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Als eines der zahlenmäßig stärksten jüdischen Zentren der Welt war Nachkriegsdeutschland der Führung des internationalen Zionismus

wichtig genug, dass sie von dort aus Weichen für die Schaffung Israels stellte. David Ben-Gu-rion, „Gründervater” des Judenstaates, bereiste im Herbst 1945 das besetzte Deutschland, um sich die Besten unter den dort befindlichen Ab-stammungsgenossen für die Verwirklichung sei-nes epochalen Projekts herauszusuchen.

In München fand dann am 27. Januar 1946 eine wichtige Vorbereitungskonferenz zur Grün-dung Israels in Ben-Gurions Beisein statt. Stät-te dieser „Conference of liberaStät-ted Jews” unStät-ter Leitung von Zalman Grinberg, eines „begeister-ten Zionis„begeister-ten” (Brenner) aus Litauen, war das Rathaus. Zu den maßgeblich Beteiligten zählte Gideon Rafael (eigentlich Gerhard Ruffer; gebo-ren 1913 in Berlin, seit 1934 in Palästina), der nachmalige Chefdelegierte Israels bei der UNO, Botschafter bei der Europäischen Gemeinschaft und Staatssekretär.

Vor allem organisierte die Zionistische Interna-tionale im niedergezwungenen Deutschland das Netzwerk „Bricha” (hebräisch: „Flucht"). Ziel war, so viel wie möglich der dort befindlichen Juden nach Nahost zu schaffen. Denn die „Ge-burt” Israels stand ja bevor. Österreich wurde zum wichtigsten Transit-Territorium und das Wiener Rothschild-Spital das größte Durch-gangslager (siehe: Thomas Albrich, „Exodus durch Österreich. Die jüdischen Flüchtlinge 1945-1948”, 1987; ders.: „Salzburg — Drehschei-be des jüdischen Exodus 1945-48”, Innsbruck 1997).

»Auf Schleichwegen nach Eretz Israel«

(ins Gelobte Land der Zionisten also), so lautete die Schlagzeile eines Artikels von Reuven As-sor, der am 11. Juni 1999 in den „Israel Nach-richten” erschien. Der zionistische Publizist schrieb darin über die Nachkriegsjahre:

»Mehr als dreihundertfünfzigtausend Juden benutzten die halbgeheimen Schleichpfade über den Loibl- und Brenner-Pass, um aus Deutschland in die italienischen Häfen Brin-disi, Bari, Tarent, La Spezia und Santa Maria

David Ben-Gurion, 4. von rechts, beim Münchner Kongress des 27. Januar 1946. Als 3. von links im Bild:

Dr. Samuel Gringauz, Oberhaupt der DP-Juden von Landsberg/Lech.

della Croce zu gelangen ... Von dort wurden die Menschen illegal mit Schiffen nach Pa-lästina gebracht.«

Assors Schätzung (350 000) ist eher hoch. In jü-disch-zionistischen Quellen liest man sonst meist Angaben von ca. 200 000 bzw. 250 000.

Hauptzielort der DP-Juden waren neben Paläs-tina die USA, wo weit über fünfzigtausend lan-deten.

Es seien vor allem Soldaten der Jüdischen Bri-gade gewesen (also Juden, die in einer eige-nen Formation im Zweiten Weltkrieg auf eng-lischer Seite gekämpft hatten), die „bei dieser einzigartigen Auswanderung die Führung in die Hand genommen” hätten, fuhr der Bericht-erstatter in den „Israel Nachrichten” fort. An der Spitze der Organisation für die „heilige Ar-beit” habe — unter dem Decknamen „Arthur” —

Ascher Ben-Nathan gestanden. Ihm zur Seite wirkten in der Bricha-Führung u. a. Ex-Bri-gadiers wie Motti Hod (nachmals Chef der is-raelischen Luftwaffe), Jani Avidow, Yehuda Go-lan und Aba Gefen (später Israels Botschafter in Rumänien). Die Arbeit für Bricha sei eine

»Eintrittskarte in die israelische Politik«

gewesen, heißt es bei Assor.

Nicht von ungefähr tragen die 1970 erschiene-nen Lebenserinnerungen von Ascher Ben-Nat-han den Titel „Davidstern und Deutschland”.

Geboren in Wien, war er 1938 nach Palästina ausgewandert, wo er sich im Management der illegalen jüdischen Einwanderung vor allem aus dem Deutschen Reich betätigte. Ein enges Ver-trauensverhältnis verband ihn mit David Ben-Gurion. Im Auftrag des israelischen Verteidi-gungsministeriums war Ben-Nathan nach

Bricha-Chef Ascher Ben-Nathan 1946

seiner Arbeit für das Bricha-Netzwerk in den 50er-Jahren an der Waffenbeschaffung aus Westeuropa, nicht zuletzt aus Westdeutsch-land, beteiligt. Von 1965 bis 1970 amtierte er als erster israelischer Botschafter in Bonn.

Über lange Zeit wirkte er als Vorsitzender der Israelisch-Deutschen Gesellschaft, die eine ent-scheidende Funktion im „Netz” hat.

Die Engländer allerdings, Herrscher in Nahost, waren nach 1945 weiter entschlossen, den jü-disch-zionistischen Zustrom nach Palästina zu drosseln. Manche der vom Bricha-Mossad ge-charterten oder sonstwie beschafften Schiffe mit Displaced Persons wurden von der Royal Navy im Mittelmeer aufgebracht; die betroffe-nen Juden kamen in stacheldrahtbewehrte In-ternierungslager, meist auf Zypern, wo zeitwei-se über 10 000 von ihnen festsaßen. Durch Roman und Verfilmung besonders bekannt ge-worden ist die Geschichte des Mossad-Schiffes

„Exodus” mit viereinhalbtausend DPs ohne Visa an Bord, das im Sommer 1947 nicht in Haifa anlegen durfte; die Briten brachten die Juden nach Deutschland zurück.

Insbesondere Londons Außenminister Ernest Bevin, um die Wahrung britischer Interessen im arabisch-muslimischen Raum bemüht, trat bei der jüdischen Masseneinwanderung nach Pa-lästina auf die Bremse, was ihn zu einem der bestgehassten englischen Politiker in der zio-nistischen Geschichtsschreibung werden ließ.

Militante Zionisten, die schon für die Morde u. a. an Britanniens Palästinabeauftragten Lord Moyne und dem schwedischen Nahostvermitt-ler Graf Bernadotte verantwortlich waren, setz-ten Bevin auf ihre „Abschussliste”. Zum Vollzug kam es allerdings nicht.

Keimzelle des Staates Israel Zu einer nachkriegsdeutschen Keimzelle des Staates Israel entwickelte sich insbesondere das schon am 9. Mai 1945 auf dem Gelände der ehemaligen Saarburgkaserne der Wehr-macht gegründete und erst Anfang 1951 end-gültig aufgelöste jüdische DP-Lager von Lands-berg am Lech. In der oberbayerischen Stadt an der Grenze zu Schwaben hatte im 18. Jahrhun-dert der geniale Baumeister Dominikus Zimmer-mann als Künstler und Bürgermeister gewirkt und Festungshäftling Hitler 1924 „Mein Kampf”

verfasst. Nach 1945 wurden im Landsberger War Criminal Prison der US-Amerikaner über hundert Deutsche aufgrund oft höchst fragwür-diger Schuldsprüche am Strang hingerichtet.

Das Landsberger DP-Lager zählte anfänglich fast 7000, später durchschnittlich um die 5000, in der Schlussphase ca. 1000 Insassen. Ganz in der Nähe, im dafür geräumten Benediktiner-kloster St. Ottilien, wo das „Ghettoorchester”

aus Kovno/Kaunas in Litauen schon Ende Mai 1945 ein Konzert für die DPs gegeben hatte (zum Abschluss erklang das Zionistenlied

Hatik-Im DP-Lager Landsberg

va, nachmals Israels Nationalhymne), fand am 25./26. Juli 1945 eine erste „Konferenz der be-freiten Juden aller Zonen” statt. Sie forderte

»die Anerkennung der Juden als Volk mit ei-nem Anspruch auf eine eigene Heimat, die volle Entschädigung der Verluste an Leben und Besitz durch die Deutschen und die Au-tonomie für die jüdischen Lagerinsassen«.

Der jüdische Historiker Michael Brenner berich-tet in „Nach dem Holocaust” von einem „Auf-sehen erregenden Ereignis nach Beendigung der Beratungen” von St. Ottilien:

»Die 94 Delegierten begaben sich am Abend des 26. Juli in den Münchner Bürgerbräukel-ler und forderten dort, am symbolischen Schauplatz des Aufstiegs der Nationalsozia-li sten, inmitten entweihter Thorarollen, die auf dem Fußboden zerstreut lagen, die

Er-laubnis zur Ausreise nach Palästina.«

Jacob Olejski, einer der Zionistenführer der DPs in Landsberg (Chef des Lagerkomitees war Samuel Gringauz, auch er strikt zionistisch), rief bei einer „Friedens-Siegeskundgebung”, die im Camp der Lechstadt am 24. August 1945 an-lässlich der japanischen Kapitulation stattfand, aus:

»Nein, wir sind keine Polen, trotzdem wir in Polen geboren sind; wir sind keine Litauer,

auch wenn unsere Wiege einstmals in Litau-en gestandLitau-en habLitau-en mag; wir sind keine Ru-mänen, wenn wir auch in Rumänien das Licht der Welt erblickt haben. Wir sind Ju-den! Wir fordern daher, dass für uns die Tore Palästinas weit geöffnet werden, damit wir dort als freies, unabhängiges und selb-ständiges Volk leben können.«

In dem vom jüdischen US-Major Irving Heymont als Vertreter der Besatzungsmacht komman-dierten Landsberger Lager gaben von Anfang an die Zionisten den Ton an. Propaganda für Eretz Israel und die Übersiedlung nach Palästi-na war an der Tagesordnung — verbreitet auch durch die von einem aus Litauen stammenden Juden, Dr. Valsonok, herausgegebene „Jid-dische Landsberger Cajtung”, deren Redaktion fest in zionistischer Hand lag. Bei dem Blatt handelte es sich nach Einschätzung des jid-dischsprachigen US-Zionistenorgans „Nyu York Morgn” um

»di beste jidisze Cajtung in dajcze Lager«.

Die erste jiddische Zeitung im hitlerfreien Deutschland war allerdings schon am 4. Mai 1945, vier Tage also vor der Gesamtkapitulati-on, in dem von den US-Amerikanern eingenom-menen KZ Buchenwald herausgekommen. Sie hatte einen hebräischen Titel, „Techiat ha'Me-ti m”, das heißt:

»Die Wiederauferstehung der Toten«.

Insgesamt gab es über einhundert, oft kurzlebi-ge Zeitunkurzlebi-gen und Zeitschriften in den DP-La-gern für Juden, von denen der weit überwie-gende Teil für die Alija die Werbetrommel rührte. Auch ansonsten erwiesen sich die Zio-nisten publizistisch auf Zack. Michael Brenner schreibt:

»Es erschienen etwa fünfzig Lehrbücher für das weitverzweigte Schulnetz der Scheerit Haplejta in Deutschland. In Bergen wurde bereits am 1. Juli 1945 eine jüdische Volks-schule mit 200 Schülern gegründet.«

Das kommende Israel formiert sich. Oben:

Josef Rosensaft als Redner in Bad Harz-burg, Juli 1947: Unten:

Erinnerungstafel an die Scheerit Hapleita-Kon-ferenz in Bad Reichen-hall im Februar 1947.

Auch Philipp Auerbach, nachmals Generalan-walt für Wiedergutma-chung, wird erwähnt.

Bei seiner Deutschlandtournee Oktober/Novem-ber 1945 kam Ben-Gurion auch ins DP-Lager Landsberg, das ohnehin in seinem zionistischen Netzwerk eine besondere Rolle spielte. Laut Augenzeuge Dr. Simon Snopkowski, dem lang-jährigen Chef der Israelitischen Kultusgemein-den in Bayern, wurde Israels Gründervater dort

„ wie ein Gott empfangen” und überhaupt im Landsberger Lager

»der Staat Israel in seinem vorstaatlichen Stadium praktiziert«.

Wie es auf den Internetseiten der den jüdisch-zionistischen Belangen sehr zugetanen „Bürger-vereinigung Landsberg” heißt, gingen durch das DP-Lager

»viele jener Männer und Frauen, die nach 1948 Israel zu dem Land machten, das es heute ist«.

Als am 13. Januar 1949 Konsul Dr. Chaim Hof-man als erster Vertreter des neugegründeten Staates Israel die noch in Landsberg befindli-chen Juden aufsuchte, um sie zur Übersiedlung zu ermahnen („Kommt zu uns!"), lobte er das DP-Lager der Lechstadt, weil man dort „die ers-te zionistische Organisation” in Nachkriegs-deutschland geschaffen habe.