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Organisation des Deckgeschäfts

4 Ergebnisse der Quellenauswertung

4.1 Pferdezucht und Pferdehaltung in der Herrlichkeit Anholt

4.1.4 Die Beschäler

4.1.4.3 Organisation des Deckgeschäfts

Die Dauer der Decksaison war sehr unterschiedlich und variierte von Jahr zu Jahr und von Hengst zu Hengst stark. Bezüglich der Deckperiode lässt sich daher nur ganz grob angeben, dass die Stuten von März bis September beschält wurden. Der längste registrierte Deckzeitraum eines einzelnen Hengstes reichte von Anfang März bis Mitte August (163 Tage), der kürzeste von Mitte April bis Mitte Mai (26 Tage). Nur in einem Fall, im Jahr 1734, wurden durch den Neapolitaner noch im September zwei Deckakte vollzogen. Diese sind jedoch als „Ausreißer“ zu betrachten, denn die letzte Bedeckung, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu den vorherigen Beschälungen stand, hatte am 28. Juli stattgefunden. Statistisch wäre es daher

173 In den beiden zur Decksaison 1735 vorhandenen Quellen werden zum einen der Engländer und der Neapolitaner (33), zum anderen der Engländer und „Nickel“ (35) zusammen genannt, was die Vermutung nahe legt, dass es sich bei dem Neapolitaner und dem „Nickel“ um identische Tiere handelt.

eigentlich korrekt, die Termine im September nicht zur Auswertung heranzuziehen, da sie einen falschen Eindruck von der Deckfrequenz vermitteln und die Decksaison unverhältnismäßig verlängern. Dadurch würde sich die Dauer des Deckeinsatzes von 115 auf 76 Tage verkürzen und sich die Deckfrequenz von 3,2 auf 4,7 Sprünge pro Woche erhöhen. Die entsprechenden Daten sind in Tab. 4 mit (*) gekennzeichnet.

Tab. 4: Deckeinsatz der einzelnen Beschäler in verschiedenen Decksaisons

Jahr Beschäler Zeitraum des

1 Unter Berücksichtigung auch derjenigen Stuten, die nur im Dokument 35 ohne Beschäldaten aufgelistet sind. Bei der Gesamtzahl der Sprünge handelt es sich daher um hochgerechnete und nicht um tatsächlich dokumentierte Werte.

Die Hauptbeschälzeit lag im Mai und Juni. In diesen beiden Monaten fanden jeweils annähernd gleich viele Beschälungen statt, zusammen fast 70 % aller Deckakte einer ganzen Saison. Im April und Juli waren die Sprungzahlen bereits deutlich reduziert, während Bedeckungen im März und August eher die Ausnahme waren. Im September sind sogar nur zwei Deckakte nachgewiesen. In den Abb. 12 bis 17 ist für die Decksaisons 1731 und 1734 bis 1738 jeweils die Anzahl der Deckakte eines jeden Beschälers in den einzelnen Monaten grafisch dargestellt. Wenn man

sämtliche Beschälakte aller Hengste aus allen dokumentierten Jahren in ihrem zeitlichen Verlauf grafisch darstellt, erhält man eine Normalverteilungskurve nach Gauß (s. Abb. 18).

In den meisten zeitgenössischen Gestüten begann die Decksaison ebenfalls im März, aber sie war etwas kürzer. So dauerte die Deckperiode im 18. Jahrhundert in der Landbeschälung im Kurfürstentum Sachsen von März bis Juni (von Schwartz 1870, S. 4) und im Hauptgestüt Beberbeck von Ende März bis Ende Juni (Mieckley 1905, S. 25). Nur in den halbwilden Gestüten wie dem Sennergestüt wurde der Beginn der Decksaison auf den 1. Mai verschoben, damit die Fohlen nicht in der kalten Jahreszeit zur Welt kamen (Ernst 1956, S. 18). Damit entsprach die Beschälzeit schon damals überwiegend der natürlichen Paarungssaison, die heute ebenfalls mit März bis Juni angegeben wird (Klug 1999, S. 601). Da Fruchtbarkeitsleistung und Fortpflanzungsbereitschaft der Pferde jahresabhängig sind, ist es notwendig, die Deckperiode auf vier bis fünf Monate im Jahr zu beschränken. Vor allem die Quantität des Spermas unterliegt der Saisonalität, während sich seine Qualität nur wenig ändert. Im Mai ist die Konzentration an Testosteron am höchsten und im Oktober, Dezember und Januar am niedrigsten (Busch und Klug 1999a, S. 548-549).

Diesen physiologischen Gegebenheiten wurde in Anholt dadurch entsprochen, dass die meisten Deckakte tatsächlich im Mai und Juni stattfanden. Außerdem gilt es zu bedenken, dass im 18. Jahrhundert die Stallhaltung noch problematisch war, v. a.

gegen Ende des Winters, wenn das Futter knapp wurde. Daher sollten die Fohlen im Frühjahr zur Welt kommen, wenn die Fütterungssituation für die Mutterstuten durch den Weideaustrieb im Mai wieder günstiger wurde, ganz abgesehen davon, dass Weidegang die gesunde Entwicklung der Fohlen fördert. Auf der anderen Seite bestand jedoch in Anholt durch die ungewöhnlich späten Belegungen im August und September die Gefahr, dass einige Fohlen erst im Sommer des nächsten Jahres geboren wurden. Sie waren dann beim Absetzen noch sehr jung, was sich negativ auf ihre Entwicklung auswirken konnte.

Eine ähnliche Inhomogenität wie bei der Dauer des Deckeinsatzes existierte bei der Gesamtzahl der Sprünge eines Hengstes in einer Decksaison und bei der Deckfrequenz. Ein Hengst sprang in einem Jahr zwischen 14 und 111 Mal. Es bestand jedoch kein linearer Zusammenhang zwischen der absoluten Sprungzahl und der Dauer des Deckeinsatzes, so dass dementsprechend die Deckfrequenz äußerst uneinheitlich war. Sie reichte von 1,4 bis 5,9 Sprüngen pro Woche. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse im Hinblick auf die Belastung der Beschäler müssen jedoch gleichzeitig immer die absoluten Sprungzahlen und die Deckzeiträume berücksichtigt werden. So wies der Neapolitaner im Jahr 1735 zwar eine sehr hohe Deckfrequenz auf, aber er wurde nur knapp vier Wochen lang in Anspruch genommen, wenn auch in dieser Zeit fast jeden Tag und teilweise mehrmals täglich.

Die absolut stärkste Beanspruchung erfuhr der Türke, der im Jahr 1738 in 140 Tagen 111 Mal deckte. Im Durchschnitt wurden von einem Hengst aus dem Anholter Marstall 47 Deckakte in 99 Tagen vollzogen. Damit betrug die Deckfrequenz durchschnittlich 3,5 Sprünge pro Woche174.

174 Angaben ohne Berücksichtigung der beiden Deckakte im September.

0 5 10 15 20 25 30 35 40

März April Mai Juni Juli Aug. Sept.

Monat

Anzahl der Deckakte

Engländer

Abb. 12: Anzahl der Deckakte des Engländers 1731

0 5 10 15 20 25 30 35 40

März April Mai Juni Juli Aug. Sept.

Monat

Anzahl der Deckakte

Neapolitaner

Abb. 13: Anzahl der Deckakte des Neapolitaners 1734

0 5 10 15 20 25 30 35 40

März April Mai Juni Juli Aug. Sept.

Monat

Anzahl der Deckakte

Engländer Neapolitaner

Abb. 14: Anzahl der Deckakte verschiedener Beschäler 1735

0 5 10 15 20 25 30 35 40

März April Mai Juni Juli Aug. Sept.

Monat

Anzahl der Deckakte

Türke Engländer Spanier

Abb. 15: Anzahl der Deckakte verschiedener Beschäler 1736

0 5 10 15 20 25 30 35 40

März April Mai Juni Juli Aug. Sept.

Monat

Anzahl der Deckakte

Türke Engländer Spanier

Abb. 16: Anzahl der Deckakte verschiedener Beschäler 1737

0 5 10 15 20 25 30 35 40

März April Mai Juni Juli Aug. Sept.

Monat

Anzahl der Deckakte

Türke Engländer

Abb. 17: Anzahl der Deckakte verschiedener Beschäler 1738

0 50 100 150 200 250

März April Mai Juni Juli Aug. Sept.

Monat

Anzahl der Deckakte

Abb. 18: Summe der Deckakte in den einzelnen Monaten (1731 und 1734-1738)

Nach aktuellen Empfehlungen sollte die Deckbelastung älterer Hengste auf zehn Deckakte pro Woche, die junger Hengste sogar auf nur drei Deckakte pro Woche beschränkt werden (Busch und Klug 1999a, S. 548). von Nathusius schlägt vor, Hengste nicht öfter als zweimal täglich, mit einem Ruhetag in der Woche, decken zu lassen (1910, S. 411). Dies entspricht einer Deckfrequenz von 12 Sprüngen pro Woche. Demnach wurden die Anholter Hengste stets in einem zulässigen Rahmen beansprucht. Nicht einmal kurzfristig wurden die empfohlenen Werte überschritten.

Die höchste Deckbelastung erfuhr der Türke im Mai und Juni 1738 mit 8,1 bzw. 8,9 Deckakten wöchentlich, aber gewöhnlich lag sie deutlich darunter. Es wurde bis zu zweimal täglich gedeckt175, was der Empfehlung des von Nathusius entspricht. Einen festen Ruhetag in der Woche gab es in Anholt allerdings nicht.

Auf einen Anholter Hengst kamen zwischen 11 und 38 Stuten, im Durchschnitt 24 Stuten pro Saison zum Belegen. Nach Busch und Klug ist die Zahl der pro Jahr durch einen Hengst zu deckenden Stuten sowohl aus züchterischen als auch aus zuchthygienischer und fortpflanzungsphysiologischer Sicht zu begrenzen. Bei einer zu hohen Anzahl zugeführter Stuten über mehrere Jahre besteht im Falle versteckter Erbmängel die Gefahr ihrer erheblichen Weiterverbreitung in der Population, und die genetische Varianz wird durch den starken Einsatz von Einzelhengsten eingeschränkt. Außerdem führt die Überforderung der Hengste zu geringeren Befruchtungschancen und einem Leistungsabfall. Die Empfehlung der Autoren lautet daher, Hengste bis drei Jahre nicht mehr als 20 bis 25 Stuten pro Saison decken zu lassen, während die Anzahl der Stuten bei älteren Hengsten gesteigert werden kann, ab einem Alter von sieben Jahren sogar auf 45 bis 70 Tiere. Hengste über 20 Jahre sollten wiederum nicht mehr als 20 bis 25 Erstdeckakte durchführen. Traditionell werden Hengsten pro Saison bis zu 40, bisweilen auch 55 Erstbedeckungen zugeteilt (1999a, S. 549-550). Eine Durchschnittszahl von 50 bis 60 Stuten hält auch von Nathusius für angemessen für einen Hengst (1910, S. 411). Somit deckten die Beschäler in Anholt durchschnittlich nur halb so viele Stuten, wie es aus züchterischer und physiologischer Sicht möglich gewesen wäre. Im Höchstfall wurde gerade mal knapp der heute geltende, untere Richtwert erreicht.

175 In nur einem einzigen Fall deckte der Türke im Jahr 1737 dreimal am Tag.

Dass die Deckkapazitäten nicht ausgeschöpft wurden, liegt mit Sicherheit nicht an einem Mangel an geeigneten Stuten, denn es standen in der Herrlichkeit Anholt schätzungsweise mindestens dreimal so viele Zuchtstuten zur Verfügung wie alljährlich belegt wurden (s. Kap. 4.1.2.5). Die Anzahl der von einem Hengst zu belegenden Stuten kann aus unterschiedlichen Gründen geschmälert worden sein.

Zum einen ist denkbar, dass der Hof seine Marstallhengste bewusst nicht mehr beanspruchen wollte, als zur Erzeugung einer ausreichenden Anzahl an Nachkommen für den Marstalldienst erforderlich war. Möglicherweise wurde das Deckgeschäft nur so weit ausgebaut, dass gerade der Bedarf des Hofs an Remonten gedeckt war (s. Kap. 4.1.6.1), nicht jedoch der Bedarf der Bauern an Arbeitspferden, wie im Kap. 4.1.2.7 diskutiert wird. Doch auch eine mangelhafte Organisation des Deckgeschäfts, u. a. in Form eines unzureichenden Zuchtmanagements der Stuten wie insbesondere im Hinblick auf eine sorgfältige Rossebeobachtung, könnte die Ursache für die geringe Anzahl belegter Stuten sein (von Nathusius 1910, S. 411). In Anholt scheint die Organisation der Landespferdezucht tatsächlich noch nicht vollkommen ausgereift gewesen zu sein, denn die Deckschemata wechselten mehrmals, wie weiter unten noch ausgeführt wird.

In der Abb. 19 ist grafisch dargestellt, wie unterschiedlich stark und willkürlich die Beschäler im Laufe einer Saison eingesetzt wurden. Von einer gleichmäßigen Auslastung der Hengste kann keine Rede sein. Vermutlich war es wichtiger, bestimmte Fohlenergebnisse zu erzielen, als alle Beschäler in annähernd gleichem Maße Nachkommen zeugen zu lassen. Dies war jedoch aus zuchthygienischer Sicht unproblematisch, da die einzelnen Hengste nicht überlastet und meistens zwei oder mehr Hengste verwendet wurden, wodurch einer Einengung der genetischen Varianz vorgebeugt wurde. Ebenso uneinheitlich wie die absolute Deckhäufigkeit war die Deckfrequenz der einzelnen Beschäler (Abb. 20). Beide Parameter stehen wie gesagt in keinem Proportionalitätsverhältnis. Aufgrund der Kürze des dokumentierten Zeitraums lassen sich nur schwer Aussagen über bestimmte Tendenzen treffen, sowohl was den Deckeinsatz einzelner Beschäler als auch die gesamte Zuchtaktivität angeht. Insgesamt ist ein Anstieg der Anzahl der pro Saison gedeckten Stuten von 1731 bis 1738 zu beobachten (Abb. 24). Ebenso nahm die Gesamtzahl an Deckakten in einer Saison zu (Abb. 25). Diese Tatsache ist jedoch aufgrund der möglicherweise lückenhaften Quellen in den Jahren 1731 und 1734 vorsichtig zu beurteilen.

Weiterhin fällt auf, dass sich der Türke seit 1736 scheinbar einer zunehmenden Beliebtheit bezüglich seiner Deckleistungen erfreute. Dass er gerne Farben vererbte (s. Kap. 4.1.7), könnte nur ein Grund für seine Bevorzugung gewesen sein. Zwischen 1737 und 1741 wurden nachweislich 33 Fohlen, davon 27 Hengst- und 6 Stutfohlen, von ihm geboren (s. Tab. 5). Die Anzahl der Stutfohlen dürfte sogar noch um einiges größer gewesen sein. Mit 40,2 % stammen die weitaus meisten der in den Quellen genannten Fohlen vom Türken176. Damit übte er großen Einfluss auf die Anholter Landespferdezucht aus.

Der Einsatz des Engländers ging zur gleichen Zeit zugunsten des Türken etwas zurück. Die von ihm zwischen 1731 und 1740 gedeckten Stuten brachten 15 Hengst- und 3 Stutfohlen zur Welt, also 22,0 % aller Fohlen mit bekanntem Vater. In der Saison 1734 kam anscheinend ausschließlich der Neapolitaner zum Zuchteinsatz.

176 Von den 82 erwähnten Fohlen ist bei 25 nicht der Vater genannt, das entspricht 30,5 %.

Der Engländer wird im gleichen Jahr nicht erwähnt, obwohl er sich zweifellos im Marstall befunden haben muss, da er bereits vorher zum Beschälen verwendet wurde und auch im Jahr darauf wieder deckte. Entweder ist dies auf eine Lücke in der Überlieferung zurückzuführen oder der Engländer wurde in diesem Jahr aus Krankheitsgründen o. ä. tatsächlich nicht zur Decksaison zugelassen177. Der Neapolitaner deckte in zwei Jahren nur 36 Stuten und hinterließ 4 in den Quellen dokumentierte Fohlen. Am wenigsten wurde der Spanier mit 28 Bedeckungen in der Zucht verwendet. Es sind lediglich zwei Fohlen von ihm bekannt.

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200

1731 1734 1735 1736 1737 1738

Jahr

Anzahl der Sprünge

Spanier Türke Neapolitaner Engländer

Abb. 19: Gesamtzahl der Sprünge der einzelnen Beschäler

0 1 2 3 4 5 6 7

1731 1734 1735 1736 1737 1738

Jahr

Sprünge/Woche

Engländer Neapolitaner Türke Spanier

Abb. 20: Deckfrequenzen der einzelnen Beschäler

177 Dass vom Engländer kein 1735 geborenes Fohlen nachzuweisen ist, deutet ferner darauf hin, dass er vielleicht tatsächlich eine Saison im Deckgeschäft aussetzte. Allerdings ist auch die Quellenlage bezüglich dieses Geburtsjahrgangs als dürftig zu bezeichnen (s. Kap. 4.1.3.1).

Auch die Anzahl der von den einzelnen Beschälern gedeckten Stuten (Abb. 21) war nicht gleichmäßig unter den Hengsten aufgeteilt. Dass der Türke in den Jahren 1736 bis 1738 stets die meisten Stuten deckte, spricht wiederum für seine Beliebtheit. Zu dieser Zeit lag die Gesamtzahl der beschälten Stuten deutlich höher als in den Vorjahren, was vermutlich entweder auf eine bessere Quellenlage oder auf eine tatsächliche Ausweitung der Zucht zurückzuführen ist. Außerdem standen 1736 und 1737 drei Beschäler zur Verfügung, so dass allein hierdurch die Möglichkeit gegeben war, mehr Stuten zu decken. Die Anzahl der Sprünge der einzelnen Beschäler pro Stute (Abb. 22) fällt wiederum in den verschiedenen Decksaisons recht unterschiedlich aus. Am niedrigsten ist sie mit 1,0 bis 1,5 Sprüngen pro Stute in den Jahren 1736 und 1737, während sie in den übrigen Jahren doppelt so hoch, nämlich zwischen 2,0 und 2,9 Deckakten liegt.

0 5 10 15 20 25 30 35 40

1731 1734 1735 1736 1737 1738

Jahr

Anzahl der Stuten

Engländer Neapolitaner Türke Spanier

Abb. 21: Anzahl der von den einzelnen Beschälern gedeckten Stuten

0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5

1731 1734 1735 1736 1737 1738

Jahr

Sprünge/Stute

Engländer Neapolitaner Türke Spanier

Abb. 22: Anzahl der Sprünge der einzelnen Beschäler pro Stute

Betrachtet man alle Untersuchungsergebnisse zusammen, kann man erkennen, dass die Deckparameter nicht so sehr von Hengst zu Hengst, sondern allenfalls von Jahr zu Jahr schwanken. In den beiden Jahren 1736 und 1737, in denen drei Beschäler vorhanden waren, sind die absoluten und relativen Sprungzahlen niedrig. Es wurden viele Stuten belegt, dafür aber jede von ihnen weniger häufig. Durch verhältnismäßig wenige Sprünge insgesamt und pro Stute sowie niedrige Deckfrequenzen wurde die Deckbelastung für die Hengste trotz der großen Stutengesamtzahl gering gehalten.

1738 hingegen gab es etwa genauso viele Stuten, die fast doppelt so häufig belegt wurden, aber nur zwei Hengste. Daraus resultierten höhere absolute und relative Sprungzahlen, d. h. viele Sprünge insgesamt, viele Sprünge pro Stute und hohe Deckfrequenzen. In den Jahren 1731 und 1734 stand jeweils nur ein Beschäler zur Verfügung, der jedoch nur mäßig viele Stuten decken musste. Die Sprungzahlen bewegten sich daher in einem mittleren Bereich. 1735 wurden die Stuten, deren Zahl sich leicht erhöht hatte, von zwei Hengsten belegt, wobei der Engländer absolut gesehen deutlich stärker eingesetzt wurde als der Neapolitaner.

Bevor die in Anholt verwendeten Deckschemata vorgestellt werden, ist es notwendig, einige Eckdaten zur Fortpflanzungsphysiologie der Stute zu nennen. Die Stute ist saisonal polyöstrisch mit Brunstzyklen etwa von März bis September. Zwischen dem Anöstrus von November bis Januar und dem Auftreten von Brunstzyklen befindet sich eine Übergangszeit mit gesteigerter Ovaraktivität. Die Zykluslänge beträgt 20 bis 23, meist 21 bis 22 Tage. Die Dauer der Rosse hängt stark von der Jahreszeit ab. Zu Beginn der Zuchtsaison ist sie länger, dafür aber schwächer ausgeprägt. Während der Saison dauert die Brunst i. d. R. fünf bis sieben Tage, aber ihre äußeren Zeichen können auch zwischen vier und zehn Tage lang beobachtet werden (Busch und Klug 1999b, S. 567 und S. 576, Abb. 9). Die meisten Stuten ovulieren einen Tag vor Brunstende. Eine Paarung sollte möglichst ovulationsnah erfolgen, denn es besteht eine deutliche Beziehung zwischen dem Paarungszeitpunkt, dem Ovulationstermin und der Höhe der Konzeptionsrate (Busch und Klug 1999b, S. 574-575).

Unter den im 18. Jahrhundert gegebenen Verhältnissen konnte der günstigste Paarungszeitpunkt nur anhand des äußeren Geschlechtsverhaltens, nicht jedoch durch Überprüfung der inneren Zyklussymptomatik ermittelt werden. Die Belegung einer Stute zum richtigen Zeitpunkt wurde zu damaliger Zeit insbesondere in der Landespferdezucht zusätzlich dadurch erschwert, dass die Züchter mit ihren Stuten unterschiedlich weite Wege bis zum Hengst zurücklegen mussten. Größere zeitliche Verzögerungen, sei es durch einen verspäteten Antritt der Reise oder große Entfernungen, konnten schnell den Deckerfolg vereiteln. von Nathusius empfiehlt, eine Stute nach eindeutiger Feststellung der Rosse aufgrund äußerer Rosseanzeichen und einer positiven Probe am Hengst belegen zu lassen. In zahmen Gestüten und in der Landespferdezucht ließ man den Beschälakt i. d. R. an der Hand ausführen. Das freie Laufen eines Hengstes bei den Stuten wurde nur in wilden und halbwilden Gestüten gestattet (1910, S. 415-416). In Anholt wird man ebenfalls kontrolliert an der Hand gedeckt haben, zumal stets die exakten Decktermine schriftlich festgehalten wurden.

Um die Befruchtungschancen zu erhöhen, ist es empfehlenswert, eine Stute nach erfolgtem Deckakt nachprobieren und ggf. nachbedecken zu lassen. Heute gilt die Meinung, dass die Bedeckung im vierten Fünftel der Rosse erfolgen soll, und nach 36 bis 48 Stunden wird nachbedeckt (Busch und Klug 1999b, S. 574). In früheren Jahrhunderten gab es unterschiedliche Auffassungen vom zeitlichen Abstand

zwischen vorhergehender Bedeckung und Nachprobe, um festzustellen, ob die Stute sich noch in der Rosse befindet178. Wie der Deckvorgang in Anholt genau ablief, ist unbekannt, aber anhand der überlieferten Deckdaten können zumindest Aussagen über die Anzahl und die zeitlichen Abstände zwischen den Bedeckungen getroffen werden. Nachbedeckungen wurden auch dort durchgeführt, allerdings nicht regelmäßig.

Eine Übersicht über die in Anholt praktizierten „Deckschemata“ bietet die Abb. 23.

Wie oft und in welchen Abständen eine Stute in der laufenden Decksaison belegt wurde, musste individuell anhand der äußeren Rosse festgemacht werden. Eine wiederholte Belegung machte nur dann Sinn, solange die Stute den Hengst noch nicht abschlug. Auf der anderen Seite musste sie dem Beschäler erneut zugeführt werden, wenn sie umrosste. Somit bestand zum einen die Möglichkeit, die Stuten insgesamt nur einmal decken zu lassen. Dies geschah über den gesamten dokumentierten Zeitraum bei 38,3 % der Stuten, deren Deckdaten bekannt sind.

Daneben konnten die Stuten zwei oder mehr aufeinander folgende Bedeckungen, i.

d. R. im Abstand von ein bis zwei Tagen, innerhalb einer Rosse erhalten. Es kamen, wenngleich deutlich seltener, auch Beschälungen im Abstand von drei bis neun Tagen vor, von denen angenommen wird, dass sie noch innerhalb der gleichen Rosse, mit Sicherheit aber noch nicht in der nächsten Rosse stattfanden. 35,5 % der Stuten wurden zweimal, 4,5 % drei- oder viermal innerhalb der gleichen Rosse gedeckt. Die übrigen Stuten (21,6 %) bekamen zwei oder mehr Beschälungen in unterschiedlichem zeitlichem Abstand in mindestens zwei Brunstzeiten. Hierzu werden alle Vorgänge gezählt, in denen ein Deckakt zehn oder mehr Tage nach der vorherigen Bedeckung erfolgte179. Das Deckschema konnte hier sehr unterschiedlich aussehen, sowohl was die Gesamtzahl der Paarungen, von denen bis zu acht statt fanden als auch den zeitlichen Abstand zwischen diesen betrifft. Meist wurden zwei Brunstzeiten zum Decken genutzt, aber deren Zahl konnte sich auf vier erhöhen. Der Abstand zwischen der ersten Belegung in der Saison und der erneuten Bedeckung betrug im Schnitt 32,8 Tage, konnte im Höchstfall jedoch auf 137 Tage ansteigen.

Nachbedeckungen einer Stute fanden innerhalb der gleichen Decksaison fast stets durch denselben Hengst statt. Es ist nur einmal sicher dokumentiert, dass eine Stute von zwei verschiedenen Hengsten gedeckt wurde. Dabei handelte es sich um die Stute von Bürgermeister Thelosen, die im Jahr 1736 vom Engländer und vom Spanier gedeckt wurde, allerdings in zwei unterschiedlichen Brunstzeiten (99)180.

178 In früheren Zeiten wurde die Nachprobe oft erst am neunten Tag nach der Erstbedeckung

178 In früheren Zeiten wurde die Nachprobe oft erst am neunten Tag nach der Erstbedeckung