier aus.

Man mag darüber streiten, ob dieses rege Marktgeschehen von einfachen Tauschbezie-hungen der Sphäre der Gemeinschaftskultur zugeordnet werden kann, ist dieser Tauschhandel doch klar interessengeleitet, häufig auch jenseits einer Beziehung, die auf persönlich zurechenbarem Vertrauen beruht; in entpersönlichter Form fand Tausch et-wa dort statt , wo in Zeitungsinseraten Tauschobjekte öffentlich nachgefragt und

ange-Waren/Dienstleistungen unter der Hand DDR-Bürger Gesamt DDR-Identifizierer

Bekleidung, Schuhe 29 19

Delikatessen, Südfrüchte 43 37

Alkoholische Markengetränke 16 3

Arzneimittel 11 4

Baustoffe, Fliesen, Farben, Tapeten usw. für Re-paraturen, Renovierung am Haus/in der Woh-nung, Installationsmaterial

70 66

Möbel, Teppiche, Auslegeware 29 23

Fernseh-/Radiogerät, elektrische Haushaltsgerä-te

34 27

Ersatzteile fürs Auto, Motorrad 58 55

Kohle, Briketts, Heizöl, Brennholz 9 5

Fotoapparate, Optische Geräte, Filme 12 11

Reparaturen durch einen Handwerker 60 48

schnellere oder bessere Bearbeitung einer Ein-gabe bei einer Behörde

14 11

Sonstiges 6 6

Nein, nichts erwähnt 2 9

keine Angabe 0 -

boten wurden. Er lappt daher über in den Bereich der Gesellschaftskultur. Immerhin nährte die kollektive Erfahrung, das starre und ineffektive System staatlicher Zuteilung ausmanövrieren und Bedürfnisse mithilfe von Improvisation und „Schwund“ erfüllen zu können, ein Gemeinschaftsgefühl, das, staatlich geduldet, sich im privaten Leben be-währte. Anders als beispielsweise der Schwarzmarkt der frühen Nachkriegsjahre, wo die Notlage der Menschen ausgenutzt und Wertsachen häufig zu einem Bruchteil des eigent-lichen Wertes eingetauscht wurden, funktionierten die einfachen Tauschbeziehungen in der DDR wie eine Bietergemeinschaft auf Gegenseitigkeit, der beitrat, wer einen Bedarf an knappen Gütern oder Dienstleistungen decken wollte.

Dass Gemeinschaftskultur und Privatheit zu Zeiten der DDR eine enge Verbindung einge-gangen waren, bezeugen Aussagen über jene Dinge, die aus Sicht der Ostdeutschen seinerzeit „im Leben besonders wichtig“ waren. Ganz oben rangierten hier im Jahr 1979 eine gute Partnerschaft/Ehe, eine gemütliche Wohnung, eigene Kinder, möglichst viel freie Zeit für das Privatleben sowie der Zusammenhalt in der eigenen Familie (Tabelle 5).

Wichtige Dinge im Leben, Nennungen „besonders wichtig“, Angaben in Prozent Tabelle 5

DDR-Bürger Gesamt DDR-Identifizierer

1979 1985 1979 1985

Gut Essen und Trinken 73 59 55 45

Politisch aktiv sein 17 11 74 32

Gute Partnerschaft/Ehe 88 89 83 88

Berufliche Karriere 57 52 84 72

Gemütliche Wohnung 93 93 86 91

Sich in der Freizeit für die Gemeinschaft einsetzen (freiwillige Hilfe beim Bau von Kinderspielplätzen, kulturelle Aufgaben usw.)

28 29 65 60

Eigene Kinder haben 74 81 79 87

Ein eigenes Auto haben 64 65 72 66

Kritisch äußern, wenn einem was nicht passt 69 75 65 69

Religiös aktiv sein 27 24 5 22

Möglichst viel Freizeit fürs Privatleben haben 81 80 61 68

Zusammenhalt, Zusammengehörigkeit der eigenen Familie

92 95 80 91

Sich viel anschaffen, sich viel leisten können 69 61 64 60

Viel reisen, um die Welt kennenzulernen 63 59 65 59

Berufliche Karriere, Auto, Anschaffungen und Reisen nahmen mittlere Plätze ein. Nur eine Minderheit hielt politische Aktivität (17 %) und auch den Einsatz „in der Freizeit für die Gemeinschaft“ (28 %) für besonders erstrebenswert. Diese öffentlichen beiden Formen öffentlichen Engagements, wie übrigens auch Karriere im Beruf, stuften die überzeugten Anhänger des Systems (die allerdings eine überschaubare Minorität von rund 10 Prozent der Bevölkerung bildeten) ungleich höher ein. Jüngere unter 30 Jahren

teilten die ausgeprägte Familien- und Freizeitorientierung mit den Älteren. An der Rang-folge der wichtigen Dinge hatte sich bis 1985 nicht viel geändert. Lediglich der Wunsch,

„kritisch äußern, wenn einem was nicht passt“, schloss zur Spitzengruppe wichtiger Dinge auf.

Berufstätigkeit wurde anfangs der 1970er Jahre ganz überwiegend, nämlich von über 80 Prozent der DDR-Bürger, als notwendiger Broterwerb aufgefasst. Nur kleine Minderhei-ten taMinderhei-ten dies aus Freude am Beruf (18 %), aus beruflichem Ehrgeiz (12 %) oder aus einem ideologisch gefestigten Arbeitsethos (11 %) heraus. Jüngere unter 30 Jahren äu-ßerten sich bezüglich einer Karriere etwas ambitionierter (22 %). Die Arbeitsstätte wurde nur von einer Minderheit als eine gefahrenfreie Zone freier Meinungsäußerung eingeschätzt. Knapp die Hälfte (49 %) befürchtete Nachteile davon, im Betrieb „ganz offen über Probleme und Missstände zu sprechen“. Andererseits wurde das Betriebskli-ma zumeist als kollegial empfunden (49 %). Die Solidarität und gute Zusammenarbeit lobten 52 Prozent. Lediglich 18 Prozent beschrieben ihre Vorgesetzten als „eher streng autoritär“. Für viele (40 %) war es normal, mit Betriebskollegen außerhalb der Arbeits-zeit freundschaftlichen Kontakt zu pflegen (alle Angaben nach Infratest 1971). Offenbar diente die Betriebsgemeinschaft als ein Ankerplatz der Gemeinschaftskultur, wo die Grenze zwischen Beruf und Privatleben durchlässig war.

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