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Landwirtschaft und Agrarverfassung in Westfalen und am Niederrhein

3 Geschichtlicher Hintergrund

3.1 Geschichte der Herrlichkeit Anholt

3.2.2 Landwirtschaft und Agrarverfassung in Westfalen und am Niederrhein

3.2.2.1 Agrarverfassung

Über tausend Jahre gab es in der Agrarverfassung des Deutschen Reichs keine gravierenden Veränderungen. Die Agrarverfassung, die sich im 8. Jahrhundert entwickelte, hatte bis auf einige geringfügige, aber nicht grundsätzliche Änderungen bis in die Zeit der Bauernbefreiung, also bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts Bestand. Ähnlich verhielt es sich mit der landwirtschaftlichen Betriebsweise. Der Entwicklungsstand der Landwirtschaft des 12. Jahrhunderts wurde bis in das 18.

Jahrhundert nur unwesentlich überschritten (Henning 1985, S. 83).

Der Feudalismus, dessen Anfänge in der Karolingerzeit liegen, stellte die Gesellschafts-, Wirtschafts- und Staatsordnung im Mittelalter und in der Neuzeit, teilweise sogar noch bis ins 20. Jahrhundert hinein dar. Er basierte zum einen auf dem Lehnssystem, das die Verhältnisse des Adels zum König und des Adels untereinander regelte, indem die privilegierte adelige Oberschicht vom Herrscher lehnsrechtlich mit Grundherrschaft ausgestattet wurde und Lehen untereinander ausgab, und zum anderen auf dieser Grundherrschaft, welche die Beziehungen zwischen dem Adel und den Bauern beinhaltete.

Das Lehnswesen beruhte auf dem wechselseitigen, sich aus einem persönlichen und einem dinglichen Element zusammensetzenden Verhältnis zwischen einem Lehnsgeber, dem sog. Lehnsherrn, und einem Lehnsnehmer, auch Lehnsmann oder Vasall genannt. Der Vasall verpflichtete sich, dem Herrn Treue und Dienst, v. a.

Kriegsdienst, aber auch Dienst in der Verwaltung, am Hof o. ä. zu leisten. Im Gegenzug belehnte der Lehnsherr seinen Lehnsmann mit einer Sache, d. h. er überließ ihm ein sog. Benefizium, das ursprünglich den Zweck hatte, den Unterhalt des Vasallen zu sichern. Das Benefizium war meistens ein Stück Land einschließlich

aller darauf ansässigen Leute, aber es konnte auch aus einem Amt oder einem bestimmten Recht bestehen. Darüber hinaus erhielt der Vasall Schutz und Immunität und gewisse Privilegien. Lehnsfähig waren seit dem Hochmittelalter nur Freie. Das Lehnsverhältnis bestand lebenslang, doch im Laufe der Zeit wurde es erblich. Mit dem Ende des Mittelalters verlor das Lehnswesen zwar an Bedeutung, konnte sich jedoch noch Jahrhunderte lang erhalten.

Die Grundherrschaft war neben der Leib-, der Gerichts- und der Landesherrschaft eine der Rechtsbeziehungen zwischen Feudalherren und der übrigen Bevölkerung – und das bedeutete überwiegend den Bauern – und die wichtigste im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Landwirtschaft. Sie hatte wirtschafts-, primär aber gesellschaftsordnende Funktionen durch die Regelung der Beziehungen zwischen Grundherren und Bauern. Grundherrschaft bedeutete, dass der Grundherr als Inhaber des Obereigentums am Boden dem Bauern das zeitlich beschränkte oder erbliche Nutzungsrecht am Boden und damit das Untereigentum an demselben überließ. Das Eigentum am Boden war also geteilt, und der Bauer hatte ein Recht auf die Bewirtschaftung. Die Herrschaft über den Bauern konnte der Grundherr nur ausüben, wenn dieser sich auf dem Boden befand – zog er weg, endete die Herrschaft. Der Bauer begab sich in eine Abhängigkeit, aber seine Bindung an den Herrn war wie die Herrschaft des Herrn über ihn an den Boden geknüpft. Er wurde zu einem Hörigen, auch Grundhold oder Hintersasse genannt, d. h. sein Status wandelte sich in den eines Halbfreien mit beschränkten Rechten. Der Bauer hatte dem Grundherrn Abgaben und Dienste zu leisten und war an die Scholle gebunden, d. h. seine Freizügigkeit war beschränkt. Der Grundherr gewährte seinem Hintersassen Schutz vor Eingriffen Dritter und Fürsorge bei Schicksalsschlägen wie Missernten oder Viehseuchen und sicherte damit seine Existenz. Aus diesem Grund begaben sich viele freie Bauern freiwillig in eine feudalherrliche Abhängigkeit, um den Schutz der größeren Grundbesitzer genießen zu können. Der überwiegende Teil der Bauern in Deutschland befand sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in einem Status beschränkter Rechte (Henning 1985, S. 49).

Freie Bauern gab es schon in der Karolingerzeit kaum noch. Der relativ einheitliche Bauernstand setzte sich demzufolge zusammen aus einer überwiegenden Mehrheit von Halbfreien und nur sehr wenigen Freien und Unfreien. Die rechtlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Bauerngruppen verschwammen bereits im Hochmittelalter zunehmend, bis sie sich allenfalls noch in der Höhe der Belastungen äußerten. Wann immer also von „Bauern“ die Rede ist, handelt es sich meist um Hörige oder um Pächter, die weiter unten vorgestellt werden. Trotzdem ist zu beachten, dass es im Verhältnis zwischen Freien, Halbfreien und Unfreien erhebliche regionale Unterschiede gab (Henning 1985, S. 60)50. Schichten bildeten sich dennoch innerhalb des Bauernstandes aus, basierend auf der Größe des Besitzes und den Rechten innerhalb der Bauernschaft oder des Dorfes. Man

50 Der westfälische Bauer konnte sogar leibeigen im Sinne einer besonderen Form der Leibeigenschaft sein, der sog. Eigenhörigkeit, die im Mittelalter in Westfalen, v. a. im Münsterland und in Osnabrück, zu einer neuen Verbreitung gelangt war. Leibherrschaft war die Herrschaft über Menschen, die im Gegensatz zur Grundherrschaft ursprünglich nicht mit einem Stück Land verbunden war. Leibeigene waren insoweit weniger frei als Grundholde, als Ansprüche auf Leistungen primär an die Person des Abhängigen gestellt werden konnten, nicht an das geliehene Gut. Im Gegensatz zu rechtlich besser gestellten Bauern mussten sie höhere Abgaben, einen jährlichen Leibzins und verschiedene unregelmäßige, bisweilen sehr hohe Abgaben wie z. B. bei Todesfall oder Heirat zahlen.

Obwohl ihre Zahl seit dem 15. Jahrhundert auf eine verschwindend geringe Anzahl schrumpfte, gab es noch im 18. Jahrhundert Leibeigene (Lütge 1967, S. 49-51 und S. 103-105).

unterschied beispielsweise in Westfalen, in absteigender Reihenfolge, u. a. zwischen Schulten oder Meiern, Köttern, Brinksitzern und Heuerlingen (Schütte 1987, S. 140-141).

Die bäuerlichen Abgaben und Dienste richteten sich in erster Linie nach der Rechtsstellung des Bauern. Mit Ausnahme der Freibauern mussten alle Bauern Abgaben und Fronden an ihre Grundherren erbringen. Den größten Anteil an der Gesamtbelastung machte der Grundzins aus, der einen Teil des Rohertrages an pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen beinhaltete und an den Grundherrn zu zahlen war. Der Grundzins wurde als eine Quote des Ertrags berechnet, oder er war fixiert. Er konnte in Form von Naturalien oder Geld eingefordert werden, wobei seit der zunehmenden Bedeutung der Geldwirtschaft und des Handels im Hochmittelalter der Geldzins immer beliebter wurde. Die Lieferungen an Naturalien wurden i. d. R. so weit zurückgedrängt, dass der Grundbedarf des herrschaftlichen Haushalts noch gedeckt war, während der Rest in Geld gezahlt wurde, um damit beispielsweise Luxusgüter erwerben zu können. Die Ausbreitung der Rentengrundherrschaft lag nicht nur in dem erhöhten Geldbedarf der Grundherren begründet, sondern auch in der erheblichen Vereinfachung der Verwaltung durch die Abrechnung in Währungen.

Obwohl die Adeligen sich nicht als Landwirte betätigen, sondern sich politischen und militärischen Aufgaben zuwenden wollten (Lütge 1967, S. 165-166), behielten sie oft einen kleinen Eigenbetrieb, den sie durch Gesinde, Tagelöhner, dienstpflichtige Bauern und eventuell einen Pächter bewirtschaften ließen. Diese Zwischenform zwischen der reinen Rentengrundherrschaft und der Gutsherrschaft bezeichnet Lütge als Wirtschaftsherrschaft (1967, S. 171).

Frondienste gliederten sich in Hand- und Spanndienste. Für die Spanndienste hatte der Bauern nicht nur seine Arbeitskraft, sondern auch die notwendigen Zugtiere und Geräte zu stellen. Dienste konnten zeitlich und real gemessen, d. h. in ihrem zeitlichen Umfang und in der Art der Arbeiten genau festgelegt und begrenzt, oder ungemessen sein. Letzteres war besonders ungünstig für den Dienstverpflichteten, da beliebige Arbeiten beliebig oft gefordert werden konnten. Aufgrund des Gewohnheitsrechts ging die Tendenz jedoch hin zu den gemessenen Diensten, zumal wenn sich der Verpflichtete in einem erblichen Abhängigkeits- oder Pachtverhältnis befand. Außerdem ließen die Grundherren sich die Dienste zunehmend in Geld ablösen, insbesondere Frondienste auf dem Eigenbetrieb. Die Arbeiten wurden so widerwillig und nachlässig ausgeführt, dass es sich lohnte, eigenes Vieh und Geräte anzuschaffen und die regelmäßig anfallenden Arbeiten Tagelöhnern und Landarbeitern zu überlassen. Anders verhielt es sich mit Tätigkeiten, die in unregelmäßigen Abständen oder seltener ausgeübt werden mussten wie etwa Warentransporte. Dafür wurden gerne dienstpflichtige Bauern herangezogen.

Über den Umfang der Leistungen lassen sich kaum Angaben machen, da sie nicht nur von der Rechtsstellung des Bauern abhingen, sondern auch regional sehr verschieden waren. Sie können nur sehr grob geschätzt werden. Henning gibt die Höhe der Abgaben mit 8 bis 15 % des Rohertrags an, während Abel die Belastung der bäuerlichen Roherträge mit etwa 20 bis 30 % beziffert. Freie Bauern mussten ebenfalls Abgaben erbringen, bei denen es sich aber meist nur um eine Art geringe Anerkennungsgebühr handelte (1985, S.53-54 und Abel 1967, S. 256).

Außer in Form von Zinsgütern wurden Höfe und Land auch in Pacht ausgegeben.

Das Pachtwesen, das dem Schulden- und Sachenrecht und nicht wie die feudalherrliche Abhängigkeit dem Personenrecht zuzuordnen und daher streng genommen gar keine grundherrliche Bildung ist, spielte nur in Teilen Westdeutschlands eine Rolle. Es war seit dem Spätmittelalter auffallend stark im Rheinland vertreten, wo es sich auf etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche erstreckte, während die übrigen zwei Drittel zu Erbzinsgütern ausgegeben waren oder sich in bäuerlichem Eigentum befanden (Lütge 1967, S. 191). Von dort breitete sich das Pachtwesen im Spätmittelalter nach Südwestfalen aus.

Die Bedingungen eines Pachtverhältnisses, die Pflichten der Verpächter und die Leistungen der Pächter waren sehr verschieden. Im Hinblick auf den Pachtzins konnte man zwischen der Teilpacht, bei der die Verpachtung gegen Anteile am Ertrag erfolgte, und der Festpacht, bei der die Pächterleistungen fixiert waren, unterscheiden. Eine Unterteilung nach der zeitlichen Bemessenheit des Pachtverhältnisses erfolgte in Zeitpacht, Pacht auf Lebenszeit und Erbpacht. Den größten Vorteil hatte ein Bauer von einem erblichen Pachtverhältnis, in dem der Pachtzins festgelegt und die Dienste gemessen waren. Pachtverträge konnten sehr individuell gestaltet werden51. In der Regel verblieben das Land und das lebende und tote Inventar im Eigentum des Verpächters, während dem Pächter nur das Inventar, das er selbst erworben hatte, gehörte (Abel 1967, S. 97-98).

Insgesamt waren die Belastungen der Pächter groß, denn zu den Abgaben an den Grundherrn kamen u. a. noch die Steuern an den Staat und an die Kirche. Dies brachte die Bauern häufig ans Existenzminimum. Zwar besaßen Pächter oftmals eine bessere soziale Stellung als Hörige, sofern sie frei waren und keine persönlichen Bindungen zum Grundherrn eingingen, aber ihre Besitzrechte waren oft wesentlich schlechter als bei den Zinsgütern höriger Bauern52. Somit befanden sich Hörige oftmals in einer wesentlich besseren rechtlichen und auch wirtschaftlichen Lage als Pächter.

Eine besondere Ausprägung der Grundherrschaft war das Villikationssystem53. Eine Villikation oder ein Fronhofsverband war dergestalt aufgebaut, dass ihr Zentrum von dem eigenen Wirtschaftsbetrieb des Grundherrn, dem Fronhof, auch Herren- oder Salhof genannt, und dem dazu gehörigen Salland gebildet wurde. In der Umgebung

51 von Schwerz gibt ein Beispiel eines Pachtverhältnisses im westlichen Teil des Münsterlandes an:

Die Pachtabgabe bestand in der dritten oder vierten Garbe und einem jährlichen Geldzins, einigen Diensten, Tieren und tierischen Erzeugnissen wie Geflügel, Eier, Butter etc. und sonstigen Naturalien, z. B. Obst. Darüber hinaus existierte eine Vielzahl an zusätzlichen Vereinbarungen, in denen die Aufgaben und Zuständigkeiten von Pächter und Grundherr geregelt wurden (von Schwerz 1836, S.

14).

52 Die Pachtfrist war häufig auf nur sechs oder zwölf Jahre festgesetzt. Bei einer Erneuerung des Pachtvertrages oder einer Neuverpachtung hatte der Verpächter die Möglichkeit, die Belastungen zu erhöhen. Wie oft davon Gebrauch gemacht wurde, kann nicht allgemein gesagt werden. Da jedoch der Pächter ein Interesse daran hatte, auf seinem Hof zu bleiben, und der Verpächter oftmals Schwierigkeiten hatte, einen geeigneten neuen Pächter zu finden, und ein Wechsel einen großen Aufwand und Nachteile für die Bewirtschaftung des Hofes bedeutete, war es einfacher, den Pachtvertrag zu verlängern und Vereinbarungen zur Zufriedenheit beider Seiten zu treffen, oder das Pachtverhältnis erblich zu machen (von Schwerz 1836, S. 15-17).

53 Die Blütezeit der Villikationsverfassung lag zwar im Hochmittelalter, aber Reste der alten Strukturen erhielten sich in Westfalen und anderen Regionen noch bis in die Zeit der Bauernbefreiung. Das Villikationssystem war nicht in ganz Deutschland zu finden, es war jedoch in den Gebieten östlich des Rheins, v. a. im sächsischen Stammesgebiet, weit verbreitet (Henning 1985, S. 69).

lagen Höfe, die von Bauern in unterschiedlichen Abhängigkeitsgraden bewirtschaftet wurden. Die Abhängigkeit bedingte Leistungen in Form von Frondiensten auf dem Herrenhof und Abgaben in Naturalien, später auch in Geld. Bei großen Villikationen mit weit verstreutem Besitz war es notwendig, zusätzliche Verwaltungszentren und Sammelstellen für die Abgaben einzurichten. Auf diesen Oberhöfen wurden Meier oder Schulten, die auch judikatorische Aufgaben wahrnahmen, als Verwalter der bäuerlichen Leistungen eingesetzt (Henning 1985, S. 61-64). Durch ihre übergeordnete Stellung erlangten die Verwalter der Haupt- und Nebenhöfe einen besseren sozialen Status als die übrigen Bauern. Sie verstanden es oftmals, einen Teil der von ihnen kontrollierten Abgaben für die eigene Wirtschaft abzuzweigen und ihren Besitz und ihr Amt erblich zu machen. Daher war auch ihre rechtliche und wirtschaftliche Lage überdurchschnittlich gut. Neben den Oberhofschulten gab es laut Schütte noch eine sehr große Zahl von Schulten, die nicht auf einem Oberhof saßen. Charakteristisch für sie war die direkte Abhängigkeit von dem Grundherrn im Gegensatz zu den übrigen abhängigen Bauern, die nur indirekt über den Oberhofschulten mit dem Grundherrn in Verbindung traten (1987, S. 31-32). Als Schulten wurden gelegentlich auch Pächter mit einer Direktbeziehung zum Grundherrn bezeichnet (Schütte 1987, S. 145).

Die Villikationen wurden bis zum 12. Jahrhundert zugunsten einer überwiegenden oder reinen Rentengrundherrschaft weitgehend aufgelöst. Die grundherrliche Eigenwirtschaft mit dem dazugehörigen Land wurde entweder vollständig zerschlagen und an Bauern in der einträglicheren Pacht, zu grundherrlichem Besitzrecht oder als Lehen ausgegeben, oder sie wurde verkleinert und vom Grundherrn selbst in dem gerade zur Deckung des eigenen Grundbedarfs notwendigen Maß weitergeführt. Bei dieser Gelegenheit konnten mehrere kleine Bauernstellen zu einer Großbauernstelle zusammengelegt werden. Dadurch ergaben sich höhere Einnahmen für den Grundherrn, denn das Land musste weniger Bauernfamilien ernähren. Auf diese Weise entstanden Meier- oder Schultenhöfe, die einfache Bauernhöfe erheblich an Größe übertreffen konnten54 (Lütge 1967, S. 83-88). Die Stelle des Verwalters wurde von der eines Beamten in die eines Pächters umgewandelt, der u. U. nicht nur sein Gut zu bewirtschaften, sondern außerdem die Aufsichtspflicht über die Leistungen der umliegenden Bauern hatte (von der Goltz 1902, S. 157-158).

Die Agrarverfassung war jedoch nicht nur vom Feudalismus geprägt. Neben den Beziehungen zwischen Monarch, Adel und Bauern waren auch die Verhältnisse der ländlichen Bevölkerung untereinander geregelt. Die Bauern konnten nicht frei über den Boden verfügen, sondern die Nutzung von Acker, Grünland und Wald in einer Dorfgemarkung wurde durch Ordnungen der dörflichen Gemeinden und der

54 Die Betriebsgröße betrug in Westfalen überwiegend 10 bis 100 ha, da in dieser Region das Anerbenrecht vorherrschte, d. h. der Hof wurde geschlossen an einen Sohn weitervererbt (Henning 1985, S. 207, Abb. 19). Ausführlich hat von Schwerz die Betriebsstruktur und Größe eines durchschnittlichen Hofes in Westfalen beschrieben. Demnach lagen die Einzelhöfe verstreut und isoliert von den Nachbarn. Der Bauer wohnte in der Mitte seiner Besitzungen, die sich in etwa 30 % Ackerland, 10 % Weiden, 50 % Wildland, 6-7 % Schlagholz und 3-4 % Gärten aufteilten. Die größten, aber zugleich am seltensten vorkommenden Höfe, die sog. Schultenhöfe, besaßen etwa 250 Morgen Acker- und Grasland, mindestens sechs Pferde, 11 bis 16 Stück Hornvieh, acht bis zehn Schweine und je vier Knechte und Mägde. Am kleinsten waren die Kotten mit 20 bis 25 Morgen Land, zwei Pferden, zwei bis vier Kühen, zwei Schweinen und zwei bis vier Dienstboten. Die am häufigsten zu findenden Zellerhöfe, die ca. 100 Morgen Land vorweisen konnten, lagen von der Ausstattung her zwischen den beiden anderen Höfen (1836, S. 3 und S. 7-8).

Grundherren eingeschränkt. Diese Regelungen waren unabhängig von der grundherrlichen Verwaltung, aber sie wurden vom Feudalherrn mitbeaufsichtigt und beeinflusst (Henning 1985, S. 70). Alle landwirtschaftlich genutzten Flächen einschließlich des Waldes der Gemeinde unterlagen dem sog. Flurzwang. Jeder Bauer hatte zwar ein privates Nutzungsrecht an seinem Ackerland, aber es gab gewisse allgemein verbindliche Regeln für die Art der Bearbeitung und Düngung und die Wahl der Ackerfrüchte. Die Brache und auch die Getreidefelder außerhalb der Vegetationszeit wurden gemäß dem Weiderecht von dem Vieh der Gemeinde und gegebenenfalls des Grundherrn beweidet (von der Goltz 1902, S. 85-88).

Allmenden waren das Gemeineigentum an Wald- und Weideflächen, entweder der bäuerlichen Markgenossen unter sich oder der Bauern und ihrer Grundherren, und wurden zum gemeinschaftlichen Viehauftrieb genutzt55. Den Grundherren gelang es immer mehr, in den ausschließlichen Besitz der Wälder zu gelangen. Die Bauern hatten zwar ein Nutzungsrecht, aber dieses konnte von den Feudalherren mehr oder weniger stark eingeschränkt werden. Die gemeinen Weiden blieben allerdings größtenteils in der Hand der Bauern. Dennoch versuchten die Grundherren, Verfügungsrechte an diesem Boden zu erlangen, um dort ihr eigenes Vieh, v. a.

Schafe, weiden lassen zu können, und hatten dabei oftmals Erfolg. So übten sie einen weitgehenden Einfluss auch auf die Nutzung der gemeinen Mark aus (von der Goltz 1902, S. 154-156).

3.2.2.2 Ackerbau

Die Bodennutzung erfolgte seit der Karolingerzeit auf etwa zwei Dritteln der Ackerbauflächen in Form der Dreifelderwirtschaft, oder einer anderen Fruchtfolge wie beispielsweise der Feldgraswirtschaft. Bei der Dreifelderwirtschaft wechselten sich Getreide, Weide und Brache im Jahresrhythmus ab. Die Fruchtfolge konnte aber auch aus Wintergetreide, Sommergetreide und Brache bestehen. Anstelle der Brache konnte ein weiteres Weidejahr oder der Anbau von Blattfrüchten erfolgen. In letzterem Fall spricht man von einer verbesserten Dreifelderwirtschaft. Das Prinzip der Feldgraswirtschaft bestand aus dem Wechsel zwischen Ackerbau und Weide oder Wiese in Intervallen von einem oder mehreren Jahren, mit oder ohne Einschub der Brache. Sie war dort angemessen, wo das Klima den Graswuchs förderte und daher eine ausgedehntere Viehhaltung ermöglichte. Nach Abel wurde am Niederrhein und im südlichen Westfalen die Feldgraswirtschaft betrieben, während in den mittleren und südöstlichen Teilen Westfalens die Mehrfelderwirtschaft, die vier oder fünf Felder einbezog, und in den nördlichen Teilen die Einfelderwirtschaft stark verbreitet war56 (1967, S. 217, Bild 33). Eine Verbesserung der Fruchtfolge durch Bebauung der Brache wurde v. a. in Teilen des Rheinlands vorgenommen. Diese sog. verbesserte Dreifelderwirtschaft wurde am Niederrhein, der eine starke Kommunikation mit den agrarisch weiter entwickelten Niederlanden unterhielt, bereits im 16. Jahrhundert durchgeführt, indem Blattfrüchte für die menschliche und tierische

55 Die Höhe der Viehkontingente war festgesetzt und hing u. a. von der rechtlich-sozialen Stellung der Bauern ab (Abel 1967, S. 92).

56 Nach Gerland war die Feldgraswirtschaft v. a. in den mit Niederschlägen reichlicher versehenen Teilen Westfalens anzutreffen, während im Münsterland die verbesserte Dreifelderwirtschaft weit verbreitet war. Dort nahm das Weideland oft 50 % und mehr an der gesamten Wirtschaftsfläche ein, teils als Dauer-, teils als Wechselweiden. Das bedeutete, dass der Weidebetrieb und damit die Viehhaltung dort eine vergleichsweise große Rolle spielte (1927, S. 745).

Ernährung angepflanzt wurden. Eine vergleichbare Entwicklung gab es in den übrigen Teilen Deutschlands bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht.

Änderungen der Fruchtfolge, Bebauung der Brache und die Einführung neuer Produkte und Produktionsmethoden scheiterten am Flurzwang und Weiderecht und an dem Beharrungsvermögen der ländlichen Bevölkerung (Henning 1985, S. 195-196).

Der Ackerbau war der wichtigste Produktionszweig in der Landwirtschaft Westfalens und am Niederrhein. Von dem Ackerland wurde der größte Teil für den Anbau von Getreide genutzt, allem voran Roggen. Dieser galt auch für Westfalen als das Getreide schlechthin. Mit einigem Abstand folgte Hafer, der als Sommergetreide bevorzugt wurde. Gerste, Weizen und Dinkel spielten insgesamt eine untergeordnete Rolle, obgleich sie regional größere Bedeutung erlangen konnten, insbesondere die Gerste, die in Westfalen in verstärktem Maße vorkam. Eine Alternative zum Getreide stellte spätestens seit dem 15. Jahrhundert der Buchweizen dar, der für die

Der Ackerbau war der wichtigste Produktionszweig in der Landwirtschaft Westfalens und am Niederrhein. Von dem Ackerland wurde der größte Teil für den Anbau von Getreide genutzt, allem voran Roggen. Dieser galt auch für Westfalen als das Getreide schlechthin. Mit einigem Abstand folgte Hafer, der als Sommergetreide bevorzugt wurde. Gerste, Weizen und Dinkel spielten insgesamt eine untergeordnete Rolle, obgleich sie regional größere Bedeutung erlangen konnten, insbesondere die Gerste, die in Westfalen in verstärktem Maße vorkam. Eine Alternative zum Getreide stellte spätestens seit dem 15. Jahrhundert der Buchweizen dar, der für die