• Keine Ergebnisse gefunden

Der Nutzen der Landespferdezucht für die Bauern

4 Ergebnisse der Quellenauswertung

4.1 Pferdezucht und Pferdehaltung in der Herrlichkeit Anholt

4.1.2 Der Stutenbestand

4.1.2.7 Der Nutzen der Landespferdezucht für die Bauern

Bei den Untersuchungen zum Umfang und zur Rolle der Bauern bei der Landespferdezucht stellt sich die Frage, ob auch die bäuerlichen Untertanen einen Nutzen aus ihr ziehen konnten oder ob sie lediglich eine Belastung für sie darstellte.

Eine Zuchtstute und möglicherweise auch ihr Fohlen zu halten, stellte einen nicht zu unterschätzenden finanziellen und arbeitstechnischen Aufwand für einen Bauern dar, denn er musste ihnen Futter, einen Stall und eine Weide zur Verfügung stellen.

Neben der intensiven ganzjährigen Pflege kam im Frühjahr die sorgfältige Rossekontrolle hinzu, nach der er mit der Stute den Weg zum Hof antreten musste.

Entgelte für ihre Mühen bekamen die Züchter nicht. Außerdem fiel die Stute während der Hochträchtigkeit und der Säugeperiode mehrere Wochen für den Arbeitsdienst aus125, und danach konnte sie nur wenige Stunden am Stück arbeiten, da das Fohlen zwischendurch immer wieder saugen musste.

Wie im Kap. 4.1.1.1 bereits gesagt wurde, konnte eine Landbeschälung nur dann zufriedenstellende Ergebnisse liefern, wenn die Bauern sie von sich aus unterstützten. Ein Anreiz für die Untertanen, ihre züchterischen Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen, konnte in erster Linie dadurch geschaffen werden, dass ein Züchter die – obschon geringe – Chance erhielt, ein edles Stutfohlen sein eigen nennen zu können, wenn er die Bedingungen des Landesherrn akzeptierte und seine Stute von einem fürstlichen Hengst decken ließ. Bei Hengstfohlen war die Abnahme durch den Hof in jedem Fall gegen einen Festpreis garantiert. Der Bauer trug also lediglich das Risiko der Aufzucht bis zu einem halben Jahr, danach brauchte er sich nicht mehr um den Absatz des Fohlens zu kümmern. Die Gefahr eines Verlustgeschäfts war somit geringer als bei einer privaten Zucht. Auf der anderen Seite bekam er für ein Spitzenfohlen nicht mehr Geld als für ein minderwertiges Tier, und er hatte i. d. R. nicht die Option, den Hengst selbst zu behalten. Bei Stutfohlen hingegen war die Wahrscheinlichkeit größer, dass er selbst über deren Verbleib entscheiden konnte. Auch ein Stutfohlen musste er u. U. gegen einen festgesetzten Preis abgeben, wenn der herrschaftliche Hof von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch

125 Zum Schutz der Mutterstuten wurde z. B. im „Königlich-Preußischen Landgestüte Reglement“ von 1787 bestimmt, dass eine Stute sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Geburt vom Vorspanndienst befreit sein sollte (Stoffregen-Büller 1995, S. 206-207).

machte und vertraglich keine anderweitige Regelung getroffen wurde (s. Kap.

4.1.1.2). Ansonsten konnte er es selbst behalten. Ein freier Verkauf war dann allerdings immer noch nicht möglich, sondern erst wenn der Fürst bei bestehenden Verkaufsabsichten endgültig keinen Anspruch auf das Tier erhob. Der Bauer musste also einige rechtliche Hürden überwinden, ehe er mit seinen Zuchtprodukten am freien Handel teilnehmen konnte. Dann war ein guter Verkaufspreis jedoch wahrscheinlich, denn die Tiere konnten eine edle Abstammung vorweisen.

Andererseits schätzten die Untertanen womöglich die allgemeine Sicherheit, die ihnen die Landgestütsordnung bezüglich des Absatzes ihrer Nachwuchspferde gab, und betrachteten die vom fürstlichen Hof organisierte Pferdezucht als eine zusätzliche potentielle Einnahmequelle.

Ein wichtiger Aspekt, der in die Überlegungen über die Vorteile für die Bauern aus der Landespferdezucht mit einbezogen werden muss, ist die Frage, ob die Bauern ihre Arbeitspferde allein aus der von Seiten des Landesherrn organisierten Pferdezucht remontieren konnten. Bei einer zufriedenstellenden Landespferdezucht sollte die Remontierung weitgehend gewährleistet sein. Um den Grad der Remontierung ermitteln zu können, braucht man eigentlich die Gesamtzahl der in einem Land vorhandenen Zuchtstuten der Untertanen, sowie die genaue Zahl der in einem Jahr von diesen geborenen Fohlen. Da über keine der benötigten Parameter exakte und lückenlose Angaben existieren, müssen die Berechnungen mit den wenigen vorhandenen und in vorhergehenden Kapiteln erarbeiteten Werten durchgeführt werden. Der Remontierungsgrad kann somit lediglich für den Teil der Bauern und der Stuten ermittelt werden, der sicher dokumentiert ist, was für die Aussage, welche dieses Kapitel anstrebt, jedoch ausreicht. Die Beispielrechnung erfolgt nur für den Zeitraum von 1735 bis 1738, da zum einen zwischen 1731 und 1734 eine Lücke in den Deckverzeichnissen besteht und zum anderen in diesen beiden Jahren vergleichsweise wenige Stuten registriert waren, was vermuten läßt, dass sich die Landespferdezucht entweder noch am Beginn ihrer Entwicklung befand oder die Quellen unvollständig sind. Von ihnen können daher keine zufriedenstellenden Ergebnisse erwartet werden.

Um eine ungefähre Vorstellung von den damaligen Verhältnissen im Hinblick auf den bäuerlichen Besitz an Pferden und die Eigenremontierung zu bekommen, wird auf die Angaben Abels hingewiesen, nach denen ein Hof in Nordwestdeutschland im 18.

Jahrhundert im Durchschnitt 3,1 Pferde und 0,2 Fohlen besaß (1967, S. 240). Anders ausgedrückt bekam ein Bauer alle 5 Jahre ein Fohlen, und das Verhältnis von ausgewachsenen Pferden zu Fohlen betrug 15,5 : 1. Die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Arbeitspferdes musste somit mindestens 15,5 Jahre betragen, wenn der Bauer seinen Bedarf an Arbeitspferden allein aus der Eigenremontierung decken wollte.

Von welchem rechnerischen Ansatz man auch ausgeht126, kommt man zu dem Schluss, dass der Bedarf der Anholter Bauern an Nachwuchs für ihre Zuchttiere

126 Zur Beurteilung des Remontierungsgrads sind zwei Rechenwege denkbar:

Rechnung 1: Die Bauern führten ihre Stuten von 1735 bis 1738 insgesamt 202 Mal zum Beschälen an den Hof. Die im Dokument 101 erwähnten Paarungen werden ebenso berücksichtigt wie die im Deckplan von 1735 (35) genannten Bedeckungen, sofern der Beschäler eingetragen ist, und die aus den Fohlenverzeichnissen hervorgehenden zusätzlichen Paarungen. Bei einer angenommenen Abfohlrate von 30 % (s. Kap. 4.1.4.3) und einer Wahrscheinlichkeit, ein Stutfohlen zu bekommen, von 50 % gingen aus diesen Paarungen in vier Jahren theoretisch 30,3 Stutfohlen hervor, d. h. 7,6 Stutfohlen pro Jahr. Jeder Bauer brauchte aber zur Remontierung allein seiner etwa 1,6 Zuchtstuten bei einer durchschnittlichen Dienstzeit von 15,5 Jahren alle 9,7 Jahre ein Stutfohlen, oder anders

selbst bei einer relativ langen angenommenen Nutzungsdauer von 15,5 Jahren nicht gedeckt und ihre Remontierung somit nicht sichergestellt war. Würde man die gleichen Berechnungen zusätzlich mit den Werten aus den Jahren 1731 und 1734 oder mit einer kürzeren Nutzungsdauer durchführen, würde die Feststellung, dass für die Bauern nur eine ungenügende Menge weiblicher Nachzucht übrig blieb, sogar noch deutlicher ausfallen. Das gleiche gilt, wenn man bedenkt, dass der fürstliche Hof darüber hinaus hin und wieder noch Stutfohlen für den Marstall verlangte, wie es ihm laut landesherrlicher Verordnung zustand. Es ist außerdem nachgewiesen, dass der Hofmeister mehrmals Fohlen von Bauern erwarb, deren Stuten ursprünglich für den Fürsten gedeckt worden waren. Als dann Stutfohlen geboren wurden, welche die Herrschaft nicht für den Marstall abnehmen wollte, konnte der Hofmeister sie anscheinend kaufen127. Ob die Züchter sie freiwillig hergaben oder der Hofmeister sich im Namen des Hofes auf das in der Landgestütsordnung verankerte Vorkaufsrecht berief, ist ungewiss. Immerhin belegen diese Verkäufe, dass die Bauern auch ihre Stutfohlen gut absetzen konnten, wenngleich dies sehr zu Lasten ihrer eigenen Remontierung ging.

Was bisher noch überhaupt nicht berücksichtigt wurde, ist außerdem die Tatsache, dass die Bauern über die Zuchtstuten hinaus zusätzliche Arbeitspferde besaßen, auf die sie kaum verzichten konnten und die ebenfalls bei Bedarf ersetzt werden mussten. Dadurch verringerte sich der Remontierungsgrad noch einmal drastisch.

Die Untertanen mussten daher auf jeden Fall selbst für einen ausreichenden Nachschub an Pferden sorgen. Dies geschah vermutlich zum größten Teil aus eigener Zucht, d. h. sie mussten ihre Stuten, seien es die gleichen, die auch vom herrschaftlichen Hof genutzt wurden, oder weniger edle Arbeitstiere, von anderen Hengsten als denen des Marstalls decken lassen. Tatsächlich gab es in den Fohlenverzeichnissen einen „unbekannten Zuchthengst“, der die türkische Stute von Engels gedeckt hatte und bei dem unklar ist, ob er dem Marstall entstammte (25).

Die Bauern kauften auch hin und wieder Pferde zu, obgleich dies die kostspieligere und unwirtschaftlichere Methode der Remontierung war und daher keine dauerhafte Alternative zur eigenen Zucht und Aufzucht von Fohlen darstellte. Auch aus dem Marstall kauften die Bauern einige Pferde (s. Kap. 4.1.6.4), während sie recht selten Fohlenkäufe von der Herrschaft oder vom Hofmeister tätigten. Dies geschah dann meist in Verrechnung mit Unterbringungskosten128.

Der Nutzen, den die Anholter Landespferdezucht den Bauern brachte, war alles in allem also sehr bescheiden. Vor allem in Bezug auf die Remontierung ihrer Pferde erwies sich die Landbeschälung als völlig unzureichend. Nur das Geld, das die

ausgedrückt 0,1 Stutfohlen pro Jahr. Somit bestand für die 101 Untertanen, die in dem betrachteten Zeitraum genannt wurden, ein jährlicher Bedarf an 10,1 Stutfohlen, d. h. das Defizit betrug rund 25 %.

Rechnung 2: In den Jahren 1735 bis 1738 sind etwa 156 bis 162 verschiedene Zuchtstuten registriert, die insgesamt 202 Mal beschält wurden. Demnach wurde eine Stute alle 3,1 bis 3,2 Jahre einmal gedeckt. Da auch hier die Abfohlrate 30 % und die Wahrscheinlichkeit für ein Stutfohlen 50 % betrug, bedeutete dies, dass sie in rund 21 Jahren nur ein Stutfohlen zur Welt brachte. Eine jede Stute, die 15,5 Jahre genutzt werden konnte, remontierte sich somit selbst nur zu knapp 74 %.

127 Dies waren im Jahr 1737 ein Rotschimmelstutfohlen von Bollwerk und ein graues Stutfohlen von Lackhuysen (60) sowie im Jahr 1738 ein Stutfohlen von Bollwerk und ein Fuchsstutfohlen von Schmöllenberg (68).

128 So überließ der Hofmeister dem Bauern Gerlichs ein Stutfohlen für drei Pistolen und ebenso Reigers, dem der Preis für das Tier von den Unterbringungskosten abgezogen wurde (68). Der Preis für zwei junge braune Stuten aus dem Bongard, die Dercksen dem Fürsten 1741 für zusammen neun Pistolen (= 45 Reichstaler) abkaufte, wurden von der Rechnung für das Winterfutter und vom Weidegeld abgezogen (81).

Züchter mit dem Verkauf ihrer Fohlen verdienten, könnte sie hinreichend animiert haben, ihre Stuten in gewissen, unregelmäßigen Abständen an den Hof zu bringen, um sie von den herrschaftlichen Hengsten decken zu lassen. Es ist nicht klar, wie viel Zwang sich für die Bauern hinter der Regelung der Landespferdezucht verbarg.

Zwar ist nicht bekannt, dass sie unter Strafandrohung auf fürstliche Anordnung hin ihre Stuten beschälen lassen mussten, im Gegenteil geschah dies zwischen den Bauern und dem Rheingrafen sogar im gegenseitigen Einvernehmen, aber es ist zweifelhaft, ob sie selbst entscheiden konnten, ob und wann sie ihre Stuten zu den Marstallhengsten lassen wollten. Sie werden nur mehr oder weniger bereitwillig den Anweisungen des Hofs gefolgt sein. Es ist letztendlich auch nicht bekannt, wie beliebt die durch die Regierung organisierte Pferdezucht bei den Untertanen war.

Dass die Abfohlrate bei 30 % lag, deutet zumindest darauf hin, dass das System einigermaßen funktionierte, denn die Bauern konnten durchaus auf verschiedene Arten und Weisen eine erfolgreiche Belegung ihrer Stuten boykottieren. Der Unmut der Bauern über ihre Verpflichtungen, sofern er vorhanden war, dürfte sich in Anholt somit in Grenzen gehalten haben.